Julia Engelmann
Zuhause
ich sitze hier oben jetzt auf meinem Dach,
höre M83, betrachte die Nacht.
Vor meinen Augen erstreckt sich die Stadt
Wimmeln innerer Canyon, ein Ozean fast.
Die Sonne verbeugt sich am äußersten Rand.
Die Wolken sind heute besonders schön blass,
wellensittichblaue, vergängliche Pracht.

Ich sitze hier oben jetzt auf meinen Dach
im Schneidersitz, hab Jeans und Jeansjacke an.
Der Wind weht mein Haar vor den Augen entlang.
Ich halte mich an meiner eigenen Hand,
hab reißverschlussartig die Finger verhakt,
und alter Ballast sinkt zum Boden herab.

Mein Körper ist starr, mein Geist, der ist wach.
Im inneren Frühling erblüht meine Kraft,
fließt durch mich durch wie ein rauschender Bach.

Ich sitze hier oben auf meinem Dach,
höre M83, betrachte die Nacht.
Hättest du mir vor fünf Jahren gesagt,
dass ich heute hier sitze, ich hätt's nicht gedacht.
Ich war mir nie zuvor selber so nah,
und jetzt weiß ich auch, was der Sturm in mir war:
Heimweh - ich hab’s nach mir selbst gehabt.
Ich liebe das Leben, die Welt und mein Dach,
ich atme die Luft ein, das Licht und die Nacht.
Ich selber bin ein flüchtiger glücklicher Tanz.
Was hat mich bloß jemals traurig gemacht?
In mir pocht und klopft es im Viervierteltakt,
in meinem Kopf nur ein einziger Satz:
Ich bin angekommen.

So sitze ich hier oben jetzt auf meinem Dach,
höre M83, betrachte die Nacht.
Ein Zugvogel-V taucht erst auf und dann ab.
Unten läuft laut gerade eine Gruppe entlang.
Ein Hund bellt, ein Kind schreit.
Es fährt eine Bahn, einer guckt fern,
und ein andere lacht.
Und ich sitz hier oben bei mir
auf dem Dach.