Georg Kreisler
Du hast ja noch dein Grab
Der Mensch geht durch das Publikum nach Hause –
Die Vorstellung ist aus, die Zeit ist knapp!
Er beugt sich noch dem letzten freundlichen Applause
Dann zuckt er mit den Achseln und geht ab!
Die Rolle war zu klein, weil man ihn unterschätzte
"Die Großen hab'n es leichter!", denkt er bös'
Doch keiner ist der erste, keiner ist der letzte
Drum mach dir nichts daraus
Und geh nicht bös nach Haus –
Die Angelegenheit ist noch nicht aus!

Du hast ja noch dein Grab, um dich drin zu freuen!
Du hast ja noch den Tod und was nachher bleibt!
Sobald dein Hirn verfault, wirst du nichts bereuen
Und dann gibt es niemand, der dich weitertreibt!
Da liegst du dann und siehst nicht einmal die Vögel
Erinnerst dich auch nicht an die liebe Frau!
Du frisst kein altes Brot, kaust auch keine Nägel –
Deinen Namen weißt du auch nicht mehr genau!
Na, ist das nicht ein Spaß
Keiner sagt dir, wie und wo und was
Keiner wirft dich weg, keiner hebt dich auf, keiner schlägt dich klein!
Ja, der Tod ist eine Lust
Und du kannst auch furzen, wenn du musst
Denn der Himmel hat dir nichts mehr zu verzeih'n!
Drum freu dich keines Lohnes und keiner Titel
Und bau auf keinen endgültigen Vertrag!
Der Zweck, für den du lebst, heiligt keine Mittel
Freu dich lieber auf die Qual
Auf die Krankheit, aufs Spital –
Freu dich nur auf deinen letzten Tag!

Die Glücklichen sind längst vorangegangen
Die Unglücklichen zählen noch ihr Geld
Die ganze Welt steht angestellt in Schlangen
Und jeder wartet, bis sein Stichwort fällt!
Der Mut ist klein, die Mädchen sind vergessen
Die Angst ist groß, die Hoffnung zählt nicht viel!
Die Körperlänge wird dir noch einmal gemessen
Und liegst du nicht bequem
So ist das kein Problem
Es dauert nicht sehr lang, und außerdem:
Du kriegst ja noch dein Grab, um dich drin zu drehen
Das einzige Ding im Leben, das du sicher kriegst!
Und sollte dort das Drehen irgendwie nicht gehen
Na dann bleibst du eben liegen, wie du liegst!
Im Leben lagst du auch, wie man's dir befohlen –
Gewöhn's dir auch im Grab immer wieder an –
Denn eines Tages wird man dich wieder holen
Weil man dich nicht einfach liegenlassen kann!
Jawohl, egal, ob's dir gefällt
Du kommst immer wieder auf die Welt
Einmal in Berlin, einmal im Tessin oder in der USA!
Zuerst wirst du zu Dreck
Irgendjemand kommt und nimmt ihn weg
Haucht ihm Leben ein – dann bist du wieder da!
Drum freu dich nicht zu früh auf die schöne Ruhe
Auch nicht auf was im Himmel noch kommen mag
Du bleibst nur kurze Zeit ohne enge Schuhe
Freu dich lieber auf den Wein
Auf die Mädchen zwischendrein –
Freu dich nur auf deinen ersten Tag!

Vielleicht kommst du als Kalb und wirst geschlachtet –
Vielleicht kommst du als Veilchen, dann wirst du gepflückt!
Als Stinktier wirst du bestenfalls verachtet –
Als Floh wirst du in jungen Jahr'n zerdrückt!
Doch kommst du gar als Mensch – das ist das schlimmste!
Weil Menschen zwar begreifen, was ihnen geschieht
Und doch sind sie von allen Tier'n das dümmste!
Sie machen es sich schwer
Das tut sonst niemand mehr
Doch sorg dich nicht und sag dir wie vorher:
Du hast ja noch dein Grab, um dich drin zu freuen!
Du hast ja noch die Zeit, in der du zerfällst
Und dienst vielleicht als Pfuhl irgendwelchen Säuen
Bis du dich zum Schluss zu ihnen selbst gesellst!
Für Menschen gilt dasselbe wie für Mikroben
Für Säugetier, für Fisch oder für Insekt:
Die Freude ist im Grund ziemlich selten oben –
Meistens bleibt sie unten tief im Grab versteckt!
Daraus kann man erseh'n
Wieviel wir vom Leben nicht versteh'n
Einmal fängt es an, einmal hört es auf – Ende des Berichts!
Soweit man bisher sah
Ist die Welt zu andern Zwecken da
Nur ein Zufall ist das Leben, weiter nichts!
Drum freu dich nicht zu früh auf ein langes Leben
Und freu dich nicht aufs Grab, denn das steht schon fest
Die Freude, die du fühlst, trifft ja ganz daneben
Weil die Freude – sieh nur her –
Immer weiter, immer mehr
Immer schneller unsre Welt verlässt!