Reinhard Mey
Die erste Stunde
Solange, wie ich leben mag
Werd' ich die Stunde und den Tag
Den Augenblick vor Augen haben
Da sie dich mir winzig und warm
Zum ersten Mal in meinen Arm
Und in mein Herz zu schließen, gaben!
Für einen Augenblick lang war
Mir das Geheimnis offenbar
Warst du Antwort auf alle Fragen –
Vom Sinn und Widersinn der Welt
Der Hoffnung, die uns aufrechthält
Trotz all' der Müh'n, die wir ertragen!
Kein Dutzend Atemzüge alt
Und hattest doch so viel Gewalt
Und alle Macht über mein Leben
So lang' schon deinen Platz darin
Und du vermochtest, ihm den Sinn
Zu nehmen oder neu zu geben!
Noch nie zuvor im Leben war
Mir unsere Ohnmacht so klar –
Wir können nur hoffen und bangen
Da stehen wir hilflos herum
Und taugen zu nichts, als nur stumm
Dies Geschenk dankbar zu empfangen!
So hielt ich dich, sie war vollbracht
Die lange Reise durch die Nacht
Vom hellen Ursprung aller Dinge –
Hab' ich geweint, oder gelacht?
Es war, als ob um uns ganz sacht
Ein Schicksalshauch durchs Zimmer ginge –
Da konnte ich die Welt versteh'n
Dem Leben in die Karten seh'n
Und war ein Teil der Schöpfungsstunde!
Einmal im Leben sah ich weit
Hin über unsre Winzigkeit
In die endlose Weltenrunde!