Reinhard Mey
Welch ein Geschenk ist ein Lied
Schon wenn der erste Ton erklingt
Beginnt der Raum zu atmen und zu leben
Ist es wie ein Erschauern, wie ein Schweben
Als ob ein Zauber uns bezwingt
Und eine Melodie befreit
Uns aus dem Irrgarten unsrer Gedanken
Und öffnet alle Schleusen, alle Schranken
Unserer Seele weit
Und löst uns los von Raum und Zeit
Und aus der engen Dunkelheit
Tragen die Töne ein Gedicht
Auf bunten Flügeln in das Licht
Ein Schwarm von Schmetterlingen, der zur Sonne flieht
Welch ein Geschenk ist ein Lied!
Betrübt, lässt es uns glücklich sein
Doch glücklich, kann es uns zu Tränen rühren
Und es lässt uns in unsrem Hochmut spüren
Wie ohnmächtig wir sind und klein!
Wo Worte hilflos untergeh'n
Vermag ein Lied allein ein Kind zu trösten
All seine dunklen Ängste und den größten
Kummer gleich fortzuweh'n
Denn alles, was sich in uns regt
Jedes Gefühl, das uns bewegt
Jede Hoffnung, die uns erfüllt
Hat ein getreues Spiegelbild
Im Fluss der Töne, der stets wechselnd weiterzieht
Welch ein Geschenk ist ein Lied!