Friedrich Nietzsche
Also sprach Zarathustra (Kapitel 72 -92)
                                          Vierter und letzter Theil

    Ach, wo in der Welt geschahen grössere Thorheiten, als bei den Mitleidigen? Und was in der Weit stiftete mehr Leid, als die Thorheiten der Mitleidigen?

    Wehe allen Liebenden, die nicht noch eine Höhe haben, welche über ihrem Mitleiden ist!

    Also sprach der Teufel einst zu mir: »auch Gott hat seine Hölle: das ist seine Liebe zu den Menschen.«

    Und jüngst hörte ich ihn diess Wort sagen: »Gott ist todt; an seinem Mitleiden mit den Menschen ist Gott gestorben.«

    Zarathustra, Von den Mitleidigen

                                          Das Honig-Opfer

    – Und wieder liefen Monde und Jahre über Zarathustra's Seele, und er achtete dessen nicht; sein Haar aber wurde weiss. Eines Tages, als er auf einem Steine vor seiner Höhle sass und still hinausschaute, – man schaut aber dort auf das Meer hinaus, und hinweg über gewundene Abgründe – da giengen seine Thiere nachdenklich um ihn herum und stellten sich endlich vor ihn hin.

    »Oh Zarathustra, sagten sie, schaust du wohl aus nach deinem Glücke?« – »Was liegt am Glücke! antwortete er, ich trachte lange nicht mehr nach Glücke, ich trachte nach meinem Werke.« – »Oh Zarathustra, redeten die Thiere abermals, Das sagst du als Einer, der des Guten übergenug hat. Liegst du nicht in einem himmelblauen See von Glück?« – Ihr Schalks-Narren, antwortete Zarathustra und lächelte, wie gut wähltet ihr das Gleichniss! Aber ihr wisst auch, dass mein Glück schwer ist und nicht wie eine flüssige Wasserwelle: es drängt mich und will nicht von mir und thut gleich geschmolzenem Peche.

    Da giengen die Thiere wieder nachdenklich um ihn herum und stellten sich dann abermals vor ihn hin. »Oh Zarathustra, sagten sie, daher also kommt es, dass du selber immer gelber und dunkler wirst, obschon dein Haar weiss und flächsern aussehen will? Siehe doch, du sitzest in deinem Peche!« – Was sagt ihr da, meine Thiere, sagte Zarathustra und lachte dazu, wahrlich, ich lästerte als ich von Peche sprach. Wie mir geschieht, so geht es allen Früchten, die reif werden. Es ist der Honig in meinen Adern, der mein Blut dicker und auch meine Seele stiller macht.« – »So wird es sein, oh Zarathustra, antworteten die Thiere und drängten sich an ihn; willst du aber nicht heute auf einen hohen Berg steigen? Die Luft ist rein, und man sieht heute mehr von der Welt als jemals.« – »Ja, meine Thiere, antwortete er, ihr rathet trefflich und mir nach dem Herzen: ich will heute auf einen hohen Berg steigen! Aber sorgt, dass dort Honig mir zur Hand sei, gelber, weisser, guter, eisfrischer Waben-Goldhonig. Denn wisset, ich will droben das Honig-Opfer bringen.«

    Als Zarathustra aber oben auf der Höhe war, sandte er die Thiere heim, die ihn geleitet hatten, und fand, dass er nunmehr allein sei: – da lachte er aus ganzem Herzen, sah sich um und sprach also:

    Dass ich von Opfern sprach und Honig-Opfern, eine List war's nur meiner Rede und, wahrlich, eine nützliche Thorheit! Hier oben darf ich schon freier reden, als vor Einsiedler-Höhlen und Einsiedler-Hausthieren.

    Was opfern! Ich verschwende, was mir geschenkt wird, ich Verschwender mit tausend Händen: wie dürfte ich Das noch – Opfern heissen!
    Und als ich nach Honig begehrte, begehrte ich nur nach Köder und süssem Seime und Schleime, nach dem auch Brummbären und wunderliche mürrische böse Vögel die Zunge lecken:

    – nach dem besten Köder, wie er Jägern und Fischfängern noththut. Denn wenn die Welt wie ein dunkler Thierwald ist und aller wilden Jäger Lustgarten, so dünkt sie mich noch mehr und lieber ein abgründliches reiches Meer,

    – ein Meer voll bunter Fische und Krebse, nach dem es auch Götter gelüsten möchte, dass sie an ihm zu Fischern würden und zu Netz-Auswerfern: so reich ist die Welt an Wunderlichem, grossem und kleinem!

    Sonderlich die Menschen-Welt, das Menschen-Meer: – nach dem werfe ich nun meine goldene Angelruthe aus und spreche: thue dich auf, du Menschen-Abgrund!

    Thue dich auf und wirf mir deine Fische und Glitzer-Krebse zu! Mit meinem besten Köder ködere ich mir heute die wunderlichsten Menschen-Fische!

    – mein Glück selber werfe ich hinaus in alle Weiten und Fernen, zwischen Aufgang, Mittag und Niedergang, ob nicht an meinem Glücke viele Menschen-Fische zerrn und zappeln lernen.

    Bis sie, anbeissend an meine spitzen verborgenen Haken, hinauf müssen in meine Höhe, die buntesten Abgrund-Gründlinge zu dem boshaftigsten aller Menschen- Fischfänger.

    Der nämlich bin ich von Grund und Anbeginn, ziehend, heranziehend, hinaufziehend, aufziehend, ein Zieher, Züchter und Zuchtmeister, der sich nicht umsonst einstmals zusprach: »Werde, der du bist!«

    Also mögen nunmehr die Menschen zu mir hinauf kommen: denn noch warte ich der Zeichen, dass es Zeit sei zu meinem Niedergange, noch gehe ich selber nicht unter, wie ich muss, unter Menschen.

    Dazu warte ich hier, listig und spöttisch auf hohen Bergen, kein Ungeduldiger, kein Geduldiger, vielmehr Einer, der auch die Geduld verlernt hat, – weil er nicht mehr »duldet.«

    Mein Schicksal nämlich lässt mir Zeit: es vergass mich wohl? Oder sitzt es hinter einem grossen Steine im Schatten und fängt Fliegen?

    Und wahrlich, ich bin ihm gut darob, meinem ewigen Schicksale, dass es mich nicht hetzt und drängt und mir Zeit zu Possen lässt und Bosheiten: also dass ich heute zu einem Fischfange auf diesen hohen Berg stieg.

    Fieng wohl je ein Mensch auf hohen Bergen Fische? Und wenn es auch eine Thorheit ist, was ich hier oben will und treibe: besser noch Diess, als dass ich da unten feierlich würde vor Warten und grün und gelb –
    – ein gespreitzter Zornschnauber vor Warten, ein heiliger Heule-Sturm aus Bergen, ein Ungeduldiger, der in die Thäler hinabruft: »Hört, oder ich peitsche euch mit der Geissel Gottes!«

    Nicht dass ich solchen Zürnern darob gram würde: zum Lachen sind sie mir gut genung! Ungeduldig müssen sie schon sein, diese grossen Lärmtrommeln, welche heute oder niemals zu Worte kommen!

    Ich aber und mein Schicksal – wir reden nicht zum Heute, wir reden auch nicht zum Niemals: wir haben zum Reden schon Geduld und Zeit und Überzeit. Denn einst muss er doch kommen und darf nicht vorübergehn.

    Wer muss einst kommen und darf nicht vorübergehn? Unser grosser Hazar, das ist unser grosses fernes Menschen-Reich, das Zarathustra-Reich von tausend Jahren

    Wie ferne mag solches »Ferne« sein? was geht's mich an! Aber darum steht es mir doch nicht minder fest –, mit beiden Füssen stehe ich sicher auf diesem Grunde,

    – auf einem ewigen Grunde, auf hartem Urgesteine, auf diesem höchsten härtesten Urgebirge, zu dem alle Winde kommen als zur Wetterscheide, fragend nach Wo? und Woher? und Wohinaus?

    Hier lache, lache meine helle heile Bosheit! Von hohen Bergen wirf hinab dein glitzerndes Spott-Gelächter! Ködere mit deinem Glitzern mir die schönsten Menschen-Fische!

    Und was in allen Meeren mir zugehört, mein An-und-für-mich in allen Dingen – Das fische mir heraus, Das führe zu mir herauf: dess warte ich, der boshaftigste aller Fischfänger.

    Hinaus, hinaus, meine Angel! Hinein, hinab, Köder meines Glücks! Träufle deinen süssesten Thau, mein Herzens-Honig! Beisse, meine Angel, in den Bauch aller schwarzen Trübsal!

    Hinaus, hinaus, mein Auge! Oh welche vielen Meere rings um mich, welch dämmernde Menschen-Zukünfte! Und über mir – welch rosenrothe Stille! Welch entwölktes Schweigen!

                                          Der Nothschrei

    Des nächsten Tages sass Zarathustra wieder auf seinem Steine vor der Höhle, während die Thiere draussen in der Welt herumschweiften, dass sie neue Nahrung heimbrächten, – auch neuen Honig: denn Zarathustra hatte den alten Honig bis auf das letzte Korn verthan und verschwendet. Als er aber dermaassen dasass, mit einem Stecken in der Hand, und den Schatten seiner Gestalt auf der Erde abzeichnete, nachdenkend und, wahrlich! nicht über sich und seinen Schatten – da erschrak er mit Einem Male und fuhr zusammen: denn er sahe neben seinem Schatten noch einen andern Schatten. Und wie er schnell um sich blickte und aufstand, siehe, da stand der Wahrsager neben ihm, der selbe, den er einstmals an seinem Tische gespeist und getränkt hatte, der Verkündiger der grossen Müdigkeit, welcher lehrte: »Alles ist gleich, es lohnt sich Nichts, Welt ist ohne Sinn, Wissen würgt.« Aber sein Antlitz hatte sich inzwischen verwandelt; und als ihm Zarathustra in die Augen blickte, wurde sein Herz abermals erschreckt: so viel schlimme Verkündigungen und aschgraue Blitze liefen über diess Gesicht.

    Der Wahrsager, der es wahrgenommen, was sich in Zarathustra's Seele zutrug, wischte mit der Hand über sein Antlitz hin, wie als ob er dasselbe wegwischen wollte; desgleichen that auch Zarathustra. Und als Beide dergestalt sich schweigend gefasst und gekräftigt hatten, gaben sie sich die Hände, zum Zeichen, dass sie sich wiedererkennen wollten.
    »Sei mir willkommen, sagte Zarathustra, du Wahrsager der grossen Müdigkeit, du sollst nicht umsonst einstmals mein Tisch- und Gastfreund gewesen sein. Iss und trink auch heute bei mir und vergieb es, dass ein vergnügter alter Mann mit dir zu Tische sitzt!« – »Ein vergnügter alter Mann? antwortete der Wahrsager, den Kopf schüttelnd: wer du aber auch bist oder sein willst, oh Zarathustra, du bist es zum Längsten hier Oben gewesen, – dein Nachen soll über Kurzem nicht mehr im Trocknen sitzen!« – »Sitze ich denn im Trocknen?« fragte Zarathustra lachend. – »Die Wellen um deinen Berg, antwortete der Wahrsager, steigen und steigen, die Wellen grosser Noth und Trübsal: die werden bald auch deinen Nachen heben und dich davontragen.« – Zarathustra schwieg hierauf und wunderte sich. – »Hörst du noch Nichts? fuhr der Wahrsager fort: rauscht und braust es nicht herauf aus der Tiefe?« – Zarathustra schwieg abermals und horchte: da hörte er einen langen, langen Schrei, welchen die Abgründe sich zuwarfen und weitergaben, denn keiner wollte ihn behalten: so böse klang er.

    »Du schlimmer Verkündiger, sprach endlich Zarathustra, das ist ein Nothschrei und der Schrei eines Menschen, der mag wohl aus einem schwarzen Meere kommen. Aber was geht mich Menschen-Noth an! Meine letzte Sünde, die mir aufgespart blieb, – weisst du wohl, wie sie heisst?«

    – » Mitleiden! antwortete der Wahrsager aus einem überströmenden Herzen und hob beide Hände empor – oh Zarathustra, ich komme, dass ich dich zu deiner letzten Sünde verführe!« –

    Und kaum waren diese Worte gesprochen, da erscholl der Schrei abermals, und länger und ängstlicher als vorher, auch schon viel näher. »Hörst du? Hörst du, oh Zarathustra? rief der Wahrsager, dir gilt der Schrei, dich ruft er: komm, komm, komm, es ist Zeit, es ist höchste Zeit!« –

    Zarathustra schwieg hierauf, verwirrt und erschüttert; endlich fragte er, wie Einer, der bei sich selber zögert: »Und wer ist das, der dort mich ruft?«

    »Aber du weisst es ja, antwortete der Wahrsager heftig, was verbirgst du dich? Der höhere Mensch ist es, der nach dir schreit!«

    »Der höhere Mensch? schrie Zarathustra von Grausen erfasst: was will der? Was will der? Der höhere Mensch! Was will der hier?« – und seine Haut bedeckte sich mit Schweiss.

    Der Wahrsager aber antwortete nicht auf die Angst Zarathustra's, sondern horchte und horchte nach der Tiefe zu. Als es jedoch lange Zeit dort stille blieb, wandte er seinen Blick zurück und sahe Zarathustra stehn und zittern.

    »Oh Zarathustra, hob er mit trauriger Stimme an, du stehst nicht da wie Einer, den sein Glück drehend macht: du wirst tanzen müssen, dass du mir nicht umfällst!

    Aber wenn du auch vor mir tanzen wolltest und alle deine Seitensprünge springen: Niemand soll mir doch sagen dürfen: »Siehe, hier tanzt der letzte frohe Mensch!«

    Umsonst käme Einer auf diese Höhe, der den hier suchte: Höhlen fände er wohl und Hinter-Höhlen, Verstecke für Versteckte, aber nicht Glücks-Schachte und Schatzkammern und neue Glücks-Goldadern.

    Glück – wie fände man wohl das Glück bei solchen Vergrabenen und Einsiedlern! Muss ich das letzte Glück noch auf glückseligen Inseln suchen und ferne zwischen vergessenen Meeren?

    Aber Alles ist gleich, es lohnt sich Nichts, es hilft kein Suchen, es giebt auch keine glückseligen Inseln mehr!« – –

    Also seufzte der Wahrsager; bei seinem letzten Seufzer aber wurde Zarathustra wieder hell und sicher, gleich Einem, der aus einem tiefen Schlunde an's Licht kommt. »Nein! Nein! Drei Mal Nein! rief er mit starker Stimme und strich sich den Bart – Das weiss ich besser! Es giebt noch glückselige Inseln! Stille davon, du seufzender Trauersack!

    Höre davon auf zu plätschern, du Regenwolke am Vormittag! Stehe ich denn nicht schon da, nass von deiner Trübsal und begossen wie ein Hund?

    Nun schüttle ich mich und laufe dir davon, dass ich wieder trocken werde: dess darfst du nicht Wunder haben! Dünke ich dir unhöflich? Aber hier ist mein Hof.

    Was aber deinen höheren Menschen angeht: wohlan! ich suche ihn flugs in jenen Wäldern: daher kam sein Schrei. Vielleicht bedrängt ihn da ein böses Thier.

    Er ist in meinem Bereiche: darin soll er mir nicht zu Schaden kommen! Und wahrlich, es giebt viele böse Thiere bei mir.« –

    Mit diesen Worten wandte sich Zarathustra zum Gehen. Da sprach der Wahrsager: »Oh Zarathustra, du bist ein Schelm!

    Ich weiss es schon: du willst mich los sein! Lieber noch läufst du in die Wälder und stellst bösen Thieren nach!

    Aber was hilft es dir? Des Abends wirst du doch mich wiederhaben, in deiner eignen Höhle werde ich dasitzen, geduldig und schwer wie ein Klotz – und auf dich warten!«

    »So sei's! rief Zarathustra zurück im Fortgehn: und was mein ist in meiner Höhle, gehört auch dir, meinem Gastfreunde!

    Solltest du aber drin noch Honig finden, wohlan! so lecke ihn nur auf, du Brummbär, und versüsse deine Seele! Am Abende nämlich wollen wir Beide guter Dinge sein,

    – guter Dinge und froh darob, dass dieser Tag zu Ende gieng! Und du selber sollst zu meinen Liedern als mein Tanzbär tanzen.

    Du glaubst nicht daran? Du schüttelst den Kopf? Wohlan! Wohlauf! Alter Bär! Aber auch ich – bin ein Wahrsager.«

    Also sprach Zarathustra.

                                       Gespräch mit den Königen
                                                           1

    Zarathustra war noch keine Stunde in seinen Bergen und Wäldern unterwegs, da sahe er mit Einem Male einen seltsamen Aufzug. Gerade auf dem Wege, den er hinabwollte, kamen zwei Könige gegangen, mit Kronen und Purpurgürteln geschmückt und bunt wie Flamingo-Vögel: die trieben einen beladenen Esel vor sich her. »Was wollen diese Könige in meinem Reiche?« sprach Zarathustra erstaunt zu seinem Herzen und versteckte Sich geschwind hinter einem Busche. Als aber die Könige bis zu ihm herankamen, sagte er, halblaut, wie Einer, der zu sich allein redet: »Seltsam! Seltsam! Wie reimt sich Das zusammen? Zwei Könige sehe ich – und nur Einen Esel!«

    Da machten die beiden Könige Halt, lächelten, sahen nach der Stelle hin, woher die Stimme kam, und sahen sich nachher selber in's Gesicht. »Solcherlei denkt man wohl auch unter uns, sagte der König zur Rechten, aber man spricht es nicht aus.«

    Der König zur Linken aber zuckte mit den Achseln und antwortete: »Das mag wohl ein Ziegenhirt sein. Oder ein Einsiedler, der zu lange unter Felsen und Bäumen lebte. Gar keine Gesellschaft nämlich verdirbt auch die guten Sitten.«

    »Die guten Sitten? entgegnete unwillig und bitter der andre König: wem laufen wir denn aus dem Wege? Ist es nicht den »guten Sitten«? Unsrer »guten Gesellschaft«?

    Lieber, wahrlich, unter Einsiedlern und Ziegenhirten als mit unserm vergoldeten falschen überschminkten Pöbel leben, – ob er sich schon »gute Gesellschaft« heisst,

    – ob er sich schon »Adel« heisst. Aber da ist Alles falsch und faul, voran das Blut, Dank alten schlechten Krankheiten und schlechteren Heil-Künstlern.

    Der Beste und Liebste ist mir heute noch ein gesunder Bauer, grob, listig, hartnäckig, langhaltig: das ist heute die vornehmste Art.

    Der Bauer ist heute der Beste; und Bauern-Art sollte Herr sein! Aber es ist das Reich des Pöbels, – ich lasse mir Nichts mehr vormachen. Pöbel aber, das heisst: Mischmasch.

    Pöbel-Mischmasch: darin ist Alles in Allem durcheinander, Heiliger und Hallunke und Junker und Jude und jeglich Vieh aus der Arche Noäh.

    Gute Sitten! Alles ist bei uns falsch und faul. Niemand weiss mehr zu verehren: dem gerade laufen wir davon. Es sind süssliche zudringliche Hunde, sie vergolden Palmenblätter.

    Dieser Ekel würgt mich, dass wir Könige selber falsch wurden, überhängt und verkleidet durch alten vergilbten Grossväter-Prunk, Schaumünzen für die Dümmsten und die Schlauesten, und wer heute Alles mit der Macht Schacher treibt!

    Wir sind nicht die Ersten – und müssen es doch bedeuten: dieser Betrügerei sind wir endlich satt und ekel geworden.

    Dem Gesindel giengen wir aus dem Wege, allen diesen Schreihälsen und Schreib-Schmeissfliegen, dem Krämer-Gestank, dem Ehrgeiz-Gezappel, dem üblen Athem –: pfui, unter dem Gesindel leben,

    – pfui, unter dem Gesindel die Ersten zu bedeuten! Ach, Ekel! Ekel! Ekel! Was liegt noch an uns Königen!«

    »Deine alte Krankheit fällt dich an, sagte hier der König zur Linken, der Ekel fällt dich an, mein armer Bruder. Aber du weisst es doch, es hört uns Einer zu.«

    Sofort erhob sich Zarathustra, der zu diesen Reden Ohren und Augen aufgesperrt hatte, aus seinem Schlupfwinkel, trat auf die Könige zu und begann:

    »Der Euch zuhört, der Euch gerne zuhört, ihr Könige, der heisst Zarathustra.

    Ich bin Zarathustra, der einst sprach: »Was liegt noch an Königen!« Vergebt mir, ich freute mich, als Ihr zu einander sagtet: »Was liegt an uns Königen!«

    Hier aber ist mein Reich und meine Herrschaft: was mögt Ihr wohl in meinem Reiche suchen? Vielleicht aber fandet Ihr unterwegs, was ich suche: nämlich den höheren Menschen.«

    Als Diess die Könige hörten, schlugen sie sich an die Brust und sprachen mit Einem Munde: »Wir sind erkannt!

    Mit dem Schwerte dieses Wortes zerhaust du unsres Herzens dickste Finsterniss. Du entdecktest unsre Noth, denn siehe! Wir sind unterwegs, dass wir den höheren Menschen fänden –

    – den Menschen, der höher ist als wir: ob wir gleich Könige sind. Ihm führen wir diesen Esel zu. Der höchste Mensch nämlich soll auf Erden auch der höchste Herr sein.

    Es giebt kein härteres Unglück in allem Menschen-Schicksale, als wenn die Mächtigen der Erde nicht auch die ersten Menschen sind. Da wird Alles falsch und schief und ungeheuer.

    Und wenn sie gar die letzten sind und mehr Vieh als Mensch: da steigt und steigt der Pöbel im Preise, und endlich spricht gar die Pöbel-Tugend: »siehe, ich allein bin Tugend!« –

    Was hörte ich eben? antwortete Zarathustra; welche Weisheit bei Königen! Ich bin entzückt, und, wahrlich, schon gelüstet's mich, einen Reim darauf zu machen: –

    – mag es auch ein Reim werden, der nicht für Jedermanns Ohren taugt. Ich verlernte seit langem schon die Rücksicht auf lange Ohren. Wohlan! Wohlauf!

    (Hier aber geschah es, dass auch der Esel zu Worte kam: er sagte aber deutlich und mit bösem Willen I-A.)

        Einstmals – ich glaub', im Jahr des Heiles Eins –
        Sprach die Sibylle, trunken sonder Weins:
        »Weh, nun geht's schief!
        »Verfall! Verfall! Nie sank die Welt so tief!
        »Rom sank zur Hure und zur Huren-Bude,
        »Rom's Caesar sank zum Vieh, Gott selbst – ward Jude!«

                                                           2

    An diesen Reimen Zarathustra's weideten sich die Könige; der König zur Rechten aber sprach: »oh Zarathustra, wie gut thaten wir, dass wir auszogen, dich zu sehn!

    Deine Feinde nämlich zeigten uns dein Bild in ihrem Spiegel: da blicktest du mit der Fratze eines Teufels und hohnlachend: also dass wir uns vor dir fürchteten.

    Aber was half's! Immer wieder stachst du uns in Ohr und Herz mit deinen Sprüchen. Da sprachen wir endlich: was liegt daran, wie er aussieht!

    Wir müssen ihn hören, ihn, der lehrt »ihr sollt den Frieden lieben als Mittel zu neuen Kriegen, und den kurzen Frieden mehr als den langen!«

    Niemand sprach je so kriegerische Worte: »Was ist gut? Tapfer sein ist gut. Der gute Krieg ist's, der jede Sache heiligt.«

    Oh Zarathustra, unsrer Väter Blut rührte sich bei solchen Worten in unserm Leibe: das war wie die Rede des Frühlings zu alten Weinfässern.

    Wenn die Schwerter durcheinander liefen gleich rothgefleckten Schlangen, da wurden unsre Väter dem Leben gut; alles Friedens Sonne dünkte sie flau und lau, der lange Frieden aber machte Scham.

    Wie sie seufzten, unsre Väter, wenn sie an der Wand blitzblanke ausgedorrte Schwerter sahen! Denen gleich dürsteten sie nach Krieg. Ein Schwert nämlich will Blut trinken und funkelt vor Begierde.« – –

    – Als die Könige dergestalt mit Eifer von dem Glück ihrer Väter redeten und schwätzten, überkam Zarathustra keine kleine Lust, ihres Eifers zu spotten: denn ersichtlich waren es sehr friedfertige Könige, welche er vor sich sah, solche mit alten und feinen Gesichtern. Aber er bezwang sich. »Wohlan! sprach er, dorthin führt der Weg, da liegt die Höhle Zarathustra's; und dieser Tag soll einen langen Abend haben! Jetzt aber ruft mich eilig ein Nothschrei fort von Euch.

    Es ehrt meine Höhle, wenn Könige in ihr sitzen und warten wollen: aber, freilich, Ihr werdet lange warten müssen!

    Je nun! Was thut's! Wo lernt man heute besser warten als an Höfen? Und der Könige ganze Tugend, die ihnen übrig blieb, – heisst sie heute nicht: Warten- können?«

    Also sprach Zarathustra.

                                       Der Blutegel

    Und Zarathustra gieng nachdenklich weiter und tiefer, durch Wälder und vorbei an moorigen Gründen; wie es aber Jedem ergeht, der über schwere Dinge nachdenkt, so trat er unversehens dabei auf einen Menschen. Und siehe, da sprützten ihm mit Einem Male ein Weheschrei und zwei Flüche und zwanzig schlimme Schimpfworte in's Gesicht: also dass er in seinem Schrecken den Stock erhob und auch auf den Getretenen noch zuschlug. Gleich darauf aber kam ihm die Besinnung; und sein Herz lachte über die Thorheit, die er eben gethan hatte.

    »Vergieb, sagte er zu dem Getretenen, der sich grimmig erhoben und gesetzt hatte, vergieb und vernimm vor Allem erst ein Gleichniss.

    Wie ein Wanderer, der von fernen Dingen träumt, unversehens auf einsamer Strasse einen schlafenden Hund anstösst, einen Hund, der in der Sonne liegt:

    – wie da Beide auffahren, sich anfahren, Todfeinden gleich, diese zwei zu Tod Erschrockenen: also ergieng es uns.

    Und doch! Und doch – wie wenig hat gefehlt, dass sie einander liebkosten, dieser Hund und dieser Einsame! Sind sie doch Beide – Einsame!«

    – »Wer du auch sein magst, sagte immer noch grimmig der Getretene, du trittst mir auch mit deinem Gleichniss zu nahe, und nicht nur mit deinem Fusse!

    Siehe doch, bin ich denn ein Hund?« – und dabei erhob sich der Sitzende und zog seinen nackten Arm aus dem Sumpfe. Zuerst nämlich hatte er ausgestreckt am Boden gelegen, verborgen und unkenntlich gleich Solchen, die einem Sumpf-Wilde auflauern.

    »Aber was treibst du doch!« rief Zarathustra erschreckt, denn er sahe, dass über den nackten Arm weg viel Blut floss, – was ist dir zugestossen? Biss dich, du Unseliger, ein schlimmes Thier?

    Der Blutende lachte, immer noch erzürnt. »Was geht's dich an! sagte er und wollte weitergehn. Hier bin ich heim und in meinem Bereiche. Mag mich fragen, wer da will: einem Tölpel aber werde ich schwerlich antworten.«

    »Du irrst, sagte Zarathustra mitleidig und hielt ihn fest, du irrst: hier bist du nicht bei dir, sondern in meinem Reiche, und darin soll mir Keiner zu Schaden kommen.

    Nenne mich aber immerhin, wie du willst, – ich bin, der ich sein muss. Ich selber heisse mich Zarathustra.

    Wohlan! Dort hinauf geht der Weg zu Zarathustra's Höhle: die ist nicht fern, – willst du nicht bei mir deiner Wunden warten?

    Es gieng dir schlimm, du Unseliger, in diesem Leben: erst biss dich das Thier, und dann – trat dich der Mensch!« – –

    Als aber der Getretene den Namen Zarathustra's hörte, verwandelte er sich. »Was geschieht mir doch! rief er aus, wer kümmert mich denn noch in diesem Leben, als dieser Eine Mensch, nämlich Zarathustra, und jenes Eine Thier, das vom Blute lebt, der Blutegel?

    Des Blutegels halber lag ich hier an diesem Sumpfe wie ein Fischer, und schon war mein ausgehängter Arm zehn Mal angebissen, da beisst noch ein schönerer Igel nach meinem Blute, Zarathustra selber!

    Oh Glück! Oh Wunder! Gelobt sei dieser Tag, der mich in diesen Sumpf lockte! Gelobt sei der beste lebendigste Schröpfkopf, der heut lebt, gelobt sei der grosse Gewissens-Blutegel Zarathustra!« –

    Also sprach der Getretene; und Zarathustra freute sich über seine Worte und ihre feine ehrfürchtige Art. »Wer bist du? fragte er und reichte ihm die Hand, zwischen uns bleibt Viel aufzuklären und aufzuheitern: aber schon, dünkt mich, wird es reiner heller Tag.«

    »Ich bin der Gewissenhafte des Geistes, antwortete der Gefragte, und in Dingen des Geistes nimmt es nicht leicht Einer strenger, enger und härter als ich, ausgenommen der, von dem ich's lernte, Zarathustra selber.

    Lieber Nichts wissen, als Vieles halb wissen! Lieber ein Narr sein auf eigne Faust, als ein Weiser nach fremdem Gutdünken! Ich – gehe auf den Grund:

    – was liegt daran, ob er gross oder klein ist? Ob er Sumpf oder Himmel heisst? Eine Hand breit Grund ist mir genung: wenn er nur wirklich Grund und Boden ist!

    – eine Hand breit Grund: darauf kann man stehn. In der rechten Wissen-Gewissenschaft giebt es nichts Grosses und nichts Kleines.«

    »So bist du vielleicht der Erkenner des Blutegels? fragte Zarathustra; und du gehst dem Blutegel nach bis auf die letzten Gründe, du Gewissenhafter?«

    »Oh Zarathustra, antwortete der Getretene, das wäre ein Ungeheures, wie dürfte ich mich dessen unterfangen!

    Wess ich aber Meister und Kenner bin, das ist des Blutegels Hirn: – das ist meine Welt!

    Und es ist auch eine Welt! Vergieb aber, dass hier mein Stolz zu Worte kommt, denn ich habe hier nicht meines Gleichen. Darum sprach ich »hier bin ich heim.«

    Wie lange gehe ich schon diesem Einen nach, dem Hirn des Blutegels, dass die schlüpfrige Wahrheit mir hier nicht mehr entschlüpfe! Hier ist mein Reich!

    – darob warf ich alles Andere fort, darob wurde mir alles. Andre gleich; und dicht neben meinem Wissen lagert mein schwarzes Unwissen.

    Mein Gewissen des Geistes will es so von mir, dass ich Eins weiss und sonst Alles nicht weiss: es ekelt mich aller Halben des Geistes, aller Dunstigen, Schwebenden, Schwärmerischen.

    Wo meine Redlichkeit aufhört, bin ich blind und will auch blind sein. Wo ich aber wissen will, will ich auch redlich sein, nämlich hart, streng, eng, grausam, unerbittlich.

    Dass du einst sprachst, oh Zarathustra: »Geist ist das Leben, das selber in's Leben schneidet,« das führte und verführte mich zu deiner Lehre. Und, wahrlich, mit eignem Blute mehrte ich mir das eigne Wissen!«

    – Wie der Augenschein lehrt,« fiel Zarathustra ein; denn immer noch floss das Blut an dem nackten Arme des Gewissenhaften herab. Es hatten nämlich zehn Blutegel sich in denselben eingebissen.

    »Oh du wunderlicher Gesell, wie Viel lehrt mich dieser Augenschein da, nämlich du selber! Und nicht Alles dürfte ich vielleicht in deine strengen Ohren giessen!

    Wohlan! So scheiden wir hier! Doch möchte ich gerne dich wiederfinden. Dort hinauf führt der Weg zu meiner Höhle: heute Nacht sollst du dort mein lieber Gast sein!

    Gerne möchte ich's auch an deinem Leibe wieder gut machen, dass Zarathustra dich mit Füssen trat: darüber denke ich nach. Jetzt aber ruft mich ein Nothschrei eilig fort von dir.«

    Also sprach Zarathustra.

                                               Der Zauberer
                                                           1

    Als aber Zarathustra um einen Felsen herumbog, da sahe er, nicht weit unter sich, auf dem gleichen Wege, einen Menschen, der die Glieder warf wie ein Tobsüchtiger und endlich bäuchlings zur Erde niederstürzte. »Halt! sprach da Zarathustra zu seinem Herzen, Der dort muss wohl der höhere Mensch sein, von ihm kam jener schlimme Nothschrei, – ich will sehn, ob da zu helfen ist.« Als er aber hinzulief, an die Stelle, wo der Mensch auf dem Boden lag, fand er einen zitternden alten Mann mit stieren Augen; und wie sehr sich Zarathustra mühte, dass er ihn aufrichte und wieder auf seine Beine stelle, es war umsonst. Auch schien der Unglückliche nicht zu merken, dass jemand um ihn sei; vielmehr sah er sich immer mit rührenden Gebärden um, wie ein von aller Welt Verlassener und Vereinsamter. Zuletzt aber, nach vielem Zittern, Zucken und Sich-zusammen-Krümmen, begann er also zu jammern:

        Wer wärmt mich, wer liebt mich noch?
        Gebt heisse Hände!
        Gebt Herzens-Kohlenbecken!
        Hingestreckt, schaudernd,
        Halbtodtem gleich, dem man die Füsse wärmt –
        Geschüttelt, ach! von unbekannten Fiebern,
        Zitternd vor spitzen eisigen Frost-Pfeilen,
        Von dir gejagt, Gedanke!
        Unnennbarer! Verhüllter! Entsetzlicher!
        Du Jäger hinter Wolken!
        Darniedergeblitzt von dir,
        Du höhnisch Auge, das mich aus Dunklem anblickt:
        – so liege ich,
        Biege mich, winde mich, gequält
        Von allen ewigen Martern,
        Getroffen
        Von Dir, grausamster Jäger,
        Du unbekannter – Gott!

        Triff tiefer,
        Triff Ein Mal noch!
        Zerstich, zerbrich diess Herz!
        Was soll diess Martern
        Mit zähnestumpfen Pfeilen?
        Was blickst du wieder,
        Der Menschen-Qual nicht müde,
        Mit schadenfrohen Götter-Blitz-Augen?
        Nicht tödten willst du,
        Nur martern, martern?
        Wozu – mich martern,
        Du schadenfroher unbekannter Gott? –

        Haha! Du schleichst heran?
        Bei solcher Mitternacht
        Was willst du? Sprich!
        Du drängst mich, drückst mich –
        Ha! schon viel zu nahe!
        Weg! Weg!
        Du hörst mich athmen,
        Du behorchst mein Herz,
        Du Eifersüchtiger –
        Worauf doch eifersüchtig?
        Weg! Weg! Wozu die Leiter?
        Willst du hinein,
        In's Herz,
        Einsteigen, in meine heimlichsten
        Gedanken einsteigen?
        Schamloser! Unbekannter – Dieb!
        Was willst du dir erstehlen,
        Was willst du dir erhorchen,
        Was willst du dir erfoltern,
        Du Folterer!
        Du – Henker-Gott!
        Oder soll ich, dem Hunde gleich,
        Vor dir mich wälzen?
        Hingebend, begeistert-ausser-mir,
        Dir – Liebe zuwedeln?

        Umsonst! Stich weiter,
        Grausamster Stachel! Nein,
        Kein Hund – dein Wild nur bin ich,
        Grausamster Jäger!
        Dein stolzester Gefangner,
        Du Räuber hinter Wolken!
        Sprich endlich,
        Was willst du, Wegelagerer, von mir?
        Du Blitz-Verhüllter! Unbekannter! Sprich,
        Was willst du, unbekannter Gott? – –

        Wie? Lösegeld?
        Was willst du Lösegelds?
        Verlange Viel – das räth mein Stolz!
        Und rede kurz – das räth mein andrer Stolz!
        Haha!

        Mich – willst du? Mich?
        Mich – ganz?

        Haha!
        Und marterst mich, Narr, der du bist,
        Zermarterst meinen Stolz?
        Gieb Liebe mir – wer wärmt mich noch?
        Wer liebt mich noch? – gieb heisse Hände,
        Gieb Herzens-Kohlenbecken,
        Gieb mir, dem Einsamsten,
        Den Eis, ach! siebenfaches Eis
        Nach Feinden selber,
        Nach Feinden schmachten lehrt,
        Gieb, ja ergieb,
        Grausamster Feind,
        Mir – dich! – –

        Davon!
        Da floh er selber,
        Mein letzter einziger Genoss,
        Mein grosser Feind,
        Mein Unbekannter,
        Mein Henker-Gott! –

        – Nein! Komm zurück,
        Mit allen deinen Martern!
        Zum Letzten aller Einsamen
        Oh komm zurück!
        All meine Thränen-Bäche laufen
        Zu dir den Lauf!

        Und meine letzte Herzens-Flamme –
        Dir glüht sie auf!
        Oh komm zurück,
        Mein unbekannter Gott! Mein Schmerz! Mein letztes –
Glück!

                                                           2

    – Hier aber konnte sich Zarathustra nicht länger halten, nahm seinen Stock und schlug mit allen Kräften auf den jammernden los. »Halt ein! schrie er ihm zu, mit ingrimmigem Lachen, halt ein, du Schauspieler! Du Falschmünzer! Du Lügner aus dem Grunde! Ich erkenne dich wohl!

    Ich will dir schon warme Beine machen, du schlimmer Zauberer, ich verstehe mich gut darauf, Solchen wie du bist – einzuheizen!«

    – »Lass ab, sagte der alte Mann und sprang vom Boden auf, schlage nicht mehr, oh Zarathustra! Ich trieb's also nur zum Spiele!

    Solcherlei gehört zu meiner Kunst; dich selber wollte ich auf die Probe stellen, als ich dir diese Probe gab! Und, wahrlich, du hast mich gut durchschaut!

    Aber auch du – gabst mir von dir keine kleine Probe: du bist hart, du weiser Zarathustra! Hart schlägst du zu mit deinen »Wahrheiten,« dein Knüttel erzwingt von mir – diese Wahrheit!«

    – »Schmeichle nicht, antwortete Zarathustra, immer noch erregt und finsterblickend, du Schauspieler aus dem Grunde! Du bist falsch: was redest du – von Wahrheit!

    Du Pfau der Pfauen, du Meer der Eitelkeit, was spieltest du vor mir, du schlimmer Zauberer, an wen sollte ich glauben, als du in solcher Gestalt jammertest?«

    » Den Büsser des Geistes, sagte der alte Mann, den – spielte ich: du selber erfandest einst diess Wort –

    – den Dichter und Zauberer, der gegen sich selber endlich seinen Geist wendet, den Verwandelten, der an seinem bösen Wissen und Gewissen erfriert.

    Und gesteh es nur ein: es währte lange, oh Zarathustra, bis du hinter meine Kunst und Lüge kamst! Du glaubtestan meine Noth, als du mir den Kopf mit beiden Händen hieltest, –

    – ich hörte dich jammern »man hat ihn zu wenig geliebt, zu wenig geliebt!« Dass ich dich soweit betrog, darüber frohlockte inwendig meine Bosheit.«

    »Du magst Feinere betrogen haben als mich, sagte Zarathustra hart. Ich bin nicht auf der Hut vor Betrügern, ich muss ohne Vorsicht sein: so will es mein Loos.

    Du aber – musst betrügen: so weit kenne ich dich! Du musst immer zwei- drei- vier- und fünfdeutig sein! Auch was du jetzt bekanntest, war mir lange nicht wahr und nicht falsch genung!

    Du schlimmer Falschmünzer, wie könntest du anders! Deine Krankheit würdest du noch schminken, wenn du dich deinem Arzte nackt zeigtest.

    So schminktest du eben vor mir deine Lüge, als du sprachst: »ich trieb's also nur zum Spiele!« Es war auch Ernst darin, du bist Etwas von einem Büsser des Geistes!

    Ich errathe dich wohl: du wurdest der Bezauberer Aller, aber gegen dich hast du keine Lüge und List mehr übrig, – du selber bist dir entzaubert!

    Du erntetest den Ekel ein, als deine Eine Wahrheit. Kein Wort ist mehr an dir ächt, aber dein Mund: nämlich der Ekel, der an deinem Munde klebt.« – –

    – »Wer bist du doch! schrie hier der alte Zauberer mit einer trotzigen Stimme, wer darf also zu m i r reden, dem Grössten, der heute lebt?« – und ein grüner Blitz schoss aus seinem Auge nach Zarathustra. Aber gleich darauf verwandelte er sich und sagte traurig:

    »Oh Zarathustra, ich bin's müde, es ekelt mich meiner Künste, ich bin nicht gross, was verstelle ich mich! Aber, du weisst es wohl – ich suchte nach Grösse!

    Einen grossen Menschen wollte ich vorstellen und überredete Viele: aber diese Lüge gieng über meine Kraft. An ihr zerbreche ich.

    Oh Zarathustra, Alles ist Lüge an mir; aber dass ich zerbreche – diess mein Zerbrechen ist ächt!«

    »Es ehrt dich, sprach Zarathustra düster und zur Seite niederblickend, es ehrt dich, dass du nach Grösse suchtest, aber es verräth dich auch. Du bist nicht gross.

    Du schlimmer alter Zauberer, das ist dein Bestes und Redlichstes, was ich an dir ehre, dass du deiner müde wurdest und es aussprachst: »ich bin nicht gross.«

    Darin ehre ich dich als einen Büsser des Geistes: und wenn auch nur für einen Hauch und Husch, diesen Einen Augenblick warst du – ächt.

    Aber sprich, was suchst du hier in meinen Wäldern und Felsen? Und wenn du mir dich in den Weg legtest, welche Probe wolltest du von mir? –

    – wess versuchtest du mich?«

    Also sprach Zarathustra, und seine Augen funkelten. Der alte Zauberer schwieg eine Weile, dann sagte er: »Versuchte ich dich? Ich – suche nur.

    Oh Zarathustra, ich suche einen Ächten, Rechten, Einfachen, Eindeutigen, einen Menschen aller Redlichkeit, ein Gefäss der Weisheit, einen Heiligen der Erkenntniss, einen grossen Menschen!

    Weisst du es denn nicht, oh Zarathustra?Ich suche Zarathustra.«

    – Und hier entstand ein langes Stillschweigen zwischen Beiden; Zarathustra aber versank tief hinein in sich selber, also dass er die Augen schloss. Dann aber, zu seinem Unterredner zurückkehrend, ergriff er die Hand des Zauberers und sprach, voller Artigkeit und Arglist:

    »Wohlan! Dort hinauf führt der Weg, da liegt die Höhle Zarathustra's. In ihr darfst du suchen, wen du finden möchtest.

    Und frage meine Thiere um Rath, meinen Adler und meine Schlange: die sollen dir suchen helfen. Meine Höhle aber ist gross.

    Ich selber freilich – ich sah noch keinen grossen Menschen. Was gross ist, dafür ist das Auge der Feinsten heute grob. Es ist das Reich des Pöbels.

    So Manchen fand ich schon, der streckte und blähte sich, und das Volk schrie: »Seht da, einen grossen Menschen!« Aber was helfen alle Blasebälge! Zuletzt fährt der Wind heraus.

    Zuletzt platzt ein Frosch, der sich zu lange aufblies: da fährt der Wind heraus. Einem Geschwollnen in den Bauch stechen, das heisse ich eine brave Kurzweil. Hört das, ihr Knaben!

    Diess Heute ist des Pöbels: wer weiss da noch, was gross, was klein ist! Wer suchte da mit Glück nach Grösse! Ein Narr allein: den Narren glückt's.

    Du suchst nach grossen Menschen, du wunderlicher Narr? Wer lehrte's dich? Ist heute dazu die Zeit? Oh du schlimmer Sucher, was – versuchst du mich?« – –

    Also sprach Zarathustra, getrösteten Herzens, und gieng lachend seines Wegs fürbass.

                                       Ausser Dienst

    Nicht lange aber, nachdem Zarathustra sich von dem Zauberer losgemacht hatte, sahe er wiederum Jemanden am Wege sitzen, den er gieng, nämlich einen schwarzen langen Mann mit einem hageren Bleichgesicht: der verdross ihn gewaltig. »Wehe, sprach er zu seinem Herzen, da, sitzt vermummte Trübsal, das dünkt mich von der Art der Priester: was wollen die in meinem Reiche?

    Wie! Kaum bin ich jenem Zauberer entronnen: muss mir da wieder ein anderer Schwarzkünstler über den Weg laufen, –

    – irgend ein Hexenmeister mit Handauflegen, ein dunkler Wunderthäter von Gottes Gnaden, ein gesalbter Welt-Verleumder, den der Teufel holen möge!

    Aber der Teufel ist nie am Platze, wo er am Platze wäre: immer kommt er zu spät, dieser vermaledeite Zwerg und Klumpfuss!« –

    Also fluchte Zarathustra ungeduldig in seinem Herzen und gedachte, wie er abgewandten Blicks an dem schwarzen Manne vorüberschlüpfe: aber siehe, es kam anders. Im gleichen Augenblicke nämlich hatte ihn schon der Sitzende erblickt; und nicht unähnlich einem Solchen, dem ein unvermuthetes Glück zustösst, sprang er auf und gieng auf Zarathustra los.

    »Wer du auch bist, du Wandersmann, sprach er, hilf einem Verirrten, einem Suchenden, einem alten Manne, der hier leicht zu Schaden kommt!

    Diese Welt hier ist mir fremd und fern, auch hörte ich wilde Thiere heulen; und Der, welcher mir hätte Schutz bieten können, der ist selber nicht mehr.

    Ich suchte den letzten frommen Menschen, einen Heiligen und Einsiedler, der allein in seinem Walde noch Nichts davon gehört hatte, was alle Welt heute weiss.«

    » Was weiss heute alle Welt? fragte Zarathustra. Etwa diess, dass der alte Gott nicht mehr lebt, an den alle Welt einst geglaubt hat?«

    »Du sagst es, antwortete der alte Mann betrübt. Und ich diente diesem alten Gotte bis zu seiner letzten Stunde.

    Nun aber bin ich ausser Dienst, ohne Herrn, und doch nicht frei, auch keine Stunde mehr lustig, es sei denn in Erinnerungen.

    Dazu stieg ich in diese Berge, dass ich endlich wieder ein Fest mir machte, wie es einem alten Papste und Kirchen-Vater zukommt: denn wisse, ich bin der letzte Papst! – ein Fest frommer Erinnerungen und Gottesdienste.

    Nun aber ist er selber todt, der frömmste Mensch, jener Heilige im Walde, der seinen Gott beständig mit Singen und Brummen lobte.

    Ihn selber fand ich nicht mehr, als ich seine Hütte fand, – wohl aber zwei Wölfe darin, welche um seinen Tod heulten – denn alle Thiere liebten ihn. Da lief ich davon.

    Kam ich also umsonst in diese Wälder und Berge? Da entschloss sich mein Herz, dass ich einen Anderen suchte, den Frömmsten aller Derer, die nicht an Gott glauben –, dass ich Zarathustra suchte!«

    Also sprach der Greis und blickte scharfen Auges Den an, welcher vor ihm stand; Zarathustra aber ergriff die Hand des alten Papstes und betrachtete sie lange mit Bewunderung.

    »Siehe da, du Ehrwürdiger, sagte er dann, welche schöne und lange Hand! Das ist die Hand eines Solchen, der immer Segen ausgetheilt hat. Nun aber hält sie Den fest, welchen du suchst, mich, Zarathustra.

    Ich bin's, der gottlose Zarathustra, der da spricht: wer ist gottloser als ich, dass ich mich seiner Unterweisung freue?« –

    Also sprach Zarathustra und durchbohrte mit seinen Blicken die Gedanken und Hintergedanken des alten Papstes. Endlich begann dieser:

    »Wer ihn am meisten liebte und besass, der hat ihn nun am meisten auch verloren –:

    – siehe, ich selber bin wohl von uns Beiden jetzt der Gottlosere? Aber wer könnte daran sich freuen!« –

    »Du dientest ihm bis zuletzt, fragte Zarathustra nachdenklich, nach einem tiefen Schweigen, du weisst, wie er starb? Ist es wahr, was man spricht, dass ihn das Mitleiden erwürgte,

    – dass er es sah, wie der Mensch am Kreuze hieng, und es nicht ertrug, dass die Liebe zum Menschen seine Hölle und zuletzt sein Tod wurde?« – –

    Der alte Papst aber antwortete nicht, sondern blickte scheu und mit einem schmerzlichen und düsteren Ausdrucke zur Seite.

    »Lass ihn fahren, sagte Zarathustra nach einem langen Nachdenken, indem er immer noch dem alten Manne gerade in's Auge blickte.

    Lass ihn fahren, er ist dahin. Und ob es dich auch ehrt, dass du diesem Todten nur Gutes nachredest, so weisst du so gut als ich, wer er war; und dass er wunderliche Wege gieng.«

    »Unter drei Augen gesprochen, sagte erheitert der alte Papst (denn er war auf Einem Auge blind), in Dingen Gottes bin ich aufgeklärter als Zarathustra selber – und darf es sein.

    Meine Liebe diente ihm lange Jahre, mein Wille gieng allem seinen Willen nach. Ein guter Diener aber weiss Alles, und Mancherlei auch, was sein Herr sich selbst verbirgt.

    Es war ein verborgener Gott, voller Heimlichkeit. Wahrlich zu einem Sohne sogar kam er nicht anders als auf Schleichwegen. An der Thür seines Glaubens steht der Ehebruch.

    Wer ihn als einen Gott der Liebe preist, denkt nicht hoch genug von der Liebe selber. Wollte dieser Gott nicht auch Richter sein? Aber der Liebende liebt jenseits von Lohn und Vergeltung.

    Als er jung war, dieser Gott aus dem Morgenlande, da war er hart und rachsüchtig und erbaute sich eine Hölle zum Ergötzen seiner Lieblinge.

    Endlich aber wurde er alt und weich und mürbe und mitleidig, einem Grossvater ähnlicher als einem Vater, am ähnlichsten aber einer wackeligen alten Grossmutter.

    Da sass er, welk, in seinem Ofenwinkel, härmte sich ob seiner schwachen Beine, weltmüde, willensmüde, und erstickte eines Tags an seinem allzugrossen Mitleiden.« – –

    »Du alter Papst, sagte hier Zarathustra dazwischen, hast du Das mit Augen angesehn? Es könnte wohl so abgegangen sein: so, und auch anders. Wenn Götter sterben, sterben sie immer viele Arten Todes.

    Aber wohlan! So oder so, so und so – er ist dahin! Er gieng meinen Ohren und Augen wider den Geschmack, Schlimmeres möchte ich ihm nicht nachsagen.

    Ich liebe Alles, was hell blickt und redlich redet. Aber er – du weisst es ja, du alter Priester, es war Etwas von deiner Art an ihm, von Priester-Art – er war vieldeutig.

    Er war auch undeutlich. Was hat er uns darob gezürnt, dieser Zornschnauber, dass wir ihn schlecht verstanden Aber warum sprach er nicht reinlicher?

    Und lag es an unsern Ohren, warum gab er uns Ohren, die ihn schlecht hörten? War Schlamm in unsern Ohren, wohlan! wer legte ihn hinein?

    Zu Vieles missrieth ihm, diesem Töpfer, der nicht ausgelernt hatte! Dass er aber Rache an seinen Töpfen und Geschöpfen nahm, dafür dass sie ihm schlecht geriethen, – das war eine Sünde wider den guten Geschmack.

    Es giebt auch in der Frömmigkeit guten Geschmack: der sprach endlich »Fort mit einem solchen Gotte! Lieber keinen Gott, lieber auf eigne Faust Schicksal machen, lieber Narr sein, lieber selber Gott sein!«

    – »Was höre ich! sprach hier der alte Papst mit gespitzten Ohren; oh Zarathustra, du bist frömmer als du glaubst, mit einem solchen Unglauben! Irgend ein Gott in dir bekehrte dich zu deiner Gottlosigkeit.

    Ist es nicht deine Frömmigkeit selber, die dich nicht mehr an einen Gott glauben lässt? Und deine übergrosse Redlichkeit wird dich auch noch jenseits von Gut und Böse wegfuhren!

    Siehe, doch, was blieb dir aufgespart? Du hast Augen und Hand und Mund, die sind zum Segnen vorher bestimmt seit Ewigkeit. Man segnet nicht mit der Hand allein.

    In deiner Nähe, ob du schon der Gottloseste sein willst, wittere ich einen heimlichen Weih- und Wohlgeruch von langen Segnungen: mir wird wohl und wehe dabei.

    Lass mich deinen Gast sein, oh Zarathustra, für eine einzige Nacht! Nirgends auf Erden wird es mir jetzt wohler als bei dir!« –

    »Amen! So soll es sein! sprach Zarathustra mit grosser Verwunderung, dort hinauf führt der Weg, da liegt die Höhle Zarathustra's.

    Gerne, fürwahr, würde ich dich selber dahin geleiten, du Ehrwürdiger, denn ich liebe alle frommen Menschen. Aber jetzt ruft mich eilig ein Nothschrei weg von dir.

    In meinem Bereiche soll mir Niemand zu Schaden kommen; meine Höhle ist ein guter Hafen. Und am liebsten möchte ich jedweden Traurigen wieder auf festes Land und feste Beine stellen.

    Wer aber nähme dir deine Schwermuth von der Schulter? Dazu bin ich zu schwach. Lange, wahrlich, möchten wir warten, bis dir Einer deinen Gott wieder aufweckt.

    Dieser alte Gott nämlich lebt nicht mehr: der ist gründlich todt.« –

    Also sprach Zarathustra.

                                       Der hässlichste Mensch

    – Und wieder liefen Zarathustra's Füsse durch Berge und Wälder, und seine Augen suchten und suchten, aber nirgends war Der zu sehen, welchen sie sehn wollten, der grosse Nothleidende und Nothschreiende. Auf dem ganzen Wege aber frohlockte er in seinem Herzen und war dankbar. »Welche guten Dinge, sprach er, schenkte mir doch dieser Tag, zum Entgelt, dass er schlimm begann! Welche seltsamen Unterredner fand ich!

    An deren Worten will ich lange nun kauen gleich als an guten Körnern; klein soll mein Zahn sie mahlen und malmen, bis sie mir wie Milch in die Seele fliessen!« – –

    Als aber der Weg wieder um einen Felsen bog, veränderte sich mit Einem Male die Landschaft, und Zarathustra trat in ein Reich des Todes. Hier starrten schwarze und rothe Klippen empor: kein Gras, kein Baum, keine Vogelstimme. Es war nämlich ein Thal, welches alle Thiere mieden, auch die Raubthiere-, nur dass eine Art hässlicher, dicker, grüner Schlangen, wenn sie alt wurden, hierher kamen, um zu sterben. Darum nannten diess Thal die Hirten: Schlangen-Tod.

    Zarathustra aber versank in eine schwarze Erinnerung, denn ihm war, als habe er schon ein Mal in diesem Thal gestanden. Und vieles Schwere legte sich ihm über den Sinn: also, dass er langsam gieng und immer langsamer und endlich still stand. Da aber sahe er, als er die Augen aufthat, Etwas, das am Wege sass, gestaltet wie ein Mensch und kaum wie ein Mensch, etwas Unaussprechliches. Und mit Einem Schlage überfiel Zarathustra die grosse Scham darob, dass er so Etwas mit den Augen angesehn habe: erröthend bis hinauf an sein weisses Haar, wandte er den Blick ab und hob den Fuss, dass er diese schlimme Stelle verlasse. Da aber wurde die todte Öde laut: vom Boden auf nämlich quoll es gurgelnd und röchelnd, wie Wasser Nachts durch verstopfte Wasser-Röhren gurgelt und röchelt; und zuletzt wurde daraus eine Menschen-Stimme und Menschen-Rede: – die lautete also.

    »Zarathustra! Zarathustra! Rathe mein Räthsel! Sprich, sprich! Was ist die Rache am Zeugen?

    Ich locke dich zurück, hier ist glattes Eis! Sieh zu, sieh zu, ob dein Stolz sich hier nicht die Beine bricht!

    Du dünkst dich weise, du stolzer Zarathustra! So rathe doch das Räthsel, du harter Nüsseknacker, – das Räthsel, das ich bin! So sprich doch – wer bin ich! «

    – Als aber Zarathustra diese Worte gehört hatte, – was glaubt ihr wohl, dass sich da mit seiner Seele zutrug? Das Mitleiden fiel ihn an; und er sank mit Einem Male nieder, wie ein Eichbaum, der lange vielen Holzschlägern widerstanden hat, – schwer, plötzlich, zum Schrecken selber für Die, welche ihn fällen wollten. Aber schon stand er wieder vom Boden auf, und sein Antlitz wurde hart.

    »Ich erkenne dich wohl, sprach er mit einer erzenen Stimme: du bist der Mörder Gottes! Lass mich gehn.

    Du ertrugst Den nicht, der dich sah, – der dich immer und durch und durch sah, du hässlichster Mensch! Du nahmst Rache an diesem Zeugen!«

    Also sprach Zarathustra und wollte davon; aber der Unaussprechliche fasste nach einem Zipfel seines Gewandes und begann von Neuem zu gurgeln und nach Worten zu suchen. »Bleib!« sagte er endlich –

    – bleib! Geh nicht vorüber! Ich errieth, welche Axt dich zu Boden schlug: Heil dir, oh Zarathustra, dass du wieder stehst!

    Du erriethest, ich weiss es gut, wie Dem zu Muthe ist, der ihn tödtete, – dem Mörder Gottes. Bleib! Setze dich her zu mir, es ist nicht umsonst.

    Zu wem wollte ich, wenn nicht zu dir? Bleib, setze dich! Blicke mich aber nicht an! Ehre also – meine Hässlichkeit!

    Sie verfolgen mich: nun bist du meine letzte Zuflucht. Nicht mit ihrem Hasse, nicht mit ihren Häschern: – oh solcher Verfolgung würde ich spotten und stolz und froh sein!

    War nicht aller Erfolg bisher bei den Gut-Verfolgten? Und wer gut verfolgt, lernt leicht folgen: – ist er doch einmal – hinterher! Aber ihr Mitleid ist's –

    – ihr Mitleid ist's, vor dem ich flüchte und dir zuflüchte. Oh Zarathustra, schütze mich, du meine letzte Zuflucht, du Einziger, der mich errieth:

    – du erriethest, wie Dem zu Muthe ist, welcher ihn tödtete. Bleib! Und willst du gehn, du Ungeduldiger: geh nicht den Weg, den ich kam. Der Weg ist schlecht.

    Zürnst du mir, dass ich zu lange schon rede-rade-breche? Dass ich schon dir rathe? Aber wisse, ich bin's, der hässlichste Mensch,

    – der auch die grössten schwersten Füsse hat. Wo ich gieng, ist der Weg schlecht. Ich trete alle Wege todt und zu Schanden.

    Dass du aber an mir vorübergiengst, schweigend; dass du erröthetest, ich sah es wohl: daran erkannte ich dich als Zarathustra.

    Jedweder Andere hätte mir sein Almosen zugeworfen, sein Mitleiden, mit Blick und Rede. Aber dazu – bin ich nicht Bettler genug, das erriethest du –

    – dazu bin ich zu reich , reich an Grossem, an Furchtbarem, am Hässlichsten, am Unaussprechlichsten! Deine Scham, oh Zarathustra, ehrte mich!

    Mit Noth kam ich heraus aus dem Gedräng der Mitleidigen, – dass ich den Einzigen fände, der heute lehrt »Mitleiden ist zudringlich« – dich, oh Zarathustra!

    – sei es eines Gottes, sei es der Menschen Mitleiden: Mitleiden geht gegen die Scham. Und nicht-helfen-wollen kann vornehmer sein als jene Tugend, die zuspringt.

    Das aber heisst heute Tugend selber bei allen kleinen Leuten, das Mitleiden: – die haben keine Ehrfurcht vor grossem Unglück, vor grosser Hässlichkeit, vor grossem Missrathen.

    Über diese Alle blicke ich hinweg, wie ein Hund über die Rücken wimmelnder Schafheerden wegblickt. Es sind kleine wohlwollige wohlwillige graue Leute.

    Wie ein Reiher verachtend über flache Teiche wegblickt, mit zurückgelegtem Kopfe: so blicke ich über das Gewimmel grauer kleiner Wellen und Willen und Seelen weg.

    Zu lange hat man ihnen Recht gegeben, diesen kleinen Leuten: so gab man ihnen endlich auch die Macht – nun lehren sie: »gut ist nur, was kleine Leute gut heissen.«

    Und »Wahrheit« heisst heute, was der Prediger sprach, der selber aus ihnen herkam, jener wunderliche Heilige und Fürsprecher der kleinen Leute, welcher von sich zeugte »ich – bin die Wahrheit.«

    Dieser Unbescheidne macht nun lange schon den kleinen Leuten den Kamm hoch schwellen – er, der keinen kleinen Irrthum lehrte, als er lehrte »ich – bin die Wahrheit.«

    Ward einem Unbescheidnen jemals höflicher geantwortet? – Du aber, oh Zarathustra, giengst an ihm vorüber und sprachst: »Nein! Nein! Drei Mal Nein!«

    Du warntest vor seinem Irrthum, du warntest als der Erste vor dem Mitleiden – nicht Alle, nicht Keinen, sondern dich und deine Art.

    Du schämst dich an der Scham des grossen Leidenden; und wahrlich, wenn du sprichst »von dem Mitleiden her kommt eine grosse Wolke, habt Acht, ihr Menschen!«

    – wenn du lehrst »alle Schaffenden sind hart, alle grosse Liebe ist über ihrem Mitleiden«: oh Zarathustra, wie gut dünkst du mich eingelernt auf Wetter-Zeichen!

    Du selber aber – warne dich selber auch vor deinem Mitleiden! Denn Viele sind zu dir unterwegs, viele Leidende, Zweifelnde, Verzweifelnde, Ertrinkende, Frierende –

    Ich warne dich auch vor mir. Du erriethest mein bestes, schlimmstes Räthsel, mich selber und was ich that. Ich kenne die Axt, die dich fällt.

    Aber er – musste sterben: er sah mit Augen, welche Alles sahn, – er sah des Menschen Tiefen und Gründe, alle seine verhehlte Schmach und Hässlichkeit.

    Sein Mitleiden kannte keine Scham: er kroch in meine schmutzigsten Winkel. Dieser Neugierigste, Über-Zudringliche, Über-Mitleidige musste sterben.

    Er sah immer mich: an einem solchen Zeugen wollte ich Rache haben – oder selber nicht leben.

    Der Gott, der Alles sah, auch den Menschen dieser Gott musste sterben! Der Mensch erträgt es nicht, dass solch ein Zeuge lebt.«

    Also, sprach der hässlichste Mensch. Zarathustra aber erhob sich und schickte sich an fortzugehn: denn ihn fröstelte bis in seine Eingeweide.

    »Du Unaussprechlicher, sagte er, du warntest mich vor deinem Wege. Zum Danke dafür lobe ich dir den meinen. Siehe, dort hinauf liegt die Höhle Zarathustra's.

    Meine Höhle ist gross und tief und hat viele Winkel; da findet der Versteckteste sein Versteck. Und dicht bei ihr sind hundert Schlüpfe und Schliche für kriechendes, flatterndes und springendes Gethier.

    Du Ausgestossener, der du dich selber ausstiessest, du willst nicht unter Menschen und Menschen-Mitleid wohnen? Wohlan, so thu's mir gleich! So lernst du auch von mir; nur der Thäter lernt.

    Und rede zuerst und -nächst mit meinen Thieren! Das stolzeste Thier und das klügste Thier – die möchten uns Beiden wohl die rechten Rathgeber sein!« – –

    Also sprach Zarathustra und gieng seiner Wege, nachdenklicher und langsamer noch als zuvor: denn er fragte sich Vieles und wusste sich nicht leicht zu antworten.

    »Wie arm ist doch der Mensch! dachte er in seinem Herzen, wie hässlich, wie röchelnd, wie voll verborgener Scham!

    Man sagt mir, dass der Mensch sich selber liebe: ach, wie gross muss diese Selber-Liebe sein! Wie viel Verachtung hat sie wider sich!

    Auch dieser da liebte sich, wie er sich verachtete, – ein grosser Liebender ist er mir und ein grosser Verächter.

    Keinen fand ich noch, der sich tiefer verachtet hätte: auch Das ist Höhe. Wehe, war Der vielleicht der höhere Mensch, dessen Schrei ich hörte?

    Ich liebe die grossen Verachtenden. Der Mensch aber ist Etwas, das überwunden werden muss.« – –

                                       Der freiwillige Bettler

    Als Zarathustra den hässlichsten Menschen verlassen hatte, fror ihn, und er fühlte sich einsam: es gieng ihm nämlich vieles Kalte und Einsame durch die Sinne, also, dass darob auch seine Glieder kälter wurden. Indem er aber weiter und weiter stieg, hinauf, hinab, bald an grünen Weiden vorbei, aber auch über wilde steinichte Lager, wo ehedem wohl ein ungeduldiger Bach sich zu Bett gelegt hatte.- da wurde ihm mit Einem Male wieder wärmer und herzlicher zu Sinne.

    »Was geschah mir doch? fragte er sich, etwas Warmes und Lebendiges erquickt mich, das muss in meiner Nähe sein.

    Schon bin ich weniger allein; unbewusste Gefährten und Brüder schweifen um mich, ihr warmer Athem rührt an meine Seele.«

    Als er aber um sich spähete und nach den Tröstern seiner Einsamkeit suchte: siehe, da waren es Kühe, welche auf einer Anhöhe bei einander standen; deren Nähe und Geruch hatten sein Herz erwärmt. Diese Kühe aber schienen mit Eifer einem Redenden zuzuhören und gaben nicht auf Den Acht, der herankam. Wie aber Zarathustra ganz in ihrer Nähe war, hörte er deutlich, dass eine Menschen-Stimme aus der Mitte der Kühe heraus redete; und ersichtlich hatten sie allesammt ihre Köpfe dem Redenden zugedreht.

    Da sprang Zarathustra mit Eifer hinauf und drängte die Thiere auseinander, denn er fürchtete, dass hier jemandem ein Leids geschehn sei, welchem schwerlich das Mitleid von Kühen abhelfen mochte. Aber darin hatte er sich getäuscht; denn siehe, da sass ein Mensch auf der Erde und schien den Thieren zuzureden, dass sie keine Scheu vor ihm haben sollten, ein friedfertiger Mensch und Berg-Prediger, aus dessen Augen die Güte selber predigte. »Was suchst du hier?« rief Zarathustra mit Befremden.

    »Was ich hier suche? antwortete er: das Selbe, was du suchst, du Störenfried! nämlich das Glück auf Erden.

    Dazu aber möchte ich von diesen Kühen lernen. Denn, weisst du wohl, einen halben Morgen schon rede ich ihnen zu, und eben wollten sie mir Bescheid geben. Warum doch störst du sie?

    So wir nicht umkehren und werden wie die Kühe, so kommen wir nicht in das Himmelreich. Wir sollten ihnen nämlich Eins ablernen: das Wiederkäuen.

    Und wahrlich, wenn der Mensch auch die ganze Welt gewönne und lernte das Eine nicht, das Wiederkäuen: was hülfe es! Er würde nicht seine Trübsal los

    – seine grosse Trübsal: die aber heisst heute Ekel. Wer hat heute von Ekel nicht Herz, Mund und Augen voll? Auch du! Auch du! Aber siehe doch diese Kühe an!« –

    Also sprach der Berg-Prediger und wandte dann seinen eignen Blick Zarathustra zu, – denn bisher hieng er mit Liebe an den Kühen –: da aber verwandelte er sich. »Wer ist das, mit dem ich rede? rief er erschreckt und sprang vom Boden empor.

    Diess ist der Mensch ohne Ekel, diess ist Zarathustra selber, der Überwinder des grossen Ekels, diess ist das Auge, diess ist der Mund, diess ist das Herz Zarathustra's selber.«

    Und indem er also sprach, küsste er Dem, zu welchem er redete, die Hände, mit überströmenden Augen, und gebärdete sich ganz als Einer, dem ein kostbares Geschenk und Kleinod unversehens vom Himmel fällt. Die Kühe aber schauten dem Allen zu und wunderten sich.

    »Sprich nicht von mir, du Wunderlicher! Lieblicher! sagte Zarathustra und wehrte seiner Zärtlichkeit, sprich mir erst von dir! Bist du nicht der freiwillige Bettler, der einst einen grossen Reichthum von sich warf, –
– der sich seines Reichthums schämte und der Reichen, und zu den Ärmsten floh, dass er ihnen seine Fülle und sein Herz schenke? Aber sie nahmen ihn nicht an.«

    »Aber sie nahmen mich nicht an, sagte der freiwillige Bettler, du weisst es ja. So gieng ich endlich zu den Thieren und zu diesen Kühen.«

    »Da lerntest du, unterbrach Zarathustra den Redenden, wie es schwerer ist, recht geben als recht nehmen, und dass gut schenken eine Kunst ist und die letzte listigste Meister-Kunst der Güte.«

    »Sonderlich heutzutage, antwortete der freiwillige Bettler: heute nämlich, wo alles Niedrige aufständisch ward und scheu und auf seine Art hoffährtig: nämlich auf Pöbel-Art.

    Denn es kam die Stunde, du weisst es ja, für den grossen schlimmen langen langsamen Pöbel- und Sklaven-Aufstand: der wächst und wächst!

    Nun empört die Niedrigen alles Wohlthun und kleine Weggeben; und die Überreichen mögen auf der Hut sein!

    Wer heute gleich bauchichten Flaschen tröpfelt aus allzuschmalen Hälsen: – solchen Flaschen bricht man heute gern den Hals.

    Lüsterne Gier, gallichter Neid, vergrämte Rachsucht, Pöbel-Stolz: das sprang mir Alles in's Gesicht. Es ist nicht mehr wahr, dass die Armen selig sind. Das Himmelreich aber ist bei den Kühen.«

    Und warum ist es nicht bei den Reichen? fragte Zarathustra versuchend, während er den Kühen wehrte, die den Friedfertigen zutraulich anschnauften.

    »Was versuchst du mich? antwortete dieser. Du weisst es selber besser noch als ich. Was trieb mich doch zu den Ärmsten, oh Zarathustra? War es nicht der Ekel vor unsern Reichsten?

    – vor den Sträflingen des Reichthums, welche sich ihren Vortheil aus jedem Kehricht auflesen, mit kalten Augen, geilen Gedanken, vor diesem Gesindel, das gen Himmel stinkt,

    – vor diesem vergüldeten verfälschten Pöbel, dessen Väter Langfinger oder Aasvögel oder Lumpensammler waren, mit Weibern willfährig, lüstern, vergesslich: – sie haben's nämlich alle nicht weit zur Hure –

    Pöbel oben, Pöbel unten! Was ist heute noch »Arm« und »Reich«! Diesen Unterschied verlernte ich, – da floh ich davon, weiter, immer weiter, bis ich zu diesen Kühen kam.«

    Also sprach der Friedfertige und schnaufte selber und schwitzte bei seinen Worten: also dass die Kühe sich von Neuem wunderten. Zarathustra aber sah ihm immer mit Lächeln in's Gesicht, als er so hart redete, und schüttelte dazu schweigend den Kopf.

    »Du thust dir Gewalt an, du Berg-Prediger, wenn du solche harte Worte brauchst. Für solche Härte wuchs dir nicht der Mund, nicht das Auge.

    Auch, wie mich dünkt, dein Magen selber nicht: dem widersteht all solches Zürnen und Hassen und Überschäumen. Dein Magen will sanftere Dinge: du bist kein Fleischer.

    Vielmehr dünkst du mich ein Pflanzler und Wurzelmann. Vielleicht malmst du Körner. Sicherlich aber bist du fleischlichen Freuden abhold und liebst den Honig.«

    »Du erriethst mich gut, antwortete der freiwillige Bettler, mit erleichtertem Herzen. Ich liebe den Honig, ich malme auch Körner, denn ich suchte, was lieblich mundet und reinen Athem macht:

    – auch was lange Zeit braucht, ein Tag- und Maul-Werk für sanfte Müssiggänger und Tagediebe.

    Am weitesten freilich brachten es diese Kühe: die erfanden sich das Wiederkäuen und In-der-Sonne-Liegen. Auch enthalten sie sich aller schweren Gedanken, welche das Herz blähn.«

    – Wohlan! sagte Zarathustra: du solltest auch meine Thiere sehn, meinen Adler und meine Schlange, – ihres Gleichen giebt es heute nicht auf Erden.

    Siehe, dorthin führt der Weg zu meiner Höhle: sei diese Nacht ihr Gast. Und rede mit meinen Thieren vom Glück der Thiere, –

    – bis ich selber heimkomme. Denn jetzt ruft ein Nothschrei Mich eilig weg von dir. Auch findest du neuen Honig bei mir, eisfrischen Waben-Goldhonig: den iss!

    Jetzt aber nimm flugs Abschied von deinen Kühen, du Wunderlicher! Lieblicher! ob es dir schon schwer werden mag. Denn es sind deine wärmsten Freunde und Lehrmeister!« –

    »- Einen ausgenommen, den ich noch lieber habe, antwortete der freiwillige Bettler. Du selber bist gut und besser noch als eine Kuh, oh Zarathustra!«

    »Fort, fort mit dir! du arger Schmeichler! schrie Zarathustra mit Bosheit, was verdirbst du mich mit solchem Lob und Schmeichel-Honig?«

    »Fort, fort von mir!« schrie er noch Ein Mal und schwang seinen Stock nach dem zärtlichen Bettler: der aber lief hurtig davon.

                                           Der Schatten

    Kaum aber war der freiwillige Bettler davongelaufen und Zarathustra wieder mit sich allein, da hörte er hinter sich eine neue Stimme: die rief »Halt! Zarathustra! So warte doch! Ich bin's ja, oh Zarathustra, ich, dein Schatten!« Aber Zarathustra wartete nicht, denn ein plötzlicher Verdruss überkam ihn ob des vielen Zudrangs und Gedrängs in seinen Bergen. »Wo ist meine Einsamkeit hin? sprach er.

    Es wird mir wahrlich zu viel; diess Gebirge wimmelt, mein Reich ist nicht mehr von dieser Welt, ich brauche neue Berge.

    Mein Schatten ruft mich? Was liegt an meinem Schatten! Mag er mir nachlaufen! ich – laufe ihm davon. –

    Also sprach Zarathustra zu seinem Herzen und lief davon. Aber Der, welcher hinter ihm war, folgte ihm nach: so dass alsbald drei Laufende hinter einander her waren, nämlich voran der freiwillige Bettler, dann Zarathustra und zudritt und -hinterst sein Schatten. Nicht lange liefen sie so, da kam Zarathustra zur Besinnung über seine Thorheit und schüttelte mit Einem Rucke allen Verdruss und Überdruss von sich.

    »Wie! sprach er, geschahen nicht von je die lächerlichsten Dinge bei uns alten Einsiedlern und Heiligen?

    Wahrlich, meine Thorheit wuchs hoch in den Bergen! Nun höre ich sechs alte Narren-Beine hinter einander her klappern!

    Darf aber Zarathustra sich wohl vor einem Schatten fürchten? Auch dünkt mich zu guterletzt, dass er längere Beine hat als ich.«

    Also sprach Zarathustra, lachend mit Augen und Eingeweiden, blieb stehen und drehte sich schnell herum – und siehe, fast warf er dabei seinen Nachfolger und Schatten zu Boden: so dicht schon folgte ihm derselbe auf den Fersen, und so schwach war er auch. Als er ihn nämlich mit Augen prüfte, erschrak er wie vor einem plötzlichen Gespenste: so dünn, schwärzlich, hohl und überlebt sah dieser Nachfolger aus.

    »Wer bist du? fragte Zarathustra heftig, was treibst du hier? Und wesshalb heissest du dich meinen Schatten? Du gefällst mir nicht.«

    »Vergieb mir, antwortete der Schatten, dass ich's bin; und wenn ich dir nicht gefalle, wohlan, oh Zarathustra! darin lobe ich dich und deinen guten Geschmack.

    Ein Wanderer bin ich, der viel schon hinter deinen Fersen her gieng: immer unterwegs, aber ohne Ziel, auch ohne Heim: also dass mir wahrlich wenig zum ewigen Juden fehlt, es sei denn, dass ich nicht ewig, und auch nicht Jude bin.

    Wie? Muss ich immerdar unterwegs sein? Von jedem Winde gewirbelt, unstät, fortgetrieben? Oh Erde, du wardst mir zu rund!

    Auf jeder Oberfläche sass ich schon, gleich müdem Staube schlief ich ein auf Spiegeln und Fensterscheiben: Alles nimmt von mir, Nichts giebt, ich werde dünn, – fast gleiche ich einem Schatten.

    Dir aber, oh Zarathustra, flog und zog ich am längsten nach, und, verbarg ich mich schon vor dir, so war ich doch dein bester Schatten: wo du nur gesessen hast, sass ich auch.

    Mit dir bin ich in fernsten, kältesten Welten umgegangen, einem Gespenste gleich, das freiwillig über Winterdächer und Schnee läuft.

    Mit dir strebte ich in jedes Verbotene, Schlimmste, Fernste: und wenn irgend Etwas an mir Tugend ist, so ist es, dass ich vor keinem Verbote Furcht hatte.

    Mit dir zerbrach ich, was je mein Herz verehrte, alle Grenzsteine und Bilder warf ich um, den gefährlichsten Wünschen lief ich nach, – wahrlich, über jedwedes Verbrechen lief ich einmal hinweg.

    Mit dir verlernte ich den Glauben an Worte und Werthe und grosse Namen. Wenn der Teufel sich häutet, fällt da nicht auch sein Name ab? der ist nämlich auch Haut. Der Teufel selber ist vielleicht – Haut.

    »Nichts ist wahr, Alles ist erlaubt«: so sprach ich mir zu. In die kältesten Wasser stürzte ich mich, mit Kopf und Herzen. Ach, wie oft stand ich darob nackt als rother Krebs da!

    Ach, wohin kam mir alles Gute und alle Scham und aller Glaube an die Guten! Ach, wohin ist jene verlogne Unschuld, die ich einst besass, die Unschuld der Guten und ihrer edlen Lügen!

    Zu oft, wahrlich, folgte ich der Wahrheit dicht auf dem Fusse: da trat sie mir vor den Kopf. Manchmal meinte ich zu lügen, und siehe! da erst traf ich – die Wahrheit.

    Zu Viel klärte sich mir auf: nun geht es mich Nichts mehr an. Nichts lebt mehr, das ich liebe, – wie sollte ich noch mich selber lieben?

    »Leben, wie ich Lust habe, oder gar nicht leben«: so will ich's, so will's auch der Heiligste. Aber, wehe! wie habe ich noch – Lust?

    Habe ich – noch ein Ziel? Einen Hafen, nach dem mein Segel läuft?

    Einen guten Wind? Ach, nur wer weiss, wohin er fährt, weiss auch, welcher Wind gut und sein Fahrwind ist.

    Was blieb mir noch zurück? Ein Herz müde und frech; ein unstäter Wille; Flatter-Flügel; ein zerbrochnes Rückgrat.

    Diess Suchen nach meinem Heim: oh Zarathustra, weisst du wohl, diess Suchen war meine Heimsuchung, es frisst mich auf.

    »Wo ist – mein Heim?« Darnach frage und suche und suchte ich, das fand ich nicht. Oh ewiges Überall, oh ewiges Nirgendwo, oh ewiges – Umsonst!«

    Also sprach der Schatten, und Zarathustra's Gesicht verlängerte sich bei seinen Worten. »Du bist mein Schatten! sagte er endlich, mit Traurigkeit.

    Deine Gefahr ist keine kleine, du freier Geist und Wanderer! Du hast einen schlimmen Tag gehabt: sieh zu, dass dir nicht noch ein schlimmerer Abend kommt!

    Solchen Unstäten, wie du, dünkt zuletzt auch ein Gefängniss selig. Sahst du je, wie eingefangne Verbrecher schlafen? Sie schlafen ruhig, sie gemessen ihre neue Sicherheit.

    Hüte dich, dass dich nicht am Ende noch ein enger Glaube einfängt, ein harter, strenger Wahn! Dich nämlich verführt und versucht nunmehr Jegliches, das eng und fest ist.

    Du hast das Ziel verloren: wehe, wie wirst du diesen Verlust verscherzen und verschmerzen? Damit – hast du auch den Weg verloren!

    Du armer Schweifender, Schwärmender, du müder Schmetterling! willst du diesen Abend eine Rast und Heimstätte haben? So gehe hinauf zu meiner Höhle!

    Dorthin führt der Weg zu meiner Höhle. Und jetzo will ich Schnell wieder von dir davonlaufen. Schon liegt es wie ein Schatten auf mir.

    Ich will allein laufen, dass es wieder hell um mich werde. Dazu muss ich noch lange lustig auf den Beinen sein. Des Abends aber wird bei mir – getanzt!« – –

    Also sprach Zarathustra.

                                                Mittags

    – Und Zarathustra lief und lief und fand Niemanden mehr und war allein und fand immer wieder sich und genoss und schlürfte seine Einsamkeit und dachte an gute Dinge, – stundenlang. Um die Stunde des Mittags aber, als die Sonne gerade über Zarathustra's Haupte stand, kam er an einem alten krummen und knorrichten Baume vorbei, der von der reichen Liebe eines Weinstocks rings umarmt und vor sich selber verborgen war: von dem hiengen gelbe Trauben in Fülle dem Wandernden entgegen. Da gelüstete ihn, einen kleinen Durst zu löschen und sich eine Traube abzubrechen; als er aber schon den Arm dazu ausstreckte, da gelüstete ihn etwas Anderes noch mehr: nämlich sich neben den Baum niederzulegen, um die Stunde des vollkommnen Mittags, und zu schlafen.

    Diess that Zarathustra; und sobald er auf dem Boden lag, in der Stille und Heimlichkeit des bunten Grases, hatte er auch schon seinen kleinen Durst vergessen und schlief ein. Denn, wie das Sprichwort Zarathustra's sagt: Eins ist nothwendiger als das Andre. Nur dass seine Augen offen blieben: – sie wurden nämlich nicht satt, den Baum und die Liebe des Weinstocks zu sehn und zu preisen. Im Einschlafen aber sprach Zarathustra also zu seinem Herzen:

    Still! Still! Ward die Welt nicht eben vollkommen? Was geschieht mir doch?

    Wie ein zierlicher Wind, ungesehn, auf getäfeltem Meere tanzt, leicht, federleicht: so – tanzt der Schlaf auf mir,

    Kein Auge drückt er mir zu, die Seele lässt er mir wach. Leicht ist er, wahrlich! federleicht.

    Er überredet mich, ich weiss nicht wie?, er betupft mich innewendig mit schmeichelnder Hand, er zwingt mich. Ja, er zwingt mich, dass meine Seele sich ausstreckt:

    – wie sie mir lang und müde wird, meine wunderliche Seele! Kam ihr eines siebenten Tages Abend gerade am Mittage? Wandelte sie zu lange schon selig zwischen guten und reifen Dingen?

    Sie streckt sich lang aus, lang, – länger! sie liegt stille, meine wunderliche Seele. Zu viel Gutes hat sie schon geschmeckt, diese. goldene Traurigkeit drückt sie, sie verzieht den Mund.

    – Wie ein Schiff, das in seine stillste Bucht einlief: – nun lehnt es sich an die Erde, der langen Reisen müde und der ungewissen Meere. Ist die Erde nicht treuer?

    Wie solch ein Schiff sich dem Lande anlegt, anschmiegt: – da genügt's, dass eine Spinne vom Lande her zu ihm ihren Faden spinnt. Keiner stärkeren Taue bedarf es da.

    Wie solch ein müdes Schiff in der stillsten Bucht: so ruhe auch ich nun der Erde nahe, treu, zutrauend, wartend, mit den leisesten Fäden ihr angebunden.

    Oh Glück! Oh Glück! Willst du wohl singen, oh meine Seele? Du liegst im Grase. Aber das ist die heimliche feierliche Stunde, wo kein Hirt seine Flöte bläst.

    Scheue dich! Heisser Mittag schläft auf den Fluren. Singe. nicht! Still! Die Welt ist vollkommen.

    Singe nicht, du Gras-Geflügel, oh meine Seele! Flüstere nicht einmal! Sieh doch – still! der alte Mittag schläft, er bewegt den Mund: trinkt er nicht eben einen Tropfen Glücks –

    – einen alten braunen Tropfen goldenen Glücks, goldenen Weins? Es huscht über ihn hin, sein Glück lacht. So – lacht ein Gott. Still! –

    – »Zum Glück, wie wenig genügt schon zum Glücke!« So sprach ich einst, und dünkte mich klug. Aber es war eine Lästerung: das lernte ich nun. Kluge Narrn reden besser.

    Das Wenigste gerade, das Leiseste, Leichteste, einer Eidechse Rascheln, ein Hauch, ein Husch, ein Augen-Blidk – Wenig macht die Art des besten Glücks. Still!

    – Was geschah mir: Horch! Flog die Zeit wohl davon? Falle ich nicht? Fiel ich nicht – horch! in den Brunnen der Ewigkeit?

    – Was geschieht mir? Still! Es sticht mich – wehe – in's Herz? In's Herz! Oh zerbrich, zerbrich, Herz, nach solchem Glücke, nach solchem Stiche!

    – Wie? Ward die Welt nicht eben vollkommen? Rund und reif? Oh des goldenen runden Reifs – wohin fliegt er wohl? Laufe ich ihm nach! Husch!

    Still – – (und hier dehnte sich Zarathustra und fühlte, dass er schlafe.) –

    Auf! sprach er zu sich selber, du Schläfer! Du Mittagsschläfer! Wohlan, wohlauf, ihr alten Beine! Zeit ist's und Überzeit, manch gut Stück Wegs blieb euch noch zurück –

    Nun schlieft ihr euch aus, wie lange doch? Eine halbe Ewigkeit! Wohlan, wohlauf nun, mein altes Herz! Wie lange erst darfst du nach solchem Schlaf – dich auswachen?

    (Aber da schlief er schon von Neuem ein, und seine Seele sprach gegen ihn und wehrte sich und legte sich wieder hin) – »Lass mich doch! Still! Ward nicht die Welt eben vollkommen? Oh des goldnen runden Balls!« –

    »Steh auf, sprach Zarathustra, du kleine Diebin, du Tagediebin! Wie? Immer noch sich strecken, gähnen, seufzen, hinunterfallen in tiefe Brunnen?

    Wer bist du doch! Oh meine Seele!« (und hier erschrak er, denn ein Sonnenstrahl fiel vom Himmel herunter auf sein Gesicht)

    »Oh Himmel über mir, sprach er seufzend und setzte sich aufrecht, du schaust mir zu? Du horchst meiner wunderlichen Seele zu?

    Wann trinkst du diesen Tropfen Thau's, der auf alle Erden-Dinge niederfiel, – wann trinkst du diese wunderliche Seele –

    – wann, Brunnen der Ewigkeit! du heiterer schauerlicher Mittags-Abgrund! wann trinkst du meine Seele in dich zurück?«

    Also sprach Zarathustra und erhob sich von seinem Lager am Baume wie aus einer fremden Trunkenheit: und siehe, da stand die Sonne immer noch gerade über seinem Haupte. Es möchte aber Einer daraus mit Recht abnehmen, dass Zarathustra damals nicht lange geschlafen habe.

                                        Die Begrüssung

    Am späten Nachmittage war es erst, dass Zarathustra, nach langem umsonstigen Suchen und Umherstreifen, wieder zu seiner Höhle heimkam. Als er aber derselben gegenüberstand, nicht zwanzig Schritt mehr von ihr ferne, da geschah das, was er jetzt am wenigsten erwartete: von Neuem hörte er den grossen Nothschrei. Und, erstaunlich! diess Mal kam derselbige aus seiner eignen Höhle. Es war aber ein langer vielfältiger seltsamer Schrei, und Zarathustra unterschied deutlich, dass er sich aus vielen Stimmen zusammensetze: mochte er schon, aus der Ferne gehört, gleich dem Schrei aus einem einzigen Munde klingen.

    Da sprang Zarathustra auf seine Höhle zu, und siehe! welches Schauspiel erwartete ihn erst nach diesem Hörspiele! Denn da sassen sie allesammt bei einander, an denen er des Tags vorübergegangen war: der König zur Rechten und der König zur Linken, der alte Zauberer, der Papst, der freiwillige Bettler, der Schatten, der Gewissenhafte des Geistes, der traurige Wahrsager und der Esel; der hässlichste Mensch aber hatte sich eine Krone aufgesetzt und zwei Purpurgürtel umgeschlungen, – denn er liebte es, gleich allen Hässlichen, sich zu verkleiden und schön zu thun. Inmitten aber dieser betrübten Gesellschaft stand der Adler Zarathustra's, gesträubt und unruhig, denn er sollte auf zu Vieles antworten, wofür sein Stolz keine Antwort hatte; die kluge Schlange aber hieng um seinen Hals.

    Diess Alles schaute Zarathustra mit grosser Verwunderung; dann prüfte er jeden Einzelnen seiner Gäste mit leutseliger Neugierde, las ihre Seelen ab und wunderte sich von Neuem. Inzwischen hatten sich die Versammelten von ihren Sitzen erhoben und warteten mit Ehrfurcht, dass Zarathustra reden werde. Zarathustra aber sprach also:

    »Ihr Verzweifelnden! Ihr Wunderlichen! Ich hörte also euren Nothschrei? Und nun weiss ich auch, wo Der zu suchen ist, den ich umsonst heute suchte: der höhere Mensch – :

    – in meiner eignen Höhle sitzt er, der höhere Mensch! Aber was wundere ich mich! Habe ich ihn nicht selber zu mir gelockt durch Honig-Opfer und listige Lockrufe meines Glücks?

    Doch dünkt mir, ihr taugt euch schlecht zur Gesellschaft, ihr macht einander das Herz unwirsch, ihr Nothschreienden, wenn ihr hier beisammen sitzt? Es muss erst Einer kommen,

    – Einer, der euch wieder lachen macht, ein guter fröhlicher Hanswurst, ein Tänzer und Wind und Wildfang, irgend ein alter Narr: – was dünket euch?

    Vergebt mir doch, ihr Verzweifelnden, dass ich vor euch mit solch kleinen Worten rede, unwürdig, wahrlich!, solcher Gäste! Aber ihr errathet nicht, was mein Herz muthwillig macht: –

    – ihr selber thut es und euer Anblick, vergebt es mir! Jeder nämlich wird muthig, der einem Verzweifelnden zuschaut. Einem Verzweifelnden zuzusprechen – dazu dünkt sich jeder stark genug.

    Mir selber gabt ihr diese Kraft, – eine gute Gabe, meine hohen Gäste! Ein rechtschaffnes Gastgeschenk! Wohlan, so zürnt nun nicht, dass ich euch auch vom Meinigen anbiete.

    Diess hier ist mein Reich und meine Herrschaft: was aber mein ist, für diesen Abend und diese Nacht soll es euer sein. Meine Thiere sollen euch dienen: meine Höhle sei eure Ruhestatt!

    Bei mir zu Heim-und-Hause soll Keiner verzweifeln, in meinem Reviere schütze ich jeden vor seinen wilden Thieren. Und das ist das Erste, was ich euch anbiete: Sicherheit!

    Das Zweite aber ist: mein kleiner Finger. Und habt ihr den erst, so nehmt nur noch die ganze Hand, wohlan! und das Herz dazu! Willkommen hier, willkommen, meine Gastfreunde!«

    Also sprach Zarathustra und lachte vor Liebe und Bosheit. Nach dieser Begrüssung verneigten sich seine Gäste abermals und schwiegen ehrfürchtig; der König zur Rechten aber antwortete ihm in ihrem Namen.

    »Daran, oh Zarathustra, wie du uns Hand und Gruss botest, erkennen wir dich als Zarathustra. Du erniedrigtest dich vor uns; fast thatest du unserer Ehrfurcht wehe

    – wer aber vermochte gleich dir sich mit solchem Stolze zu erniedrigen? Das richtet uns selber auf, ein Labsal ist es unsern Augen und Herzen.

    Diess allein nur zu schaun, stiegen gern wir auf höhere Berge, als dieser Berg ist. Als Schaulustige nämlich kamen wir, wir wollten sehn, was trübe Augen hell macht.

    Und siehe, schon ist es vorbei mit allem unsern Nothschrein. Schon steht Sinn und Herz uns offen und ist entzückt. Wenig fehlt: und unser Muth wird muthwillig.

    Nichts, oh Zarathustra, wächst Erfreulicheres auf Erden, als ein hoher starker Wille: der ist ihr schönstes Gewächs. Eine ganze Landschaft erquickt sich an Einem solchen Baume.

    Der Pinie vergleiche ich, wer gleich dir, oh Zarathustra, aufwächst: lang, schweigend, hart, allein, besten biegsamsten Holzes, herrlich, –

    – zuletzt aber hinausgreifend mit starken grünen Ästen nach seiner Herrschaft, starke Fragen fragend vor Winden und Wettern und was immer auf Höhen heimisch ist,

    – stärker antwortend, ein Befehlender, ein Siegreicher: oh wer sollte nicht, solche Gewächse zu schaun, auf hohe Berge steigen?

    Deines Baumes hier, oh Zarathustra, erlabt sich auch der Düstere, der Missrathene, an deinem Anblicke wird auch der Unstäte sicher und heilt sein Herz.

    Und wahrlich, zu deinem Berge und Baume richten sich heute viele Augen; eine grosse Sehnsucht hat sich aufgemacht, und Manche lernten fragen: wer ist Zarathustra?

    Und wem du jemals dein Lied und deinen Honig in's Ohr geträufelt: alle die Versteckten, die Einsiedler, die Zweisiedler sprachen mit Einem Male zu ihrem Herzen:

    »Lebt Zarathustra noch? Es lohnt sich nicht mehr zu leben, Alles ist gleich, Alles ist umsonst: oder – wir müssen mit Zarathustra leben!«

    »Warum kommt er nicht, der sich so lange ankündigte? also fragen Viele; verschlang ihn die Einsamkeit? Oder sollen wir wohl zu ihm kommen?«

    Nun geschieht's, dass die Einsamkeit selber mürbe wird und zerbricht, einem Grabe gleich, das zerbricht und seine Todten nicht mehr halten kann. Überall sieht man Auferstandene.

    Nun steigen und steigen die Wellen um deinen Berg, oh Zarathustra. Und wie hoch auch deine Höhe ist, Viele müssen zu dir hinauf; dein Nachen soll nicht lange mehr im Trocknen sitzen.

    Und dass wir Verzweifelnde jetzt in deine Höhle kamen und schon nicht mehr verzweifeln: ein Wahr- und Vorzeichen ist es nur, davon, dass Bessere zu dir unterwegs sind, –

    – denn er selber ist zu dir unterwegs, der letzte Rest Gottes unter Menschen, das ist: alle die Menschen der grossen Sehnsucht, des grossen Ekels, des grossen Überdrusses,

    – Alle, die nicht leben wollen, oder sie lernen wieder hoffen – oder sie lernen von dir, oh Zarathustra, die grosse Hoffnung!«

    Also sprach der König zur Rechten und ergriff die Hand Zarathustra's, um sie zu küssen; aber Zarathustra wehrte seiner Verehrung und trat erschreckt zurück, schweigend und plötzlich wie in weite Fernen entfliehend. Nach einer kleinen Weile aber war er schon wieder bei seinen Gästen, blickte sie mit hellen, prüfenden Augen an und sprach:

    Meine Gäste, ihr höheren Menschen, ich will deutsch und deutlich mit euch reden. Nicht auf euch wartete ich hier in diesen Bergen.

    (»Deutsch und deutlich? Dass Gott erbarm! sagte hier der König zur Linken, bei Seite; man merkt, er kennt die lieben Deutschen nicht, dieser Weise aus dem Morgenlande!

    Aber er meint »deutsch und derb« – wohlan! Das ist heutzutage noch nicht der schlimmste Geschmack!«)

    »Ihr mögt wahrlich insgesammt höhere Menschen sein, fuhr Zarathustra fort: aber für mich – seid ihr nicht hoch und stark genug.

    Für mich, das heisst: für das Unerbittliche, das in mir schweigt, aber nicht immer schweigen wird. Und gehört ihr zu mir, so doch nicht als mein rechter Arm.

    Wer nämlich selber auf kranken und zarten Beinen steht, gleich euch, der will vor Allem, ob er's weiss oder sich verbirgt: dass er geschont werde.

    Meine Arme und meine Beine aber schone ich nicht, ich schone meine Krieger nicht: wieso könntet ihr zu meinem Kriege taugen?

    Mit euch verdürbe ich mir jeden Sieg noch. Und Mancher von euch fiele schon um, wenn er nur den lauten Schall meiner Trommeln hörte.

    Auch seid ihr mir nicht schön genug und wohlgeboren. Ich brauche reine glatte Spiegel für meine Lehren; auf eurer Oberfläche verzerrt sich noch mein eignes Bildniss.

    Eure Schultern drückt manche Last, manche Erinnerung; manch schlimmer Zwerg hockt in euren Winkeln. Es giebt verborgenen Pöbel auch in euch.

    Und seid ihr auch hoch und höherer Art: Vieles an euch ist krumm und missgestalt. Da ist kein Schmied in der Welt, der euch mir zurecht und gerade schlüge.

    Ihr seid nur Brücken: mögen Höhere auf euch hinüber schreiten! Ihr bedeutet Stufen: so zürnt Dem nicht, der über euch hinweg in seine Höhe steigt!

    Aus eurem Samen mag auch mir einst ein ächter Sohn und vollkommener Erbe wachsen: aber das ist ferne. Ihr selber seid Die nicht, welchen mein Erbgut und Name zugehört.

    Nicht auf euch warte ich hier in diesen Bergen, nicht mit euch darf ich zum letzten Male niedersteigen. Als Vorzeichen kamt ihr mir nur, dass schon Höhere zu mir unterwegs sind,

    – nicht die Menschen der grossen Sehnsucht, des grossen Ekels, des grossen Überdrusses und Das, was ihr den Überrest Gottes nanntet.

    – Nein! Nein! Drei Mal Nein! Auf Andere warte ich hier in diesen Bergen und will meinen Fuss nicht ohne sie von dannen heben,

    – auf Höhere, Stärkere, Sieghaftere, Wohlgemuthere, Solche, die rechtwinklig gebaut sind an Leib und Seele: lachende Löwen müssen kommen!

    Oh, meine Gastfreunde, ihr Wunderlichen, – hörtet ihr noch Nichts von meinen Kindern? Und dass sie zu mir unterwegs sind?

    Sprecht mir doch von meinen Gärten, von meinen glückseligen Inseln, von meiner neuen schönen Art, – warum sprecht ihr mir nicht davon?

    Diess Gastgeschenk erbitte ich mir von eurer Liebe, dass ihr mir von meinen Kindern sprecht. Hierzu bin ich reich, hierzu ward ich arm: was gab ich nicht hin,

    – was gäbe ich nicht hin, dass ich Eins hätte: diese Kinder, diese lebendige Pflanzung, diese Lebensbäume meines Willens und meiner höchsten Hoffnung!«

    Also sprach Zarathustra und hielt plötzlich inne in seiner Rede: denn ihn überfiel seine Sehnsucht, und er schloss Augen und Mund vor der Bewegung seines Herzens. Und auch alle seine Gäste schwiegen und standen still und bestürzt: nur dass der alte Wahrsager mit Händen und Gebärden Zeichen gab.

                                  Das Abendmahl

    An dieser Stelle nämlich unterbrach der Wahrsager die Begrüssung Zarathustra's und seiner Gäste: er drängte sich vor, wie Einer, der keine Zeit zu verlieren hat, fasste die Hand Zarathustra's und rief: »Aber Zarathustra!

    Eins ist nothwendiger als das Andre, so redest du selber: wohlan, Eins ist mir jetzt nothwendiger als alles Andere.

    Ein Wort zur rechten Zeit: hast du mich nicht zum Mahle eingeladen? Und hier sind viele, die lange Wege machten. Du willst uns doch nicht mit Reden abspeisen?

    Auch gedachtet ihr Alle mir schon zu viel des Erfrierens, Ertrinkens, Erstickens und andrer Leibes-Nothstände: Keiner aber gedachte meines Nothstandes, nämlich des Verhungerns –«

    (Also sprach der Wahrsager; wie die Thiere Zarathustra's aber diese Worte hörten, liefen sie vor Schrecken davon. Denn sie sahen, dass was sie auch am Tage heimgebracht hatten, nicht genug sein werde, den Einen Wahrsager zu stopfen.)

    »Eingerechnet das Verdursten, fuhr der Wahrsager fort. Und ob ich schon Wasser hier plätschern höre, gleich Reden der Weisheit, nämlich reichlich und unermüdlich: ich – will Wein!

    Nicht jeder ist gleich Zarathustra ein geborner Wassertrinker. Wasser taugt auch nicht für Müde und Verwelkte: uns gebührt Wein, – der erst giebt plötzliches Genesen und stegreife Gesundheit!«

    Bei dieser Gelegenheit, da der Wahrsager nach Wein begehrte, geschah es, dass auch der König zur Linken, der Schweigsame, einmal zu Worte kam. »Für Wein, sprach er, trugen wir Sorge, ich sammt meinem Bruder, dem Könige zur Rechten: wir haben Weins genug, – einen ganzen Esel voll. So fehlt Nichts als Brod.«

    »Brod? entgegnete Zarathustra und lachte dazu. Nur gerade Brod haben Einsiedler nicht. Aber der Mensch lebt nicht vom Brod allein, sondern auch vom Fleische guter Lämmer, deren ich zwei habe:

    – Die soll man geschwinde schlachten und würzig, mit Salbei, zubereiten: so liebe ich's. Und auch an Wurzeln und Früchten fehlt es nicht, gut genug selbst für Lecker- und Schmeckerlinge; noch an Nüssen und andern Räthseln zum Knacken.

    Also wollen wir in Kürze eine gute Mahlzeit machen. Wer aber mit essen will, muss auch mit Hand anlegen, auch die Könige. Bei Zarathustra nämlich darf auch ein König Koch sein.«

    Mit diesem Vorschlage war Allen nach dem Herzen geredet: nur dass der freiwillige Bettler sich gegen Fleisch und Wein und Würzen sträubte.

    »Nun hört mir doch diesen Schlemmer Zarathustra! sagte er scherzhaft: geht man dazu in Höhlen und Hoch-Gebirge, dass man solche Mahlzeiten macht?

    Nun freilich verstehe ich, was er einst uns lehrte: »Gelobt sei die kleine Armuth!« Und warum er die Bettler abschaffen will.«

    »Sei guter Dinge, antwortete ihm Zarathustra, wie ich es bin. Bleibe bei deiner Sitte, du Trefflicher, malme deine Körner, trink dein Wasser, lobe deine Küche: wenn sie dich nur fröhlich macht!

    Ich bin ein Gesetz nur für die Meinen, ich bin kein Gesetz für Alle. Wer aber zu mir gehört, der muss von starken Knochen sein, auch von leichten Füssen, –

    – lustig zu Kriegen und Festen, kein Düsterling, kein Traum-Hans, bereit zum Schwersten wie zu seinem Feste, gesund und heil.

    Das Beste gehört den Meinen und mir; und giebt man's uns nicht, so nehmen wir's: – die beste Nahrung, den reinsten Himmel, die stärksten Gedanken, die schönsten Fraun!« –

    Also sprach Zarathustra; der König zur Rechten aber entgegnete: »Seltsam! Vernahm man je solche kluge Dinge aus dem Munde eines Weisen?

    Und wahrlich, das ist das Seltsamste an einem Weisen, wenn er zu alledem auch noch klug und kein Esel ist.«

    Also sprach der König zur Rechten und wunderte sich; der Esel aber sagte zu seiner Rede mit bösem Willen I-A. Diess aber war der Anfang von jener langen Mahlzeit, welche »das Abendmahl« in den Historien-Büchern genannt wird. Bei derselben aber wurde von nichts Anderem geredet als vom höheren Menschen.

                                    Vom höheren Menschen
                                                        1

    Als ich zum ersten Male zu den Menschen kam, da that ich die Einsiedler-Thorheit, die grosse Thorheit: ich stellte mich auf den Markt.

    Und als ich zu Allen redete, redete ich zu Keinem. Des Abends aber waren Seiltänzer meine Genossen, und Leichname; und ich selber fast ein Leichnam.

    Mit dem neuen Morgen aber kam mir eine neue Wahrheit: da lernte ich sprechen »Was geht mich Markt und Pöbel und Pöbel-Lärm und lange Pöbel-Ohren an!«

    Ihr höheren Menschen, Diess lernt von mir: auf dem Markt glaubt Niemand an höhere Menschen. Und wollt ihr dort reden, wohlan! Der Pöbel aber blinzelt »wir sind Alle gleich.«

    »Ihr höheren Menschen, – so blinzelt der Pöbel – es giebt keine höheren Menschen, wir sind Alle gleich, Mensch ist Mensch, vor Gott – sind wir Alle gleich!«

    Vor Gott! – Nun aber starb dieser Gott. Vor dem Pöbel aber wollen wir nicht gleich sein. Ihr höheren Menschen, geht weg vom Markt!

                                                        2

    Vor Gott! – Nun aber starb dieser Gott! Ihr höheren Menschen, dieser Gott war eure grösste Gefahr.

    Seit er im Grabe liegt, seid ihr erst wieder auferstanden. Nun erst kommt der grosse Mittag, nun erst wird der höhere Mensch – Herr!

    Verstandet ihr diess Wort, oh meine Brüder? Ihr seid erschreckt: wird euren Herzen schwindlig? Klafft euch hier der Abgrund? Kläfft euch hier der Höllenhund?

    Wohlan! Wohlauf! Ihr höheren Menschen! Nun erst kreisst der Berg der Menschen-Zukunft. Gott starb: nun wollen wir, – dass der Übermensch lebe.

                                                        3

    Die Sorglichsten fragen heute: »wie bleibt der Mensch erhalten?« Zarathustra aber fragt als der Einzige und Erste: »wie wird der Mensch überwunden?«

    Der Übermensch liegt mir am Herzen, der ist mein Erstes und Einziges, – und nicht der Mensch: nicht der Nächste, nicht der Ärmste, nicht der Leidendste, nicht der Beste –

    Oh meine Brüder, was ich lieben kann am Menschen, das ist, dass er ein Übergang ist und ein Untergang. Und auch an euch ist vieles, das mich lieben und hoffen macht.

    Dass ihr verachtetet, ihr höheren Menschen, das macht mich hoffen. Die grossen Verachtenden nämlich sind die grossen Verehrenden.

    Dass ihr verzweifeltet, daran ist Viel zu ehren. Denn ihr lerntet nicht, wie ihr euch ergäbet, ihr lerntet die kleinen Klugheiten nicht.

    Heute nämlich wurden die kleinen Leute Herr: die predigen Alle Ergebung und Bescheidung und Klugheit und Fleiss und Rücksicht und das lange Und-so-weiter der kleinen Tugenden.

    Was von Weibsart ist, was von Knechtsart stammt und sonderlich der Pöbel-Mischmasch: Das will nun Herr werden alles Menschen-Schicksals – oh Ekel! Ekel! Ekel!

    Das frägt und frägt und wird nicht müde: »Wie erhält sich der Mensch, am besten, am längsten, am angenehmsten?« Damit – sind sie die Herrn von Heute.

    Diese Herrn von Heute überwindet mir, oh meine Brüder, – diese kleinen Leute: die sind des Übermenschen grösste Gefahr!

    »Überwindet mir, ihr höheren Menschen, die kleinen Tugenden, die kleinen Klugheiten, die Sandkorn-Rücksichten, den Ameisen-Kribbelkram, das erbärmliche Behagen, das »Glück der Meisten« –!

    Und lieber verzweifelt, als dass ihr euch ergebt. Und, wahrlich, ich liebe euch dafür, dass ihr heute nicht zu leben wisst, ihr höheren Menschen! So nämlich lebt ihr – am Besten!

                                                        4

    Habt ihr Muth, oh meine Brüder? Seid ihr herzhaft? Nicht Muth vor Zeugen, sondern Einsiedler- und Adler-Muth, dem auch kein Gott mehr zusieht?

    Kalte Seelen, Maulthiere, Blinde, Trunkene heissen mir nicht herzhaft. Herz hat, wer Furcht kennt, aber Furcht zwingt, er den Abgrund sieht, aber mit Stolz.

    Wer den Abgrund sieht, aber mit Adlers-Augen, wer mit Adlers-Krallen den Abgrund fasst: Der hat Muth. – –

                                                        5

    »Der Mensch ist böse« – so sprachen mir zum Troste alle Weisesten. Ach, wenn es heute nur noch wahr ist! Denn das Böse ist des Menschen beste Kraft.

    »Der Mensch muss besser und böser werden« – so lehre ich. Das Böseste ist nöthig zu des Übermenschen Bestem.

    Das mochte gut sein für jenen Prediger der kleinen Leute, dass er litt und trug an des Menschen Sünde. Ich aber erfreue mich der grossen Sünde als meines grossen Trostes. –

    Solches ist aber nicht für lange Ohren gesagt. Jedwedes Wort gehört auch nicht in jedes Maul. Das sind feine ferne Dinge: nach denen sollen nicht Schafs-Klauen greifen!

                                                        6

    Ihr höheren Menschen, meint ihr, ich sei da, gut zu machen, was ihr schlecht machtet?

    Oder ich wollte fürderhin euch Leidende bequemer betten? Oder euch Unstäten, Verirrten, Verkletterten neue leichtere Fusssteige zeigen?

    Nein! Nein! Drei Mal Nein! Immer Mehr, immer Bessere eurer Art sollen zu Grunde gehn, – denn ihr sollt es immer schlimmer und härter haben. So allein –

    – so allein wächst der Mensch in die Höhe, wo der Blitz ihn trifft und zerbricht: hoch genug für den Blitz!

    Auf Weniges, auf Langes, auf Fernes geht mein Sinn und meine Sehnsucht: was gienge mich euer kleines, vieles, kurzes Elend an!

    Ihr leidet mir noch nicht genug! Denn ihr leidet an euch, ihr littet noch nicht am Menschen. Ihr würdet lügen, wenn ihr's anders sagtet! Ihr leidet Alle nicht, woran ich litt. – –

                                                        7

    Es ist mir nicht genug, dass der Blitz nicht mehr schadet. Nicht ableiten will ich ihn: er soll lernen für mich – arbeiten. –

    Meine Weisheit sammlet sich lange schon gleich einer Wolke, sie wird stiller und dunkler. So thut jede Weisheit, welche einst Blitze gebären soll. –

    Diesen Menschen von Heute will ich nicht Licht sein, nicht Licht heissen. Die – will ich blenden: Blitz meiner Weisheit! Stich ihnen die Augen aus!

                                                        8

    Wollt Nichts über euer Vermögen: es giebt eine schlimme Falschheit bei Solchen, die über ihr Vermögen wollen.

    Sonderlich, wenn sie grosse Dinge wollen! Denn sie wecken Misstrauen gegen grosse Dinge, diese feinen Falschmünzer und Schauspieler: –

    – bis sie endlich falsch vor sich selber sind, schieläugig, übertünchter Wurmfrass, bemäntelt durch starke Worte, durch Aushänge-Tugenden, durch glänzende falsche Werke.

    Habt da eine gute Vorsicht, ihr höheren Menschen! Nichts nämlich gilt mir heute kostbarer und seltner als Redlichkeit.

    Ist diess Heute nicht des Pöbels? Pöbel aber weiss nicht, was gross, was klein, was gerade und redlich ist: der ist unschuldig krumm, der lügt immer.

                                                        9

    Habt heute ein gutes Misstrauen, ihr höheren Menschen, ihr Beherzten! Ihr Offenherzigen! Und haltet eure Gründe geheim! Diess Heute nämlich ist des Pöbels.

    Was der Pöbel ohne Gründe einst glauben lernte, wer könnte ihm durch Gründe Das – umwerfen?

    Und auf dem Markte überzeugt man mit Gebärden. Aber Gründe machen den Pöbel misstrauisch.

    Und wenn da einmal Wahrheit zum Siege kam, so fragt euch Mit gutem Misstrauen: »welch starker Irrthum hat für sie gekämpft?«

    Hütet euch auch vor den Gelehrten! Die hassen euch: denn sie sind unfruchtbar! Sie haben kalte vertrocknete Augen, vor ihnen liegt jeder Vogel entfedert.

    Solche brüsten sich damit, dass sie nicht lügen: aber Ohnmacht zur Lüge ist lange noch nicht Liebe zur Wahrheit. Hütet euch!

    Freiheit von Fieber ist lange noch nicht Erkenntniss! Ausgekälteten Geistern glaube ich nicht. Wer nicht lügen kann, weiss nicht, was Wahrheit ist.

                                                        10

    Wollt ihr hoch hinaus, so braucht die eignen Beine! Lasst euch nicht empor tragen, setzt euch nicht auf fremde Rükken und Köpfe!

    Du aber stiegst zu Pferde? Du reitest nun hurtig hinauf zu deinem Ziele? Wohlan, mein Freund! Aber dein lahmer Fuss sitzt auch mit zu Pferde!

    Wenn du an deinem Ziele bist, wenn du von deinem Pferde springst: auf deiner Höhe gerade, du höherer Mensch – wirst du stolpern!

                                                        11

    Ihr Schaffenden, ihr höheren Menschen! Man ist nur für das eigne Kind schwanger.

    Lasst euch Nichts vorreden, einreden! Wer ist denn euer Nächster? Und handelt ihr auch »für den Nächsten«, – ihr schafft doch nicht für ihn!

    Verlernt mir doch diess »Für«, ihr Schaffenden: eure Tugend gerade will es, dass ihr kein Ding mit »für« und »um« und »weil« thut. Gegen diese falschen kleinen Worte sollt ihr euer Ohr zukleben.

    Das »für den Nächsten« ist die Tugend nur der kleinen Leute: da heisst es »gleich und gleich« und »Hand wäscht Hand«: – sie haben nicht Recht noch Kraft zu eurem Eigennutz!

    In eurem Eigennutz, ihr Schaffenden, ist der Schwangeren Vorsicht und Vorsehung! Was Niemand noch mit Augen sah, die Frucht: die schirmt und schont und nährt eure ganze Liebe.

    Wo eure ganze Liebe ist, bei eurem Kinde, da ist auch eure ganze Tugend! Euer Werk, euer Wille ist euer »Nächster«: lasst euch keine falschen Werthe einreden!

                                                        12

    Fragt die Weiber: man gebiert nicht, weil es Vergnügen macht. Der Schmerz macht Hühner und Dichter gackern.

    Ihr Schaffenden, an euch ist viel Unreines. Das macht, ihr musstet Mütter sein.

    Ein neues Kind: oh wie viel neuer Schmutz kam auch zur Welt! Geht bei Seite! Und wer geboren hat, soll seine Seele rein waschen!

                                                        13

    Seid nicht tugendhaft über eure Kräfte! Und wollt Nichts von euch wider die Wahrscheinlichkeit!

    Geht in den Fusstapfen, wo schon eurer Väter Tugend gierig! Wie wolltet ihr hoch steigen, wenn nicht eurer Väter Wille mit euch steigt?

    Wer aber Erstling sein will, sehe zu, dass er nicht auch Letztling werde! Und wo die Laster eurer Väter sind, darin sollt ihr nicht Heilige bedeuten wollen!

    Wessen Väter es mit Weibern hielten und mit starken Weinen und Wildschweinen: was wäre es, wenn Der von sich Keuschheit wollte?

    Eine Narrheit wäre es! Viel, wahrlich, dünkt es mich für einen Solchen, wenn er Eines oder zweier oder dreier Weiber Mann ist.

    Und stiftete er Klöster und schriebe über die Thür: »der Weg zum Heiligen,« – ich spräche doch: wozu! es ist eine neue Narrheit!

    Er stiftete sich selber ein Zucht- und Fluchthaus: wohl bekomm's! Aber ich glaube nicht daran.

    In der Einsamkeit wächst, was Einer in sie bringt, auch das innere Vieh. Solchergestalt widerräth sich Vielen die Einsamkeit.

    Gab es Schmutzigeres bisher auf Erden als Wüsten-Heilige? Um die herum war nicht nur der Teufel los, – sondern auch das Schwein.

                                                        14

    Scheu, beschämt, ungeschickt, einem Tiger gleich, dem der Sprung missrieth: also, ihr höheren Menschen, sah ich oft euch bei Seite schleichen. Ein Wurf missrieth euch.

    Aber, ihr Würfelspieler, was liegt daran! Ihr lerntet nicht spielen und spotten, wie man spielen und spotten muss! Sitzen wir nicht immer an einem grossen Spott- und Spieltische?

    Und wenn euch Grosses missrieth, seid ihr selber darum – missrathen? Und missriethet ihr selber, missrieth darum – der Mensch? Missrieth aber der Mensch: wohlan! wohlauf!

                                                        15

    Je höher von Art, je seltener geräth ein Ding. Ihr höheren Menschen hier, seid ihr nicht alle – missgerathen?

    Seid guten Muths, was liegt daran! Wie Vieles ist noch möglich! Lernt über euch selber lachen, wie man lachen muss!

    Was Wunders auch, dass ihr missriethet und halb geriethet, ihr Halb-Zerbrochenen! Drängt und stösst sich nicht in euch – des Menschen Zukunft?

    Des Menschen Fernstes, Tiefstes, Sternen-Höchstes, seine ungeheure Kraft: schäumt Das nicht alles gegen einander in eurem Topfe?

    Was Wunders, dass mancher Topf zerbricht! Lernt über euch lachen, wie man lachen muss! Ihr höheren Menschen, oh wie Vieles ist noch möglich!

    Und wahrlich, wie Viel gerieth schon! Wie reich ist diese Erde an kleinen guten vollkommenen Dingen, an Wohlgerathenem!

    Stellt kleine gute vollkommne Dinge um euch, ihr höheren Menschen! Deren goldene Reife heilt das Herz. Vollkommnes lehrt hoffen.

                                                        16

    Welches war hier auf Erden bisher die grösste Sünde? War es nicht das Wort Dessen, der sprach: »Wehe Denen, die hier lachen!«

    Fand er zum Lachen auf der Erde selber keine Gründe? So suchte er nur schlecht. Ein Kind findet hier noch Gründe.

    Der – liebte nicht genug: sonst hätte er auch uns geliebt, die Lachenden! Aber er hasste und höhnte uns, Heulen und Zähneklappern verhiess er uns.

    Muss man denn gleich fluchen, wo man nicht liebt? Das – dünkt mich ein schlechter Geschmack. Aber so that er, dieser Unbedingte. Er kam vom Pöbel.

    Und er selber liebte nur nicht genug: sonst hätte er weniger gezürnt, dass man ihn nicht liebe. Alle grosse Liebe will nicht Liebe: – die will mehr.

    Geht aus dem Wege allen solchen Unbedingten! Das ist eine arme kranke Art, eine Pöbel-Art: sie sehn schlimm diesem Leben zu, sie haben den bösen Blick für diese Erde.

    Geht aus dem Wege allen solchen Unbedingten! Sie haben Schwere Füsse und schwüle Herzen: – sie wissen nicht zu tanzen. Wie möchte Solchen wohl die Erde leicht sein!

                                                        17

    Krumm kommen alle guten Dinge ihrem Ziele nahe. Gleich Katzen machen sie Buckel, sie schnurren innewendig vor ihrem nahen Glücke, – alle guten Dinge lachen.

    Der Schritt verräth, ob Einer schon auf seiner Bahn schreitet: so seht mich gehn! Wer aber seinem Ziel nahe kommt, der tanzt.

    Und, wahrlich, zum Standbild ward ich nicht, noch stehe ich nicht da, starr, stumpf, steinern, eine Säule; ich liebe geschwindes Laufen.

    Und wenn es auf Erden auch Moor und dicke Trübsal giebt: wer leichte Füsse hat, läuft über Schlamm noch hinweg und tanzt wie auf gefegtem Eise.

    Erhebt eure Herzen, meine Brüder, hoch! höher! Und vergesst mir auch die Beine nicht! Erhebt auch eure Beine, ihr guten Tänzer, und besser noch: ihr steht auch auf dem Kopf!

                                                        18

    Diese Krone des Lachenden, diese Rosenkranz-Krone: ich selber setzte mir diese Krone auf, ich selber sprach heilig mein Gelächter. Keinen Anderen fand ich heute stark genug dazu.

    Zarathustra der Tänzer, Zarathustra der Leichte, der mit den Flügeln winkt, ein Flugbereiter, allen Vögeln zuwinkend, bereit und fertig, ein Selig-Leichtfertiger: –

    Zarathustra der Wahrsager, Zarathustra der Wahrlacher, kein Ungeduldiger, kein Unbedingter, Einer, der Sprünge und Seitensprünge liebt; ich selber setzte mir diese Krone auf!

                                                        19

    Erhebt eure Herzen, meine Brüder, hoch! höher! Und vergesst mir auch die Beine nicht! Erhebt auch eure Beine, ihr guten Tänzer, und besser noch: ihr steht auch auf dem Kopf!

    Es giebt auch im Glück schweres Gethier, es giebt Plumpfüssler von Anbeginn. Wunderlich müht sie sich ab, einem Elephanten gleich, der sich müht auf dem Kopf zu stehn.

    Besser aber noch närrisch sein vor Glücke als närrisch vor Unglücke, besser plump tanzen als lahm gehn. So lernt mir doch meine Weisheit ab: auch das schlimmste Ding hat zwei gute Kehrseiten, –

    – auch das schlimmste Ding hat gute Tanzbeine: so lernt mir doch euch selbst, ihr höheren Menschen, auf eure rechten Beine stellen!

    So verlernt mir doch Trübsal-Blasen und alle Pöbel-Traurigkeit! Oh wie traurig dünken mich heute des Pöbels Hanswürste noch! Diess Heute aber ist des Pöbels.

                                                        20

    Dem Winde thut mir gleich, wenn er aus seinen Berghöhlen stürzt: nach seiner eignen Pfeife will er tanzen, die Meere zittern und hüpfen unter seinen Fusstapfen.

    Der den Eseln Flügel giebt, der Löwinnen melkt, gelobt sei dieser gute unbändige Geist, der allem Heute und allem Pöbel wie ein Sturmwind kommt, –

    – der Distel- und Tiftelköpfen feind ist und allen welken Blättern und Unkräutern: gelobt sei dieser wilde gute freie Sturmgeist, welcher auf Mooren und Trübsalen wie auf Wiesen tanzt!

    Der die Pöbel-Schwindhunde hasst und alles missrathene düstere Gezücht: gelobt sei dieser Geist aller freien Geister, der lachende Sturm, welcher allen Schwarzsichtigen, Schwärsüchtigen Staub in die Augen bläst!

    Ihr höheren Menschen, euer Schlimmstes ist: ihr lerntet alle nicht tanzen, wie man tanzen muss – über euch hinweg tanzen! Was liegt daran, dass ihr missriethet!

    Wie Vieles ist noch möglich! So lernt doch über euch hinweg lachen! Erhebt eure Herzen, ihr guten Tänzer, hoch! höher! Und vergesst mir auch das gute Lachen nicht!

    Diese Krone des Lachenden, diese Rosenkranz-Krone: euch, meinen Brüdern, werfe ich diese Krone zu! Das Lachen sprach ich heilig; ihr höheren Menschen, lernt mir – lachen!

                                        Das Lied der Schwermuth
                                                        1

    Als Zarathustra diese Reden sprach, stand er nahe dem Eingange seiner Höhle; mit den letzten Worten aber entschlüpfte er seinen Gästen und floh für eine kurze Weile in's Freie.

    »Oh reine Gerüche um mich, rief er aus, oh selige Stille um mich! Aber wo sind meine Thiere? Heran, heran, mein Adler und meine Schlange!

    Sagt mir doch, meine Thiere: diese höheren Menschen insgesammt – riechen sie vielleicht nicht gut? Oh reine Gerüche um mich! Jetzo weiss und fühle ich erst, wie ich euch, meine Thiere, liebe.«

    – Und Zarathustra sprach nochmals: »ich liebe euch, meine Thiere!« Der Adler aber und die Schlange drängten sich an ihn, als er diese Worte sprach, und sahen zu ihm hinauf. Solchergestalt waren sie zu drei still beisammen und schnüffelten und schlürften mit einander die gute Luft. Denn die Luft war hier draussen besser als bei den höheren Menschen.

                                                        2

    Kaum aber hatte Zarathustra seine Höhle verlassen, da erhob sich der alte Zauberer, sah listig umher und sprach: »Er ist hinaus!

    Und schon, ihr höheren Menschen – dass ich euch mit diesem Lob- und Schmeichel-Namen kitzle, gleich ihm selber – schon fällt mich mein schlimmer Trug- und Zaubergeist an, mein schwermüthiger Teufel,

    – welcher diesem Zarathustra ein Widersacher ist aus dem Grunde: vergebt es ihm! Nun will er vor euch zaubern, er hat gerade seine Stunde; umsonst ringe ich mit diesem bösen Geiste.

    Euch Allen, welche Ehren ihr euch mit Worten geben mögt, ob ihr euch »die freien Geister« nennt oder »die Wahrhaftigen« oder »die Büsser des Geistes« oder »die Entfesselten« oder »die grossen Sehnsüchtigen« –

    – euch Allen, die ihr am grossen Ekel leidet gleich mir, denen der alte Gott starb und noch kein neuer Gott in Wiegen und Windeln liegt, – euch Allen ist mein böser Geist und Zauber-Teufel hold.

    Ich kenne euch, ihr höheren Menschen, ich kenne ihn, – ich kenne auch diesen Unhold, den ich wider Willen liebe, diesen Zarathustra: er selber dünkt mich öfter gleich einer schönen Heiligen-Larve,

    – gleich einem neuen wunderlichen Mummenschanze, in dem sich mein böser Geist, der schwermüthige Teufel, gefällt: – ich liebe Zarathustra, so dünkt mich oft, um meines bösen Geistes Willen. –

    Aber schon fällt der mich an und zwingt mich, dieser Geist der Schwermuth, dieser Abend-Dämmerungs-Teufel: und, wahrlich, ihr höheren Menschen, es gelüstet ihn –

    – macht nur die Augen auf! – es gelüstet ihn, nackt zu kommen, ob männlich, ob weiblich, noch weiss ich's nicht: aber er kommt, er zwingt mich, wehe! macht eure Sinne auf!

    Der Tag klingt ab, allen Dingen kommt nun der Abend, auch den besten Dingen; hört nun und seht, ihr höheren Menschen, welcher Teufel, ob Mann, ob Weib, dieser Geist der Abend-Schwermuth ist!«

    Also sprach der alte Zauberer, sah listig umher und griff dann zu seiner Harfe.

                                                        3

    Bei abgehellter Luft, Wenn schon des Thau's Tröstung Zur Erde niederquillt, Unsichtbar, auch ungehört: – Denn zartes Schuhwerk trägt Der Tröster Thau gleich allen Trost-Milden –: Gedenkst du da, gedenkst du, heisses Herz, Wie einst du durstetest, Nach himmlischen Thränen und Thau-Geträufel Versengt und müde durstetest, Dieweil auf gelben Gras-Pfaden Boshaft abendliche Sonnenblicke Durch schwarze Bäume um dich liefen, Blendende Sonnen-Gluthblicke, schadenfrohe.

    »Der Wahrheit Freier? Du? – so höhnten sie – Nein! Nur ein Dichter! Ein Thier, ein listiges, raubendes, schleichendes, Das lügen muss, Das wissentlich, willentlich lügen muss: Nach Beute lüstern, Bunt verlarvt, Sich selber Larve, Sich selbst zur Beute – Das – der Wahrheit Freier? Nein! Nur Narr! Nur Dichter! Nur Buntes redend, Aus Narren-Larven bunt herausschreiend, Herumsteigend auf lügnerischen Wort-Brücken, Auf bunten Regenbogen, Zwischen falschen Himmeln Und falschen Erden, Herumschweifend, herumschwebend, – Nur Narr! Nur Dichter!

Das – der Wahrheit Freier? Nicht still, starr, glatt, kalt, Zum Bilde worden, Zur Gottes-Säule, Nicht aufgestellt vor Tempeln, Eines Gottes Thürwart: Nein! Feindselig solchen Wahrheits-Standbildern, In jeder Wildniss heimischer als vor Tempeln, Voll Katzen-Muthwillens, Durch jedes Fenster springend Husch! in jeden Zufall, Jedem Urwalde zuschnüffelnd, Süchtig-sehnsüchtig zuschnüffelnd, Dass du in Urwäldern Unter buntgefleckten Raubthieren Sündlich-gesund und bunt und schön liefest, Mit lüsternen Lefzen, Selig-höhnisch, selig-höllisch, selig-blutgierig, Raubend, schleichend, lügend liefest: –

    Oder, dem Adler gleich, der lange, Lange starr in Abgründe blickt, In seine Abgründe: – – Oh wie sie sich hier hinab, Hinunter, hinein, In immer tiefere Tiefen ringeln! – Dann, Plötzlich, geraden Zugs, Gezückten Flugs, Auf Lämmer stossen, Jach hinab, heisshungrig, Nach Lämmern lüstern, Gram allen Lamms-Seelen, Grimmig-gram Allem, was blickt Schafmässig, lammäugig, krauswollig, Grau, mit Lamms-Schafs-Wohlwollen!

    Also Adlerhaft, pantherhaft Sind des Dichters Sehnsüchte, Sind deine Sehnsüchte unter tausend Larven, Du Narr! Du Dichter!

    Der du den Menschen schautest So Gott als Schaf –: Den Gott zerreissen im Menschen Wie das Schaf im Menschen, Und zerreisend lachen –

    Das, Das ist deine Seligkeit! Eines Panthers und Adlers Seligkeit! Eines Dichters und Narren Seligkeit!« – –

    Bei abgehellter Luft, Wenn schon des Monds Sichel Grün zwischen Purpurröthen Und neidisch hinschleicht: – dem Tage feind, Mit jedem Schritte heimlich An Rosen-Hängematten Hinsichelnd, bis sie sinken, Nacht-abwärts blass hinabsinken:

    So sank ich selber einstmals Aus meinem Wahrheits-Wahnsinne, Aus meinen Tages-Sehnsüchten, Des Tages müde, krank vom Lichte, – sank abwärts, abendwärts, schattenwärts: Von Einer Wahrheit Verbrannt und durstig: – gedenkst du noch, gedenkst du, heisses Herz, Wie da du durstetest? – Dass ich verbannt sei Von aller Wahrheit, Nur Narr! Nur Dichter!

                                      Von der Wissenschaft

    Also sang der Zauberer; und Alle, die beisammen waren, giengen gleich Vögeln unvermerkt in das Netz seiner listigen und schwermüthigen Wollust. Nur der Gewissenhafte des Geistes war nicht eingefangen: er nahm flugs dem Zauberer die Harfe weg und rief »Luft! Lasst gute Luft herein! Lass Zarathustra herein! Du machst diese Höhle schwül und giftig, du schlimmer alter Zauberer!

    Du verfährst, du Falscher, Feiner, zu unbekannten Begierden und Wildnissen. Und wehe, wenn Solche, wie du, von der Wahrheit Redens und Wesens machen!

    Wehe allen freien Geistern, welche nicht vor solchen Zauberern auf der Hut sind! Dahin ist es mit ihrer Freiheit: du lehrst und lockst zurück in Gefängnisse, –

    – du alter schwermüthiger Teufel, aus deiner Klage klingt eine Lockpfeife, du gleichst Solchen, welche mit ihrem Lobe der Keuschheit heimlich zu Wollüsten laden!«

    Also sprach der Gewissenhafte; der alte Zauberer aber blickte um sich, genoss seines Sieges und verschluckte darüber den Verdruss, welchen ihm der Gewissenhafte machte. »Sei still! sagte er mit bescheidener Stimme, gute Lieder wollen gut wiederhallen; nach guten Liedern soll man lange schweigen.

    So thun es diese Alle, die höheren Menschen. Du aber hast wohl Wenig von meinem Lied verstanden? In dir ist Wenig von einem Zaubergeiste.«

    »Du lobst mich, entgegnete der Gewissenhafte, indem du mich von dir abtrennst, wohlan! Aber ihr Anderen, was sehe ich? Ihr sitzt alle noch mit lüsternen Augen da

    Ihr freien Seelen, wohin ist eure Freiheit! Fast, dünkt mich's, gleicht ihr Solchen, die lange schlimmen tanzenden nackten Mädchen zusahn: eure Seelen tanzen selber!

    In euch, ihr höheren Menschen, muss Mehr von Dem sein, was der Zauberer seinen bösen Zauber- und Truggeist nennt: – wir müssen wohl verschieden sein.

    Und wahrlich, wir sprachen und dachten genug mitsammen, ehe Zarathustra heimkam zu seiner Höhle, als dass ich nicht wüsste: wir sind verschieden.

    Wir suchen Verschiednes auch hier oben, ihr und ich. Ich nämlich suche mehr Sicherheit, desshalb kam ich zu Zarathustra. Der nämlich ist noch der festeste Thurm und Wille –

    – heute, wo Alles wackelt, wo alle Erde bebt. Ihr aber, wenn ich eure Augen sehe, die ihr macht, fast dünkt mich's, ihr sucht mehr Unsicherheit,

    – mehr Schauder, mehr Gefahr, mehr Erdbeben. Euch gelüstet, fast dünkt mich's so, vergebt meinem Dünkel, ihr höheren Menschen –

    – euch gelüstet nach dem schlimmsten gefährlichsten Leben, das mir am meisten Furcht macht, nach dem Leben wilder Thiere, nach Wäldern, Höhlen, steilen Bergen und Irr- Schlünden.

    Und nicht die Führer aus der Gefahr gefallen euch am besten, sondern die euch von allen Wegen abführen, die Verführer. Aber, wenn solch Gelüsten an euch wirklich ist, so dünkt es mich trotzdem unmöglich.

    Furcht nämlich – das ist des Menschen Erb- und Grundgefühl; aus der Furcht erklärt sich jegliches, Erbsünde und Erbtugend. Aus der Furcht wuchs auch meine Tugend, die heisst: Wissenschaft.

    Die Furcht nämlich vor wildem Gethier – die wurde dem Menschen am längsten angezüchtet, einschliesslich das Thier, das er in sich selber birgt und fürchtet: – Zarathustra heisst es »das innere Vieh.«

    Solche lange alte Furcht, endlich fein geworden, geistlich, geistig – heute, dünkt mich, heisst sie: Wissenschaft.« –

    Also sprach der Gewissenhafte; aber Zarathustra, der eben in seine Höhle zurückkam und die letzte Rede gehört und errathen hatte, warf dem Gewissenhaften eine Hand voll Rosen zu und lachte ob seiner »Wahrheiten«. »Wie! rief er, was hörte ich da eben? Wahrlich, mich dünkt, du bist ein Narr oder ich selber bin's: und deine »Wahrheit« stelle ich rucks und flugs auf den Kopf.

    Furcht nämlich – ist unsre Ausnahme. Muth aber und Abenteuer und Lust am Ungewissen, am Ungewagten, – Muth dünkt mich des Menschen ganze Vorgeschichte.

    Den wildesten muthigsten Thieren hat er alle ihre Tugenden abgeneidet und abgeraubt: so erst wurde er – zum Menschen.

    Dieser Muth, endlich fein geworden, geistlich, geistig, dieser Menschen-Muth mit Adler-Flügeln und Schlangen-Klugheit: der, dünkt mich, heisst heute –«

    » Zarathustra«! schrien Alle, die beisammen sassen, wie aus Einem Munde und machten dazu ein grosses Gelächter; es hob sich aber von ihnen wie eine schwere Wolke. Auch der Zauberer lachte und sprach mit Klugheit: »Wohlan! Er ist davon, mein böser Geist!

    Und habe ich euch nicht selber vor ihm gewarnt, als ich sagte, dass er ein Betrüger sei, ein Lug- und Truggeist?

    Sonderlich nämlich, wenn er sich nackend zeigt. Aber was kann ich für seine Tücken! Habe ich ihn und die Welt geschaffen?

    Wohlan! Seien wir wieder gut und guter Dinge! Und ob schon Zarathustra böse blickt – seht ihn doch! er ist mir gram.

    – bevor die Nacht kommt, lernt er wieder, mich lieben und loben, er kann nicht lange leben, ohne solche Thorheiten zu thun.

    Der – liebt seine Feinde: diese Kunst versteht er am besten von Allen, die ich sah. Aber er nimmt Rache dafür – an seinen Freunden!«

    Also sprach der alte Zauberer, und die höheren Menschen zollten ihm Beifall: so dass Zarathustra herumgieng und mit Bosheit und Liebe seinen Freunden die Hände schüttelte, – gleichsam als Einer, der an Allen Etwas gutzumachen und abzubitten hat. Als er aber dabei an die Thür seiner Höhle kam, siehe, da gelüstete ihn schon wieder nach der guten Luft da draussen und nach seinen Thieren, – und er wollte hinaus schlüpfen.

                                      Unter Töchtern der Wüste
                                                        1

    »Gehe nicht davon! sagte da der Wanderer, welcher sich den Schatten Zarathustra's nannte, bleibe bei uns, es möchte uns sonst die alte dumpfe Trübsal wieder anfallen.

    Schon gab uns jener alte Zauberer von seinem Schlimmsten zum Besten, und siehe doch, der gute fromme Papst da hat Thränen in den Augen und hat sich ganz wieder auf's Meer der Schwermuth eingeschifft.

    Diese Könige mögen wohl vor uns noch gute Miene machen: das lernten Die nämlich von uns Allen heute am Besten! Hätten sie aber keine Zeugen, ich wette, auch bei ihnen fienge das böse Spiel wieder an –

    – das böse Spiel der ziehenden Wolken, der feuchten Schwermuth, der verhängten Himmel, der gestohlenen Sonnen, der heulenden Herbst-Winde,

    – das böse Spiel unsres Heulens und Nothschreiens: bleibe bei uns, oh Zarathustra! Hier ist viel verborgenes Elend, das reden will, viel Abend, viel Wolke, viel dumpfe Luft!

    Du nährtest uns mit starker Manns-Kost und kräftigen Sprüchen: lass es nicht zu, dass uns zum Nachtisch die weichlichen weiblichen Geister wieder anfallen!

    Du allein machst die Luft um dich herum stark und klar! Fand ich je auf Erden so gute Luft als bei dir in deiner Höhle?

    Viele Länder sah ich doch, meine Nase lernte vielerlei Luft prüfen und abschätzen: aber bei dir schmecken meine Nüstern ihre grösste Lust!

    Es sei denn, – es sei denn – , oh vergieb eine alte Erinnerung! Vergieb mir ein altes Nachtisch-Lied, das ich einst unter Töchtern der Wüste dichtete: –

    – bei denen nämlich gab es gleich gute helle morgenländische Luft; dort war ich am fernsten vom wolkigen feuchten schwermüthigen Alt-Europa!

    Damals liebte ich solcherlei Morgenland-Mädchen und andres blaues Himmelreich, über dem keine Wolken und keine Gedanken hängen.

    Ihr glaubt es nicht, wie artig sie dasassen, wenn sie nicht tanzten, tief, aber ohne Gedanken, wie kleine Geheimnisse, wie bebänderte Räthsel, wie Nachtisch-Nüsse.

    bunt und fremd fürwahr! aber ohne Wolken: Räthsel, die sich rathen lassen: solchen Mädchen zu Liebe erdachte ich damals einen Nachtisch-Psalm.«

    Also sprach der Wanderer und Schatten; und ehe Jemand ihm antwortete, hatte er schon die Harfe des alten Zauberers ergriffen, die Beine gekreuzt und blickte gelassen und weise um sich: – mit den Nüstern aber zog er langsam und fragend die Luft ein, wie Einer, der in neuen Ländern neue fremde Luft kostet. Darauf hob er mit einer Art Gebrüll zu singen an.

                                                        2

    Die Wüste wächst: weh Dem, der Wüsten birgt!

        – Ha! Feierlich!
        In der That feierlich!
        Ein würdiger Anfang!
        Afrikanisch feierlich!
        Eines Löwen würdig,
        Oder eines moralischen Brüllaffen –
        – aber Nichts für euch,
        Ihr allerliebsten Freundinnen,
        Zu deren Füssen mir
        Zum ersten Male,
        Einem Europäer, unter Palmen
        Zu sitzen vergönnt ist. Sela.

        Wunderbar wahrlich!
        Da sitze ich nun,
        Der Wüste nahe und bereits
        So fern wieder der Wüste,
        Auch in Nichts noch verwüstet:
        Nämlich hinabgeschluckt
        Von dieser kleinsten Oasis – :
        – sie sperrte gerade gähnend
        Ihr liebliches Maul auf.
        Das wohlriechendste aller Mäulchen:
        Da fiel ich hinein,
        Hinab, hindurch – unter euch,
        Ihr allerliebsten Freundinnen! Sela.

        Heil, Heil jenem Wallfische,
        Wenn er also es seinem Gaste
        Wohl sein liess! – ihr versteht
        Meine gelehrte Anspielung?
        Heil seinem Bauche,
        Wenn er also
        Ein so lieblicher Oasis-Bauch war
        Gleich diesem: was ich aber in Zweifel ziehe,
        – dafür komme ich aus Europa,
        Das zweifelsüchtiger ist als alle
        Ältlichen Eheweibchen.
        Möge Gott es bessern!
        Amen!

        Da sitze ich nun,
        In dieser kleinsten Oasis,
        Einer Dattel gleich,
        Braun, durchsüsst, goldschwürig, lüstern
        Nach einem runden Mädchenmunde,
        Mehr noch aber nach mädchenhaften
        Eiskalten schneeweissen schneidigen
        Beisszähnen: nach denen nämlich
        Lechzt das Herz allen heissen Datteln. Sela.

        Den genannten Südfrüchten
        Ähnlich, allzuähnlich
        Liege ich hier, von kleinen
        Flügelkäfern
        Umtänzelt und umspielt,
        Insgleichen von noch kleineren
        Thörichteren boshafteren
        Wünschen und Einfällen,
        Umlagert von euch,
        Ihr stummen, ihr ahnungsvollen
        Mädchen-Katzen,
        Dudu und Suleika,
        – umsphinxt, dass ich in Ein Wort
        Viel Gefühle stopfe:
        (Vergebe mir Gott
        Diese Sprach-Sünde!)
        – sitze hier, die beste Luft schnüffelnd,
        Paradieses-Luft wahrlich,
        Lichte leichte Luft, goldgestreifte,
        So gute Luft nur je
        Vom Monde herabfiel –
        Sei es aus Zufall,
        Oder geschah es aus Übermuthe?
        Wie die alten Dichter erzählen.
        Ich Zweifler aber ziehe es
        In Zweifel, dafür aber komme ich
        Aus Europa,
        Das zweifelsüchtiger ist als alle
        Ältlichen Eheweibchen.
        Möge Gott es bessern!
        Amen!

        Diese schönste Luft trinkend,
        Mit Nüstern geschwellt gleich Bechern,
        Ohne Zukunft, ohne Erinnerungen,
        So sitze ich hier, ihr
        Allerliebsten Freundinnen,
        Und sehe der Palme zu,
        Wie sie, einer Tänzerin gleich,
        Sich biegt und schmiegt und in der Hüfte wiegt,
        – man thut es mit, sieht man lange zu!
        Einer Tänzerin gleich, die, wie mir scheinen will,
        Zu lange schon, gefährlich lange
        Immer, immer nur auf Einem Beine stand?
        – da vergass sie darob, wie mir scheinen will,
        Das andre Bein?
        Vergebens wenigstens
        Suchte ich das vermisste
        Zwillings-Kleinod
        – nämlich das andre Bein –
        In der heiligen Nähe
        Ihres allerliebsten, allerzierlichsten
        Fächer- und Flatter- und Flitterröckchens.
        ja, wenn ihr mir, ihr schönen Freundinnen,
        Ganz glauben wollt:
        Sie hat es verloren!
        Es ist dahin!
        Auf ewig dahin!
        Das andre Bein!
        Oh schade um dieses liebliche andre Bein!
        Wo – mag es wohl weilen und verlassen trauern?
        Das einsame Bein?
        In Furcht vielleicht vor einem
        Grimmen gelben blondgelockten
        Löwen-Unthiere? Oder gar schon
        Abgenagt, abgeknabbert –
        Erbärmlich, wehe! wehe! abgeknabbert! Sela.

        Oh weint mir nicht,
        Weiche Herzen!
        Weint mir nicht, ihr
        Dattel-Herzen! Milch-Busen!
        Ihr Süssholz-Herz-
        Beutelchen!
        Weine nicht mehr,
        Bleiche Dudu!
        Sei ein Mann, Suleika! Muth! Muth!
        – Oder sollte vielleicht
        Etwas Stärkendes, Herz-Stärkendes,
        Hier am Platze sein?
        Ein gesalbter Spruch?
        Ein feierlicher Zuspruch? –

        Ha! Herauf, Würde!
        Tugend-Würde! Europäer-Würde!
        Blase, blase wieder,
        Blasebalg der Tugend!
        Ha!
        Noch Ein Mal brüllen,
        Moralisch brüllen!
        Als moralischer Löwe
        Vor den Töchtern der Wüste brüllen!
        – Denn Tugend-Geheul,
        Ihr allerliebsten Mädchen,
        Ist mehr als Alles
        Europäer-Inbrunst, Europäer-Heisshunger!
        Und da stehe ich schon,
        Als Europäer,
        Ich kann nicht anders, Gott helfe mir!
        Amen!

        Die Wüste wächst: weh Dem, der Wüsten birgt!

                                       Die Erweckung
                                                        1

    Nach dem Liede des Wanderers und Schattens wurde die Höhle mit Einem Male voll Lärmens und Lachens; und da die versammelten Gäste alle zugleich redeten, und auch der Esel, bei einer solchen Ermuthigung, nicht mehr still blieb, überkam Zarathustra ein kleiner Widerwille und Spott gegen seinen Besuch: ob er sich gleich ihrer Fröhlichkeit erfreute. Denn sie dünkte ihm ein Zeichen der Genesung. So schlüpfte er hinaus in's Freie und sprach zu seinen Thieren.

    »Wo ist nun ihre Noth hin? sprach er, und schon athmete er selber von seinem kleinen Überdrusse auf, – bei mir verlernten sie, wie mich dünkt, das Nothschrein!

    – wenn auch, leider, noch nicht das Schrein.« Und Zarathustra hielt sich die Ohren zu, denn eben mischte sich das I-A des Esels wunderlich mit dem Jubel-Lärm dieser höheren Menschen.

    »Sie sind lustig, begann er wieder, und wer weiss? vielleicht auf ihres Wirthes Unkosten; und lernten sie von mir lachen, so ist es doch nicht mein Lachen, das sie lernten.

    Aber was liegt daran! Es sind alte Leute: sie genesen auf ihre Art, sie lachen auf ihre Art; meine Ohren haben schon Schlimmeres erduldet und wurden nicht unwirsch.

    Dieser Tag ist ein Sieg: er weicht schon, er flieht, der Geist der Schwere, mein alter Erzfeind! Wie gut will dieser Tag enden, der so schlimm und schwer begann!

    Und enden will er. Schon kommt der Abend: über das Meer her reitet er, der gute Reiter! Wie er sich wiegt, der Selige, Heimkehrende, in seinen purpurnen Sätteln!

    Der Himmel blickt klar dazu, die Welt liegt tief: oh all ihr Wunderlichen, die ihr zu mir kamt, es lohnt sich schon, bei mir zu leben!«

    Also sprach Zarathustra. Und wieder kam da das Geschrei und Gelächter der höheren Menschen aus der Höhle: da begann er von Neuem.

    »Sie beissen an, mein Köder wirkt, es weicht auch ihnen ihr Feind, der Geist der Schwere. Schon lernen sie über sich selber lachen: höre ich recht?

    Meine Manns-Kost wirkt, mein Saft- und Kraft-Spruch: und wahrlich, ich nährte sie nicht mit Bläh-Gemüsen! Sondern mit Krieger-Kost, mit Eroberer-Kost: neue Begierden weckte ich.

    Neue Hoffnungen sind in ihren Armen und Beinen, ihr Herz streckt sich aus. Sie finden neue Worte, bald wird ihr Geist Muthwillen athmen.

    Solche Kost mag freilich nicht für Kinder sein, noch auch für sehnsüchtige alte und junge Weibchen. Denen überredet man anders die Eingeweide; deren Arzt und Lehrer bin ich nicht.

    Der Ekel weicht diesen höheren Menschen: wohlan! das ist mein Sieg. In meinem Reiche werden sie sicher, alle dumme Scham läuft davon, sie schütten sich aus.

    Sie schütten ihr Herz aus, gute Stunden kehren ihnen zurück, sie feiern und käuen wieder, – sie werden dankbar.

    Das nehme ich als das beste Zeichen: sie werden dankbar. Nicht lange noch, und sie denken sich Feste aus und stellen Denksteine ihren alten Freuden auf.

    Es sind Genesende!« Also sprach Zarathustra fröhlich zu seinem Herzen und schaute hinaus; seine Thiere aber drängten sich an ihn und ehrten sein Glück und sein Stillschweigen.

                                                        2

    Plötzlich aber erschrak das Ohr Zarathustra's: die Höhle nämlich, welche bisher voller Lärmens und Gelächters war, wurde mit Einem Male todtenstill; – seine Nase aber roch einen wohlriechenden Qualm und Weihrauch, wie von brennenden Pinien-Zapfen.

    »Was geschieht? Was treiben sie?« fragte er sich und schlich zum Eingange heran, dass er seinen Gästen, unvermerkt, zusehn könne. Aber, Wunder über Wunder! was musste er da mit seinen eignen Augen sehn!

    »Sie sind Alle wieder fromm geworden, sie beten, sie sind toll!« – sprach er und verwundene sich über die Maassen. Und, fürwahr!, alle diese höheren Menschen, die zwei Könige, der Papst ausser Dienst, der schlimme Zauberer, der freiwillige Bettler, der Wanderer und Schatten, der alte Wahrsager, der Gewissenhafte des Geistes und der hässlichste Mensch: sie lagen Alle gleich Kindern und gläubigen alten Weibchen auf den Knien und beteten den Esel an. Und eben begann der hässlichste Mensch zu gurgeln und zu schnauben, wie als ob etwas Unaussprechliches aus ihm heraus wolle; als er es aber wirklich bis zu Worten gebracht hatte, siehe, da war es eine fromme seltsame Litanei zur Lobpreisung des angebeteten und angeräucherten Esels. Diese Litanei aber klang also:

    Amen! Und Lob und Ehre und Weisheit und Dank und Preis und Stärke sei unserm Gott, von Ewigkeit zu Ewigkeit!

    – Der Esel aber schrie dazu I-A.

    Er trägt unsre Last, er nahm Knechtsgestalt an, er ist geduldsam von Herzen und redet niemals Nein; und wer seinen Gott liebt, der züchtigt ihn.

    – Der Esel aber schrie dazu I-A.

    Er redet nicht: es sei denn, dass er zur Welt, die er Schuf, immer Ja sagt: also preist er seine Welt. Seine Schlauheit ist es, die nicht redet: so bekommt er selten Unrecht.

    – Der Esel aber schrie dazu I-A.

    Unscheinbar geht er durch die Welt. Grau ist die Leib-Farbe, in welche er seine Tugend hüllt. Hat er Geist, so verbirgt er ihn; Jedermann aber glaubt an seine langen Ohren.

    – Der Esel aber schrie dazu I-A.

    Welche verborgene Weisheit ist das, dass er lange Ohren trägt und allein ja und nimmer Nein sagt! Hat er nicht die Welt erschaffen nach seinem Bilde, nämlich so dumm als möglich?

    – Der Esel aber schrie dazu I-A.

    Du gehst gerade und krumme Wege; es kümmert dich wenig, was uns Menschen gerade oder krumm dünkt. Jenseits von Gut und Böse ist dein Reich. Es ist deine Unschuld, nicht zu wissen, was Unschuld ist.

    – Der Esel aber schrie dazu I-A.

    Siehe doch, wie du Niemanden von dir stössest, die Bettler nicht, noch die Könige. Die Kindlein lässest du zu dir kommen, und wenn dich die bösen Buben locken, so sprichst du einfältiglich I-A.

    – Der Esel aber schrie dazu I-A.

    Du liebst Eselinnen und frische Feigen, du bist kein Kostverächter. Eine Distel kitzelt dir das Herz, wenn du gerade Hunger hast. Darin liegt eines Gottes Weisheit.

    – Der Esel aber schrie dazu I-A.



                                         Das Eselsfest
                                                        1

    An dieser Stelle der Litanei aber konnte Zarathustra sich nicht länger bemeistern, schrie selber I-A, lauter noch als der Esel, und sprang mitten unter seine tollgewordenen Gäste.

    »Aber was treibt ihr da, ihr Menschenkinder? rief er, indem er die Betenden vom Boden empor riss. Wehe, wenn euch Jemand Anderes zusähe als Zarathustra:

    Jeder würde urtheilen, ihr wäret mit eurem neuen Glauben die ärgsten Gotteslästerer oder die thörichtsten aller alten Weiblein!

    Und du selber, du alter Papst, wie stimmt Das mit dir selber zusammen, dass du solchergestalt einen Esel hier als Gott anbetest?« –

    »Oh Zarathustra, antwortete der Papst, vergieb mir, aber in Dingen Gottes bin ich aufgeklärter noch als du. Und so ist's billig.

    Lieber Gott also anbeten, in dieser Gestalt, als in gar keiner Gestalt! Denke über diesen Spruch nach, mein hoher Freund: du erräthst geschwind, in solchem Spruch steckt Weisheit.

    Der, welcher sprach »Gott ist ein Geist« – der machte bisher auf Erden den grössten Schritt und Sprung zum Unglauben: solch Wort ist auf Erden nicht leicht wieder gut zu machen!

    Mein altes Herz springt und hüpft darob, dass es auf Erden noch Etwas anzubeten giebt. Vergieb das, oh Zarathustra, einem alten frommen Papst-Herzen! –«

    – »Und du, sagte Zarathustra zu dem Wanderer und Schatten, du nennst und wähnst dich einen freien Geist? Und treibst hier solchen Götzen- und Pfaffendienst?

    Schlimmer, wahrlich, treibst du's hier noch als bei deinen schlimmen braunen Mädchen, du schlimmer neuer Gläubiger!«

    »Schlimm genug, antwortete der Wanderer und Schatten, du hast Recht: aber was kann ich dafür! Der alte Gott lebt wieder, Oh Zarathustra, du magst reden, was du willst.

    Der hässlichste Mensch ist an Allem schuld: der hat ihn wieder auferweckt. Und wenn er sagt, dass er ihn einst getödtet habe: Tod ist bei Göttern immer nur ein Vorurtheil.«

    – Und du, sprach Zarathustra, du schlimmer alter Zauberer, was thatest du! Wer soll, in dieser freien Zeit, fürderhin an dich glauben, wenn du an solche Götter-Eseleien glaubst?

    Es war eine Dummheit, was du thatest; wie konntest du, du Kluger, eine solche Dummheit thun!

    »Oh Zarathustra, antwortete der kluge Zauberer, du hast Recht, es war eine Dummheit, – es ist mir auch schwer genug geworden.«

    – »Und du gar, sagte Zarathustra, zu dem Gewissenhaften des Geistes, erwäge doch und lege den Finger an deine Nase! Geht hier denn Nichts wider dein Gewissen? Ist dein Geist nicht zu reinlich für diess Beten und den Dunst dieser Betbrüder?«

    »Es ist Etwas daran, antwortete der Gewissenhafte und legte den Finger an die Nase, es ist Etwas an diesem Schauspiele, das meinem Gewissen sogar wohlthut.

    Vielleicht, dass ich an Gott nicht glauben darf: gewiss aber ist, dass Gott mir in dieser Gestalt noch am glaubwürdigsten dünkt.

    Gott soll ewig sein, nach dem Zeugnisse der Frömmsten: wer so viel Zeit hat, lässt sich Zeit. So langsam und so dumm als möglich: damit kann ein Solcher es doch sehr weit bringen.

    Und wer des Geistes zu viel hat, der möchte sich wohl in die Dumm- und Narrheit selber vernarren. Denke über dich selber nach, oh Zarathustra!

    Du selber – wahrlich! auch du könntest wohl aus Überfluss und Weisheit zu einem Esel werden.

    Geht nicht ein vollkommner Weiser gern auf den krümmsten Wegen? Der Augenschein lehrt es, oh Zarathustra, – dein Augenschein!«

    – »Und du selber zuletzt, sprach Zarathustra und wandte sich gegen den hässlichsten Menschen, der immer noch auf dem Boden lag, den Arm zu dem Esel emporhebend (er gab ihm nämlich Wein zu trinken). Sprich, du Unaussprechlicher, was hast du da gemacht!

    Du dünkst mich verwandelt, dein Auge glüht, der Mantel des Erhabenen liegt um deine Hässlichkeit: was thatest du?

    Ist es denn wahr, was jene sagen, dass du ihn wieder auferwecktest? Und wozu? War er nicht mit Grund abgetödtet und abgethan?

    Du selber dünkst mich aufgeweckt: was thatest du? was kehrtest du um? Was bekehrtest du dich? Sprich, du Unaussprechlicher?«

    »Oh Zarathustra, antwortete der hässlichste Mensch, du bist ein Schelm!

    Ob Der noch lebt oder wieder lebt oder gründlich todt ist, – wer von uns Beiden weiss Das am Besten? Ich frage dich.

    Eins aber weiss ich, – von dir selber lernte ich's einst, oh Zarathustra: wer am gründlichsten tödten will, der lacht.

    »Nicht durch Zorn, sondern durch Lachen tödtet man« – so sprachst du einst. Oh Zarathustra, du Verborgener, du Vernichter ohne Zorn, du gefährlicher Heiliger, – du bist ein Schelm!«

                                                        2

    Da aber geschah es, dass Zarathustra, verwundert über lauter solche Schelmen-Antworten, zur Thür seiner Höhle zurück sprang und, gegen alle seine Gäste gewendet, mit starker Stimme schrie:

    »Oh ihr Schalks-Narren allesammt, ihr Possenreisser! Was verstellt und versteckt ihr euch vor mir!

    Wie doch einem jeden von euch das Herz zappelte vor Lust und Bosheit, darob, dass ihr endlich einmal wieder wurdet wie die Kindlein, nämlich fromm, –

    – dass ihr endlich wieder thatet wie Kinder thun, nämlich betetet, hände-faltetet und »lieber Gott« sagtet!

    Aber nun lasst mir diese Kinderstube, meine eigne Höhle, wo heute alle Kinderei zu Hause ist. Kühlt hier draussen euren heissen Kinder-Übermuth und Herzenslärm ab!

    Freilich: so ihr nicht werdet wie die Kindlein, so kommt ihr nicht in das Himmelreich. (Und Zarathustra zeigte mit den Händen nach Oben.)

    Aber wir wollen auch gar nicht in's Himmelreich: Männer sind wir worden, – so wollen wir das Erdenreich.«

                                                        3

    Und noch einmal hob Zarathustra an zu reden. »Oh meine neuen Freunde, sprach er, – ihr Wunderlichen, ihr höheren Menschen, wie gut gefallt ihr mir nun, –

    – seit ihr wieder fröhlich wurdet! Ihr seid wahrlich Alle aufgeblüht: mich dünkt, solchen Blumen, wie ihr seid, thun neue Feste noth,

    – ein kleiner tapferer Unsinn, irgend ein Gottesdienst und Eselsfest, irgend ein alter fröhlicher Zarathustra-Narr, ein Brausewind, der euch die Seelen hell bläst.

    Vergesst die Nacht und diess Eselsfest nicht, ihr höheren Menschen! Das erfandet ihr bei mir, Das nehme ich als gutes Wahrzeichen, – Solcherlei erfinden nur Genesende!

    Und feiert ihr es abermals, dieses Eselsfest, thut's euch zu Liebe, thut's auch mir zu Liebe! Und zu meinem Gedächtniss!«

    Also sprach Zarathustra.


                                     Das Nachtwandler-Lied
                                                        1

    Inzwischen aber war Einer nach dem Andern hinaus getreten, in's Freie und in die kühle nachdenkliche Nacht; Zarathustra selber aber führte den hässlichsten Menschen an der Hand, dass er ihm seine Nacht-Welt und den grossen runden Mond und die silbernen Wasserstürze bei seiner Höhle zeige. Da standen sie endlich still bei einander, lauter alte Leute, aber mit einem getrösteten tapferen Herzen und verwundert bei sich, dass es ihnen auf Erden so wohl war; die Heimlichkeit der Nacht aber kam ihnen näher und näher an's Herz. Und von Neuem dachte Zarathustra bei sich: »oh wie gut sie mir nun gefallen, diese höheren Menschen!« – aber er sprach es nicht aus, denn er ehrte ihr Glück und ihr Stillschweigen. –

    Da aber geschah Das, was an jenem erstaunlichen langen Tage das Erstaunlichste war: der hässlichste Mensch begann noch ein Mal und zum letzten Mal zu gurgeln und zu schnauben, und als er es bis zu Worten gebracht hatte, siehe, da sprang eine Frage rund und reinlich aus seinem Munde, eine gute tiefe klare Frage, welche Allen, die ihm zuhörten, das Herz im Leibe bewegte.

    »Meine Freunde insgesammt, sprach der hässlichste Mensch, was dünket euch? Um dieses Tags Willen – ich bin's zum ersten Male zufrieden, dass ich das ganze Leben lebte.

    Und dass ich so viel bezeuge, ist mir noch nicht genug. Es lohnt sich auf der Erde zu leben: Ein Tag, Ein Fest mit Zarathustra lehrte mich die Erde lieben.

    »War Das – das Leben?« will ich zum Tode sprechen. »Wohlan! Noch Ein Mal!«

    Meine Freunde, was dünket euch? Wollt ihr nicht gleich mir zum Tode sprechen: War Das – das Leben? Um Zarathustra's Willen, wohlan! Noch Ein Mal!« – –

    Also sprach der hässlichste Mensch; es war aber nicht lange vor Mitternacht. Und was glaubt ihr wohl, dass damals sich zutrug? Sobald die höheren Menschen seine Frage hörten, wurden sie sich mit Einem Male ihrer Verwandlung und Genesung bewusst, und wer ihnen dieselbe gegeben habe: da sprangen sie auf Zarathustra zu, dankend, verehrend, liebkosend, ihm die Hände küssend, so wie es der Art eines Jeden eigen war: also dass Einige lachten, Einige weinten. Der alte Wahrsager aber tanzte vor Vergnügen; und wenn er auch, wie manche Erzähler meinen, damals voll süssen Weines war, so war er gewisslich noch voller des süssen Lebens und hatte aller Müdigkeit abgesagt. Es giebt sogar Solche, die erzählen, dass damals der Esel getanzt habe: nicht umsonst nämlich habe ihm der hässlichste Mensch vorher Wein zu trinken gegeben. Diess mag sich nun so verhalten oder auch anders; und wenn in Wahrheit an jenem Abende der Esel nicht getanzt hat, so geschahen doch damals grössere und seltsamere Wunderdinge als es das Tanzen eines Esels wäre. Kurz, wie das Sprichwort Zarathustra's lautet: »was liegt daran!«

                                                        2

    Zarathustra aber, als sich diess mit dem hässlichsten Menschen zutrug, stand da, wie ein Trunkener: sein Blick erlosch, seine Zunge lallte, seine Füsse schwankten. Und wer möchte auch errathen, welche Gedanken dabei über Zarathustra's Seele liefen? Ersichtlich aber wich sein Geist zurück und floh voraus und war in weiten Fernen und gleichsam »auf hohem Joche, wie geschrieben steht, zwischen zwei Meeren,

    – zwischen Vergangenem und Zukünftigem als schwere Wolke wandelnd.« Allgemach aber, während ihn die höheren Menschen in den Armen hielten, kam er ein Wenig zu sich selber zurück und wehrte mit den Händen dem Gedränge der Verehrenden und Besorgten; doch sprach er nicht. Mit Einem Male aber wandte er schnell den Kopf, denn er schien Etwas zu hören: da legte er den Finger an den Mund und sprach: » Komm!«

    Und alsbald wurde es rings still und heimlich; aus der Tiefe aber kam langsam der Klang einer Glocke herauf. Zarathustra horchte darnach, gleich den höheren Menschen; dann aber legte er zum andern Male den Finger an den Mund und sprach wiederum: » Kommt! Kommt! Es geht gen Mitternacht!« – und seine Stimme hatte sich verwandelt. Aber immer noch rührte er sich nicht von der Stelle: da wurde es noch stiller und heimlicher, und Alles horchte, auch der Esel, und Zarathustra's Ehrenthiere, der Adler und die Schlange, insgleichen die Höhle Zarathustra's und der grosse kühle Mond und die Nacht selber. Zarathustra aber legte zum dritten Male die Hand an den Mund und sprach:

    Kommt! Kommt! Kommt! Lasst uns jetzo wandeln! Es ist die Stunde: lasst uns in die Nacht wandeln!

                                                        3

    Ihr höheren Menschen, es geht gen Mitternacht: da will ich euch Etwas in die Ohren sagen, wie jene alte Glocke es mir in's Ohr sagt, –

    – so heimlich, so schrecklich, so herzlich, wie jene Mitternachts-Glocke zu mir es redet, die mehr erlebt hat als Ein Mensch:

    – welche schon eurer Väter Herzens-Schmerzens-Schläge abzählte – ach! ach! wie sie seufzt! wie sie im Traume lacht! die alte tiefe tiefe Mitternacht!

    Still! Still! Da hört sich Manches, das am Tage nicht laut werden darf; nun aber, bei kühler Luft, da auch aller Lärm eurer Herzen stille ward, –

    – nun redet es, nun hört es sich, nun schleicht es sich in nächtliche überwache Seelen: ach! ach! wie sie seufzt! wie sie im Traume lacht!

    – hörst du's nicht, wie sie heimlich, schrecklich, herzlich zu dir redet, die alte tiefe tiefe Mitternacht? Oh Mensch, gieb Acht!

                                                        4

    Wehe mir! Wo ist die Zeit hin? Sank ich nicht in tiefe Brunnen? Die Welt schläft –

    Ach! Ach! Der Hund heult, der Mond scheint. Lieber will ich sterben, sterben, als euch sagen, was mein Mitternachts-Herz eben denkt.

    Nun starb ich schon. Es ist dahin. Spinne, was spinnst du um mich? Willst du Blut? Ach! Ach! der Thau fällt, die Stunde kommt –

    – die Stunde, wo mich fröstelt und friert, die fragt und fragt und fragt: »wer hat Herz genug dazu?

    – wer soll der Erde Herr sein? Wer will sagen: so sollt ihr laufen, ihr grossen und kleinen Ströme!«

    – die Stunde naht: oh Mensch, du höherer Mensch, gieb Acht! diese Rede ist für feine Ohren, für deine Ohren was spricht die tiefe Mitternacht?

                                                        5

    Es trägt mich dahin, meine Seele tanzt. Tagewerk! Tagewerk! Wer soll der Erde Herr sein?

    Der Mond ist kühl, der Wind schweigt. Ach! Ach! Flogt ihr schon hoch genug? Ihr tanztet: aber ein Bein ist doch kein Flügel.

    Ihr guten Tänzer, nun ist alle Lust vorbei, Wein ward Hefe, jeder Becher ward mürbe, die Gräber stammeln.

    Ihr flogt nicht hoch genug: nun stammeln die Gräber »erlöst doch die Todten! Warum ist so lange Nacht? Macht uns nicht der Mond trunken?«

    Ihr höheren Menschen, erlöst doch die Gräber, weckt die Leichname auf! Ach, was gräbt noch der Wurm? Es naht, es naht die Stunde, –

    – es brummt die Glocke, es schnarrt noch das Herz, es gräbt noch der Holzwurm, der Herzenswurm. Ach! Ach! Die Welt ist tief!

                                                        6

    Süsse Leier! Süsse Leier! Ich liebe deinen Ton, deinen trunkenen Unken-Ton! – wie lang her, wie fern her kommt mir dein Ton, weit her, von den Teichen der Liebe!

    Du alte Glocke, du süsse Leier! Jeder Schmerz riss dir in's Herz, Vaterschmerz, Väterschmerz, Urväterschmerz, deine Rede wurde reif,-

    – reif gleich goldenem Herbste und Nachmittage, gleich meinem Einsiedlerherzen – nun redest du: die Welt selber ward reif, die Traube bräunt,

    – nun will sie sterben, vor Glück sterben. Ihr höheren Menschen, riecht ihr's nicht? Es quillt heimlich ein Geruch herauf,

    – ein Duft und Geruch der Ewigkeit, ein rosenseliger, brauner Gold-Wein-Geruch von altem Glücke,

    von trunkenem Mitternachts-Sterbeglücke, welches singt: die Welt ist tief und tiefer als der Tag gedacht!

                                                        7

    Lass mich! Lass mich! Ich bin zu rein für dich. Rühre mich nicht an! Ward meine Welt nicht eben vollkommen?

    Meine Haut ist zu rein für deine Hände. Lass mich, du dummer tölpischer dumpfer Tag! Ist die Mitternacht nicht heller?

    Die Reinsten sollen der Erde Herrn sein, die Unerkanntesten, Stärksten, die Mitternachts-Seelen, die heller und tiefer sind als jeder Tag.

    Oh Tag, du tappst nach mir? Du tastest nach meinem Glücke? Ich bin dir reich, einsam, eine Schatzgrube, eine Goldkammer?

    Oh Welt, du willst mich? Bin ich dir weltlich? Bin ich dir geistlich? Bin ich dir göttlich? Aber Tag und Welt, ihr seid zu plump, –

    – habt klügere Hände, greift nach tieferem Glücke, nach tieferem Unglücke, greift nach irgend einem Gotte, greift nicht nach mir:

    – mein Unglück, mein Glück ist tief, du wunderlicher Tag, aber doch bin ich kein Gott, keine Gottes-Hölle: tief ist ihr Weh.

                                                        8

    Gottes Weh ist tiefer, du wunderliche Welt! Greife nach Gottes Weh, nicht nach mir! Was bin ich! Eine trunkene süsse Leier, –

    eine Mitternachts-Leier, eine Glocken-Unke, die Niemand versteht, aber welche reden muss, vor Tauben, ihr höheren Menschen! Denn ihr versteht mich nicht!

    Dahin! Dahin! Oh Jugend! Oh Mittag! Oh Nachmittag! Nun kam Abend und Nacht und Mitternacht, – der Hund heult, der Wind:

    – ist der Wind nicht ein Hund? Er winselt, er kläfft, er heult. Ach! Ach! wie sie seufzt! wie sie lacht, wie sie röchelt und keucht, die Mitternacht!

    Wie sie eben nüchtern spricht, diese trunkene Dichterin! sie übertrat wohl ihre Trunkenheit? sie wurde überwach? sie käut zurück?

    – ihr Weh käut sie zurück, im Traume, die alte tiefe Mitternacht, und mehr noch ihre Lust. Lust nämlich, wenn schon Weh tief ist: Lust ist tiefer noch als Herzeleid.

                                                        9

    Du Weinstock! Was preisest du mich? Ich schnitt dich doch! Ich bin grausam, du blutest –: was will dein Lob meiner trunkenen Grausamkeit?

    »Was vollkommen ward, alles Reife – will sterben!« so redest du. Gesegnet, gesegnet sei das Winzermesser! Aber alles Unreife will leben: wehe!

    Weh spricht: »Vergeh! Weg, du Wehe!« Aber Alles, was leidet, will leben, dass es reif werde und lustig und sehnsüchtig,

    – sehnsüchtig nach Fernerem, Höherem, Hellerem. »Ich will Erben, so spricht Alles, was leidet, ich will Kinder, ich will nicht mich,« –

    Lust aber will nicht Erben, nicht Kinder, – Lust will sich selber, will Ewigkeit, will Wiederkunft, will Alles-sich-ewig-gleich.

    Weh spricht: »Brich, blute, Herz! Wandle, Bein! Flügel, flieg! Hinan! Hinauf! Schmerz!« Wohlan! Wohlauf! Oh mein altes Herz: Weh spricht: »vergeh!«

                                                        10

    Ihr höheren Menschen, was dünket euch? Bin ich ein Wahrsager? Ein Träumender? Trunkener? Ein Traumdeuter? Eine Mitternachts-Glocke?

    Ein Tropfen Thau's? Ein Dunst und Duft der Ewigkeit? Hört ihr's nicht? Riecht ihr's nicht? Eben ward meine Welt vollkommen, Mitternacht ist auch Mittag, –

    Schmerz ist auch eine Lust, Fluch ist auch ein Segen, Nacht ist auch eine Sonne, – geht davon oder ihr lernt: ein Weiser ist auch ein Narr.

    Sagtet ihr jemals ja zu Einer Lust? Oh, meine Freunde, so sagtet ihr Ja auch zu allem Wehe. Alle Dinge sind verkettet, verfädelt, verliebt, –

    – wolltet ihr jemals Ein Mal Zwei Mal, spracht ihr jemals »du gefällst mir, Glück! Husch! Augenblick!« so wolltet ihr Alles zurück!

    – Alles von neuem, Alles ewig, Alles verkettet, verfädelt, verliebt, oh so liebtet ihr die Welt, –

    – ihr Ewigen, liebt sie ewig und allezeit: und auch zum Weh sprecht ihr: vergeh, aber komm zurück! Denn alle Lust will – Ewigkeit!

                                                        11

     Alle Lust will aller Dinge Ewigkeit, will Honig, will Hefe, will trunkene Mitternacht, will Gräber, will Gräber-Thränen-Trost, will vergüldetes Abendroth –

     – was will nicht Lust! sie ist durstiger, herzlicher, hungriger, schrecklicher, heimlicher als alles Weh, sie will sich, sie beisst in sich, des Ringes Wille ringt in ihr, –

     – sie will Liebe, sie will Hass, sie ist überreich, schenkt, wirft weg, bettelt, dass Einer sie nimmt, dankt dem Nehmenden, sie möchte gern gehasst sein, –

     – so reich ist Lust, dass sie nach Wehe durstet, nach Hölle, nach Hass, nach Schmach, nach dem Krüppel, nach Welt, – denn diese Welt, oh ihr kennt sie ja!

     Ihr höheren Menschen, nach euch sehnt sie sich, die Lust, die unbändige, selige, – nach eurem Weh, ihr Missrathenen! Nach Missrathenem sehnt sich alle ewige Lust.

     Denn alle Lust will sich selber, drum will sie auch Herzeleid! Oh Glück, oh Schmerz! Oh brich, Herz! Ihr höheren Menschen, lernt es doch, Lust will Ewigkeit,

     – Lust will aller Dinge Ewigkeit, will tiefe, tiefe Ewigkeit!

                                                        12

    Lerntet ihr nun mein Lied? Erriethet ihr, was es will? Wohlan! Wohlauf! Ihr höheren Menschen, so singt mir nun meinen Rundgesang!

    Singt mir nun selber das Lied, dess Name ist »Noch ein Mal«, dess Sinn ist »in alle Ewigkeit!«, singt, ihr höheren Menschen, Zarathustra's Rundgesang!

        Oh Mensch! Gieb Acht!
        Was spricht die tiefe Mitternacht?
        »Ich schlief, ich schlief –,
        »Aus tiefem Traum bin ich erwacht: –
        »Die Welt ist tief,
        »Und tiefer als der Tag gedacht.
        »Tief ist ihr Weh –,
        »Lust – tiefer noch als Herzeleid:
        »Weh spricht: Vergeh!
        »Doch alle Lust will Ewigkeit
        »will tiefe, tiefe Ewigkeit!«

                                             Das Zeichen

    Des Morgens aber nach dieser Nacht sprang Zarathustra von seinem Lager auf, gürtete sich die Lenden und kam heraus aus seiner Höhle, glühend und stark, wie eine Morgensonne, die aus dunklen Bergen kommt.

    »Du grosses Gestirn, sprach er, wie er einstmal gesprochen hatte, du tiefes Glücks-Auge, was wäre all dein Glück, wenn du nicht Die hättest, welchen du leuchtest!

    Und wenn sie in ihren Kammern blieben, während du schon wach bist und kommst und schenkst und austheilst: wie würde darob deine stolze Scham zürnen!

    Wohlan! sie schlafen noch, diese höheren Menschen, während ich wach bin: das sind nicht meine rechten Gefährten! Nicht auf sie warte ich hier in meinen Bergen.

    Zu meinem Werke will ich, zu meinem Tage: aber sie verstehen nicht, was die Zeichen meines Morgens sind, mein Schritt – ist für sie kein Weckruf.

    Sie schlafen noch in meiner Höhle, ihr Traum käut noch an meinen Mitternächten. Das Ohr, das nach mir horcht, – das gehorchende Ohr fehlt in ihren Gliedern.«

    – Diess hatte Zarathustra zu seinem Herzen gesprochen, als die Sonne aufgieng: da blickte er fragend in die Höhe, denn er hörte über sich den scharfen Ruf seines Adlers. »Wohlan! rief er hinauf, so gefällt und gebührt es mir. Meine Thiere sind wach, denn ich bin wach.

    Mein Adler ist wach und ehrt gleich mir die Sonne. Mit Adlers-Klauen greift er nach dem neuen Lichte. Ihr seid meine rechten Thiere; ich liebe euch.

    Aber noch fehlen mir meine rechten Menschen!« –

    Also sprach Zarathustra; da aber geschah es, dass er sich plötzlich wie von unzähligen Vögeln umschwärmt und umflattert hörte, – das Geschwirr so vieler Flügel aber und das Gedräng um sein Haupt war so gross, dass er die Augen schloss. Und wahrlich, einer Wolke gleich fiel es über ihn her, einer Wolke von Pfeilen gleich, welche sich über einen neuen Feind ausschüttet. Aber siehe, hier war es eine Wolke der Liebe, und über einen neuen Freund.

    »Was geschieht mir?« dachte Zarathustra in seinem erstaunten Herzen und liess sich langsam auf dem grossen Steine nieder, der neben dem Ausgange seiner Höhle lag. Aber, indem er mit den Händen um sich und über sich und unter sich griff, und den zärtlichen Vögeln wehrte, siehe, da geschah ihm etwas noch Seltsameres: er griff nämlich dabei unvermerkt in ein dichtes warmes Haar-Gezottel hinein; zugleich aber erscholl vor ihm ein Gebrüll, – ein sanftes langes Löwen-Brüllen.

    » Das Zeichen kommt,« sprach Zarathustra und sein Herz verwandelte sich. Und in Wahrheit, als es helle vor ihm wurde, da lag ihm ein gelbes mächtiges Gethier zu Füssen und schmiegte das Haupt an seine Knie und wollte nicht von ihm lassen vor Liebe und that einem Hunde gleich, welcher seinen alten Herrn wiederfindet. Die Tauben aber waren mit ihrer Liebe nicht minder eifrig als der Löwe; und jedes Mal, wenn eine Taube über die Nase des Löwen huschte, schüttelte der Löwe das Haupt und wunderte sich und lachte dazu.

    Zu dem Allen sprach Zarathustra nur Ein Wort: » meine Kinder sind nahe, meine Kinder« –, dann wurde er ganz stumm. Sein Herz aber war gelöst, und aus seinen Augen tropften Thränen herab und fielen auf seine Hände. Und er achtete keines Dings mehr und sass da, unbeweglich und ohne dass er sich noch gegen die Thiere wehrte. Da flogen die Tauben ab und zu und setzten sich ihm auf die Schulter und liebkosten sein weisses Haar und wurden nicht müde mit Zärtlichkeit und Frohlocken. Der starke Löwe aber leckte immer die Thränen, welche auf die Hände Zarathustra's herabfielen und brüllte und brummte schüchtern dazu. Also trieben es diese Thiere. –

    Diess Alles dauerte eine lange Zeit, oder eine kurze Zeit: denn, recht gesprochen, giebt es für dergleichen Dinge auf Erden keine Zeit –. Inzwischen aber waren die höheren Menschen in der Höhle Zarathustra's wach geworden und ordneten sich mit einander zu einem Zuge an, dass sie Zarathustra entgegen giengen und ihm den Morgengruss böten: denn sie hatten gefunden, als sie erwachten, dass er schon nicht mehr unter ihnen weilte. Als sie aber zur Thür der Höhle gelangten, und das Geräusch ihrer Schritte ihnen voranlief, da stutzte der Löwe gewaltig, kehrte sich mit Einem Male von Zarathustra ab und sprang, wild brüllend, auf die Höhle los; die höheren Menschen aber, als sie ihn brüllen hörten, schrien alle auf, wie mit Einem Munde, und flohen zurück und waren im Nu verschwunden.

    Zarathustra selber aber, betäubt und fremd, erhob sich von seinem Sitze, sah um sich, stand staunend da, fragte sein Herz, besann sich und war allein. »Was hörte ich doch? sprach er endlich langsam, was geschah mir eben?«

    Und schon kam ihm die Erinnerung, und er begriff mit Einem Blicke Alles, was zwischen Gestern und Heute sich begeben hatte. »Hier ist ja der Stein, sprach er und strich sich den Bart, auf dem sass ich gestern am Morgen; und hier trat der Wahrsager zu mir, und hier hörte ich zuerst den Schrei, den ich eben hörte, den grossen Nothschrei.

    Oh ihr höheren Menschen, von eurer Noth war's ja, dass gestern am Morgen jener alte Wahrsager mir wahrsagte, –

    – zu eurer Noth wollte er mich verfuhren und versuchen: oh Zarathustra, sprach er zu mir, ich komme, dass ich dich zu deiner letzten Sünde verführe.

    Zu meiner letzten Sünde? rief Zarathustra und lachte zornig über sein eigenes Wort: was blieb mir doch aufgespart als meine letzte Sünde?«

    – Und noch ein Mal versank Zarathustra in sich und setzte sich wieder auf den grossen Stein nieder und sann nach. Plötzlich sprang er empor, –

    » Mitleiden! Das Mitleiden mit dem höheren Menschen! schrie er auf, und sein Antlitz verwandelte sich in Erz. Wohlan! Das – hatte seine Zeit!

    Mein Leid und mein Mitleiden – was liegt daran! Trachte ich denn nach Glücke? Ich trachte nach meinem Werke!

    Wohlan! Der Löwe kam, meine Kinder sind nahe, Zarathustra ward reif, meine Stunde kam: –

    Dies ist mein Morgen, mein Tag hebt an: herauf nun, herauf, du grosser Mittag!« – –

    Also sprach Zarathustra und verliess seine Höhle, glühend und stark, wie eine Morgensonne, die aus dunklen Bergen kommt.