Johann Wolfgang von Goethe
Der Triumph der Empfindsamkeit - Kapitel 4
                                                 Dritter Act.

                                                     Wald,
                     die Laube im Grunde wie zu Ende des vorigen Acts.


    (Die vier Fräulein führen den Prinzen unter einer sanften Musik herein. Merkulo folgt ihnen. Die Frauenzimmer bemühen sich in einem gefälligen Tanze um den nachdenklichen und in sich selbst versunkenen Ankömmling; er antwortet ihren Freundlichkeiten nur gezwungen. Da die Musik einen Augenblick pausirt, spricht)

Merkulo (für sich). Das sind recht Homerische Sitten, wo die schönen Töchter des Hauses sich um die Fremden bemühen. Ich hätte wohl Lust, mich in's Bad zu setzen und mich abreiben zu lassen.

    (Die Musik geht fort; endlich da die Fräulein ihre Bemühungen ganz vergeblich sehn, eilen sie verdrießlich davon, und es bleiben)

                                       Prinz und Merkulo.

Prinz. Gesegnet seyst du, liebe Einsamkeit! Wie erbärmlich habe ich mich seit dem Eintritt in dieses Haus zwingen müssen!

Merkulo. Das muß ich Eurer Durchlaucht bekennen, daß mir's manchmahl unbegreiflich gewesen ist, wie Sie sich an einer wohlbesetzten Tafel und zwischen liebenswürdigen Frauen ennuyiren können?

Prinz. Es ist nicht lange Weile, es ist die Gefälligkeit dieser angenehmen Geschöpfe, die mich ängstet. Ach! warum muß ich dem weiblichen Geschlechte zur Qual geschaffen seyn? Denn nur Eine kann mein Herz besitzen, und die Übrigen – Ach! – –

Merkulo. Die hab' ich schon oft bedauert! und ich hab' ihnen auch gelegentlich mein Mitleiden auf eine so überzeugende Art zu verstehn gegeben, daß ich wirklich sagen kann: ich habe das Glück gehabt, einigen das Leben zu fristen, die auf dem Sprunge standen, durch Ihre Grausamkeit in die elysäischen Felder vertrieben zu werden.

Prinz. Rede davon nicht! vermehre nicht meinen Kummer!

Merkulo. Ich sage nichts! denn wenn man Ihren hohen Stand, und Ihre trefflichen Qualitäten zusammen nimmt, so ist's evident, daß Einer Ihrer Blicke ganz unglaubliche Bewegungen in einem schönen Herzen hervorbringen muß.
Prinz. Meinen Stand erwähnst du, Unglücklicher? Was ist mein Stand gegen dieses Herz?

Merkulo. Halten Sie mir's zu Gnaden! Wir wollen der Sache ihr Recht anthun. Eine wahre Liebe ist z. E. was Vortreffliches; aber eine wahre Liebe mit einem wohlgespickten Beutel, darüber geht gar nichts. So auch, was den Stand betrifft –

Prinz. Rede nur nicht immer! nicht solche Dinge!

Merkulo. Nein, ich müßte undankbar seyn, wenn ich es nicht gestände, nicht bekennte! In Ihrer Nähe, mein Gebiether, bin ich ohnehin sicher. Ihre fürstliche Gegenwart zieht, wie ein Gewitterableiter, alle Elektricität zärtlicher Herzen an sich, daß wir Andern vor'm Einschlagen ganz gesichert sind.

Prinz. Ist es bald eilfe?

Merkulo. Es wird gleich seyn, und ich gehe, um Sie Ihren Empfindungen in der feyerlichen Stunde der Mitternacht allein zu überlassen. Es ist eine vortreffliche neuere Erfindung, daß jeder Stunde, jeder Tagszeit ihre eignen Gefühle gewidmet sind. Darin waren die Alten rechte Tröpfe. In ihren Schauspielen konnte das Feyerlichste, Schrecklichste bey hellem Tage und unter freyem Himmel vorgehn; unter eilfe und zwölfe thun wir's aber gar nicht, und ohne Särge, Kirchhöfe und schwarze Tücher läßt sich nichts Rechts anrichten.

Prinz. Sind meine Pistolen geladen?

Merkulo. Auf Ihren Befehl, wie immer. Aber ich bitte Sie um Gottes willen, erschießen Sie sich nicht einmahl!

Prinz. Sey ruhig! (Es schlägt eilfe). Es schlägt!

Merkulo. Sie haben hier eine Glocke, die gar keinen feyerlichen Ton hat. Es klingt als wenn man auf Blech hämmerte:mich könnte nun so etwas gleich vollkommen aus meiner zärtlichsten Fassung bringen.

        (Die Musik gibt einige Laute und entfernte Melodien zum Folgenden an.)

Prinz. Schweig', Unheiliger! und entflieh!

Merkulo. Ab! (Ab.)
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Prinz. Vergebens sucht ihr mich durch eure Schönheit, durch euer einschmeichelndes Wesen abzuziehen, von den Gedanken wegzuwenden, die ich immer mit den Armen meiner Seele umschlungen halte. Fahrt wohl, ihr sterblichen Mädchen! Das Unsterbliche umschwebt meine Stirne, und die Geister steigen herab, meine Wohnung zu beleben und mein Herz zu beseligen.

    (Die feyerliche Musik geht fort, die Wasserfälle fangen an zu rauschen, die Vögel zu singen, der Mond zu scheinen.)

Prinz. Dich ehr' ich, heiliges Licht,
    Reiner hoher Gefühle Freund!
    Du, der du mir
    Der Liebe stockende Schmerzen
    Im Busen auf zu sanften Thränen lösest!
    Ach, welche Seligkeiten säuselst du mir
    In's tiefe Heiligthum der Nacht,
    Und deutest mir
    Auf der geheimnißvollen Liebe Ruhestätte!
    Ach verzeih! Ach, mein Herz
    Fühlt nicht immer gleich!
    Verzeih dem trüben Blick auf deine Schönheit!
    Verzeih dem flüchtigen!
        (Nach der Laube gekehrt.)
    Hier, hier wohnt meine Gottheit,
    Die ganz mein Herz nach ihrem Herzen zieht!
    Dieß Pochen und dieß Zittern!
    Ha! es schlägt dem Augenblick entgegen,
    Wo die Zauberey
    Die Seligkeit des Wahren überflügelt!
    O den Genuß, ihr Götter, gabt ihr mir!
    O den Genuß bewahret mir, ihr Götter!
(Die Laube thut sich auf, man sieht ein Frauenzimmer darin sitzen, sie muß vollkommen an Gestalt und Kleidung der Schauspielerinn gleichen, die nachher als Mandandane auftritt.)

Prinz. Himmel sie ist's! Himmel sie ist's!
    Seligkeit thauet herab.– –
    Deine Hand an dieses Herz,
    Geliebte, süße Freundinn!
    Du ganz für mich geschaffne,
    Ganz durch Sympathie gefundene,
    Gewählte!
    In dieser schönen Stimmung unsrer Herzen
    Wird mir ein Glück, das nur die Götter kennen.

    Ach! in hohen Himmelsfreuden
    Fühl' ich schaudernd mich verschweben!
    Ha! vor Wonne stockt mein Leben,
    Stockt der Athem in der Brust!

    Ach, umweht mich, Seligkeiten!
    Lindert dieses heiße Streben,
    Und in wonnevolles Leben
    Löset auf die schöne Lust!

    (Während der letzten Cadenz, da die Instrumente die Stimme zu lange nachahmen, setzt sich der Prinz auf eine Rasenbank, und schläft endlich ein. Man gibt ihm verschiedne Mahl den Ton an, damit er einfallen und schließen möge; allein er rührt sich nicht, und es entsteht eine Verlegenheit im Orchester; endlich sieht sich die erste Violine genöthigt die Cadenz zu schließen, die Instrumente fallen ein, die Laube geht zu, der mittlere Vorhang fällt nieder, und es zeigt sich)

                                                 Ein Vorsaal.

                                   Feria und die Vier Fräulein.

Feria. Mich dünkt, der Prinz pflegt seiner Ruhe ziemlich lange. Es soll nicht gesagt seyn, daß ein Mann in unserm Schlosse ungestraft die Morgenröthe herbeygeschlafen habe! Sind die Klappern bey der Hand und die Rasseln? Wir wollen ihm ein Schariwari machen, und die fatale Schläfrigkeit, unsre verhaßte Nebenbuhlerinn, von seinen Augen peitschen.

    (Lebhafter Tanz zu fünfen mit Castagnetten und Metallbecken; mitunter tanzt Feria solo. Der Oberste kommt, die Prinzessinn zu bitten, daß sie des Prinzen Ruhe nicht stören möge, indem die Wache die Fräulein aufhalten will Diese machen immer ärgern Lärm. Der hintere Vorhang geht auf; das Theater ist wieder wie zu Anfang des Acts; Merkulo tritt zu gleicher Zeit herein, der Prinz fährt bewegt von seiner Rasenbank in die Höhe, ergrimmt und singt)

    Ja ihr seyd's Erinnyen, Mänaden!
    Ohne Gefühl für Liebe,
    Ohne Gefühl für Schmerz!
    Ich hofft' im Arm der Grazien zu baden,
    Und ihr zerreißt mein Herz!
    Mein Herz! mein Herz!
    Zerreißt mein leidend Herz!

    (Während der Arie begibt sich Feria, die Fräulein und die Wache, eins nach dem andern, auf die Seite; es bleiben allein)

                                Prinz und Merkulo.

Merkulo. Mein Prinz, fassen Sie sich!

Prinz. Mein Freund, welche tödtliche Wunde!

Merkulo. Gnädiger Herr, nur Schariwari!

Prinz. Ich will weg! diesen Augenblick mich in die Einsamkeit des Gebirges verlieren.

Merkulo. Was wird die Prinzessinn, was werden die Damen denken?

Prinz. Denken sie doch auch nicht wen sie vor sich haben. Ohne das mindeste Gefühl für das Hohe, Überirdische meiner Stimmung, rasseln sie mit knirschenden Tönen der Vorhölle drein. Ach, ihr goldnen Morgenträume, wo seyd ihr hin? auf ewig! auf ewig!

Merkulo. Es war nicht böse gemeint. Schon vor Sonnenaufgang waren die Mädchen geschäftig, ein Déjeûné im Garten zurecht zu machen; wir haben auch wirklich den Morgenstern mit Bratwürsten in der Hand und einem vortrefflichen Glas Cyperwein bewillkommt. Man fürchtete es möchte alles kalt werden, verderben, und wir wollten Ihr angenehmes Gesicht im Glanz der ersten Morgensonne genießen.

Prinz. Ja mit Schellen und Klapperblechen genießt man den Morgen! – Fort! – Leb wohl!

Merkulo. Gnädiger Herr!

Prinz. Du weißt, meine Entschließungen sind rasch und fest.

Merkulo (für sich). Leider!

Prinz. Ich gehe nach dem Orakel! Laß auf's Schärfste dieses Heiligthum bewachen, daß unter keinem Vorwand eine lebendige Seele einen Fuß herein setze!

Merkulo. Bleiben Sie beruhigt.

Prinz. Leb wohl. (Ab.)