Reinhard Mey
Wie ein Baum, den man fällt
Wenn's wirklich gar nicht anders geht
Wenn mein Schrein schon beim Schreiner steht
Wenn der so hastig daran sägt
Als käm's auf eine Stunde an
Wenn jeder Vorwand, jede List
Ihm zu entgeh'n, vergebens ist
Wenn ich, wie ich's auch dreh' und bieg'
Den eig'nen Tod nicht schwänzen kann
Sich meine Blätter herbstlich färben
Wenn's also wirklich angeh'n muss
Hätt' ich noch einen Wunsch zum Schluss:
Ich möcht' im Stehen sterben
Wie ein Baum, den man fällt
Eine Ähre im Feld
Möcht' ich im Stehen sterben
Wenn ich dies Haus verlassen soll
Fürcht' ich, geht das nicht würdevoll
Ich habe viel zu gern gelebt
Um demutsvoll bereitzusteh'n
Die Gnade, die ich mir erbitt'
Ich würd' gern jenen letzten Schritt
Wenn ich ihn nun mal gehen muss
Auf meinen eig'nen Füßen geh'n
Eh' Gut und Böse um mich werben
Eh' noch der große Streit ausbricht
Ob Fegefeuer oder nicht
Möcht' ich im Stehen sterben
Wie ein Baum, den man fällt
Eine Ähre im Feld
Möcht' ich im Stehen sterben
Ohne zu ahnen, welche Frist
Mir heute noch gegeben ist
Ohne das Flüstern wohlvertrauter
Stimmen vor der Zimmertür
Ohne zu ahnen, was man raunt
Zum Schluss nur unendlich erstaunt
Wenn ich Freund Hein wie einen
Eis'gen Luftzug um mich wehen spür'
Zum letzten Abgang, jenem herben
Der mir so unsagbar schwerfällt
Hätt' ich den leichtesten gewählt:
Ich möcht' im Stehen sterben
Wie ein Baum, den man fällt
Eine Ähre im Feld
Möcht' ich im Stehen sterben