Casper
Casper über „Hinterland“ (Interviewauszüge)
»XOXO« wurde in Berlin mit Stickle und Steddy aufgenommen, ­»Hinterland« nun in Mannheim mit Ganter und Gropper. Wie kam es zu diesem ­Produzentenwechsel?
Stickle und Steddy haben direkt nach »XOXO« weitergemacht: Thunderbird Gerard, Chakuza, Timid Tiger, H-Blockx … Ich war daher früher bereit als die beiden, da gab es auch ein Kommunikationsproblem. In diesem Moment hörte ich über meinen A&R-Manager den Beat, aus dem später »Blinder Passagier« von Muso wurde. Ich dachte, den würde ich killen. Also traf ich Markus, wir haben ein paar Skizzen gemacht und sind mit ein paar Bandmitgliedern nach Spanien gefahren. Dort hingen wir ab, haben »Murder Ballads« gehört, geblazet, Whiskey getrunken und gejammt. Ich hatte mir wirklich lange den Kopf darüber zerbrochen, was ich auf dieser Platte eigentlich erzählen will. Nach zwei Platten Battle-Rap hatte ich gemerkt, dass das nicht zu hundert Produzent meins ist, habe dann die große Seelenstrip-Platte gemacht und dann dachte ich: Was kommt jetzt? Ich hatte Angst vor dieser Curse-Falle. Nichts gegen ihn, die ersten beiden Platten waren super, aber bei der dritten Platte dachte man schon: »Jetzt hör doch endlich auf, von deiner Exfreundin zu reden!« Das wollte ich nicht. Also habe ich ein neues Themenfeld abgesteckt: Es geht um meine Jugend und ich beziehe mich noch stärker auf die Americana. Dann ging es recht schnell: Von Ende Januar bis Anfang Juni haben wir die Platte aufgenommen.

Was für Musik habt ihr in der Produktion gehört?
Sehr viel Rap, hauptsächlich Trap-Zeug. Daher haben wir zwischendurch auch so was wie das JUICE Exclusive »Sie wissen es« gemacht. Aber das war, ehrlich gesagt, nicht mein Anspruch für die Platte. Wenn das der Anspruch wäre, würde ich zwei Platten im Jahr machen. Dann rufe ich Gee Futuristic, Shuko, Brenk und Dexter an und suche mir aus deren Ordnern die besten zwölf Beats raus. Das wäre ja auch nicht schlimm, aber ich bin da einfach sehr verkopft.

Würdest du meinem Ersteindruck zustimmen, dass die Musik weniger HipHop, aber die Vocals mehr Rap sind als bei »XOXO«?
Ja. Da sind aber auch hiphoppigere Songs drauf, z.B. »Jambalaya« oder das Outro. Bei dieser Platte ging es für mich darum, gute Hooks zu schreiben und wieder diese T-Shirt-Zeilen zu haben. Ich wollte mit Ansage diese Stadionplatte machen. Das ist für mich der logische nächste Schritt. Das hängt sicher auch mit der Splash!-Ankündigung zusammen. Viele wissen gar nicht, was ich für einen HipHop-Background habe. Daher habe ich die letzten zwei Jahre damit verbracht, allen zu erklären, wie HipHop ich bin und wie wichtig mir das ist. Ich lese bei MZEE mit, ich bin im RBA-Forum angemeldet, bin jeden Tag auf Worldstar, nerde mit Kumpels auf Facebook über alles ab, über jede neue Platte von jedem hinterletzten VBT-Rapper. Wir nehmen alles auseinander. Also gab es zwei Möglichkeiten: Entweder man beweist es denen, oder man geht einen Schritt zurück und macht die Platte mit Dexter. Angewonkte, schiefe Beats und Reimketten – das wäre auch möglich gewesen. Nur sehe ich mich persönlich halt einfach mehr als Songschreiber/Texter, der leider nicht singen kann

Auf »Jambalaya« kommt dein MC-Killer­instinkt durch. Da teilst du ordentlich aus.
(rappt) »Erst kam die Kopie/dann die Kopie der Kopie/indie-basierte Beats, gespielte Melancholie/Tagebuchpoesie, billig klingende Melodien/alle wollen sein wie mein Team, aber wissen leider nicht wie.« Es gab eben Künstler, die nach »XOXO« was Ähnliches gemacht haben, aber wenn sie darauf angesprochen wurden, dann sagten die: »Na ja, find ich okay« oder »Hab ich nie gehört«. Und das verletzt mich in meiner Rap-Ehre. Ich finde es nicht verkehrt, collagenartig zu rappen und Zitate zu benutzen. Auf »XOXO« folgt eine übersetzte Coldplay-Zeile auf eine Tocotronic-Zeile, was gut zusammenpasst – das ist für mich Kunst. Aber meine Zeile ist nicht als Diss, sondern augenzwinkernd gemeint, eher so wie: »Lass doch mal bei einem Bierchen drüber reden.« Ich habe ja schon einige unausgesprochene Rap-Beefs geführt und auf diesem Splash! eine peacige HipHop-Ansage gemacht, die ich todernst meine. Ich habe keinen Bock mehr drauf, wenn ich auf demselben Festival wie Savas spiele, dass beim Catering die Stimmung kurz unangenehm wird. Ich will einfach nur mit meinen Jungs im Bus durchs Land fahren, Konzerte spielen, paar Bier trinken und ab und zu mal nachts ins Freibad einbrechen. (grinst)

Deshalb auch der erste Satz auf dem Album: »Dies ist kein Abschied, denn ich war nie willkommen …«
Ich habe es halt nie in diese Riege von Künstlern geschafft, die jeder cool findet. Marten findet jeder cool. Der kommt überall hin und alle sagen: Geiler Rapper, geiler Star. Bei mir geht es seit »Hin zur Sonne« so: »Wer trägt denn solche Hosen? Wie läuft der denn rum?« Das hatte nie ein Ende. Ich wollte jetzt mit dieser Ansage rauskommen, alles niederbrennen und dann neu anfangen, alles nochmal auf Null setzen. Deswegen wollte ich auch erst mal eine kleine Clubtour machen, bevor ich in die Stadien gehe. Und am Ende ist es halt auch eine geile Zeile.

Ist »Hinterland« eigentlich als Bekenntnis zur Provinz zu lesen?
Eigentlich war das Album als chronologische Konzeptplatte geplant. Am Ende habe ich das Konzept selbst wieder zerschossen. Aber »Hinterland« ist eben »Dis wo ich herkomm«. (grinst) Das ist Bösingfeld, ein Dorf im Extertal, aber eben auch Augusta, eine totale Redneck-Stadt mit extrem kriminellem Aufkommen. Ich bin ja nicht im Ghetto groß geworden, aber da sind schon weirde Dinge passiert. »Hinterland« kann mein Bielefeld sein, Springsteens Nebraska, die Südstaaten als Ganzes, das Manchester von Oasis und den Stone Roses. Ich hatte eigentlich ein deutsches Wort für »Wastelands« gesucht. Ursprünglich wollte ich das Album »Uckermark« nennen … Das wäre ein Albumtitel gewesen. Aber ich finde, dass »Hinterland« die Stimmung der Platte zusammenfasst. Das Cover, die Videos und der Titel sind ein in sich stimmiges Gesamtprojekt.

Für wen hast du den Song »Ariel« ­geschrieben?
Das ist mein Lieblingssong von der Platte. Er ist entstanden, nachdem eine Halbschwester von mir bei einem Autounfall gestorben ist. Jedes Mal, wenn ich eine Platte mache, stirbt jemand aus meinem engen Umfeld: Bei »Hin zur Sonne« war es ein Onkel, bei »XOXO« der Freund, der mich zu »Michael X« inspiriert hat, und jetzt eben diese Halbschwester. Ich habe schon überlegt, ob ich einfach keine Platte mehr mache und dann stirbt auch niemand mehr. Ich will keine Lieder mehr über den Tod schreiben, generell keine deprimierenden Songs mehr. Allerdings geht es auf »Hinterland« auch nur ums Saufen und ums Drogennehmen, wenn man mal ganz ehrlich ist. Ich bin ein alter, trauriger Mann. Und ich glaube übrigens, dieses Interview klingt am Ende total weinerlich. Dabei sage ich das alles mit einem Lächeln.