Georg Kreisler
Der Musikkritiker
Heute findet jede Zeitung
Größere Verbreitung
Durch Musikkritiker!
Und so hab' auch ich die Ehre
Und mach jetzt Karriere
– Als Musikkritiker –
Ich hab' zwar koa Ahnung, was Musik ist
Denn ich bin beruflich Pharmazeut –
Aber ich weiß sehr gut, was Kritik ist:
Je schlechter, desto mehr freu'n sich die Leut'!
(Hähähähähä)
Es gehört zu meinen Pflichten
Schönes zu vernichten
– Als Musikkritiker
Sollt' ich etwas Schönes finden
Muss ich's unterbinden
– Als Musikkritiker!
Mich kann auch kein Künstler überlisten
Da ich ja nicht verstehe, was er tut
Drum sag' ich von jedem Komponisten:
Erst nachdem er tot ist, ist er gut!
Ja, endlich hab' ich einen Posten
Und die Zeitung lässt es sich was kosten!
Ich sitz' auf dem ersten Platze
Und die Sänger sehen meine Fratze!
Orff und Egk und Boris Blacher
Fürchten meine hohnerfüllten Lacher!
Hindemith, Strawinski und Varèse
Sind zwar gut, doch ich bin bese . .
Ja, ich könnt' zufrieden sein
Das Schicksal hat mich reich beschert
Aber, oh, mich belastet nur eine Verrücktheit
Ich merk' es in jedem Konzert –
Ich seh', wie das Publikum weich wird wie Wachs
Wenn Musik alle Sinne bewegt
Ich seh', wie beim Zuhör'n manch' trutzigem Manne
Ein Tränchen die Brille beschlägt
Nur für mich hat das Zuhör'n keinen Sinn –
Weil ich unmusikalisch bin!
Ich seh', wie ein liebliches Mädchen
Die Hand ihres Jünglings ergreift und sie drückt
Wie ein Großmutterl zitternd die Halskette auszieht
Weil sie sonst vor Rührung erstickt
Nur ich sitz' da und hör' nicht einmal hin –
Weil ich unmusikalisch bin!
Zu Weihnachten schenkt man mir immer – Platten
Ich brauch' Krawatten
Und neue Schuh'!
Wo ich auf Besuch bin, spielt man Platten –
Ich sitz' im Schatten
Und hör' nicht zu
Aber And're hör'n zu, und der Zauber der holden Musik
Macht die ganze Welt schwach
Die Bösen wer'n gut und die Kranken gesunden –
Besonders bei Mozart und Bach
Nur ich sitz' da und kratz' mich stur am Kinn –
Weil ich unmusikalisch bin!
Tja, als Kind hab' ich zwar Klavier gelernt
Und übte brav zu Haus
Doch über gewisse Stücke
Kam ich nie hinaus!
Dann hab' ich auch noch Geige gelernt
Und übte brav und viel
Und dann ist mein Geigenlehrer g'storben
Und hat mir sein Geld vermacht –
Unter der Bedingung, dass ich nie mehr spiel'!
Aber etwas musste ich schließlich tun
So versuchte ich es als Autor
Und ein Verleger, zu dem ich kam
Flüsterte mir ins Ohr:
"Schreiben Sie doch ein Buch über Schubert
Schreiben Sie doch ein Buch über Schubert!"
Also ging ich froh nach Hause
Setzte mich nieder, und ich schrieb:
"Schubert war ein stierer
Großer Komponierer
Er hat nie ein Geld gehabt
Also ist er heute der Verlierer
Er schrieb gar viele Töne
Sicher auch wunderschöne –
Für mich sind sie leider bestialisch
Denn ich bin ganz unmusikalisch!
Ob es jetzt Schubert oder Tschaikowski
Brahms oder Liszt oder Dnjepropetrowski
Ob Sinfonie oder Ouvertüre
Rock 'n' Roll oder Die Walküre
Zauberflöte, Verkaufte Braut –
Für mich ist das alles nur – laut!"
Das Buch war sofort ein Riesenerfolg
Und es sagten mir viele Herr'n:
"Genial! Großartig! Sie müssen Kritiker wer'n!"
Ich sagte: "Ja!"
Und es geschah . .
Ich geh' in Konzerte und Opern hinein
Und ich hör' mir den Unsinn dort an –
Den Leuten gefällt's und ich komm zu dem Schluss:
An Musik ist vielleicht etwas dran!
Nur was dran ist, will mir nicht in den Sinn –
Weil ich unmusikalisch bin
Die Orgel erklingt
Und ein Knabenchor singt
Und der Kontrapunkt tut sich verzweigen
Die Pauke zersplittert
Der Kapellmeister zittert
Und angeblich schluchzen die Geigen
Am Schluss erdröhnt ein donnernder Applaus –
Ich bin der einzige unmusikalische Mensch im Haus! . .
Aber:
Heute findet jede Zeitung
Größere Verbreitung
Durch Musikkritiker
Und so hab' auch ich die Ehre
Und mach' jetzt Karriere
– Als Musikkritiker
Ich hab' diesen Posten schlau erbeutet
Und ich hasse nicht so wie Musik
Und dass mir Musik so nichts bedeutet
Zahl' ich jetzt den Musikern zurück!
Ha, wartet nur, ihr sollt es büßen
Lebet zu den Füßen
Des Musikkritikers!
Dass die Welt es wisse:
Lest die lustigen Verrisse
Des Musikkritikers!
Ich bin konsequent
Und ich erkenne kein Talent
Und da ich weiß, dass ich nichts kann
Lass' ich auch niemand ander'n ran
Und der Redakteur
Schätzt meine schlechte Meinung sehr:
Schreit auch's Publikum: "Hurra!" –
Das nützt euch nichts, denn ich bin da!
Und eure Kollegen
Geb'n mir immer ihren Segen
Denn jedem Künstler ist es recht
Spricht man von ander'n Künstlern schlecht!
– Nieder mit Musik!!!