Franz von Moor nachdenkend in seinem Zimmer.
Es dauert mir zu lange – der Doctor will, er sei im Umkehren – das Leben eines Alten ist eine Ewigkeit! – Und nun wär' freie, ebene Bahn bis auf diesen ärgerlichen zähen Klumpen Fleisch, der mir, gleich dem unterirdischen Zauberhund in den Geistermärchen, den Weg zu meinen Schätzen verrammelt.
Müssen denn aber meine Entwürfe sich unter das eiserne Joch des Mechanismus beugen? – Soll sich mein hochfliegender Geist an den Schneckengang der Materie ketten lassen? – Ein Licht ausgeblasen, das ohnehin nur mit den letzten Öltropfen noch wuchert – mehr ist's nicht – Und doch möcht' ich das nicht gern selbst gethan haben, um der Leute willen. Ich möcht' ihn nicht gern getödtet, aber abgelebt. Ich möcht' es machen wie der gescheidte Arzt, nur umgekehrt. – Nicht der Natur durch einen Querstreich den Weg verrannt, sondern sie in ihrem eigenen Gange befördert. Und wir vermögen doch wirklich die Bedingungen des Lebens zu verlängern, warum sollten wir sie nicht auch verkürzen können?
Philosophen und Mediciner lehren mich, wie treffend die Stimmungen des Geists mit den Bewegungen der Maschine zusammenlauten. Gichtrische Empfindungen werden jederzeit von einer Dissonanz der mechanischen Schwingungen begleitet – Leidenschaften mißhandeln die Lebenskraft – der überladene Geist drückt sein Gehäuse zu Boden – Wie denn nun? – Wer es verstünde, dem Tod diesen ungebahnten Weg in das Schloß des Lebens zu ebenen? – den Körper vom Geist aus zu verderben – ha! ein Originalwerk! – wer das zu Stand brächte? – Ein Werk ohne Gleichen! – Sinne nach, Moor! – Das wär' eine Kunst, die's verdiente, dich zum Erfinder zu haben. Hat man doch die Giftmischerei beinahe in den Rang einer ordentlichen Wissenschaft erhoben und die Natur durch Experimente gezwungen ihre Schranken anzugeben, daß man nunmehr des Herzens Schläge Jahr' lang vorausrechnet und zu dem Pulse spricht: bis hieher und nicht weiter! – Wer sollte nicht auch hier seine Flügel versuchen?
Und wie ich nun werde zu Werk gehen müssen, diese süße, friedliche Eintracht der Seele mit ihrem Leibe zu stören? Welche Gattung von Empfindnissen ich werde wählen müssen? Welche wohl den Flor des Lebens am grimmigsten anfeinden? Zorn? – dieser heißhungrige Wolf frißt sich zu schnell satt – Sorge? – dieser Wurm nagt mir zu langsam – Gram? – diese Natter schleicht mir zu träge – Furcht? – die Hoffnung läßt sich nicht umgreifen – Was? sind das all die Henker des Menschen? – Ist das Arsenal des Todes so bald erschöpft? – (Tiefsinnend.) Wie? – Nun? – Was? Nein! – Ha! (Auffahrend.) Schreck! – Was kann der Schreck nicht? – Was kann Vernunft, Religion wider dieses Giganten eiskalte Umarmung? – Und doch? – Wenn er auch diesem Sturm stünde? – Wenn er? – O so komme du mir zu Hilfe, Jammer, und du, Reue, höllische Eumenide, grabende Schlange, die ihren Fraß wiederkäut und ihren eigenen Koth wiederfrißt, ewige Zerstörerinnen und ewige Schöpferinnen eures Giftes! und du, heulende Selbstverklagung, die du dein eigen Haus verwüstest und deine eigene Mutter verwundest – Und kommt auch ihr mir zu Hilfe, wohlthätige Grazien selbst, sanftlächelnde Vergangenheit, und du mit dem überquellenden Füllhorn, blühende Zukunft, haltet ihm in euren Spiegeln die Freuden des Himmels vor, wenn euer fliehender Fuß seinen geizigen Armen entgleitet – So fall' ich, Streich auf Streich, Sturm auf Sturm, dieses zerbrechliche Leben an, bis den Furientrupp zuletzt schließt – die Verzweiflung! Triumph! Triumph! – Der Plan ist fertig – schwer und kunstvoll wie keiner – zuverlässig – sicher – denn (spöttisch) des Zergliederers Messer findet ja keine Spuren von Wunde oder corrosivischem Gift.
(Entschlossen.) Wohlan denn! (Hermann tritt auf.) Ha! Deus ex machina! Hermann!
Hermann. Zu Euren Diensten, gnädiger Junker!
Franz (gibt ihm die Hand). Die du keinem Undankbaren erweisest.
Hermann. Ich hab' Proben davon.
Franz. Du sollst mehr haben mit nächstem – mit nächstem, Hermann! – Ich habe dir etwas zu sagen, Hermann.
Hermann. Ich höre mit tausend Ohren.
Franz. Ich kenne dich, du bist ein entschloßner Kerl – Soldatenherz – Haar auf der Zunge! – Mein Vater hat dich sehr beleidigt, Hermann!
Hermann. Der Teufel hole mich, wenn ich's vergesse!
Franz. Das ist der Ton eines Mannes! Rache geziemt einer männlichen Brust. Du gefällst mir, Hermann. Nimm diesen Beutel, Hermann. Er sollte schwerer sein, wenn ich erst Herr wäre.
Hermann. Das ist ja mein ewiger Wunsch, gnädiger Junker; ich dank' Euch.
Franz. Wirklich, Hermann? wünschest du wirklich, ich wäre Herr? – aber mein Vater hat das Mark eines Löwen, und ich bin der jüngere Sohn.
Hermann. Ich wollt', Ihr wär't der ältere Sohn, und Euer Vater hätte das Mark eines schwindsüchtigen Mädchens.
Franz. Ha! wie dich der ältere Sohn dann belohnen wollte! wie er dich aus diesem unedlen Staub, der sich so wenig mit deinem Geist und Adel verträgt, ans Licht emporheben wollte! – Dann solltest du, ganz wie du da bist, mit Gold überzogen werden und mit vier Pferden durch die Straßen dahinrasseln, wahrhaftig! das solltest du! – Aber ich vergesse, wovon ich dir sagen wollte – hast du das Fräulein von Edelreich schon vergessen, Hermann?
Hermann. Wetter Element! was erinnert Ihr mich an das?
Franz. Mein Bruder hat sie dir weggefischt.
Hermann. Er soll dafür büßen!
Franz. Sie gab dir einen Korb. Ich glaube gar, er warf dich die Treppe hinunter.
Hermann. Ich will ihn dafür in die Hölle stoßen.
Franz. Er sagte: man raune sich einander ins Ohr, du seist zwischen dem Rindfleisch und Merrettig gemacht worden, und dein Vater habe dich nie ansehen können, ohne an die Brust zu schlagen und zu seufzen: Gott sei mir Sünder gnädig!
Hermann (wild). Blitz, Donner und Hagel, seid still!
Franz. Er rieth dir, deinen Adelbrief im Aufstreich zu verkaufen und deine Strümpfe damit flicken zu lassen.
Hermann. Alle Teufel! ich will ihm die Augen mit den Nägeln auskratzen.
Franz. Was? du wirst böse? was kannst du böse auf ihn sein? was kannst du ihm Böses thun? was kann so eine Ratze gegen einen Löwen? Dein Zorn versüßt ihm seinen Triumph nur. Du kannst nichts thun, als deine Zähne zusammenschlagen und deine Wuth an trocknem Brode auslassen.
Hermann (stampft auf den Boden). Ich will ihn zu Staub zerreiben.
Franz (klopft ihm auf die Achsel). Pfui, Hermann! du bist ein Cavalier. Du mußt den Schimpf nicht auf dir sitzen lassen. Du mußt das Fräulein nicht fahren lassen, nein, das mußt du um alle Welt nicht thun, Hermann! Hagel und Wetter! ich würde das Äußerste versuchen, wenn ich an deiner Stelle wäre.
Hermann. Ich ruhe nicht, bis ich ihn und ihn unterm Boden hab'.
Franz. Nicht so stürmisch, Hermann! Komm näher – du sollst Amalia haben.
Hermann. Das muß ich, trutz dem Teufel! das muß ich!
Franz. Du sollst sie haben, sag' ich dir, und das von meiner Hand. Komm näher, sag' ich – du weißt vielleicht nicht, daß Karl so gut als enterbt ist?
Hermann (näher kommend). Unbegreiflich! das erste Wort, das ich höre.
Franz. Sei ruhig und höre weiter! du sollst ein andermal mehr davon hören – ja ich sage dir, seit eilf Monaten so gut als verbannt. Aber schon bereut der Alte den voreiligen Schritt, den er doch, (lachend) will ich hoffen, nicht selbst gethan hat. Auch liegt ihm die Edelreich täglich hart an mit ihren Vorwürfen und Klagen. Über kurz oder lang wird er ihn in allen vier Enden der Welt aufsuchen lassen, und gute Nacht, Hermann! wenn er ihn findet. Du kannst ihm ganz demüthig die Kutsche halten, wenn er mit ihr in die Kirche zur Trauung fährt.
Hermann. Ich will ihn am Crucifix erwürgen.
Franz. Der Vater wird ihm bald die Herrschaft abtreten und in Ruhe auf seinen Schlössern leben. Jetzt hat der stolze Strudelkopf den Zügel in Händen, jetzt lacht er seiner Hasser und Neider – und ich, der ich dich zu einem wichtigen großen Mann machen wollte, ich selbst, Hermann, werde tiefgebückt vor seiner Thürschwelle –
Hermann (in Hitze). Nein, so wahr ich Hermann heiße, das sollt Ihr nicht! wenn noch ein Fünkchen Verstand in diesem Gehirne glostet, das sollt Ihr nicht!
Franz. Wirst du das hindern? Auch dich, mein lieber Hermann, wird er seine Geißel fühlen lassen, wird dir ins Angesicht speien, wenn du ihm auf der Straße begegnest, und wehe dir dann, wenn du die Achsel zuckst oder das Maul krümmst – siehe, so steht's mit deiner Anwerbung ums Fräulein, mit deinen Aussichten, mit deinen Entwürfen.
Hermann. Sagt mir, was soll ich thun?
Franz. Höre denn, Hermann, daß du siehst, wie ich mir dein Schicksal zu Herzen nehme als ein redlicher Freund – geh – kleide dich um – mach dich ganz unkenntlich, laß dich beim Alten melden, gib vor, du kämest geraden Wegs aus Böhmen, hättest mit meinem Bruder dem Treffen bei Prag beigewohnt – hättest ihn auf der Walstatt den Geist aufgeben sehen –
Hermann. Wird man mir glauben?
Franz. Hoho! dafür laß mich sorgen! Nimm dieses Paket. Hier findest du deine Commission ausführlich. Und Documente dazu, die den Zweifel selbst glaubig machen sollen – Mach jetzt nur, daß du fortkommst, und ungesehen! Spring durch die Hinterthüre in den Hof, von da über die Gartenmauer – die Katastrophe dieser Tragi-Komödie überlaß mir!
Hermann. Und die wird sein: Vivat der neue Herr, Franciscus von Moor!
Franz (streichelt ihm die Backen). Wie schlau du bist? – denn siehst du, auf diese Art erreichen wir alle Zwecke zumal und bald. Amalia gibt ihre Hoffnung auf ihn auf. Der Alte mißt sich den Tod seines Sohnes bei, und – er kränkelt – ein schwankendes Gebäude braucht des Erdbebens nicht, um übern Haufen zu fallen – er wird die Nachricht nicht überleben – dann bin ich sein einziger Sohn – Amalia hat ihre Stützen verloren und ist ein Spiel meines Willens – da kannst du leicht denken – kurz, Alles geht nach Wunsch – aber du mußt dein Wort nicht zurücknehmen.
Hermann. Was sagt ihr? (Frohlockend.) Eh soll die Kugel in ihren Lauf zurückkehren und in dem Eingeweid ihres Schützen wüthen – rechnet auf mich! Laßt nur mich machen – Adieu!
Franz (ihm nachrufend). Die Ernte ist dein, lieber Hermann! – (Allein.) Wenn der Ochse den Kornwagen in die Scheune gezogen hat, so muß er mit Heu vorlieb nehmen. Dir eine Stallmagd, und keine Amalia! (Geht ab.)