Reinhard Mey
Allein
Er drang mir in die Seele, weiß Gott, wie er mich traf
Der Spott der guten Kinder, ich war das schwarze Schaf
Im Pausenhof, die Tränen niederkämpfend, stand ich stumm
Der Inhalt meines Ranzens lag verstreut um mich herum
Wie wünscht‘ ich mir beim Aufsammeln eine helfende Hand
Ein Lächeln, einen Trost, und da war keiner, der sich fand
Ich hatte keinen Freund und schlechte Noten, ist ja wahr
Und unmoderne Kleider und widerspenst‘ges Haar

Allein
Wir sind allein
Wir kommen und wir gehen ganz allein
Wir mögen noch so sehr geliebt, von Zuneigung umgeben sein:
Die Kreuzwege des Lebens geh‘n wir immer ganz allein
Allein
Wir sind allein
Wir kommen und wir gehen ganz allein

Wir war‘n uns alle einig in dem großen Saal
Wir hatten große Pläne und ein großes Ideal
Ich war der Frechste und der Lauteste und hatte Schneid
Ich wußte: unsre Stärke war unsre Geschlossenheit
Doch mancher, der von großer, gemeinsamer Sache sprach
Ging dabei doch nur seiner kleinen eig‘nen Sache nach
Und als sich ein Held nach dem andern auf die Seite schlich
Stand einer nur im Regen, und der eine, der war ich
Allein...

Und noch ein Glas Champagner, und sie drückten mir die Hand
Und alle waren freundlich zu mir, alle war‘n charmant
Und mancher hat mir auf die Schulter geklopft, doch mir scheint
Es hat wohl mancher eher sich, als mich damit gemeint
Die Worte wurden lauter, und sie gaben keinen Sinn
Das Gedränge immer enger, und ich stand mittendrin
Und fühlte mich gefangen, wie ein Insekt im Sand:
Je mehr es krabbelt, desto weiter rückt der Kraterrand

Allein...

Nun, ein Teil meines Lebens liegt hinter mir im Licht
Von Liebe überflutet, gesäumt von Zuversicht
In Höhen und in Tiefen, auf manchem verschlung‘nen Pfad
Fand ich gute Gefährten und fand ich guten Rat
Doch je teurer der Gefährte, desto bitterer der Schluß
Daß ich den letzten Schritt des Wegs allein gehen muß
Wie sehr wir uns auch aneinander klammern, uns bleibt nur
Die gleiche leere Bank auf einem kalten, leeren Flur

Allein...