Georg Kreisler
Danse macabre
Der Herr Doktor Versaltzer
Tanzt nächtlich den Walzer
Mit Esther
Einer kleinen Schwester
Im Spital
Durch die Abteilung Bronchien und Lungen
Eng umschlungen
Durch die Geistesgestörten
Zum Kriegsversehrten-
Saal

Der Herr Doktor Versaltzer
Tanzt Walzer
Gern ohne Orchester
Aber auch die Schwester
Liebt er sehr
Und so tanzen sie zärtlich und innig
Durch die Klinik
Über Watte und Pillen
Bazillen
Ringsumher

In Zweihundertdrei stirbt Herr Meier –
In Zweihundertvier stirbt Frau Kraus –
Herr Meier hat eitrige Eier
Frau Kraus hat vier Kinder zuhaus'

Frau Schultz nebenan hat ein Brustkarzinom
Und jetzt spuckt sie noch Blut jede Nacht
Und die kleine Marie hat die Epilepsie –
Dabei ist sie erst sieben oder acht

Und alle hört man sie stöhnen
Denn sie könnten sich dran nicht gewöhnen
Nur der Doktor Versaltzer tanzt Walzer
Und trällert und lacht
Aber Esther
Die Schwester
Hält fester
Den Doktor
Und enger
Und sie blickt ihm strenger
Ins Gesicht
Und sie lauscht mit bekümmern-
Dem Wimmern
In den Zimmern –
Ihre Augen beginnen zu schimmern
Und sie spricht:

"Wie lang wollt ihr Ärzte, ihr lieben
Den Tod nur verschieben?
Wann setzt ihr euch endlich in Trab
Und schafft ihn ab?
Der Tod ist ist so grausam und gründlich
Doch sicher überwindlich!
Aber ihr handelt verlogen mit Drogen
Der Tod selbst hat euch dazu erzogen
Wobei ich aber auch zugeben muss
Wenn der Tod eines Tages nicht wär'
Dann wär's auch mit eurer Machtstellung Schluss –
Denn dann bräuchte man euch ja nicht mehr!
Jawohl, der Tod hat für euch was kommodes
Nicht wahr? Der bringt euch immer was ein
Und darum seit ihr Ärzte auf der Seite des Todes
Sonst könnt' dieser schrecklich willkürliche
Widernatürliche Tod längst nicht mehr sein!"
Da lächelt der Doktor
Doch stockt er
Nicht eine Sekunde
Er tanzt seine Runde
Nach wie vor
Und zertritt in den Fußbodenritzen
Ein paar Spritzen
Und dann presst er
Die Schwester
Und flüster ihr ins Ohr:

"Schau, dort kommt schon das Zimmer
Wo wir beide immer
Kampieren
Zwischen den Klistieren
Und dem Jod –
Du siehst vorher so blass und hysterisch aus
Doch nachher frisch und rot!
Ja, wir Ärzte sind auch für das Leben da
Und nicht ausschließlich für den Tod!"