Hannes Wader
Ballade vom Fisch
Wenn zu Haus' im Twellbachtal um die Osterfeiertage
Auf das welke Wintergras der Wiesen warm die Sonne schien
Kroch ich durch Gestrüpp und Dornen am Johannesbach entlang
Sah die Hasen und Fasanen vor mir in das Dickicht fliehen
Sah im seichten klaren Wasser schwärme von Forellen stehen
Griff hinein und mehr als eine fing ich mit der bloßen Hand
Ich durchbohrte ihre Kiemen reihte sie der Größe nach
Auf Haselnuss und Weidengärten wie ich sie am Ufer fand

Wenn die Gedanken treiben
In die Zeit in der du Kind gewesen bist
Lass es gut sein, soll sie so bleiben
Zwischen Wirklichkeit und Traum
Auch wenn es in Wahrheit kaum
Jemals so gewesen ist

Weiter folgte ich dem Ufer in das wuchernde Gebüsch
Wo das Bachbett brunnentief das Wasser dunkel war und still
Und das Wurzelwerk der Erlen von der Strömung unterhöhlt
Darin hauste dieser Fisch von dem ich hier erzählen will
Ja ich sah als ich zum Ersten mal an dieser Stelle stand
Nicht viel mehr als einen Schatten, ein paar Blasen stiegen auf
Ich zog meine Kleider aus, tauchte in das kalte Loch
Bis auf den Grund und brachte nichts als Schlamm und Algen mit herauf

Wenn die Gedanken treiben
In die Zeit in der du Kind gewesen bist
Lass es gut sein, soll sie so bleiben
Zwischen Wirklichkeit und Traum
Auch wenn es in Wahrheit kaum
Jemals so gewesen ist
Ich suchte weiter, tastete die Wurzelhöhle ab
Spürte in dem kalten Wasser meine Glieder längst nicht mehr
Doch da fühlten meine Finger eine glatte Schuppenhaut
Einen Fisch für meine Kinderhände viel zu stark und schwer
Und so jagte ich den Fisch wohl einen ganzen Sommer lang
Doch ich hab ihn nie gefangen, hab ihn nicht einmal gesehen
Jahre sind seitdem vergangen, ich ging von Zuhause fort
Hatte mir dabei geschworen auch nie mehr zurückzugehen

Wenn die Gedanken treiben
In die Zeit in der du Kind gewesen bist
Lass es gut sein, soll sie so bleiben
Zwischen Wirklichkeit und Traum
Auch wenn es in Wahrheit kaum
Jemals so gewesen ist

Bin nun doch zurückgekommen, doch mein schönes Twellbachtal
Ist zersiedelt und zerstört, Wiesen gibt es dort nicht mehr
Der Johannesbach ein Rinnsal, stinkt und tröpfelt vor sich hin
Und Forellen mit zersetzen Leibern stauen sich vor dem Wehr
Und ich dachte an den Fisch, lief auch schon den Bach entlang
Und dann stand ich so wie früher vor dem dunklen Wasserloch
Und ich zog mich wieder aus, sprang und tauchte und ich wusste
Dass er lebte, als ich zu ihm in die Wurzelhöhle kroch

Wenn die Gedanken treiben
In die Zeit in der du Kind gewesen bist
Lass es gut sein, soll sie so bleiben
Zwischen Wirklichkeit und Traum
Auch wenn es in Wahrheit kaum
Jemals so gewesen ist
Und ich tauchte auf den Grund, hielt den Atem lange an
Beinah platzte mir der Schädel, meine Glieder wurden klamm
Doch ich fand den Fisch wie damals, an der gleichen Stelle wieder
Wo er sich verkrochen hatte, tief im modrig kalten Schlamm
Ich umkrallte seine Kiemen kämpfte einen langen Kampf
Hätte ihn auch töten können lies dann doch wieder los
Soll er Leben, sterben wo er ist, ein Schatten - unsichtbar
Als ein schlauer alter Fisch, tapfer, unbesiegt und groß

Wenn die Gedanken treiben
In die Zeit in der du Kind gewesen bist
Lass es gut sein, soll sie so bleiben
Zwischen Wirklichkeit und Traum
Auch wenn es in Wahrheit kaum
Jemals so gewesen ist