Julia Engelmann
Neue Bestandsaufnahme
Teil 1 von 3 / Was ich nicht kann

Ich kann nicht fliegen, nicht mal schweben,
nicht jonglieren, nicht Gedanken lesen.
Ich kann so vieles gar nicht ändern,
mich an so vieles nicht erinnern,
wie meine Geburt oder meine Apple-ID.
Auch Zwilling sein, das kann ich nie.
Ich kann nie Germany's Next Topmodell werden,
auch nicht 2016,
und wenn du den Handy-Code ein tippst,
kann ich nie wirklich wegsehen.
Ich kann nicht alles gut zu Ende bringen,
auch nicht so schön wie Florence singen
und weder über Hürden
noch beeindruckend gut Seil springen.
Ich kann wirklich keine Bälle fangen
und denke, der Zug ist abgefahren.
Ich kann nicht auswendig aufsagen,
was ich besitze und zu Hause habe.
Radschlagen kann ich auch nicht,
weil ich dabei immer umfalle.
Ich kann nicht ewig leben
und auch nicht für immer jung sein.
Ich kann nicht viele Sprachen,
nur Deutsch, Englisch und Latein,
und mich nicht so einfach
von Erwartungen befreit.
Ich kann nicht mehr alles schaffen,
was ich heute schaffen wollte,
und ich kann dir gerade nicht sagen,
was ich dir bald sagen sollte.
Ich kann nicht rechtzeitig lernen,
ich muss immer Zeitdruck haben,
ich kann Spotify-Werbung und
deine Lügen nicht ertragen.
Ich kann kaum verbergen, was ich denke,
weil man mir das immer sofort ansieht,
kann nicht wirklich verstehen,
wieso jemand gemein ist oder angibt.
Und gerade kann ich schlecht sagen,
was du denkst und wer du bist,
ich kann nicht wissen, was passiert,
und nicht mehr ändern, was schon ist.
Teil 2 von 3 / Was ich kann, aber nicht will

Ich kann gut Wäsche waschen,
aber will sie nie aufhängen,
und auch vom Geschirrspühlen
kann ich ich super ablenken.
Ich kann meine Sachen problemlos dreckig machen,
fallen, vergammeln oder liegen lassen.
Ich kann zum Einschlafen zu wach sein
und dann zu müde zum Aufstehen.
Ich kann innen froh gestimmt sein,
aber von außen ernst aussehen.
Ich kann schnell auflegen,
wenn ich um Worte ringe,
und schnell Fluchtwege aus jeder Aufgabe finden.
Ich kann mir ausmalen, wie etwas wird,
noch bevor irgendetwas losgeht,
kann über Dinge urteilen,
bei denen mir das gar nicht zusteht.
Ich kann Dinge bereuen, die lässt vorbei sind,
und über Wege klagen, die echt nicht weit sind,
und mir einreden, dass ich nie bereit bin.
Ich kann an uns denken und an alles,
was blöd war besser hätte sein sollen,
ich kann mich bemitleiden für alles,
was ich nicht war, doch hätte sein wollen.
Ich kann Altes unnötig glorifizieren,
kann Firlefanz überdramatisierten.
Ich kann machen, was mir schlecht tut,
aber einfach und bequem ist,
und kann aushalten und bleiben,
wenn ich eigentlich längst gehen will.
Teil 3 von 3 / Was ich kann

Ich kann nicht viele Sprachen,
aber über vieles sprechen,
und außerdem kann ich Dialekte
und Akzente.
Ich kann atmen und lachen
über die absurdesten Sachen.
Ich kann auf mich aufpassen,
kann für mich selbst sorgen
und mir Ziele stecken -
für gleich und übermorgen.
Ich kann Strichmännchen zeichnen,
tanzen, singen, schreiben.
Und ich kann mich entscheiden,
ob ich an das Gute glaube oder nicht,
kann bestimmen, wie sie ist,
meine Weltsicht.
Ich kann mit meiner Stimme so reden,
dass du mich verstehst,
und ich kann für dich da sein,
dir helfen, dir was geben.
Ich kann in fast allem
auf der Welt was Schönes sehen.
Und ich kann mich verlieben -
nur weiß ich nicht, in wen.