Reinhard Mey
Kennst du die kleinen, nicht wirklich nützlichen Gegenstände?
Kennst du die kleinen, nicht wirklich nützlichen Gegenstände
Die sich dir unterschieben, nein? Sie fall'n dir in den Schoß
Sie fall'n dir irgendwann scheinbar ganz harmlos in die Hände
Aber von dem Augenblick an wirst du sie nie mehr los
Du siehst sie an und du betastest sie von allen Seiten
Du legst sie erstmal vor dich hin, du räumst sie später weg -
Aber da irrst du dich: Da bleiben sie für alle Zeiten
Die kleinen Platzbesatzer kriegst du nie wieder vom Fleck
Sie lungern auf dem Schreibtisch, sie entern die Bleistiftschale
Nehmen die Primel ein und stürmen dann das Fensterbrett
Die Ablage, das Waschbecken, besetzen die Regale
Schließlich erobern sie den Nachttisch und sogar das Bett
Die liebgeword‘nen Inhalte der Überraschungseier
Das Klingelglöckchen, das der Schokoladenhase trug
Die Plastikmaus, der Glibberwurm und der Hartgummigeier
Das "Nicht hinauslehnen"-Schild aus dem alten S-Bahn-Zug
Das Schokoherz, der Schlüsselanhänger mit Mona Lisa
Das Kinderzähnchen, das im rosa Wattekästchen ruht
Der Thermometer-versehene schiefe Turm von Pisa
Und das Kastanienmännchen mit dem kecken Muschelhut
Und sie verbrüdern sich mit Staubmäusen und Kerzenstummeln
Bilden mit Pizzaresten eine unsel‘ge Allianz
Sympatisier'n mit Gummibärchen und mit Ratzefummeln
Und paaren sich mit manch unappetitlicher Substanz
Und sie vermehr'n sich wieselflink, die kleinen Hausdämonen
Nach jeder Reise, jeder Heimkehr, mit jedem Besuch:
Ein Petersdom als Sparschwein, ein Salzstreuer als Zitrone
Ein Engelchen, ein Eselchen, ein Tellerchen - ein Fluch!
Sie lästern feixend über dich, sie schneiden dir Grimassen
Sowie du ihnen einen Augenblick den Rücken drehst
Die Nofretete, das Eifeltürmchen, die Sammeltassen
Sind außer Rand und Band, sobald du aus dem Zimmer gehst
Und dann entdeckst du, daß sie dich schon viel zu lange stören
Einmal da packst du sie und schmeißt den ganzen Krempel raus!
Denn du ahnst längst, daß sie in Wirklichkeit nicht dir gehören
Sondern daß du Trottel ihnen gehörst samt deinem Haus
Aber heut' ist der Tag der Abrechnung, heut' fängst du dort an
Wo du das letzte Mal gescheitert bist, heut' kennst du nichts
Heut' machst du reinen Tisch, heut' geh'n sie alle übern Jordan
Heut' ist Recycling-Tag und der Tag des Jüngsten Gerichts
Und du entrümpelst und befreist mutig deine Miefecken
Weihnachtsmann, Trockenblume, alles geht mülleimerwärts
Halt, nicht das Kneteschwein, und bitte nicht die Fimo-Schnecken
Und nicht den "Lurchi", nein, das bringst du doch nicht übers Herz!
Und schon beginnst du, alles wieder aus dem Müll zu klauben
"Ihr lieben Bleistiftreste" - du wirst leicht sentimental
Du wolltest eigentlich nichts wegwerfen, nein nur entstauben:
Willkommen zuhaus, ihr Staubfänger, bis zum nächsten Mal!