Reinhard Mey
Abends an deinem Bett
Und wieder steh' ich schweigend hier
An deinem Bett und streiche dir
Noch einmal leis' über das Haar –
In tiefem Schlaf liegst du vor mir
So friedlich wie ein kleines Tier
Das einen Tag lang emsig war!
Und deine Hilflosigkeit rührt
Mich, dass es mir die Kehle schnürt
Und wieder kommt's mir in den Sinn
Dass ich nun Sorge trag' für dich
Ich alter Bruder Liederlich –
Wie wichtig ich auf einmal bin!
Abends, an deinem Bett, zerrinnt
Das Wichtige zur Nichtigkeit –
Ratlos und voller Dankbarkeit
Steh' ich vor dir, und ich empfind'
So etwas wie Demut, mein Kind!
Ich gehör' mir nicht mehr allein –
Nein, ganz frei werd' ich nie mehr sein
Ganz sorglos und ganz unbeschwert!
Jede Entscheidung, jeden Schritt
Jeden Gedanken lenkst du mit
Solange, wie ich denken werd'!
Aber meine Sorglosigkeit
Bin ich zu tauschen gern bereit
Und meine Ruhe geb' ich her
Für das Knäuel, das sich an mich hängt
Den Freudenschrei der mich empfängt
Wenn ich am Abend wiederkehr'!
Abends, an deinem Bett, zerrinnt
Das Wichtige zur Nichtigkeit –
Ratlos und voller Dankbarkeit
Steh' ich vor dir, und ich empfind'
So etwas wie Demut, mein Kind!
Nun gute Nacht, dein Tag war lang –
Wenn es mir nicht so ganz gelang
Für dich zu sein, wie ich gern wär'
Dann hab' Geduld mit mir, weißt du
Ich lerne noch soviel dazu –
Morgen weiß ich vielleicht schon mehr!
Und wenn ich ungeduldig war
Schroff und ungerecht sogar
Dann musst du mir bitte verzeih'n!
Ich sollt' es wissen, eigentlich
Der größ're von uns zwei'n bin ich –
Könnt' ich doch auch der Weis're sein!
Abends, an deinem Bett, zerrinnt
Das Wichtige zur Nichtigkeit –
Ratlos und voller Dankbarkeit
Steh' ich vor dir, und ich empfind'
So etwas wie Demut, mein Kind!
Abends, an deinem Bett, zerrinnt
Das Wichtige zur Nichtigkeit –
Ratlos und voller Dankbarkeit
Steh' ich vor dir, und ich empfind'
So etwas wie Demut, mein Kind!