William Shakespeare
Hamlet, 4. Akt, 5. Szene
Helsingör. Ein Zimmer im Schlosse.

Die Königin, [und] Horatio und ein Edelmann treten auf.

KÖNIGIN
Ich will nicht mit ihr sprechen.

[HORATIO] EDELMANN
Sie ist sehr dringend; wirklich, außer sich;
Ihr Zustand ist erbarmenswert.

KÖNIGIN
Was will sie?

[HORATIO] EDELMANN
Sie spricht von ihrem Vater, sagt, sie höre,
Die Welt sei schlimm, und ächzt und schlägt die Brust;
Ein Strohhalm ärgert sie; sie spricht verworren
Mit halbem Sinn nur; ihre Red ist nichts,
Doch leitet ihre ungestalte Art
Die Hörenden auf Schlüsse; man errät,
Man stückt zusammen ihrer Worte Sinn,
Die sie mit Nicken gibt, mit Winken, Mienen,
So daß man wahrlich denken muß; man könnte
Zwar nichts gewiß, jedoch viel Arges denken.

[KÖNIGIN] HORATIO
Man muß doch mit ihr sprechen; sie kann Argwohn
In Unheil brütende Gemüter streun.

KÖNIGIN
Laßt sie nur vor! -
Horatio ab.
Der kranken Seele, nach der Art der Sünden,
Scheint jeder Tand ein Unglück zu verkünden,
Von so betörter Furcht ist Schuld erfüllt,
Daß, sich verbergend, sie sich selbst enthüllt.
Horatio kommt mit Ophelia.

OPHELIA
Wo ist die schöne Majestät von Dänmark?

KÖNIGIN
Wie gehts, Ophelia?

OPHELIA
singt.

Wie erkenn ich dein Treulieb
Vor den andern nun?
An dem Muschelhut und Stab
Und den Sandelschuhn.

KÖNIGIN
Ach, süßes Fräulein, wozu soll dies Lied?

OPHELIA
Was beliebt? Nein, bitte, hört:
Singt.

Er ist lange tot und hin,
Tot und hin, Fräulein!
Ihm zu Häupten ein Rasen grün,
Ihm zu Fuß ein Stein.
Oh!
KÖNIGIN
Aber sagt, Ophelia -

OPHELIA
Bitt Euch, hört:
Singt.

Sein Leichenhemd weiß wie Schnee zu sehn -

Der König tritt auf.

KÖNIGIN
Ach, mein Gemahl, seht hier!

OPHELIA
singt.

Geziert mit Blumensegen,
Das unbetränt zum Grab mußt gehn
Von Liebesregen.

KÖNIG
Wie gehts Euch, holdes Fräulein?

OPHELIA
Gottes Lohn, recht gut! Sie sagen, die Eule war eines Bäckers Tochter. Ach Herr, wir wissen wohl, was wir sind, aber nicht, was wir werden können. Gott segne Euch die Mahlzeit!

KÖNIG
Anspielung auf ihren Vater.

OPHELIA
Bitte, laßt uns darüber nicht sprechen; aber wenn sie Euch fragen, was es bedeutet, sagt nur:
Singt.

Auf morgen ist Sankt Valentins Tag,
Wohl an der Zeit noch früh,
Und ich 'ne Maid am Fensterschlag
Will sein eur Valentin.
Er war bereit, tät an sein Kleid,
Tät auf die Kammertür,
Ließ ein die Maid, die als 'ne Maid
Ging nimmermehr herfür.

KÖNIGIN
Holde Ophelia!

OPHELIA
Fürwahr, ohne Schwur, ich will ein Ende machen:
Singt.

Bei unsrer Frau und Sankt Kathrin!
O pfui! was soll das sein?
Ein junger Mann tuts, wenn er kann,
Beim Himmel, 's ist nicht fein.
Sie sprach: Eh Ihr gescherzt mit mir,
Gelobtet Ihr mich zu frein.

Er antwortet:
Ich brächs auch nicht, beim Sonnenlicht!
Wärst du nicht kommen herein.

KÖNIG
Wie lang ist sie schon so?

OPHELIA
Ich hoffe, alles wird gut gehn. Wir müssen geduldig sein; aber ich kann nicht anders als weinen, wenn ich denke, daß sie ihn in den kalten Boden gelegt haben. Mein Bruder soll davon wissen, und so dank ich euch für euren guten Rat. Komm, meine Kutsche! Gute Nacht, Damen, gute Nacht, süße Damen, gute Nacht, gute Nacht!
Ab.

KÖNIG
Folgt auf dem Fuß ihr doch; bewacht sie recht!
Horatio ab.
O dies ist Gift des tiefen Grams, es quillt
Aus ihres Vaters Tod. Und seht nun an,
O Gertrud, Gertrud, wenn die Leiden kommen,
So kommen sie wie einzelne Späher nicht,
Nein, in Geschwadern. Ihr Vater umgebracht;
Fort Euer Sohn, er selbst der wüste Stifter
Gerechten eignen Banns; das Volk verschlämmt,
Schädlich und trüb in Wähnen und Vermuten
Vom Tod des redlichen Polonius;
Und töricht wars von uns, so unterm Husch
Ihn zu bestatten; dann dies arme Kind,
Getrennt von sich und ihrem edlen Urteil,
Ohn welches wir nur Bilder sind, nur Tiere.
Zuletzt, was mehr als alles in sich schließt:
Ihr Bruder ist von Frankreich insgeheim
Zurückgekehrt, nährt sich mit seinem Staunen,
Hält sich in Wolken und ermangelt nicht
Der Ohrenbläser, um ihn anzustecken
Mit giftgen Reden von des Vaters Tod,
Wobei Verlegenheit, an Vorwand arm,
Sich nicht entblöden wird, Uns zu verklagen
Von Ohr zu Ohr. O liebste Gertrud, dies
Gibt wie ein Traubenschuß an vielen Stellen
Mir überflüßgen Tod.
Lärm hinter der Szene.

KÖNIGIN
O weh! Was für ein Lärm?
[Ein Edelmann kommt.]

KÖNIG
Herbei!
Wo sind die Schweizer? Laßt die Tür bewachen.
Ein Edelmann kommt.
Was gibt es draußen?

EDELMANN
Rettet Euch, mein Fürst!
Der Ozean, entwachsend seinem Saum,
Verschlingt die Niedrung ungestümer nicht,
Als an der Spitze eines Meutrerhaufens
Laertes Eure Diener übermannt.
Der Pöbel nennt ihn Herrn, und gleich als finge
Die Welt erst an, als wär das Altertum
Vergessen und Gewohnheit nicht bekannt,
Die Stützen und Bekräftger jedes Worts,
Schrein sie: Erwählen wir! Laertes werde König!
Und Mützen, Hände, Zungen tragens jubelnd
Bis an die Wolken: König sei Laertes!
Laertes König!

KÖNIGIN
Sie schlagen lustig an auf falscher Fährte.
Verkehrt gespürt, ihr falschen Dänenhunde!
Lärm hinter der Szene.

KÖNIG
Die Türen sind gesprengt.
Laertes kommt bewaffnet. Dänen hinter ihm.

LAERTES
Wo ist denn dieser König? - Herrn, bleibt draußen!

DÄNEN
Nein, laßt uns mit hinein!

LAERTES
Ich bitt, erlaubt mir!

DÄNEN
Gut, wie Ihr wollt.
Sie ziehen sich hinter die Tür zurück.

LAERTES
Dank Euch! Besetzt die Tür! -
Du schnöder König, gib mir meinen Vater.

KÖNIGIN
Guter Laertes, ruhig!

LAERTES
Der Tropfe Bluts, der ruhig ist, erklärt
Für Bastard mich, schilt Hahnrei meinen Vater,
Brandmarkt als Metze meine treue Mutter,
Hier zwischen ihren reinen, keuschen Braun.

KÖNIG
Was ist der Grund, Laertes, daß dein Aufstand
So riesenmäßig aussieht? - Laßt ihn, Gertrud,
Befürchtet nichts für Unsere Person,
Denn solche Göttlichkeit schirmt einen König:
Verrat, der nur erblickt, was er gewollt,
Steht ab von seinem Willen. - Sag, Laertes,
Was bist du so entrüstet? - Gertrud, laßt ihn! -
Sprich, junger Mann.

LAERTES
Wo ist mein Vater?

KÖNIG
Tot.

KÖNIGIN
Doch nicht durch ihn.

KÖNIG
Laßt ihn nur satt sich fragen.

LAERTES
Wie kam er um? Ich lasse mich nicht äffen.
Zur Hölle, Treu! Zum ärgsten Teufel, Eide!
Gewissen, Frömmigkeit, zum tiefsten Schlund!
Ich trotze der Verdammnis; so weit kams:
Ich schlage beide Welten in die Schanze,
Mag kommen, was da kommt! Nur Rache will ich
Vollauf für meinen Vater.

KÖNIG
Wer wird Euch hindern?

LAERTES
Mein Wille, nicht der ganzen Welt Gebot,
Und meine Mittel will ich so verwalten,
Daß wenig weit soll reichen.

KÖNIG
Hört, Laertes,
Wenn Ihr von Eures teuren Vaters Tod
Das Sichre wissen wollt: Ists Eurer Rache Schluß,
Als Sieger in dem Spiel so Freund als Feind,
Gewinner und Verlierer fortzureißen?

LAERTES
Nur seine Feinde.

KÖNIG
Wollt Ihr sie denn kennen?

LAERTES
Den Freunden will ich weit die Arme öffnen
Und wie der Lebensopfrer Pelikan
Mit meinem Blut sie tränken.

KÖNIG
So, nun sprecht Ihr
Als guter Sohn und echter Edelmann.
Daß ich an Eures Vaters Tode schuldlos
Und am empfindlichsten dadurch gekränkt,
Soll Eurem Urteil offen dar sich legen,
Wie Tageslicht dem Aug.

DÄNEN
hinter der Szene.
Laßt sie hinein!

LAERTES
Was gibts? Was für ein Lärm?
Ophelia kommt, phantastisch mit Kräutern und Blumen geschmückt.
O Hitze, trockne
Mein Hirn auf! Tränen, siebenfach gesalzen,
Brennt meiner Augen Kraft und Tugend aus!
Bei Gott, dein Wahnsinn soll bezahlt uns werden
Nach dem Gewicht, bis unsre Waagschal sinkt!
O Maienrose! Süßes Kind! Ophelia!
Geliebte Schwester! - Himmel, kann es sein,
Daß eines jungen Mädchens Witz so sterblich
Als eines alten Mannes Leben ist?
Natur ist fein im Lieben; wo sie fein ist,
Da sendet sie ein kostbar Pfand von sich
Dem, was sie liebhat, nach.

OPHELIA
singt.

Sie trugen ihn auf der Bahre bloß,
He non nonni, nonni, he nonni!
Und manche Trän fiel in Grabes Schoß -
Fahr wohl, meine Taube!

LAERTES
Hättst du Vernunft und mahntest uns zur Rache,
Es könnte so nicht rühren.

OPHELIA
Ihr müßt singen: »'nunter, hinunter, und ruft ihr ihn 'nunter!« O wie das Rad dazu klingt! Es ist der falsche Verwalter, der seines Herrn Tochter stahl.

LAERTES
Dies Nichts ist mehr als Etwas.

OPHELIA
Da ist Vergißmeinnicht, das ist zum Andenken; ich bitte Euch, liebes Herz, gedenkt meiner! - Und da ist Rosmarin, das ist für die Treue.

LAERTES
Ein Sinnspruch im Wahnsinn: Treue und Andenken bezeichnet.

OPHELIA
Da ist Fenchel für Euch und Aglei - da ist Raute für Euch, und hier ist welche für mich; wir können sie Sonntagsgnadenkraut nennen. - Ihr könnt Eure Raute mit einem Zeichen tragen. - Da ist Maßlieb - ich wollte Euch ein paar Veilchen geben, aber sie welkten alle, da mein Vater starb. - Sie sagen, er nahm ein gutes Ende. -
Singt.

Denn traut lieb Fränzel ist all meine Lust -

LAERTES
Schwermut und Trauer, Leid, die Hölle selbst
Macht sie zur Anmut und zur Artigkeit.

OPHELIA
singt.

Und kommt er nicht mehr zurück?
Und kommt er nicht mehr zurück?
Er ist tot, o weh!
In dein Todesbett geh,
Er kommt ja nimmer zurück.

Sein Bart war so weiß wie Schnee,
Sein Haupt dem Flachse gleich:
Er ist hin, er ist hin,
Und kein Leid bringt Gewinn;
Gott helf ihm ins Himmelreich!

Und allen Christenseelen! Darum bet ich! Gott sei mit euch.
Ab.

LAERTES
Seht Ihr das? O Gott!

KÖNIG
Laertes, laßt mit Euerm Gram mich sprechen,
Versagt mir nicht mein Recht. Entfernt Euch nur,
Wählt die verständigsten von Euren Freunden
Und laßt sie richten zwischen Euch und mir.
Wenn sie zunächst Uns, oder mittelbar,
Dabei betroffen finden, wollen Wir
Reich, Krone, Leben, was nur Unser heißt,
Euch zur Vergütung geben; doch wo nicht,
So seid zufrieden, Uns Geduld zu leihn;
Wir wollen dann, vereint mit Eurer Seele,
Sie zu befriedigen trachten.

LAERTES
Ja, so sei's.
Die Todesart, die heimliche Bestattung,
Kein Schwert noch Wappen über seiner Gruft,
Kein hoher Brauch noch förmliches Gepräng,
Alles ruft laut vom Himmel bis zur Erde,
Daß ichs zur Frage ziehn muß.

KÖNIG
Gut, das sollt Ihr,
Und wo die Schuld ist, mag das Strafbeil fallen.
Ich bitt Euch, folget mir!
Alle ab.