Julia Engelmann
Nicht allein, aber einsam
Und so bin ich nicht allein, aber einsam,
wir sitzen doch nur physisch gemeinsam,
gedanklich sind wir beide bei uns selbst.

Wir hocken verkrampft hier auf meinem Balkon,
plänkeln um das herum, was zählt,
dabei hätten wir beide so vieles zu sagen,
dabei haben wir beide doch vieles gefühlt.

Ich weiß, man kann nicht immer reden,
-Smalltalk hat durchaus berechtigten Charme-
aber wenn nicht mal wir Gedanken tauschen,
mit wem besprechen wir uns dann?

Und du bist nicht mal besonders höflich,
fragst die Fragen nur mechanisch,
hörst mich nur aus Versehen akustisch,
nickst dann ab und zu bis gar nicht.

Wenn ich dir mein Herz ausschütte,
mein Innerstes nach außen kehre,
dich in meinem Kopf hospitieren lasse,
meine Seele Gassi führe,
schlägt mein Herz im Takt und deins im Offbeat.

Dann profilierst du dich allein.
Ich glaub, du weißt nicht, wie's sich anfühlt,
manchmal zwar zu zweit, aber einsam zu sein.
Ich wünschte, wir hätten uns was zu sagen
und würden auf einer Welle schwimmen.
Aber Beziehungen, ohne sich zu beziehen,
ist wie Lächeln ohne Glücksempfinden.

Du hast dir dein Floß gebastelt,
spiegelst dich im Wasser und erzählst,
ohne dass ich dich gefragt hab,
ohne dass du innehälst.

Und so bin ich nicht allein, aber einsam,
wir sitzen doch nur physisch gemeinsam,
gedanklich sind wir beide bei uns selbst.

Vielleicht bin ich auch viel zu albern,
voll Selbstmitleid und eingeschnappt.
Hab einen Aufmerksamkeitsabsolutheitsanspruch,
wie's dir geht, hab ich nicht gefragt.

Und vielleicht verbirgt sich hinter deiner Fassade
jemand, der auch was vermisst insgeheim.
Ich frage mich, ob du sogar das Gefühl hast,
bei mir nicht allein, aber einsam zu sein.

Aber das kann nicht sein, ich geb dir Nähe!
Ich bin doch die, die dich gut kennt!
Ich bin doch die, mit der du redest -
empathisch, sozial kompetent!
Mein Herz liegt ausgeschüttet vor dir.
Inzwischen hat dein Floß schon Risse.
Verkrampft sein mutiert in abstruse Nuancen,
Smalltalk beherrschen ist, was ich vermisse.

Wir sind zwei Deckel, und keiner ist Topf.
Das passt nicht zusammen, und Kochen geht auch nicht.
Ich glaube, wir haben uns gar nichts zu sagen ...
... und sobald ich mir sicher bin, ändert es sich.

Und plötzlich fühl ich mich bei dir nicht mehr einsam,
und wir schaffen es und kommunizieren gemeinsam,
und wir beziehenuns aufeinander und ziehen uns an.

Und weil diese Gefühl so vergänglich ist,
konserviere ich jeden Millimoment,
und einmal, so denke ich zu fühlen,
haben wir die gleiche Herzfrequenz.

So kriegen wir beide zusammen die Kurve,
entkrampfen in eindeutiger Zweisamkeit.
Aber die Frage, ob das alles ist,
nagt in mir ein Spur, die bleibt.

Aber vermutlich denk ich zu viel, statt zu reden,
und fühl mich dann oft fehlbesetzt.
Ich spiele gedanklich noch "Finde den Fehler",
durchleuchte, was war, und vergesse das Jetzt.
In der Hinsicht kann ich bestimmt von dir lernen,
denk ich und sammle mein Herz wieder ein.
Und während ich sehe, wie du dasitzt und tagträumst,
schätz ich, du weißt, wie's ist, einsam zu sein.

Dabei stand ich schon vorm Patentamt,
mir "Einsamkeit" zu reservieren,
bei mir mein Freund das Selbstmitleid,
um alles echt zu inszenieren.

Erleichtert trau ich mich zu sagen:
"Liebes Selbstmitleid, ich mach Schluss!"
Auch wenn ich allein geh - ich war selten so glücklich,
ich fühle mich befreit und selbstbewusst.

Und ich geh alleine,
in Gedanken versunken, durch den Wald
und den Wind bis zum Mond und zurück
zu meinem Balkon -
es ist inzwischen schon dunkel,
der Himmel ist sommernachtstraumhaft geschmückt.

Hier bleib ich stehen und betrachte die Sterne,
irgendwo stehen sicher auch andere so da.
Ich fühl mich absurd, klein und auch melankomisch,
und trotzdem scheint alles so unfassbar klar.

Denn jeder, jeder ist manchmal allein oder einsam,
und genau das haben wir alle gemeinsam.

Näher könnten wir uns doch kaum sein.