Reinhard Mey
Zimmer mit Aussicht
[Songtext zu „Zimmer mit Aussicht“]
[Strophe 1]
Als ich durch den halbdunklen Flur zu diesem Zimmer ging
Als sich der Schlüssel widerwillig leis im Schloss umdrehte
Da war's als ob ein wohlvertrautes Bild mich dort empfing
Erinnerung einer langen Wanderschaft, die mich umwehte
Es war wie eine Heimkehr, wie eine Art Déjà-vu
Als wäre ich durch diese Tür schon viele Mal gegangen
Um anzukommen und um auszuruh'n, um morgen früh
Weiterzugeh'n, um ein neues Kapitel anzufangen, uh
[Strophe 2]
Ich kenn' den Blick aus diesem Fenster, ich kenn' den Geruch
Finde den Lichtschalter im Bad im Dunkeln mit den Händen
Ich kenn' den Stuhl, das Bett, den Duft von frischem Leinentuch
Ich kenn' das Dielenknarren und die Geräusche in den Wänden
Hab' ich in diesem Zimmer nicht mein Leben zugebracht?
Habe ich hier nicht Zuflucht und irgendwann Schlaf gefunden?
Besiegt oder gefeiert kehrt ich heim in mancher Nacht
Mal trunken vom Triumph und mal leckte ich meine Wunden, uh
[Strophe 3]
Dank für die Minibar mit ihrer tröstenden Arznei
Die trübe Glühbirne und die missglückte Malerei
Die abgeranzten Kammern, die abgerockten
Die edlen Suiten und die Nadelfilz-verstockten
Die Einsamkeit, die Abschiede, Trennung und Wiederseh'n
In all den Zimmern ist ein Stück meines Lebens geblieben
Ein Angsttraum, ein Gebet, ein zorniges Türschlagen im Geh'n
Ein Seufzen und ein Lachen und ein Weinen und ein Lieben
Wie oft verhieß mir die Neonreklame an der Wand
Wärme, Geborgenheit und die Fürsorge guter Mächte
Dank für das schlichteste Quartier, in dem ich Obdach fand
Danke für diese eine Nacht und Dank für tausend Nächte, uh