Friedrich Schiller
Don Carlos, Infant von Spanien - Kapitel 13
                                             Vierter Auftritt.                                          Der König. Domingo.

Der König (geht einigemal auf und ab, sich zu sammeln).

Domingo (tritt einige Minuten nach dem Herzog herein, nähert sich dem Könige, den er eine Zeit lang mit feierlicher Stille betrachtet).
Wie froh erstaun' ich, Eure Majestät
So ruhig, so gefaßt zu sehn.

König.
Erstaunt Ihr?

Domingo.
Der Vorsicht sei's gedankt, daß meine Furcht
Doch also nicht gegründet war! Nun darf
Ich um so eher hoffen.

König.
Eure Furcht?
Was war zu fürchten?

Domingo.
Ihre Majestät,
Ich darf nicht bergen, daß ich allbereits
Um ein Geheimniß weiß –

König (finster).
Hab' ich denn schon
Den Wunsch geäußert, es mit Euch zu theilen?
Wer kam so unberufen mir zuvor?
Sehr kühn, bei meiner Ehre!
Domingo.
Mein Monarch,
Der Ort, der Anlaß, wo ich es erfahren,
Das Siegel, unter dem ich es erfahren,
Spricht wenigstens von dieser Schuld mich frei.
Am Beichtstuhl ward es mir vertraut – vertraut
Als Missethat, die das empfindliche
Gewissen der Entdeckerin belastet
Und Gnade bei dem Himmel sucht. Zu spät
Beweint die Fürstin eine That, von der
Sie Ursach hat, die fürchterlichsten Folgen
Für ihre Königin zu ahnen.

König.
Wirklich?
Das gute Herz – Ihr habt ganz recht vermuthet,
Weßwegen ich Euch rufen ließ. Ihr sollt
Aus diesem dunkeln Labyrinth mich führen,
Worein ein blinder Eifer mich geworfen.
Von Euch erwart' ich Wahrheit. Redet offen
Mit mir. Was soll ich glauben, was beschließen?
Von Eurem Amte fordr' ich Wahrheit.

Domingo.
Sire,
Wenn meines Standes Mildigkeit mir auch
Der Schonung süße Pflicht nicht auferlegte,
Doch würd' ich Eure Majestät beschwören,
Um Ihrer Ruhe willen Sie beschwören,
Bei dem Entdeckten still zu stehn – das Forschen
In ein Geheimniß ewig aufzugeben,
Das niemals freudig sich entwickeln kann.
Was jetzt bekannt ist, kann vergeben werden.
Ein Wort des Königs – und die Königin
Hat nie gefehlt. Der Wille des Monarchen
Verleiht die Tugend wie das Glück – und nur
Die immer gleiche Ruhe meines Königs
Kann die Gerüchte mächtig niederschlagen,
Die sich die Lästerung erlaubt.
König.
Gerüchte?
Von mir? und unter meinem Volke?

Domingo.
Lügen!
Verdammenswerthe Lügen! Ich beschwör' es.
Doch freilich gibt es Fälle, wo der Glaube
Des Volks, und wär' er noch so unerwiesen,
Bedeutend wie die Wahrheit wird.

König.
Bei Gott!
Und hier gerade wär' es –

Domingo.
Guter Name
Ist das kostbare, einz'ge Gut, um welches
Die Königin mit einem Bürgerweibe
Wetteifern muß –

König.
Für den doch, will ich hoffen,
Hier nicht gezittert werden soll?

(Er ruht mit ungewissem Blick auf Domingo. Nach einigem Stillschweigen.)
Kaplan,
Ich soll noch etwas Schlimmes von Euch hören.
Verschiebt es nicht. Schon lange les' ich es
In diesem unglückbringenden Gesichte.
Heraus damit! Sei's, was es wolle! Laßt
Nicht länger mich auf dieser Folter beben.
Was glaubt das Volk?

Domingo.
Noch einmal, Sire, das Volk
Kann irren – und es irrt gewiß. Was es
Behauptet, darf den König nicht erschüttern –
Nur – daß es so weit schon sich wagen durfte,
Dergleichen zu behaupten –

König.
Was? Muß ich
So lang' um einen Tropfen Gift Euch bitten?

Domingo.
Das Volk denkt an den Monat noch zurücke,
Der Eure königliche Majestät
Dem Tode nahe brachte – dreißig Wochen
Nach diesem liest es von der glücklichen
Entbindung –

(Der König steht auf und zieht die Glocke. Herzog von Alba tritt herein. Domingo betroffen.)

Ich erstaune, Sire!

König (dem Herzog Alba entgegen gehend).
Toledo!
Ihr seid ein Mann. Schützt mich vor diesem Priester.

Domingo. (Er und Herzog Alba geben sich verlegne Blicke. Nach einer Pause).
Wenn wir voraus es hätten wissen können,
Daß diese Nachricht an dem Ueberbringer
Geahndet werden sollte –

König.
Bastard, sagt Ihr?
Ich war, sagt Ihr, vom Tode kaum erstanden,
Als sie sich Mutter fühlte? – Wie? Das war
Ja damals, wenn ich anders mich nicht irre,
Als Ihr den heiligen Dominicus
In allen Kirchen für das hohe Wunder lobtet,
Das er an mir gewirkt? – Was damals Wunder
Gewesen, ist es jetzt nicht mehr? So habt
Ihr damals oder heute mir gelogen.
An was verlangt Ihr daß ich glauben soll?
O, ich durchschau Euch. Wäre das Komplott
Schon damals reif gewesen – ja, dann war
Der Heilige um seinen Ruhm.

Alba.
Komplott!

König.
Ihr solltet
Mit dieser beispiellosen Harmonie
Jetzt in derselben Meinung euch begegnen,
Und doch nicht einverstanden sein? Mich wollt
Ihr das bereden? Mich? Ich soll vielleicht
Nicht wahrgenommen haben, wie erpicht
Und gierig ihr auf euren Raub euch stürztet?
Mit welcher Wollust ihr an meinem Schmerz,
An meines Zornes Wallung euch geweidet?
Nicht merken soll ich, wie voll Eifer dort
Der Herzog brennt, der Gunst zuvorzueilen,
Die meinem Sohn beschieden war? Wie gerne
Der fromme Mann hier seinen kleinen Groll
Mit meines Zornes Riesenarm bewehrte?
Ich bin der Bogen, bildet ihr euch ein,
Den man nur spannen dürfe nach Gefallen? –
Noch hab' ich einen Willen auch – und wenn
Ich zweifeln soll, so laßt mich wenigstens
Bei euch den Anfang machen.

Alba.
Diese Deutung
Hat unsre Treue nicht erwartet.

König.
Treue!
Die Treue warnt vor drohenden Verbrechen,
Die Rachgier spricht von den begangenen.
Laßt hören! Was gewann ich denn durch eure
Dienstfertigkeit? – Ist, was ihr vorgebt, wahr,
Was bleibt mir übrig als der Trennung Wunde?
Der Rauche trauriger Triumph? – Doch nein,
Ihr fürchtet nur, ihr gebt mir schwankende
Vermuthungen – am Absturz einer Hölle
Laßt ihr mich stehen und entfliehet.

Domingo.
Sind andre
Beweise möglich, wo das Auge selbst
Nicht überwiesen werden kann?

König (nach einer großen Pause, ernst und feierlich zu Domingo sich wendend).
Ich will
Die Großen meines Königreichs versammeln
Und selber zu Gerichte sitzen. Tretet
Heraus vor allen – habt Ihr Muth – und klaget
Als eine Buhlerin sie an! – Sie soll
Des Todes sterben – ohne Rettung – sie
Und der Infant soll sterben – aber – merkt Euch!
Kann sie sich reinigen – Ihr selbst! Wollt Ihr
Die Wahrheit durch ein solches Opfer ehren?
Entschließt Euch, Ihr wollt nicht? Ihr verstummt?
Ihr wollt nicht? – Das ist eines Lügners Eifer.

Alba (der stillschweigend in der Ferne gestanden, kalt und ruhig).
Ich will es.

König (dreht sich erstaunt um und sieht den Herzog eine Zeit lang starr an).
Das ist kühn! Doch mir fällt ein,
Daß Ihr in scharfen Schlachten Euer Leben
An etwas weit Geringeres gewagt –
Mit eines Würfelspielers Leichtsinn für
Des Ruhmes Unding es gewagt – Und was
Ist Euch das Leben? – Königliches Blut
Geb' ich dem Rasenden nicht preis, der nichts
Zu hoffen hat, als ein geringes Dasein
Erhaben aufzugeben – Euer Opfer
Verwerf' ich. Geht – geht, und im Audienzsaal
Erwartet meine weiteren Befehle. (Beide gehen ab.)

                                     Fünfter Auftritt.
                                     Der König allein.
Jetzt gib mir einen Menschen, gute Vorsicht –
Du hat mir viel gegeben. Schenke mir
Jetzt einen Menschen. Du – du bist allein,
Denn deine Augen prüfen das Verborgne,
Ich bitte dich um einen Freund; denn ich
Bin nicht, wie du, allwissend. Die Gehilfen,
Die du mir zugeordnet hast, was sie
Mir sind, weißt du. Was sie verdienen, haben
Sie mir gegolten. Ihre zahmen Laster,
Beherrscht vom Zaume, dienen meinen Zwecken,
Wie deine Wetter reinigen die Welt.
Ich brauch Wahrheit – Ihre stille Quelle
Im dunkeln Schutt des Irrthums aufzugraben,
Ist nicht das Loos der Könige. Gib mir
Den seltnen Mann mit reinem, offnem Herzen,
Mit hellem Geist und unbefangnen Augen,
Der mir sie finden helfen kann – ich schütte
Die Loose auf; laß unter Tausenden,
Die um der Hoheit Sonnenscheibe flattern,
Den Einzigen mich finden.

(Er öffnet eine Schatulle und nimmt eine Schreibtafel heraus. Nachdem er eine Zeit lang darin geblättert.)

Bloße Namen –
Nur Namen stehen hier, und nicht einmal
Erwähnung des Verdiensts, dem sie den Platz
Auf dieser Tafel danken – und was ist
Vergeßlicher, als Dankbarkeit? Doch hier
Auf dieser andern Tafel les' ich jede
Vergehung pünktlich beigeschrieben. Wie?
Das ist nicht gut. Braucht etwa das Gedächtniß
Der Rache dieser Hilfe noch? (Liest weiter.) Graf Egmont?
Was will der hier? – Der Sieg bei Saint Quentin
War längst verwirkt. Ich werf' ihn zu den Todten.

(Er läscht diesen Namen aus und schreibt ihn auf die andere Tafel. Nachdem er weiter gelesen.)

Marquis von Posa? – Posa? – Posa? Kann
Ich dieses Menschen mich doch kaum besinnen!
Und zweifach angestrichen – ein Beweis,
Daß ich zu großen Zwecken ihn bestimmte!
Und, war es möglich? dieser Mensch entzog
Sich meiner Gegenwart bis jetzt? vermied
Die Augen seines königlichen Schuldners?
Bei Gott, im ganzen Umkreis meiner Staaten
Der einz'ge Mensch, der meiner nicht bedarf!
Besäß' er Habsucht oder Ehrbegierde,
Er wäre längst vor meinem Thron erschienen.
Wag' ich's mit diesem Sonderling? Wer mich
Entbehren kann, wird Wahrheit für mich haben. (Er geht ab.)

                                             Der Audienzsaal.                                              Sechster Auftritt.

Don Carlos im Gespräch mit dem Prinzen von Parma. Die Herzoge von Alba, Feria und Medina Sidonia. Graf von Lerma und noch andere Granden mit Schriften in der Hand. Alle den König erwartend.

Medina Sidonia (von allen Umstehenden sichtbar vermieden, wendet sich zum Herzog von Alba, der allein und in sich gekehrt auf und ab geht).
Sie haben ja den Herrn gesprochen, Herzog. –
Wie fanden Sie ihn aufgelegt?

Alba.
Sehr übel
Für Sie und Ihre Zeitungen.

Medina Sidonia.
Im Feuer
Des englischen Geschützes war mir's leichter,
Als hier auf diesem Pflaster.

(Carlos, der mit stiller Theilnahme auf ihn geblickt hat, nähert sich ihm jetzt und drückt ihm die Hand.)

Warmen Dank
Für diese großmuthsvolle Thräne, Prinz.
Sie sehen, wie mich Alles flieht. Nun ist
Mein Untergang beschlossen.

Carlos.
Hoffen Sie
Das Beste, Freund, von meines Vaters Gnade
Und Ihrer Unschuld.

Medina Sidonia.
Ich verlor ihm eine Flotte,
Wie keine noch im Meer erschien – Was ist
Ein Kopf wie dieser gegen siebzig
Versunkne Gallionen? – Aber, Prinz –
Fünf Söhne, hoffnungsvoll, wie Sie – das bricht
Mein Herz –