Reinhard Mey
Hab’ Dank für deine Zeit
Ich der den Hut vor keinem zieht
Vor keinem Herren niederkniet
Und dessen Nacken nicht lernt sich zu neigen
Ich komm, weil ich dir sagen will:
Dein Beispiel macht mich klein und still
Und bringt mein freches Lästern mal zum Schweigen
Die Kinder hängen an dir dran
Keins, das allein auskommen kann
Ich seh' dich aus der kleinen Herde ragen
Missliebige Blicke manchmal
Sie sind nicht sogenannt "normal"
Lass mich für die sprachlosen Münder sagen:
Hab' Dank für deine Zeit
Hab' Dank für deine Freundlichkeit
Für die Arbeit deiner Hände
Für den Mut, der Wiederstände
Überwindet, und alle Engstirnigkeit
Hab' Dank für deine Zeit
Du, die im Altenheim, wie's heißt
Geduldig zuzuhören weist
Wo wir die alten Leute nur verwalten
Denen, die dort vergessen sind
Bist du Verwandter, Freund und Kind
Der einz'ge Besuch, den sie erhalten
Du, in dem großen Krankenhaus
Machst deinen Dienst tagein, tagaus
Und du besitzt die Kunst Leiden zu mindern
Kein Ruhm, kein Orden der dir fehlt
Die Aufgabe, die dich beseelt
Ist Trost zu geben und Schmerzen zu lindern
Hab' Dank für deine Zeit
Zu seh'n, dass es Leute wie dich
Unter uns gibt, das tröstet mich
Und die Gewissheit dessen ist mit teuer
Ein Funke deiner Menschlichkeit
Wärmt mich in unsrer rauhen Zeit
Und leuchtet wie ein großen Freudenfeuer
Hab' dank für deine Zeit