Nina Grätz
Die Fliege und der Pop
Erzähler
Eule
Fliege
Ganz weit oben aus einer Baumhöhle, die einer kleinen Eule gehörte, drang ein fröhliches Summen. Eigentlich war es noch ein bisschen früh für Eule, die gewöhnlich erst erwachte, wenn die Sonne bereits untergegangen war. Doch an diesem sommerlichen Abend war sie durch eine wunderbare Melodie geweckt worden. Der Wind musste sie herbeigetragen haben. Sie konnte gar nicht aufhören, mitzusingen. Aber woher kam diese Melodie?
Wie gut, dass ich so gut hören kann
Sie stellte dazu ihre Gesichtsfedern so auf, dass sie die Form einer Satellitenschüssel annahmen und steckte nun ihren Kopf aus er Höhle. Auf diese Weise konnte sie viel besser orten, wo die Geräusche in der Umgebung herkamen. Sie blickte hinunter in den Wald und weiter zum See, der in der Abendsonne golden glitzerte. Dort waren Menschen, die ihre Handtücher ausgebreitet hatten und im See badeten. Sie war ganz sicher: Dort musste die Musik herkommen. Lautlos glitt sie hinunter und landete auf einem Baum am Rande des Waldes. Jetzt konnte sie deutlich hören, dass die Musik aus einem Radio der geparkten Autos kam. Eines der Fenster war heruntergekurbelt, aber Eule konnte niemanden entdecken. Ohne noch weiter nachzudenken, flog sie gradewegs durch das geöffnete Fenster und landete auf dem Sitz. Voller Begeisterung drehte Eule lauter. Doch was war das? Der Song war gar nicht lauter geworden. Er klang nur irgendwie anders. Oder war es doch der gleiche?
Hey, Eule! Was machst du denn da?
Eule erschrak. Woher kam dieses quäkende Stimmchen? Das Auto war doch leer gewesen
Hier! Huhu! An der Windschutzscheibe!
Oh? Ah! Ich hab‘ dich gar nicht gesehen
Jetzt entdeckte Eule eine Fliege an der Scheibe, die eine Paillettenjacke trug
(Lachen) Aber ich hab‘ dich gesehen. Und vielleicht ist es dir nicht aufgefallen, aber du hast den Radiosender verstellt
Entschuldige. Ich wollte doch nur lauter machen, weil mir das Lied so gut gefiel
Aber du hast leider am falschen Knopf gedreht. Und nun ist der Sender verstellt
Das tut mir wirklich Leid. Aber zum Glück spielt dieser andere Sender ja das gleiche Lied, nicht wahr?
(Lachen) Eule, Eule. Du bekommst in deinem Wald wohl gar nichts mit, was? Das ist doch ein anderer Popsong. Das ist ein echter Hit!
Ein Popsong? Eule guckte leicht verdattert auf das Radio. War das nicht einfach eine schöne Melodie, die man sofort mitsingen konnte?
Ach komm, Eule. Nun mach nicht so ein trauriges Gesicht. Du hast es eigentlich schon fast verstanden
Achso?
Ja, das du eben dachtest, du würdest noch immer den gleichen Song hören, liegt daran, dass Popmusik einem sehr ähnlichen Aufbau folgt. Das Lied besteht aus Strophen, einem wiederkehrendem Vers, dem Refrain und einer wunderbaren Melodie, die man sich mega leicht merken und sofort mitsingen kann. Schwupps - und schon hast du einen Ohrwurm!
Oh Nein! Ein Wurm? In meinem Ohr?
(Lachen) Eule! Keine Sorge. Doch keinen richtigen Wurm - einen Liedwurm. Einen mega guten Song, der wie ein kleiner singender Wurm in deinem Ohr sitzt und dir lange in Erinnerung bleibt