Julia Engelmann
Um drei am Eck
Ich bin immer die, die zuguckt,
wenn die anderen wachsen,
ich bin die, die zurückbleibt,
wenn mich andere verlassen.
Ich bin die, die dabei hilft,
fremde Dinge anzupacken,
jeder denkt an sich,
und ich denk an die anderen.

Wenn wieder einer geht,
höre ich mich fragen:
"Hey, kann ich mitkommen,
bitte, nur ein Stück?"
Doch kein Einziger nickt,
immer bleib ich zurück.
Aber dieses Mal nicht,
dieses Mal gehe ich.
Denn es geht um mein Glück,
und wenn du willst, kannst du mit!

Komm, wir rennen weit, weit weg,
dahin, wo uns keiner kennt.
Ich weiß da ein Geheimversteck.
Treffen ist um drei am Eck!

Ich hab es satt, darauf zu achten,
was die anderen machen,
ich hab zu viele Sachen,
Verspannungen im Nacken,
mich belastet die Angst,
irgendetwas zu verpassen,
irgendetwas zu vergessen,
zu viel Zucker zu essen,
und die tägliche Presse.
Was ist los mit der Welt?
Und überall Werbung.
Wer glaubt denn den Quatsch?
Vor meinen Augen seh ich nachts
noch ein weißes Quadrat,
wil ich tagsüber nur noch
auf Bildschirme starre.

Deshalb werde ich jetzt packen,
nur die wichtigsten Sachen,
alles hinter mir lassen,
mal mit Abstand betrachten.
Ich will heute Abend schon
an einem Strand übernachten,
und dann will ich lachen,
bis ich Bauchschmerzen hab.

Also komm, wir rennen weit, weit weg,
dahin, wo uns keiner kennt.
Wir finden ein Geheimversteck.
Treffen ist um drei am Eck!

Du machst hier die Lichter aus,
wir bauen Pappaufsteller auf.
Dann sieht es von außen aus,
als wären wir Stand-by zu Haus.
Du schreibst Post-its für die Türen,
schreibst, dass wir gerade nicht da sind.
Ich bring das Internet zum Nachbarn
zur Pflege, denn ich brauch es nicht.
Wir sind jetzt erst mal offline,
das Handy kann zu Hause bleiben.
Wir reden Bechertelefon
oder über Rauchzeichen.
Wir brauchen keine Kreuzfahrt,
keine Welt- und keine Traumreisen.
Wir werden lange schlafen
und danach lange aufbleiben.
Das Leben ist ein D-Zug,
lass mal lieber aussteigen.
Wenn wir hier nichts reißen,
dann müssen wir halt ausreißen.

Komm, wir rennen weit, weit weg,
dahin, wo uns keiner kennt.
Ich weiß da ein Geheimversteck.
Treffen ist um drei am Eck!

Pass auf, hier ist unsere Packliste:
mein Lieblingsbuch, mein Badetuch,
Indianerfederkopfschmuck,
ein paar Nüsse, ein paar Früchte,
und noch Mehl für Stockbrot,
bunte Stifte, fische Strümpfe,
Taucherausrüstung, Baskenmütze,
Seifenblasen, Spielkarten,
Wunderkerzen und Gummitwist,
zur Sicherheit ein paar Pflaster,
und ich bring Konfetti mit.
Notizblock, Koffer, Opernglas, Kompass,
Rekorder, Hocker und deinen Rucksack,
und bring noch etwas Kleber
und am besten Papier mit,
dann falten wir ein großes Papierschiff.
Wir segeln durch das Schilfmoor
und überqueren den Atlantik,
mit Propellern an den Jacken
schweben wir durch die Galaxis.
Mit Segway und Jetpack
von Narnia nach Kanada,
dann wandern wir ein Mandala
von hier bis nach Panama.

Wir sind wie Susi und Strolch,
nur dass wir keine Hunde sind,
wie Wendy und Peter,
nur dass ich quasi Peter bin,
wie Barbie und Ken,
nur besser, nicht aus Plastik,
wie Suzy und Sam,
nur in echt uns über achtzehn.

Und dann hören wir, wie die Stille klingt.
Und dann fühlen wir, was Freiheit ist.
Und dann riechen wir die Meeresluft.
Und wie trinken aus 'ner Kokosnuss.

Komm, wir rennen weit, weit weg,
dahin, wo uns keiner kennt.
Ich weiß da ein Geheimversteck.
Treffen ist um drei am Eck!

Willst du mitkommen?
Heute hast du Glück,
denn ich renne heute weg.
Ich nehme dich mit,
ganz bis zum Horizont.
Danach noch ein Stück,
für ein High five mit der Sonne,
und dann kehren wir zurück.

Und bitte ruft uns nicht an,
denn wir haben keinen Empfang.
Wir sind nicht verloren,
wir sind nur woanders.
Wir passen auf uns auf,
also macht euch keine Sorgen.
Wir kommen ja wieder,
nur vielleicht lieber morgen.

Also, komm, wir rennen weit, weit weg,
dahin, wo uns keiner kennt.
zu irgendeinem Geheimversteck.
Kommst du auch um drei zum Eck!