Julia Engelmann
Fragenleben
Für dich, als du mich mal um Rat gefragt hast.

Du weißt, ich geb keinen Rat - und zwar keinem,
weil ich denk, das, was man fragt, weiß man alleine
am besten oder für sich besser als die meisten,
und so ein Bauchgefühl ist stärker als wir beide.

Und was weiß ich denn schon? Ich weiß im Grunde nichts,
ich hab genau so viel verloren wie auch gefunden,
ich weiß ja, ich bin älter, doch wie Helge Schneider sagt:
Ist doch egal, wie alt man ist, Hauptsache, man ist da.

Doch ich sehe deine Sorgen, ich sehe deine Angst davor,
dass es zu schnell morgen wird und zu viel verpasst,
dass du das, was du machen willst, am Ende gar nicht kannst -
doch vergiss nicht:
Jedes große Glück fängt irgendwo klein an.

Und du zweifelst, und ich Zweifel auch
an mir, und ich halt mich auf,
ich bin mir manchmal nicht mehr sicher,
ob das noch meine Geschichte ist,
hab keine Ahnung, ob das richtig ist.

Ist es nicht komisch? Immer mischen wir uns ein.
Egal, was wir Schlaues sagen, jeder lebt für sich allein.
Ich kann's nicht besser wissen,
ich kann nicht für dich entscheiden,
doch ich kann Gedanken, die mir helfen, mit dir teilen.
Denn:
Stück für Stück begreife ich: Wir sind nicht die Einzigen,
die Ängste haben, zweifeln, denn da waren viele weitere,
durch jede weise Zeile voller Liebe und Verstand
reichen sie uns ihre Hand.

Sie sagen:
Hab keine Angst, wenn du dem Tag begegnest,
denn es wird noch so viele Tage geben.
Rilke sagt, es findet jede Antwort sich allein,
du braucht nur warten und die Fragen leben.

Immer wenn ich Mut brauche, irgendwas zu wagen,
denk ich an das, was all die anderen sagen.
Immer wenn ich glaube, ich muss alles anders haben,
denke ich an das, was all die anderen sagen.

Ich denk an Marina Keegan und wie sie sagt,
dass alles möglich ist,
und wie sie übers Leben weint, als sie bemerkt,
wie kurz und schön es ist.
"Nur das Denken, das war leben, hat einen Wert",
sagt Hesses Damian.
Der kleine Prinz sagt:
Nur das Herz sieht gut, die Augen weniger.
Leben, das passiert, während du Pläne machst,
sagt John Lennon.
Und kennst du Momo?
Denn der Straßenkehrer Beppo
denkt nie an die ganze Straße,
er geht Besenstrich für Besenstrich -
ich glaub, dass so vielleicht das Leben ist.
Ich denk an Simon Sinek,
er sagt: Listen to your drum.
Woran du sie erkennst?
Sie macht für dich den schönsten Klang!
Ich denk oft an Brene Brown,
denn sie sagt, Stärke ist Verletzlichkeit,
und an Martin Luther King,
der sagt: Die Hoffnung kann unendlich sein.
Ich denk an Kopernikus:
Ich bin nicht der Mittelpunkt des ganzen Universums,
nur ein kleiner Stern am Himmel.
Und ich denk auch an Kant,
denn von ihm hab ich mir abgeguckt,
dass ich mich so verhalten kann,
wie ich denk, es sollten alle tun.
Und es geht nicht um den Kritiker, der rügt,
was noch nicht richtig ist, sagt Roosevelt,
mehr um den, der mutig kämpft.
Ja, wirklich wichtig ist
der Mann in der Arena,
der im Angesicht von Schweiß und Staub versucht,
solange er lebt,
und sich Triumph genau wie Scheitern traut.
Ich denk an Chris McCandless,
der Typ aus "Into the wild",
denn er hat recht: Glück ist nur echt, wenn man es teilt."
Ich denk auch oft an Charlie Chaplin
und sein Selbstliebe-Gedicht.
Und manchmal denk ich auch an dich.
Du weißt, ich gebe keinen Rat, und zwar keinem,
weil ich denk, das, was man fragt, weiß man alleine
am besten oder sogar besser als die meisten -
und trotzdem brauche ich so oft deinen.

Denn fühle ich mich in meinem Leben als Besuch,
meine Tränen wie ein Regenzeitmonsum,
meine Themen wie ein ewig gleicher Loop -
hörst du, egal, wie spät es ist, mir zu?

Du bist der Grund, warum ich an mich glaube.
Du bist auch der Grund, dass ich mich all das traue.
Verständnis oder Liebe? Müsst ich mich entscheiden,
wär mir verstanden werden lieber, doch du gibst mir beides.

Wie oft hast du mir gesagt: "Du bist genug!"
Wie oft hast du mir gesagt:" Wird alles gut!"
Wie oft hast du mir gesagt: "Mach einfach weiter!",
wenn ich dachte, dass das schon die beste Zeit war.

Und ja, es stimmt, ich weiß doch auch nicht, was ich tu,
ich gebe mein Bestes, und ich kneif halb die Augen zu.
Ich hab gelernt, alles zu fühlen und zu mäandern,
und ich mach lieber für mich alles falsch
als alles richtig für die anderen.
Kein Weg besteht allein aus geraden Wegen,
deshalb brauche ich dir keinen Rat zu geben,
Rilke sagt, du lebst in deine Antworten hinein,
du brauchst nur warten und die Fragen leben.

Was ich zu dir sage, sag ich ein bisschen auch zu mir,
und jedes kluge Wort, dass du mir gabst, gebe ich dir.
Dass wir einander so erinnern, ist der Grund,
dass wir uns brauchen,
weil wir vergessen, was wir wissen,
oder uns allein nicht trauen.

Und wenn du denkst, dass du stagnierst
und dich versteht keiner, gehts's weiter.
Jede Ahnung, ist ein Weg,
und jedes Bauchweh ist ein Wegweiser.
Die beste These hilft dir nichts ohne Versuch,
jede Erfahrung sagt dir mehr als jedes Buch.

Und du denkst, dass du's nicht weißt,
ich weiß, du denkst, du bist nicht gut darin.
Doch vergiss nicht, dass wir alle immer weiter nur auf
der Suche sind.
Und jetzt bist du am weitesten.
Vergiss auch nicht, wie klug du bist,
es reicht am Ende schon, dass du es bist.

Ich sag dir also jetzt: Du bist genug!
Ich sag dir also jetzt: Wird alles gut!
Ich sag dir also jetzt: Mach einfach weiter,
weil du vor dir noch so unfassbar viel Zeit hast!

Kein Weg besteht allein aus geraden Wegen,
deshalb brauche ich dir keinen Rat zu geben,
Rilke sagt, du lebst in deine Antworten hinein,
du brauchst nur warten und die Fragen leben.