Homer
Odyssee - Kapitel 57
160    Als sie mit diesen Worten sich untereinander besprachen,
          Stieg in den Söller von neuem der Ziegenhirte Melantheus,
          Schöne Waffen zu holen. Ihn merkte der treffliche Sauhirt,
          Eilete wieder zurück, und sprach zum nahen Odysseus:

              Edler Laertiad', erfindungsreicher Odysseus,

165    Siehe, da geht er schon wieder, der Bösewicht, den wir                       vermutet,
          Nach dem Söller hinauf! Nun sage mir eilig, Odysseus:
          Soll ich selber ihn töten, wenn ich mich seiner bemeistre?
          Oder bring' ich ihn dir, damit er büße die Frevel,
          Deren der Bube so viel' in deinem Hause verübt hat?

170       Ihm antwortete drauf der erfindungsreiche Odysseus:
          Ich und Telemachos wollen die Schar der trotzigen Freier
          Hier im Saale schon halten, wie sehr sie auch gegen uns                     anstürmt.
          Aber ihr beiden dreht ihm Händ' und Füß' auf den Rücken,
          Werft ihn hinein in den Söller, und schließt von innen die                   Pforte;

175    Knüpfet darauf an die Fessel ein starkes Seil, und zieht ihn
          Hoch an die ragende Säule hinauf, bis dicht an die Balken:
          Daß er noch lange lebe, von schrecklichen Schmerzen                       gefoltert!

              Also sprach er; ihm hörten sie beide mit Fleiß, und                           gehorchten;
          Eilten zum Söller empor, und fanden Melanthios drinnen:
180    Dieser suchte nach Waffen umher im Winkel des Söllers.
          Und sie standen erwartend an beiden Pfosten des Eingangs.
          Als nun über die Schwelle der Ziegenhirte Melantheus
          Trat, in der einen Hand den prächtigen Helm, in der andern
          Einen großen veralterten Schild des Helden Laertes,
185    Den er als Jüngling trug; doch jetzo lag er im Winkel,
          Ganz von Schimmel entstellt, und es barsten die Nähte der               Riemen.
          Siehe da stürzten sie beide hervor, und ergriffen und                          schleppten
          Ihn bei den Haaren hinein, und warfen den Jammernden                     nieder,
          Banden ihm Händ' und Füße mit schmerzender Fessel,                       gewaltsam
190    Hinten am Rücken zusammengedreht, wie ihnen befohlen
          Hatte Laertes' Sohn, der herrliche Dulder Odysseus;
          Knüpften darauf an die Fessel ein starkes Seil, und zogen
          Ihn an die ragende Säule hinauf, bis dicht an die Balken.
          Höhnend sprachst du zu ihm, Eumäos, Hüter der Schweine:

195       Jetzo wirst du hier wohl die Nacht durchschlummern,                     Melantheus,
          Wann du im weichen Lager dich ausdehnst, wie dir gebühret;
          Und du siehest gewiß die schöne Morgenröte
          Aus des Oceans Fluten hervorgehn, daß du den Freiern
          Treffliche Ziegen bringest, im Saale den Schmaus zu bereiten.

200     Also ließ man ihn hangen, gespannt in der folternden Fessel.
          Jene nahmen die Rüstung, und schlossen die schimmernde               Pforte,
          Eilten dann wieder zum tapfern erfindungsreichen Odysseus.
          Kriegsmut atmend standen die Streitenden: hier auf der                     Schwelle
          Vier, und dort in dem Saale so viel' und so rüstige Männer!
205   Siehe da nahte sich Zeus' blauäugichte Tochter Athene,
          Mentorn gleich in allem, sowohl an Gestalt wie an Stimme.
          Freudig erblickte die Göttin der Held Odysseus, und sagte:

              Mentor, stehe mir bei, und rette deinen Geliebten,
          Der dir Gutes getan, und gleiches Alters mit dir ist!

210    Also sprach er, Athene die Völkererhalterin ahnend.
          Aber die Freier erhuben ein lautes Geschrei in dem Saale;
          Und vor allen droht' ihr Damastors Sohn Agelaos:

              Mentor, lasse dich nicht durch Odysseus' Worte verleiten,
          Daß du jetzt mit den Freiern zu seiner Verteidigung kämpfest!

215    Denn wir geloben dir an, und ich meine, wir werden es halten:
          Haben wir diese getötet, den Vater und Sohn, dann wollen
          Wir mit ihnen auch dich umbringen, der du so mutig
          Hier zu schalten gedenkst; mit dem Haupte sollst du es                     büßen!
          Aber nachdem wir euch mit dem Erze des Geistes beraubet,
220   Wollen wir alle dein Gut, im Haus und außer dem Hause,
          Alles, vermischt mit den Gütern Odysseus', unter uns teilen!
          Weder die Söhne sollen, noch Töchter, in dem Palaste
          Leben, noch deine Gemahlin im Lande von Ithaka wohnen!

            Also sprach er; da zürnte noch heftiger Pallas Athene.
225   Und sie strafte Odysseus mit diesen zürnenden Worten:

              Hast du denn völlig den Mut und die Stärke verloren,                       Odysseus?
          Du, der um Helena einst, die lilienarmichte Tochter
          Zeus', neun Jahre hindurch, mit den Troern so tapfer                          gekämpft hat,
          Und so viele Männer getötet in schrecklicher Feldschlacht?

230   Siehe, durch deinen Rat sank Priamos' türmende Feste!
          Und nun, da du dein Land und Erbteil wieder erreicht hast,
          Nun wehklagest du so im Streite gegen die Freier?
          Auf! komm näher, mein Freund, steh' hier, und schaue mein             Tun an:
          Daß du erkennest, wie dir, im Kampfe mit feindlichen                         Männern,
235   Mentor, Alkimos' Sohn, Wohltaten pflegt zu vergelten!

              Also sprach sie; allein noch schenkte nicht völlig die Göttin
          Ihm den wankenden Sieg; sie prüfte noch ferner die Stärke
          Und den Mut Odysseus' und seines rühmlichen Sohnes.
          Plötzlich entschwand sie den Blicken, und gleich der                           Schwalbe von Ansehn

240   Flog sie empor, und saß auf dem rußichten Simse des                         Rauchfangs.

              Aber die Freier reizte Damastors Sohn Agelaos,
          Demoptolemos, und Amphimedon, und der entschloßne
          Polybos, und Eurynomos an, und der edle Peisandros:
          Diese waren die ersten und tapfersten unter den Freiern,

245   Aller welche noch lebten und ihre Seele verfochten;
          Jene lagen getötet vom pfeileversendenden Bogen.
          Und Agelaos begann, und sprach zu der Freier Versammlung:

              Freunde, gewiß bald ruhn die schrecklichen Hände des                   Mannes!
          Schon verließ ihn Mentor, nachdem er vergebens geprahlet;

250     Und sie stehen allein an der großen Pforte des Saales!
          Darum sendet nicht alle zugleich die langen Lanzen;
          Sondern wohlan! ihr sechs werft erstlich, ob euch Kronion
          Gnade verleiht, Odysseus zu treffen, und Ruhm zu gewinnen!
          Denn mit den anderer hat es nicht Not, wenn jener nur                       daliegt!

255      Also sprach er. Da warfen sie alle, wie er befohlen,
          Wütend; doch aller Würfe vereitelte Pallas Athene.
          Einer durchbohrte die Pfoste der schöngebaueten Wohnung,
          Jenes Lanze durchdrang die festeinfugende Pforte,
          Jener traf in die Wand mit der erzgerüsteten Esche.

260   Und nachdem sie die Lanzen der Freier hatten vermieden,
          Da begann zu ihnen der herrliche Dulder Odysseus:

            Jetzo wär' es an mir, ihr Lieben, euch zu befehlen,
          Daß ihr die Schar der Freier mit scharfen Lanzen begrüßet,
          Die zu dem vorigen Frevel uns noch zu ermorden gedenken.

265     Also sprach er; da warfen sie alle zielend die Lanzen.
          Demoptolemos traf der göttergleiche Odysseus,

          Und Euryades traf Telemachos, aber der Sauhirt
          Elatos, und Peisandros der Oberhirte der Rinder:
          Diese fielen zugleich, und bissen die weite Erde.

270   Aber die Freier entflohn in den innersten Winkel des Saales,
          Jene sprangen hinzu, und zogen die Speer' aus den Toten.

              Und von neuem warfen die Freier schimmernde Lanzen,
          Wütend; aber die meisten vereitelte Pallas Athene.
          Einer durchbohrte die Pfoste der schöngebaueten Wohnung,

275   Jenes Lanze durchdrang die festeinfugende Pforte,
          Jener traf in die Wand mit der erzgerüsteten Esche.
          Nur Amphimedon streifte Telemachos' Hand an dem Knöchel
          Sanft; die obere Haut ward kaum von dem Erze verwundet.
          Und Ktesippos ritzte Eumäos über dem Schilde
280   Leicht die Schulter; der Speer flog über, und fiel auf die Erde.
          Aber die Schar des tapfern erfindungsreichen Odysseus
          Zielte von neuem, und warf die Lanzen unter die Freier.
          Und Eurydamos traf der Städteverwüster Odysseus,
          Und Amphimedon traf Telemachos, aber der Sauhirt
285   Polybos; und Ktesippos durchbohrte der Hirte der Rinder
          Mit der Lanze die Brust, und sprach die höhnenden Worte:

              O Polytherses' Sohn, du Spötter! rede nicht ferner,
          Durch Mutwillen verleitet, so prahlerisch; sondern befiehl es
          Alles den Göttern an: denn sie sind stärker als Menschen!

290   Nimm dies Ehrengeschenk für den Kuhfuß, welchen du                       neulich
          Gabst dem edlen Odysseus, der bettelnd im Saale herumging!

              Also sprach der Hirte der Rinder. Aber Odysseus
          Sprang auf Damastors Sohn, und erstach ihn mit eherner                   Lanze,
          Und Telemachos sprang auf Leiokritos wütend, und rannt'                 ihm

295   Seinen Speer durch den Bauch, daß hinten die Spitze                           hervordrang:
          Vorwärts fiel er dahin, und schlug mit der Stirne den Boden.

              Aber Athene erhub an der Decke den leuchtenden dunkeln
          Menschenverderbenden Schild, und schreckte die Herzen der           Freier.
          Zitternd liefen sie rings durch den Saal, wie die Herde der                   Rinder,

300   Welche auf grasichter Weide die rasche Bremse verfolget,
          Im anmutigen Lenz, wenn die Tage heiter und lang sind.
          Aber gleich scharfklauichten krummgeschnabelten Falken,
          Welche von dem Gebirg' herstürmend auf fliegende Vögel
          Schießen; sie flattern voll Angst aus den Wolken herab auf               die Felder,
305   Doch die verfolgenden Stößer ereilen sie würgend; da gilt                   nicht
          Streiten oder Entfliehn; es freun sich die Menschen des                       Schauspiels:
          Also stürzten sie wütend sich unter die Freier, und würgten
          Links und rechts durch den Saal; mit dem Krachen                               zerschlagener Schädel
          Tönte das Jammergeschrei, und Blut floß über den Boden.

310     Und nun eilte Leiodes, umschlang Odysseus die Kniee,
          Jammerte laut um Erbarmen, und sprach die geflügelten                   Worte:

              Flehend umfass' ich dein Knie: erbarme dich meiner,                       Odysseus!
          Denn ich habe ja keine der Weiber in dem Palaste
          Weder mit Worten noch Taten verunehrt, sondern beständig

315    Andere Freier gewarnt, wenn einer dergleichen verübte.
          Aber sie folgten mir nicht, die Hand vom Bösen zu wenden:
          Darum traf die Frevler das schreckliche Todesverhängnis!
          Aber soll ich, ihr Opferprophet, der nichts getan hat,
          Sterben wie sie; so ist ja des Guten keine Vergeltung!

320     Zürnend schaute auf ihn und sprach der weise Odysseus:
          Bist du Opferprophet bei den Freiern gewesen, so hast du
          Ohne Zweifel auch oft in diesem Saale gebetet,
          Daß ich ferne verlöre den Tag der fröhlichen Heimkehr,
          Und daß meine Gemahlin dir folgt' und Kinder gebäre!

325   Darum wünsche nur nicht den schrecklichen Tod zu                           vermeiden!

              Als er dieses gesagt, da nahm er mit nervichter Rechte
          Von der Erde das Schwert, das Agelaos im Tode
          Fallen lassen, und schwung es, und haut' ihm tief in den                     Nacken:
          Daß des Redenden Haupt hinrollend mit Staube vermischt                 ward.