Reinhard Mey
Mein Apfelbäumchen
Ich weiß gar nicht, wie ich beginnen soll –
So viel' Gedanken, und mein Herz ist übervoll
So viel' Gefühle drängen sich zur selben Zeit:
Freude und Demut und Dankbarkeit!
Im Arm der Mutter, die dich schweigend hält
Blinzelst du vorsichtig ins Licht der Welt
In deinen ersten Morgen, und ich denk':
"Dies ist mein Kind – welch ein Geschenk!"
Wenn alle Hoffnungen verdorr'n –
Mit dir beginn' ich ganz von vorn!
Und Unerreichbares erreichen – ja ich kann's! –
Du bist das Apfelbäumchen, das ich pflanz'!
Sieh dich um, nun bist du ein Teil der Welt
Die sich selbst immerfort in Frage stellt
Wo Menschen ihren Lebensraum zerstör'n
Beharrlich jede Warnung überhör'n!
Ein Ort der Widersprüche, arm und reich
Voll bitt'rer Not und Überfluss zugleich
Ein Ort der Kriege, ein Ort voller Leid
Wo Menschen nichts mehr fehlt, als Menschlichkeit!
Wenn alle Hoffnungen verdorr'n –
Mit dir beginn' ich ganz von vorn!
Und Unerreichbares erreichen – ja ich kann's! –
Du bist das Apfelbäumchen, das ich pflanz'!
Du bist ein Licht in ungewisser Zeit
Ein Ausweg aus der Ausweglosigkeit
Wie ein Signal, den Weg weiterzugeh'n
Herausforderung weiter zu besteh'n!
Wo vieles voller Zweifel, manches zum Verzweifeln ist
Da macht ein Kind, dass du alle Zweifel vergisst –
Es sind in einer Welt, die ziel- und ratlos treibt
Die Kinder doch die einz'ge Hoffnung, die uns bleibt!
Wenn alle Hoffnungen verdorr'n –
Mit dir beginn' ich ganz von vorn!
Und Unerreichbares erreichen – ja ich kann's! –
Du bist das Apfelbäumchen, das ich pflanz'!