Reinhard Mey
Wenningstedt Mitte
Morgennebel liegt auf den Straßen im freundlichen, kleinen Ort an der See
Milchflasche, Salzstreuer, Zuckerdose vor mir auf dem Tisch in dem winz'gen Café
Ein Zimmer neben dem Bäckerladen, belegte Brote und Blick hinaus
Auf Backsteinfassaden gegenüber, die Bushaltestelle vorm Haus
Einen Kaffee, schwarz, ohne Zucker, nein danke und ein Käsebrötchen bitte
Übern Tassenrand seh ich vorm Fenster die Haltestelle „Wenningstedt Mitte“
Es sind immer dieselben Kleinigkeiten, Belanglosigkeiten, um die wir streiten
Ich bin ganz gut im Dummheiten sagen
Sie ist nicht schlecht im Türen schlagen
Ich hasse mich selber für diese Auftritte
Jetzt sitz ich allein in Wenningstedt Mitte
Die Rose vor mir in ihrer Vase lässt ihren Kopf hängen, müd' und schwermütig
Einsame, kleine, traurige Blume, erinnert mich grade irgendwie an mich
Der Kaffee ist so ein Filterkaffee, wie's ihn leider nur selten noch gibt!
Ich weiß schon vom Anblick, das ist die Sorte Kaffee, die sie so sehr liebt
Ein Dackel mit dem entsprechenden Blick draußen vor den Fensterscheiben
Studiert deprimiert das Hinweisschild „Wir müssen draußen bleiben.“
Wer von uns hat eigentlich angefangen
Und worum ist es überhaupt gegangen?
Natürlich hab ich wieder den Schwarzen Peter
Ich bin ja immer der Übeltäter
Obwohl immer ich die Beziehung kitte
Dieser Film heißt „Ratlos in Wenningstedt Mitte“
Auf dem Schild vorm Fischladen gegenüber ein riesengroßer lachender Fisch
Wie ein Fisch sich so freu'n kann, gegrillt zu werden und filetiert an deinem Tisch!
Ein Radler mit Camouflage-Kniehose hebt nach dem Kuchenkauf
Den Dackel in seinen Fahrradkorb. Die Sonne kommt durch, der Himmel reißt auf
Sie fehlt mir so sehr, und es tut mir so leid, ist das denn so schwer zu sagen?
Ich liebe sie. Ein Bus fährt vorüber. Einer muss den Anfang wagen
Man kann ja auch alles übertreiben
Ich bin stur, nur muss ich auch so stur bleiben?
Ich zahl und steh auf. Von Wenningstedt Mitte
Zu ihr sind es genau 1000 Schritte –
Bei jedem einzelnen werd' ich üben zu sagen:
„Entschuldige bitte!“