Friedrich Schiller
Die Räuber (4. Akt - 4. Scene)
Im Garten.

Amalia.

Du weinst, Amalia? – und das sprach er mit einer Stimme, mit einer Stimme – mir war's, als ob die Natur sich verjüngte – die genossenen Lenze der Liebe dämmerten auf mit der Stimme! Die Nachtigall schlug wie damals – die Blumen hauchten wie damals – und ich lag wonneberauscht an seinem Hals – Ha! falsches, treuloses Herz! wie du deinen Meineid beschönigen willst! Nein, nein, weg aus meiner Seele, du Frevelbild! – ich hab' meinen Eid nicht gebrochen, du Einziger! Weg aus meiner Seele, ihr verrätherischen gottlosen Wünsche! im Herzen, wo Karl herrscht, darf kein Erdensohn nisten. – Aber warum, meine Seele, so immer, so wider Willen nach diesem Fremdling? Hängt er sich nicht so hart an das Bild meines Einzigen? Ist er nicht der ewige Begleiter meines Einzigen? Du weinst, Amalia? – Ha, ich will ihn fliehen! – fliehen! – Nimmermehr sehen soll mein Aug diesen Fremdling!

Räuber Moor öffnet die Gartenthüre.

Amalia (fährt zusammen). Horch! horch! Rauschte die Thüre nicht? (Sie wird Karln gewahr und springt auf.) Er – wohin? – was? – da hat mich's angewurzelt, daß ich nicht fliehen kann – Verlaß mich nicht, Gott im Himmel! – Nein, du sollst mir meinen Karl nicht entreißen! Meine Seele hat nicht Raum für zwei Gottheiten, und ich bin ein sterbliches Mädchen! (Sie nimmt Karls Bild heraus.) Du, mein Karl, sei mein Genius wider diesen Fremdling, den Liebestörer! dich, dich ansehen unverwandt, – und weg alle gottlosen Blicke nach Diesem. (Sie sitzt stumm – das Auge starr auf das Bild geheftet.)

Moor. Sie da, gnädiges Fräulein? – und traurig? – und eine Thräne auf diesem Gemälde? (Amalia gibt ihm keine Antwort.) – Und wer ist der Glückliche, um den sich das Aug eines Engels versilbert? darf auch ich diesen Verherrlichten – (Er will das Gemälde betrachten.)

Amalia. Nein, ja, nein!

Moor (zurückfahrend). Ha! – und verdient er diese Vergötterung? verdient er? –

Amalia. Wenn Sie ihn gekannt hätten!

Moor. Ich würd' ihn beneidet haben.

Amalia. Angebetet, wollen Sie sagen.

Moor. Ha!

Amalia. Oh, Sie hätten ihn so lieb gehabt – es war so viel, so viel in seinem Angesicht – in seinen Augen – im Ton seiner Stimme, das Ihnen so gleich kommt – das ich so liebe –
Moor (sieht zur Erde).

Amalia. Hier, wo Sie stehen, stand er tausendmal – und neben ihm Die, die neben ihm Himmel und Erde vergaß – hier durchirrte sein Aug die um ihn prangende Gegend – sie schien den großen belohnenden Blick zu empfinden und sich unter dem Wohlgefallen ihres Meisterbildes zu verschönern – hier hielt er mit himmlischer Musik die Hörer der Lüfte gefangen – hier an diesem Busch pflückte er Rosen, und pflückte die Rosen für mich – hier, hier lag er an meinem Halse, brannte sein Mund auf dem meinen, und die Blumen starben gern unter der Liebenden Fußtritt –

Moor. Er ist nicht mehr?

Amalia. Er segelt auf ungestümen Meeren – Amalias Liebe segelt mit ihm – er wandelt durch ungebahnte sandigte Wüsten – Amalias Liebe macht den brennenden Sand unter ihm grünen und die wilden Gesträuche blühen – der Mittag sengt sein entblößtes Haupt, nordischer Schnee schrumpft seine Sohlen zusammen, stürmischer Hagel regnet um seine Schläfe, und Amalias Liebe wiegt ihn in Stürmen ein – Meere und Berge und Horizonte zwischen den Liebenden – aber die Seelen versetzen sich aus dem staubigten Kerker und treffen sich im Paradiese der Liebe – Sie scheinen traurig, Herr Graf?

Moor. Die Worte der Liebe machen auch meine Liebe lebendig.

Amalia (blaß). Was? Sie lieben eine Andre? – Weh mir, was hab' ich gesagt?

Moor. Sie glaubte mich todt, und blieb treu dem Todtgeglaubten – sie hörte wieder, ich lebe, und opferte mir die Krone einer Heiligen auf. Sie weiß mich in Wüsten irren und im Elend herumschwärmen, und ihre Liebe fliegt durch Wüsten und Elend mir nach. Auch heißt sie Amalia, wie Sie, gnädiges Fräulein.

Amalia. Wie beneid' ich Ihre Amalia!

Moor. Oh, sie ist ein unglückliches Mädchen; ihre Liebe ist für einen, der verloren ist, und wird – ewig niemals belohnt.

Amalia. Nein, sie wird im Himmel belohnt. Sagt man nicht, es gebe eine bessere Welt, wo dir Traurigen sich freuen und die Liebenden sich wieder erkennen?

Moor. Ja, eine Welt, wo die Schleier hinwegfallen und die Liebe sich schrecklich wiederfindet – Ewigkeit heißt ihr Name – meine Amalia ist ein unglückliches Mädchen.

Amalia. Unglücklich, und Sie lieben?

Moor. Unglücklich, weil sie mich liebt! Wie, wenn ich ein Todtschläger wäre? wie, mein Fräulein, wenn Ihr Geliebter Ihnen für jeden Kuß einen Mord aufzählen könnte? Wehe meiner Amalia! sie ist ein unglückliches Mädchen.
Amalia (froh aufhüpfend). Ha! wie bin ich ein glückliches Mädchen! Mein Einziger ist Nachtstrahl der Gottheit, und die Gottheit ist Huld und Erbarmen! Nicht eine Fliege konnt' er leiden sehen – Seine Seele ist so fern von einem blutigen Gedanken, als fern der Mittag von der Mitternacht ist.

Moor (kehrt sich schnell ab in ein Gebüsch, blickt starr in die Gegend).

Amalia (singt und spielt auf der Laute).

Willst mich, Hektor, ewig mir entreißen,
Wo des Äaciden mordend Eisen
Dem Patroklus schrecklich Opfer bringt?
Wer wird künftig deinen Kleinen lehren
Speere werfen und die Götter ehren,
Wenn hinunter dich der Xanthus schlingt?

Moor (nimmt die Laute stillschweigend und spielt).

Theures Weib, geh, hol die Todeslanze! –
Laß – mich fort – zum wilden Kriegestanze –

(Er wirft die Laute weg und flieht davon.)