Julia Engelmann
Sonntagslied
Guten Morgen,
es ist Sonntag
und willkommen in der Freizeit.
Guck, da oben scheint die Sonne so,
als ob sie schon bescheid weiß.
Jetzt nehmen mich ihre Strahlen
durch das Fenster in den Arm.
Ich drehe mich im Schlafanzug
die Laken leuchten warm.
Ich wache vor dem Wecker auf.
Erinner meinen letzten Traum.
Der Brötchenduft vom Bäcker
klettert lässig zu den Fenstern rauf.
Es gibt Rührei und Müsli
und Grapefruit zum Frühstück.
Es singen Velvet Underground.
Ich fühle mich gemütlich
und mein Kaffeebecher dampft
mittig auf der Zeitung.
Ob ich sie durchblättert hab
ist heut nicht von Bedeutung.
Damit ich nicht belastet bin,
stell ich noch schnell den Rucksack ab.
Den Schalk, der mir im Nacken sitzt,
den trag ich heute huckepack.
Und heute würde ich sagen,
ich bin Lebens-Journalist.
Das heißt, ich gehe dahin,
wo Gelegenheit sind.
Ja, ich bin ein Bildhauer
und meine Skulpturen sind die Tage.
Lyrik ist die rosarote Brille, die ich trage.
Und ich lass mich treiben,
ich lass mich treiben.
Alles ist sehr gut, so wie es ist
und kann so bleiben.
Ich lass mich treiben durch eine Zeilen.
Hab keinen Kompass mit,
weil heute Sonntag ist.
Mal keine Kopfhörer auf
und der Beat ist mein Schritt.
So geh ich aus dem Haus
und kein Schatten geht mit.
Sonst, sobald mal Wind aufkommt,
senke ich den Blick.
Doch jetzt lache ich ihn an
und er lächelt zurück.
Und jetzt habe ich meinen Bus verpasst,
was heute kein Problem ist.
Ist egal, ob ich zu spät bin.
Es reicht, dass ich auf dem Weg bin.
Ich will mir alles gönnen,
auch das Lächeln im Gesicht
und was ich hätte werden können,
das bin ich nun mal nicht.
Ich sitze an der Haltestelle,
träume in die Bäume.
Es gibts zu erreichen.
Es gibt nichts zu versäumen.
Ich gucke nur dem Leben zu.
Die Leute tragen Freude.
Ich halte es mit Winnie Puuh.
Mein Lieblingstag ist heute.
Wir stöbern übern Trödel.
Ohne irgendetwas zu kaufen.
Es eignen sich die Möbel auch
sehr schön, um drum zu laufen.
Alle sehen freundlich aus,
wenn sie uns begegnen.
Paare, Hunde, Kinderwagen
schweben uns entgegen,
Es gibt heute kein Foto
und auch sonst kein Beweisstück.
Doch wir wissen, was passiert
und es reicht, dass wie dabei sind.
Eine bunt gemischte Runde
und jetzt teilen wir uns Kuchen.
Es gibt keine Uhren hier
und sonst auch nichts zu suchen.
Und wie lassen uns treiben,
lassen uns treiben.
Wir sind alle gut, so wir wir sind
und können so bleiben.
Lassen uns treiben durch diese Zeilen
haben keinen Kompass mit,
weil heute Sonntag ist.
Es wird niemand kritisiert
und keiner wird bewertet.
Es wird alles nur probiert ist,
was reif ist wird geerntet.
Ich lebe im Minutentakt
locker in die Stunden rein,
die auch noch nebenbei
ein paar von meinen Wunden heilen.
Ich messe nichts in Zahlen,
und ich zähle keine Likes,
als Spektrum meiner Skala
wähle ich nur „ich bin frei“.
Ich hake keine Listen ab,
heut gibt es kein To-do,
und was da auf mich zukommen will,
kommt alles auf mich zu.
Ohne Kabel und Geräte
sind wir alle analog.
Ich hab lange nicht so gelebt
und ich war lange nicht so froh.
Alles, was ich denke,
lass ich sofort wieder los.
Und hab die Hände frei.
Alle Ängste fliegen hoch.
Gedanken sind aus Wasser,
und aus meinen fließt ein Bach,
sonst tauch ich nur die Zehen ein,
doch heute tauch ich ganz.
Raum und Zeit verschwimmen hier,
denn alles ist im Fluß.
Ich atme aus, ich atme ein.
Leben heißt Genuss.
Ich lass mich treiben,
ich lass mich treiben.
Ich glaube, ich bin gut so
wie ich bin und kann so bleiben.
Ich lass mich treiben durch meine Zeilen
ich hab keinen Kompass mit,
weil heute Sonntag ist.
Ich kehre wie ein Abenteurer
Heim in später Nacht.
Ich hatte ganz vergessenen,
dass ich ein Zuhause hab.
Alles war und ist mal wieder einfach gut genug.
Ich gucke keinen Bildschirm an.
Ich les in einem Buch.
Die Sonne streift den Horizont,
sie senkt schon ihren Blick.
Gerade erst gekommen
und schon zieht sie sich zurück
und schaut mich, als sie geht,
noch einmal verschwörerisch an.
Was haben wir gelebt,
wie man es schöner nicht kann.