Reinhard Mey
Einen Koffer in jeder Hand
Den Kopf in den Schultern, so steh' ich halbwach
Einen Koffer in jeder Hand
Den Bauch voller Kaffee am Morgen danach
Und ordne in meinem Verstand
Noch die Namen und Gesichter dieser Nacht und überleg':
Wie hab' ich sie genannt?
Da ruft jemand: "Höchste Zeit, Mann", und ich mach' mich auf den Weg
– Einen Koffer in jeder Hand
Ein neuer Tag, ein unbeschriebenes Blatt
Ein paar Stunden auf einem Zug
Und neue Gesichter, eine andere Stadt
Und der Abend vergeht wie im Flug
Und die Zeit reicht grade für eine Einwegbegegnung aus
Kein Zurück und auch kein Pfand
Denn in ein paar Stunden steig' ich aus einem andren Zug aus
– Einen Koffer in jeder Hand
Heimkommen und Abschiednehmen zugleich
Kein Mißverständnis, kein Groll
Denn in einem Atemzug nur heißt es gleich
Willkommen und Lebewohl
Gleich, ob bitter oder süß, die Erinnerungen verweh'n
Im Staub am Straßenrand
Es ist längst zu spät, sich noch einmal nach ihnen umzuseh'n
– Einen Koffer in jeder Hand
Und ehe noch ein neuer Morgen anbricht
Hab' ich mich Neuem zugewandt
Vielleicht dankbar und voller Zuversicht
Vielleicht müde und ausgebrannt
Als sucht' ich in jedem Aufbruch, als sucht' ich im Weitergeh'n
Ein Ziel, das ich nie fand
Vielleicht ist es meine Art von Freiheit, schon bereitzusteh'n
Einen Koffer in jeder Hand
Nun, vielleicht heißt wirklich Freisein immerfort bereitzusteh'n
– Einen Koffer in jeder Hand