Johann Wolfgang von Goethe
Torquato Tasso - Kapitel 4
                                             Dritter Aufzug.
                                             Erster Auftritt.

Prinzessinn allein.
Wo bleibt Eleonore? Schmerzlicher Bewegt mir jeden Augenblick die Sorge Das tiefste Herz. Kaum weiß ich was geschah, Kaum weiß ich wer von beyden schuldig ist. O daß sie käme! Möcht' ich doch nicht gern Den Bruder nicht, Antonio nicht sprechen, Eh' ich gefaßter bin, eh' ich vernommen, Wie alles steht und was es werden kann.

                                             Zweyter Auftritt.
                                         Prinzessinn. Leonore.

Prinzessinn.
Was bringst du, Leonore? sag mir an: Wie steht's um unsre Freunde? Was geschah?

Leonore.
Mehr als wir wissen hab' ich nicht erfahren. Sie trafen hart zusammen, Tasso zog, Dein Bruder trennte sie: allein es scheint, Als habe Tasso diesen Streit begonnen. Antonio geht frey umher und spricht Mit seinem Fürsten, Tasso bleibt dagegen Verbannt in seinem Zimmer und allein.

Prinzessinn.
Gewiß hat ihn Antonio gereitzt, Den Hochgestimmten kalt und fremd beleidigt.

Leonore.
Ich glaub' es selbst. Denn eine Wolke stand, Schon als er zu uns trat, um seine Stirn.

Prinzessinn.
Ach daß wir doch dem reinen stillen Wink Des Herzens nachzugehn so sehr verlernen! Ganz leise spricht ein Gott in unsrer Brust, Ganz leise, ganz vernehmlich, zeigt uns an, Was zu ergreifen ist und was zu fliehn. Antonio erschien mir heute früh Viel schroffer noch als je, in sich gezogner. Es warnte mich mein Geist, als neben ihn Sich Tasso stellte. Sieh das Äußre nur Von beyden an, das Angesicht, den Ton, Den Blick, den Tritt! es widerstrebt sich alles, Sie können ewig keine Liebe wechseln. Doch überredete die Hoffnung mich, Die Gleisnerinn, sie sind vernünftig beyde, Sind edel, unterrichtet, deine Freunde; Und welch ein Band ist sichrer als der Guten? Ich trieb den Jüngling an; er gab sich ganz; Wie schön, wie warm ergab er ganz sich mir! O hätt' ich gleich Antonio gesprochen! Ich zauderte; es war nur kurze Zeit; Ich scheute mich, gleich mit den ersten Worten Und dringend ihm den Jüngling zu empfehlen, Verließ auf Sitte mich und Höflichkeit, Auf den Gebrauch der Welt, der sich so glatt Selbst zwischen Feinde legt; befürchtete Von dem geprüften Manne diese Jähe Der raschen Jugend nicht. Es ist geschehn. Das Übel stand mir fern, nun ist es da. O gib mir einen Rath! was ist zu thun?

Leonore.
Wie schwer zu rathen sey, das fühlst du selbst Nach dem was du gesagt. Es ist nicht hier Ein Mißverständniß zwischen Gleichgestimmten; Das stellen Worte, ja im Nothfall stellen Es Waffen leicht und glücklich wieder her. Zwey Männer sind's, ich hab' es lang gefühlt, Die darum Feinde sind, weil die Natur Nicht Einen Mann aus ihnen beyden formte. Und wären sie zu ihrem Vortheil klug, So würden sie als Freunde sich verbinden; Dann stünden sie für Einen Mann, und gingen Mit Macht und Glück und Lust durch's Leben hin. So hofft' ich selbst, nun seh' ich wohl umsonst. Der Zwist von heute, sey er wie er sey, Ist beyzulegen; doch das sichert uns Nicht für die Zukunft, für den Morgen nicht. Es wär' am besten, dächt' ich, Tasso reis'te Auf eine Zeit von hier; er könnte ja Nach Rom, auch nach Florenz sich wenden; dort Träf' ich in wenig Wochen ihn, und könnte Auf sein Gemüth als eine Freundinn wirken. Du würdest hier indessen den Antonio, Der uns so fremd geworden, dir auf's neue Und deinen Freunden näher bringen; so Gewährte das, was itzt unmöglich scheint, Die gute Zeit vielleicht, die vieles gibt.
Prinzessinn.
Du willst dich in Genuß, o Freundinn, setzen, Ich soll entbehren; heißt das billig seyn?

Leonore.
Entbehren wirst du nichts, als was du doch In diesem Falle nicht genießen könntest.

Prinzessinn.
So ruhig soll ich einen Freund verbannen?

Leonore.
Erhalten, den du nur zum Schein verbannst.

Prinzessinn.
Mein Bruder wird ihn nicht mit Willen lassen.

Leonore.
Wenn er es sieht wie wir, so gibt er nach.

Prinzessinn.
Es ist so schwer, im Freunde sich verdammen.

Leonore.
Und dennoch rettest du den Freund in dir.

Prinzessinn.
Ich gebe nicht mein Ja, daß es geschehe.
Leonore.
So warte noch ein größres Übel ab.

Prinzessinn.
Du peinigst mich, und weißt nicht ob du nützest.

Leonore.
Wir werden bald entdecken, wer sich irrt.

Prinzessinn.
Und soll es seyn, so frage mich nicht länger.

Leonore.
Wer sich entschließen kann, besiegt den Schmerz.

Prinzessinn.
Entschlossen bin ich nicht, allein es sey, Wenn er sich nicht auf lange Zeit entfernt – Und laß uns für ihn sorgen, Leonore, Daß er nicht etwa künftig Mangel leide, Daß ihm der Herzog seinen Unterhalt Auch in der Ferne willig reichen lasse. Sprich mit Antonio, denn er vermag Bey meinem Bruder viel, und wird den Streit Nicht unserm Freund und uns gedenken wollen.

Leonore.
Ein Wort von dir, Prinzessinn, gälte mehr.

Prinzessinn.
Ich kann, du weißt es, meine Freundinn, nicht Wie's meine Schwester von Urbino kann, Für mich und für die Meinen was erbitten. Ich lebe gern so stille vor mich hin, Und nehme von dem Bruder dankbar an, Was er mir immer geben kann und will. Ich habe sonst darüber manchen Vorwurf Mir selbst gemacht, nun hab' ich überwunden. Es schalt mich eine Freundinn oft darum: Du bist uneigennützig, sagte sie, Das ist recht schön; allein du bist's so sehr, Daß du auch das Bedürfniß deiner Freunde Nicht recht empfinden kannst. Ich laß' es gehn, Und muß denn eben diesen Vorwurf tragen. Um desto mehr erfreut es mich, daß ich Nun in der That dem Freunde nützen kann; Es fällt mir meiner Mutter Erbschaft zu, Und gerne will ich für ihn sorgen helfen.

Leonore.
Und ich, o Fürstinn, finde mich im Falle, Daß ich als Freundinn auch mich zeigen kann. Er ist kein guter Wirth; wo es ihm fehlt, Werd' ich ihm schon geschickt zu helfen wissen.
Prinzessinn.
So nimm ihn weg, und, soll ich ihn entbehren, Vor allen andern sey er dir gegönnt! Ich seh' es wohl, so wird es besser seyn. Muß ich denn wieder diesen Schmerz als gut Und heilsam preisen? Das war mein Geschick Von Jugend auf, ich bin nun dran gewöhnt. Nur halb ist der Verlust des schönsten Glücks, Wenn wir auf den Besitz nicht sicher zählten.

Leonore.
Ich hoffe, dich so schön du es verdienst Glücklich zu sehn!

Prinzessinn.
Eleonore! Glücklich? Wer ist denn glücklich? – Meinen Bruder zwar Möcht' ich so nennen, denn sein großes Herz Trägt sein Geschick mit immer gleichem Muth; Allein was er verdient, das ward ihm nie. Ist meine Schwester von Urbino glücklich? Das schöne Weib, das edle große Herz! Sie bringt dem jüngern Manne keine Kinder; Er achtet sie, und läßt sie's nicht entgelten, Doch keine Freude wohnt in ihrem Haus. Was half denn unsrer Mutter ihre Klugheit? Die Kenntniß jeder Art, ihr großer Sinn? Konnt' er sie vor dem fremden Irrthum schützen? Man nahm uns von ihr weg; nun ist sie todt, Sie ließ uns Kindern nicht den Trost, daß sie Mit ihrem Gott versöhnt gestorben sey.

Leonore.
O blicke nicht nach dem, was jedem fehlt, Betrachte, was noch einem jeden bleibt! Was bleibt nicht Dir, Prinzessinn?

Prinzessinn.
Was mir bleibt? Geduld, Eleonore! Üben konnt' ich die Von Jugend auf. Wenn Freunde, wenn Geschwister Bey Fest und Spiel gesellig sich erfreuten, Hielt Krankheit mich auf meinem Zimmer fest, Und in Gesellschaft mancher Leiden mußt' Ich früh entbehren lernen. Eines war, Was in der Einsamkeit mich schön ergetzte, Die Freude des Gesangs; ich unterhielt Mich mit mir selbst, ich wiegte Schmerz und Sehnsucht Und jeden Wunsch mit leisen Tönen ein. Da wurde Leiden oft Genuß, und selbst Das traurige Gefühl zur Harmonie. Nicht lang' war mir dieß Glück gegönnt, auch dieses Nahm mir der Arzt hinweg; sein streng Geboth Hieß mich verstummen; leben sollt' ich, leiden, Den einz'gen kleinen Trost sollt' ich entbehren.

Leonore.
So viele Freunde fanden sich zu dir, Und nun bist du gesund, bist lebensfroh.

Prinzessinn.
Ich bin gesund, das heißt, ich bin nicht krank; Und manche Freunde hab' ich, deren Treue Mich glücklich macht. Auch hatt' ich einen Freund –

Leonore.
Du hast ihn noch.

Prinzessinn.
Und werd' ihn bald verlieren. Der Augenblick, da ich zuerst ihn sah, War viel bedeutend. Kaum erholt' ich mich Von manchen Leiden; Schmerz und Krankheit waren Kaum erst gewichen: still bescheiden blickt' ich In's Leben wieder, freute mich des Tags Und der Geschwister wieder, sog beherzt Der süßen Hoffnung reinsten Balsam ein. Ich wagt' es vorwärts in das Leben weiter Hinein zu sehn, und freundliche Gestalten Begegneten mir aus der Ferne. Da, Eleonore, stellte mir den Jüngling Die Schwester vor; er kam an ihrer Hand, Und, daß ich dir's gestehe, da ergriff Ihn mein Gemüth und wird ihn ewig halten.

Leonore.
O meine Fürstinn, laß dich's nicht gereuen! Das Edle zu erkennen, ist Gewinst, Der nimmer uns entrissen werden kann.

Prinzessinn.
Zu fürchten ist das Schöne das Fürtreffliche, Wie eine Flamme, die so herrlich nützt, So lange sie auf deinem Herde brennt, So lang' sie dir von einer Fackel leuchtet, Wie hold! wer mag, wer kann sie da entbehren? Und frißt sie ungehütet um sich her, Wie elend kann sie machen! Laß mich nun. Ich bin geschwätzig, und verbärge besser Auch selbst vor dir, wie schwach ich bin und krank.

Leonore.
Die Krankheit des Gemüthes löset sich In Klagen und Vertraun am leicht'sten auf

Prinzessinn.
Wenn das Vertrauen heilt, so heil' ich bald; Ich hab' es rein und hab' es ganz zu dir. Ach, meine Freundinn! Zwar ich bin entschlossen, Er scheide nur! allein ich fühle schon Den langen ausgedehnten Schmerz der Tage, wenn Ich nun entbehren soll, was mich erfreute. Die Sonne hebt von meinen Augenliedern Nicht mehr sein schön verklärtes Traumbild auf, Die Hoffnung ihn zu sehen füllt nicht mehr Den kaum erwachten Geist mit froher Sehnsucht; Mein erster Blick hinab in unsre Gärten Sucht ihn vergebens in dem Thau der Schatten. Wie schön befriedigt fühlte sich der Wunsch Mit ihm zu seyn an jedem heitern Abend! Wie mehrte sich im Umgang das Verlangen Sich mehr zu kennen, mehr sich zu verstehn, Und täglich stimmte das Gemüth sich schooner Zu immer reinern Harmonien auf. Welch eine Dämmrung fällt nun vor mir ein! Der Sonne Pracht, das fröhliche Gefühl Des hohen Tags, der tausendfachen Welt Glanzreiche Gegenwart, ist öd' und tief Im Nebel eingehüllt, der mich umgibt. Sonst war mir jeder Tag ein ganzes Leben; Die Sorge schwieg, die Ahndung selbst verstummte, Und glücklich eingeschifft trug uns der Strom Auf leichten Wellen ohne Ruder hin: Nun überfällt in trüber Gegenwart Der Zukunft Schrecken heimlich meine Brust.

Leonore.
Die Zukunft gibt dir deine Freunde wieder, Und bringt dir neue Freude, neues Glück.

Prinzessinn.
Was ich besitze, mag ich gern bewahren: Der Wechsel unterhält, doch nutzt er kaum. Mit jugendlicher Sehnsucht griff ich nie Begierig in den Loostopf fremder Welt, Für mein bedürfend unerfahren Herz Zufällig einen Gegenstand zu haschen. Ihn mußt' ich ehren, darum liebt' ich ihn; Ich mußt' ihn lieben, weil mit ihm mein Leben Zum Leben ward, wie ich es nie gekannt; Erst sagt' ich mir, entferne dich von ihm! Ich wich und wich und kam nur immer näher, So lieblich angelockt, so hart bestraft! Ein reines, wahres Gut verschwindet mir, Und meiner Sehnsucht schiebt ein böser Geist Statt Freud' und Glück verwandte Schmerzen unter.

Leonore.
Wenn einer Freundinn Wort nicht trösten kann; So wird die stille Kraft der schönen Welt, Der guten Zeit dich unvermerkt erquicken.

Prinzessinn.
Wohl ist sie schön die Welt! in ihrer Weite Bewegt sich so viel Gutes hin und her. Ach daß es immer nur um Einen Schritt Von uns sich zu entfernen scheint, Und unsre bange Sehnsucht durch das Leben Auch Schritt vor Schritt bis nach dem Grabe lockt! So selten ist es, daß die Menschen finden, Was ihnen doch bestimmt gewesen schien, So selten, daß sie das erhalten, was Auch einmal die beglückte Hand ergriff! Es reißt sich los, was erst sich uns ergab, Wir lassen los, was wir begierig faßten. Es gibt ein Glück, allein wir kennen's nicht: Wir kennen's wohl, und wissen's nicht zu schätzen.

                                             Dritter Auftritt.

Leonore allein.
Wie jammert mich das edle, schöne Herz! Welch traurig Loos, das ihrer Hoheit fällt! Ach sie verliert – und denkst du zu gewinnen? Ist's denn so nöthig, daß er sich entfernt? Machst du es nöthig, um allein für dich Das Herz und die Talente zu besitzen, Die du bisher mit einer andern theilst Und ungleich theilst? Ist's redlich so zu handeln? Bist du nicht reich genug? Was fehlt dir noch? Gemahl und Sohn und Güter, Rang und Schönheit, Das hast du alles, und du willst noch ihn Zu diesem allen haben? Liebst du ihn? Was ist es sonst, warum du ihn nicht mehr Entbehren magst? Du darfst es dir gestehn. Wie reitzend ist's, in seinem schönen Geiste Sich selber zu bespiegeln! Wird ein Glück Nicht doppelt groß und herrlich, wenn sein Lied Uns wie auf Himmels-Wolken trägt und hebt? Dann bist du erst beneidenswerth! Du bist, Du hast das nicht allein, was viele wünschen, Es weiß, es kennt auch jeder, was du hast! Dich nennt dein Vaterland und sieht auf dich, Das ist der höchste Gipfel jedes Glücks. Ist Laura denn allein der Name, der Von allen zarten Lippen klingen soll? Und hatte nur Petrarch allein das Recht, Die unbekannte Schöne zu vergöttern? Wo ist ein Mann, der meinem Freunde sich Vergleichen darf? Wie ihn die Welt verehrt, So wird die Nachwelt ihn verehrend nennen. Wie herrlich ist's, im Glanze dieses Lebens Ihn an der Seite haben! so mit ihm Der Zukunft sich mit leichtem Schritte nahn! Alsdann vermag die Zeit, das Alter nichts Auf dich, und nichts der freche Ruf. Der hin und her des Beyfalls Woge treibt: Das was vergänglich ist, bewahrt sein Lied. Du bist noch schön, noch glücklich, wenn schon lange Der Kreis der Dinge dich mit fortgerissen. Du mußt ihn haben, und ihr nimmst du nichts: Denn ihre Neigung zu dem werthen Manne Ist ihren andern Leidenschaften gleich. Sie leuchten, wie der stille Schein des Monds Dem Wandrer spärlich auf dem Pfad zu Nacht; Sie wärmen nicht, und gießen keine Lust Noch Lebensfreud' umher. Sie wird sich freuen, Wenn sie ihn fern, wenn sie ihn glücklich weiß, Wie sie genoß, wenn sie ihn täglich sah. Und dann, ich will mit meinem Freunde nicht Von ihr und diesem Hofe mich verbannen; Ich komme wieder, und ich bring' ihn wieder. So soll es seyn! – Hier kommt der rauhe Freund; Wir wollen sehn, ob wir ihn zähmen können.

                                             Vierter Auftritt.
                                           Leonore. Antonio.

Leonore.
Du bringst uns Krieg statt Frieden; scheint es doch, Du kommst ans einem Lager, einer Schlacht, Wo die Gewalt regiert, die Faust entscheidet, Und nicht von Rom, wo feierliche Klugheit Die Hände segnend hebt, und eine Welt Zu ihren Füßen sieht, die gern gehorcht.

Antonio.
Ich muß den Tadel, schöne Freundinn, dulden, Doch die Entschuld'gung liegt nicht weit davon. Es ist gefährlich, wenn man allzu lang' Sich klug und mäßig zeigen muß. Es lauert Der böse Genius dir an der Seite, Und will gewaltsam auch von Zeit zu Zeit Ein Opfer haben. Leider hab' ich's dießmal Auf meiner Freunde Kosten ihm gebracht.

Leonore.
Du hast um fremde Menschen dich so lang' Bemüht und dich nach ihrem Sinn gerichtet: Nun, da du deine Freunde wieder siehst, Verkennst du sie, und rechtest wie mit Fremden.

Antonio.
Da liegt, geliebte Freundinn, die Gefahr! Mit fremden Menschen nimmt man sich zusammen, Da merkt man auf, da sucht man seinen Zweck In ihrer Gunst, damit sie nutzen sollen. Allein bey Freunden läßt man frey sich gehn, Man ruht in ihrer Liebe, man erlaubt Sich eine Laune, ungezähmter wirkt Die Leidenschaft, und so verletzen wir Am ersten die, die wir am zärtsten lieben.

Leonore.
In dieser ruhigen Betrachtung find' ich dich Schon ganz, mein theurer Freund, mit Freuden wieder.

Antonio.
Ja, mich verdrießt – und ich bekenn' es gern – Daß ich mich heut so ohne Maß verlor. Allein gestehe, wenn ein wackrer Mann Mit heißer Stirn von saurer Arbeit kommt, Und spät am Abend in ersehnten Schatten Zu neuer Mühe auszuruhen denkt, Und findet dann von einem Müßiggänger Den Schatten breit besessen, soll er nicht Auch etwas menschlich's in dem Busen fühlen?

Leonore.
Wenn er recht menschlich ist, so wird er auch Den Schatten gern mit einem Manne theilen, Der ihm die Ruhe süß, die Arbeit leicht Durch ein Gespräch, durch holde Töne macht. Der Baum ist breit, mein Freund, der Schatten gibt, Und keiner braucht den andern zu verdrängen.

Antonio.
Wir wollen uns, Eleonore, nicht Mit einem Gleichniß hin und wieder spielen. Gar viele Dinge sind in dieser Welt, Die man dem andern gönnt und gerne theilt; Jedoch es ist ein Schatz, den man allein Dem Hochverdienten gerne gönnen mag, Ein andrer, den man mit dem Höchstverdienten Mit gutem Willen niemals theilen wird – Und fragst du mich nach diesen beyden Schätzen; Der Lorber ist es und die Gunst der Frauen.

Leonore.
Hat jener Kranz um unsers Jünglings Haupt Den ernsten Mann beleidigt? Hättest du Für seine Mühe, seine schöne Dichtung Bescheid'nern Lohn doch selbst nicht finden können. Denn ein Verdienst, das außerirdisch ist, Das in den Lüften schwebt, in Tönen nur, In leichten Bildern unsern Geist umgaukelt, Es wird denn auch mit einem schönen Bilde, Mit einem holden Zeichen nur belohnt; Und wenn er selbst die Erde kaum berührt, Berührt der höchste Lohn ihm kaum das Haupt. Ein unfruchtbarer Zweig ist das Geschenk, Das der Verehrer unfruchtbare Neigung Ihm gerne bringt, damit sie einer Schuld Aufs leicht'ste sich entlade. Du mißgönnst Dem Bild des Märtyrers den goldnen Schein Um's kahle Haupt wohl schwerlich; und gewiß, Der Lorberkranz ist, wo er dir erscheint, Ein Zeichen mehr des Leidens als des Glücks.

Antonio.
Will etwa mich dein liebenswürd'ger Mund Die Eitelkeit der Welt verachten lehren?

Leonore.
Ein jedes Gut nach seinem Werth zu schätzen, Brauch' ich dich nicht zu lehren. Aber doch, Es scheint von Zeit zu Zeit bedarf der Weise, So sehr wie andre, daß man ihm die Güter, Die er besitzt, im rechten Lichte zeige. Du, edler Mann, du wirst an ein Phantom Von Gunst und Ehre keinen Anspruch machen. Der Dienst, mit dem du deinem Fürsten dich, Mit dem du deine Freunde dir verbindest, Ist wirkend, ist lebendig, und so muß Der Lohn auch wirklich und lebendig seyn. Dein Lorber ist das fürstliche Vertraun, Das auf den Schultern dir, als liebe Last, Gehäuft und leicht getragen ruht; es ist Dein Ruhm das allgemeine Zutraun.

Antonio.
Und von der Gunst der Frauen sagst du nichts, Die willst du mir doch nicht entbehrlich schildern?

Leonore.
Wie man es nimmt. Denn du entbehrst sie nicht, Und leichter wäre sie dir zu entbehren, Als sie es jenem guten Mann nicht ist. Denn sag', geläng' es einer Frau, wenn sie Nach ihrer Art für dich zu sorgen dächte, Mit dir sich zu beschäft'gen unternähme? Bey dir ist alles Ordnung, Sicherheit; Du sorgst für dich, wie du für andre sorgst, Du hast, was man dir geben möchte. Jener Beschäftigt uns in unserm eignen Fache. Ihm fehlt's an tausend Kleinigkeiten, die Zu schaffen eine Frau sich gern bemüht. Das schönste Leinenzeug, ein seiden Kleid Mit etwas Stickerey, das trägt er gern. Er sieht sich gern geputzt, vielmehr, er kann Unedlen Stoff, der nur den Knecht bezeichnet, An seinem Leib nicht dulden, alles soll Ihm fein und gut und schön und edel stehn. Und dennoch hat er kein Geschick, das alles Sich anzuschaffen, wenn er es besitzt, Sich zu erhalten; immer fehlt es ihm An Geld, an Sorgsamkeit, bald läßt er da Ein Stück, bald eines dort. Er kehret nie Von einer Reise wieder, daß ihm nicht Ein Drittheil seiner Sachen fehle. Bald Bestiehlt ihn der Bediente. So, Antonio, Hat man für ihn das ganze Jahr zu sorgen.

Antonio.
Und diese Sorge macht ihn lieb und lieber. Glücksel'ger Jüngling, dem man seine Mängel Zur Tugend rechnet, dem so schön vergönnt ist, Den Knaben noch als Mann zu spielen, der Sich seiner holden Schwäche rühmen darf! Du müßtest mir verzeihen, schöne Freundinn, Wenn ich auch hier ein wenig bitter würde. Du sagst nicht alles, sagst nicht was er wagt, Und daß er klüger ist, als wie man denkt. Er rühmt sich zweyer Flammen! knüpft und lös't Die Knoten hin und wieder, und gewinnt Mit solchen Künsten solche Herzen! Ist's Zu glauben?

Leonore.
Gut! Selbst das beweis't ja schon, Daß es nur Freundschaft ist, was uns belebt. Und wenn wir denn auch Lieb' um Liebe tauschten, Belohnten wir das schöne Herz nicht billig, Das ganz sich selbst vergißt, und hingegeben Im holden Traum für seine Freunde lebt?

Antonio.
Verwöhnt ihn nur und immer mehr und mehr, Laßt seine Selbstigkeit für Liebe gelten, Beleidigt alle Freunde, die sich euch Mit treuer Seele widmen, gebt dem Stolzen Freywilligen Tribut, zerstöret ganz Den schönen Kreis geselligen Vertrauns!

Leonore.
Wir sind nicht so parteyisch wie du glaubst, Ermahnen unsern Freund in manchen Fällen; Wir wünschen ihn zu bilden, daß er mehr Sich selbst genieße, mehr sich zu genießen Den andern geben könne. Was an ihm Zu tadeln ist, das bleibt uns nicht verborgen.

Antonio.
Doch lobt ihr vieles, was zu tadeln wäre. Ich kenn' ihn lang , er ist so leicht zu kennen, Und ist zu stolz sich zu verbergen. Bald Versinkt er in sich selbst, als wäre ganz Die Welt in seinem Busen, er sich ganz In seiner Welt genug, und alles rings Umher verschwindet ihm. Er läßt es gehn, Läßt's fallen, stößt's hinweg und ruht in sich – Auf einmal, wie ein unbemerkter Funke Die Mine zündet, sey es Freude, Leid, Zorn oder Grille, heftig bricht er aus: Dann will er Alles fassen, Alles halten, Dann soll geschehn, was er sich denken mag', In einem Augenblicke soll entstehn, Was Jahre lang bereitet werden sollte, In einem Augenblick gehoben seyn, Was Mühe kaum in Jahren lösen könnte. Er fordert das Unmögliche von sich, Damit er es von andern fordern dürfe. Die letzten Enden aller Dinge will Sein Geist zusammen fassen; das gelingt Kaum Einem unter Millionen Menschen, Und er ist nicht der Mann: er fällt zuletzt, Um nichts gebessert, in sich selbst zurück.

Leonore.
Er schadet andern nicht, er schadet sich.

Antonio.
Und doch verletzt er andre nur zu sehr. Kannst du es läugnen, daß im Augenblick Der Leidenschaft, die ihn behend ergreift, Er auf den Fürsten, auf die Fürstinn selbst, Auf wen es sey, zu schmähn, zu lästern wagt? Zwar augenblicklich nur, allein genug Der Augenblick kommt wieder: er beherrscht So wenig seinen Mund als seine Brust.

Leonore.
Ich sollte denken, wenn er sich von hier Auf eine kurze Zeit entfernte, sollt, Es wohl für ihn und andre nützlich seyn.

Antonio.
Vielleicht, vielleicht auch nicht. Doch eben jetzt Ist nicht daran zu denken. Denn ich will Den Fehler nicht auf meine Schultern laden; Es könnte scheinen, daß ich ihn vertreibe, Und ich vertreib' ihn nicht. Um meinetwillen Kann er an unserm Hofe ruhig bleiben; Und wenn er sich mit mir versöhnen will, Und wenn er meinen Rath befolgen kann, So werden wir ganz leidlich leben können.

Leonore.
Nun hoffst du selbst auf ein Gemüth zu wirken, Das dir vor kurzem noch verloren schien.

Antonio.
Wir hoffen immer, und in allen Dingen Ist besser hoffen als verzweifeln. Denn Wer kann das Mögliche berechnen? Er Ist unserm Fürsten werth. Er muß uns bleiben. Und bilden wir dann auch umsonst an ihm, So ist er nicht der einz'ge, den wir dulden.

Leonore.
So ohne Leidenschaft, so unparteyisch Glaubt' ich dich nicht. Du hast dich schnell bekehrt.

Antonio.
Das Alter muß doch Einen Vorzug haben, Daß, wenn es auch dem Irrthum nicht entgeht, Es doch sich auf der Stelle fassen kann. Du warst, mich deinem Freunde zu versöhnen, Zuerst bemüht. Nun bitt' ich es von dir. Thu' was du kannst, daß dieser Mann sich finde, Und alles wieder bald im Gleichen sey. Ich gehe selbst zu ihm, so bald ich nur Von dir erfahre, daß er ruhig ist, So bald du glaubst, daß meine Gegenwart Das Übel nicht vermehrt. Doch was du thust, Das thu' in dieser Stunde; denn es geht Alphons heut' Abend noch zurück, und ich Werd' ihn begleiten. Leb' indessen wohl.

                                             Fünfter Auftritt.

Leonore allein.
Für dießmal, lieber Freund, sind wir nicht eins, Mein Vortheil und der deine gehen heut Nicht Hand in Hand. Ich nütze diese Zeit Und suche Tasso zu gewinnen. Schnell!