William Shakespeare
Hamlet, 4. Akt, 7. Szene
Ein andres Zimmer im Schlosse.

Der König und Laertes treten auf.

KÖNIG
Nun muß doch Eur Gewissen meine Unschuld
Versiegeln, und Ihr müßt in Euer Herz
Als Freund mich schließen, weil Ihr habt gehört,
Und mit verständigem Ohr, daß eben der,
Der Euren edlen Vater umgebracht,
Mir nach dem Leben stand.

LAERTES
So ists. Doch sagt mir,
Warum belangtet Ihr nicht diese Taten,
Die so verbrecherisch und todeswürdig,
Wie Eure Größe, Weisheit, Sicherheit,
Wie alles sonst Euch drang?

KÖNIG
Aus zwei besondern Gründen,
Die Euch vielleicht sehr marklos dünken mögen,
Allein für mich doch stark sind. Seine Mutter,
Die Königin, lebt fast von seinem Blick,
Und was mich selbst betrifft - sei's, was es sei,
Entweder meine Tugend oder Qual -
Sie ist mir so vereint in Seel und Leben:
Wie sich der Stern in seinem Kreis nur regt,
Könnt ichs nicht ohne sie. Der andre Grund,
Warum ichs nicht zur Sprache bringen durfte,
Ist, daß der große Hauf an ihm so hängt:
Sie tauchen seine Fehl' in ihre Liebe,
Die, wie der Quell, der Holz in Stein verwandelt,
Aus Tadel Lob macht, so daß meine Pfeile,
Zu leicht gezimmert für so scharfen Wind,
Zurückgekehrt zu meinem Bogen wären
Und nicht zum Ziel gelangt.

LAERTES
Und so verlor ich einen edlen Vater,
So wand mir eine Schwester hoffnungslos
Zerrüttet, deren Wert, wofern das Lob
Zurückgehn darf, auf unsrer Zeiten Höhe
Auffordernd stand zu gleicher Trefflichkeit.
Doch kommen soll die Rache!

KÖNIG
Schlaft deshalb ruhig nur. Ihr müßt nicht denken,
Wir wären aus so trägem Stoff gemacht,
Daß Wir Gefahr am Bart Uns raufen ließen
Und hielten es für Kurzweil. Ihr vernehmt
Mit nächstem mehr. Ich liebte Euren Vater,
Auch lieben Wir Uns selbst: das, hoff ich, wird
Euch einsehn lehren -
Ein Bote kommt.
Nun? Was gibt es Neues?

BOTE
Herr, Briefe sinds von Hamlet; dieser da
Für Eure Majestät, der für die Königin.

KÖNIG
Von Hamlet? Und wer brachte sie?

BOTE
Matrosen, heißt es, Herr; ich sah sie nicht.
Mir gab sie Claudio, der vom Überbringer
Sie selbst empfing.

KÖNIG
Laertes, Ihr sollt hören. -
Laßt uns!
Bote ab.
Liest.
Großmächtigster! Wisset, daß ich nackt an Euer Reich ausgesetzt bin. Morgen werde ich um Erlaubnis bitten, vor Euer königliches Auge zu treten, und dann werde ich, wenn ich Euch erst um Vergünstigung dazu ersucht, die Veranlassung meiner plötzlichen und wunderbaren Rückkehr berichten.
Hamlet.
Was heißt dies? Sind sie alle wieder da?
Wie? Oder ists Betrug und nichts daran?
LAERTES
Kennt Ihr die Hand?

KÖNIG
Es sind Hamlets Züge. »Nackt«,
Und in der Nachschrift hier sagt er: »Allein«.
Könnt Ihr mir raten?

LAERTES
Ich bin ganz irr, mein Fürst. Allein er komme!
Erfrischt es doch mein Herzensübel recht,
Daß ichs ihm in die Zähne rücken kann:
Das tatest du!

KÖNIG
Wenn es so ist, Laertes
- Wie kann es nur so sein? Wie anders? -, wollt Ihr
Euch von mir stimmen lassen?

LAERTES
Ja, mein Fürst,
Wenn Ihr mich nicht zum Frieden stimmen wollt.

KÖNIG
Zu deinem Frieden. Ist er heimgekehrt,
Als stutzig vor der Reis' und denkt nicht mehr
Sie vorzunehmen, so beweg ich ihn
Zu einem Probstück, reif in meinem Sinn,
Wobei sein Fall gewiß ist; und es soll
Um seinen Tod kein Lüftchen Tadel wehn,
Selbst seine Mutter soll die List nicht zeihen,
Nein, nenne Zufall sie!

LAERTES
Ich will Euch folgen, Herr,
Und um so mehr, wenn Ihrs zu machen wüßtet,
Daß ich das Werkzeug wär.

KÖNIG
So trifft sichs eben.
Man hat seit Eurer Reis' Euch viel gerühmt,
Und das vor Hamlets Ohr, um eine Eigenschaft,
Worin Ihr, sagt man, glänzt; all Eure Gaben
Entlockten ihm gesamt nicht so viel Neid
Als diese eine, die nach meiner Schätzung
Vom letzten Rang ist.

LAERTES
Und welche Gabe wär das, gnädger Herr?

KÖNIG
Ein bloßes Band nur um den Hut der Jugend,
Doch nötig auch, denn leichte, lose Tracht
Ziemt minder nicht der Jugend, die sie trägt,
Als dem gesetzten Alter Pelz und Mantel
Gesundheit schafft und Ansehn. - Vor zwei Monden
War hier ein Ritter aus der Normandie.
Ich kenne selbst die Franken aus dem Krieg,
Und sie sind gut zu Pferd; doch dieser Brave
Tat Zauberding'; er wuchs am Sitze fest
Und lenkt' sein Pferd zu solchen Wunderkünsten,
Als wär er einverleibt und halbgeartet
Mit diesem wackern Tier; es überstieg
So weit die Vorstellung, daß mein Erfinden
Von Wendungen und Sprüngen hinter dem
Zurückbleibt, was er tat.

LAERTES
Ein Normann wars?

KÖNIG
Ein Normann.

LAERTES
Lamord, bei meinem Leben!

KÖNIG
Ja, derselbe.

LAERTES
Ich kenn ihn wohl, er ist auch in der Tat
Das Kleinod und Juwel von seinem Volk.

KÖNIG
Er ließ bei uns sich über Euch vernehmen
Und gab Euch solch ein meisterliches Lob
Für Eure Kunst und Übung in den Waffen,
Insonderheit die Führung des Rapiers.
Es gäb ein rechtes Schauspiel, rief er aus,
Wenn wer darin sich mit Euch messen könnte.
Er schwur, die Fechter seines Landes hätten
Nicht sichre Hut, noch Auge, noch Geschick,
Wenn Ihr sie angrifft; dieser sein Bericht
Vergiftete den Hamlet so mit Neid,
Daß er nichts tat als wünschen, daß Ihr schleunig
Zurückkämt, um mit Euch sich zu versuchen.
Nun, hieraus...

LAERTES
Was denn hieraus, gnädger Herr?

KÖNIG
Laertes, war Euch Euer Vater wert?
Wie, oder seid Ihr gleich dem Gram im Bilde
Ein Antlitz ohne Herz?

LAERTES
Wozu die Frage?

KÖNIG
Nicht als ob ich dächte,
Ihr hättet Euren Vater nicht geliebt.
Doch weiß ich, durch die Zeit beginnt die Liebe,
Und seh an Proben der Erfahrung auch,
Daß Zeit derselben Glut und Funken mäßigt.
Im Innersten der Liebesflamme lebt
Eine Art von Docht und Schnuppe, die sie dämpft;
Und nichts beharrt in gleicher Güte stets,
Denn Güte, die vollblütig wird, erstirbt
Im eignen Allzuviel. Was man will tun,
Das soll man, wenn man will; denn dies »will« wechselt
Und hat so mancherlei Verzug und Schwächung,
Als es nur Zungen, Hände, Fälle gibt;
Dann ist dies »soll« ein prasserischer Seufzer,
Der lindernd schadet. Doch zum Kern der Sache!
Hamlet kommt her: was wollt Ihr unternehmen,
Zu zeigen Euch als Eures Vaters Sohn
In Taten mehr als Worten?

LAERTES
Die Kehle ihm durchschneiden in der Kirche!

KÖNIG
Mord sollte freilich nirgends Freistatt finden,
Und Rache keine Grenzen. Doch, Laertes,
Wollt Ihr dies tun, so haltet Euch zu Haus;
Kommt Hamlet heim, erfährt er Eure Rückkehr.
Wir lassen Eure Trefflichkeit ihm preisen
Und doppelt überfirnissen den Ruhm,
Den Euch der Franke gab; kurz, bringen Euch zusammen
Und stellen Wetten an auf Eure Köpfe.
Er, achtlos, edel, frei von allem Arg,
Wird die Rapiere nicht genau besehn;
So könnt Ihr leicht mit ein paar kleinen Griffen
Euch eine nicht gestumpfte Klinge wählen
Und ihn mit einem wohlgeführten Stoß
Für Euren Vater lohnen.

LAERTES
Ich wills tun
Und zu dem Endzweck meinen Degen salben.
Ein Scharlatan verkaufte mir ein Mittel,
So tödlich, taucht man nur ein Messer drein,
Wo's Blut zieht, kann kein noch so köstlich Pflaster,
Von allen Kräutern unterm Mond mit Kraft
Gesegnet, das Geschöpf vom Tode retten,
Das nur damit geritzt ist; mit dem Gift
Will ich die Spitze meines Degens netzen,
So daß es, streif ich ihn nur obenhin,
Den Tod ihm bringt.

KÖNIG
Bedenken wir dies ferner,
Was für Begünstigung von Zeit und Mitteln
Zu unserm Ziel kann führen. Schlägt dies fehl
Und blickt durch unsre schlechte Ausführung
Die Absicht, so wärs besser nicht versucht;
Drum muß der Plan noch eine Sichrung haben,
Haltbar und wirksam, wenn sich jener nicht
Bewährt. - Still, laßt mich sehn! - Auf Eure Fechtkunst
Schließen wir feierliche Wetten ab -
Ich habs:
Wenn ihr vom Fechten heiß und durstig seid
- Ihr müßt deshalb die Gänge heftger machen -
Und er zu trinken fordert, soll ein Kelch
Bereitstehn, der, wenn er davon nur nippt,
Entging er etwa Eurem giftgen Stich,
Noch unsern Anschlag sichert. [- Aber still!
Was für ein Lärm?]
Die Königin kommt.
Nun, werte Königin?

KÖNIGIN
Ein Leiden tritt dem andern auf die Fersen,
So schleunig folgen sie:
Laertes, Eure Schwester ist ertrunken.

LAERTES
Ertrunken sagt Ihr? Wo?

KÖNIGIN
Es neigt ein Weidenbaum sich übern Bach
Und zeigt im klaren Strom sein graues Laub,
Mit welchem sie phantastisch Kränze wand
Von Hahnfuß, Nesseln, Maßlieb, Kuckucksblumen,
Die dreiste Schäfer derber wohl benennen,
Doch unsre Mädchen Toten-Mannes-Finger.
Dort, als sie aufklomm, um ihr Laubgewinde
An den gesenkten Ästen aufzuhängen,
Zerbrach ein falscher Zweig, und nieder fielen
Die rankenden Trophäen und sie selbst
Ins weinende Gewässer. Ihre Kleider
Verbreiteten sich weit und trugen sie
Sirenen gleich ein Weilchen noch empor,
Indes sie Stellen alter Weisen sang,
Als ob sie nicht die eigne Not begriffe,
Wie ein Geschöpf, geboren und begabt
Für dieses Element. Doch lange währt' es nicht,
Bis ihre Kleider, die sich schwer getrunken,
Das arme Kind von ihren Melodien
Hinunterzogen in den schlammigen Tod.

LAERTES
Ach, ist sie denn ertrunken?

KÖNIGIN
Ertrunken, ertrunken.

LAERTES
Zu viel des Wassers hast du, arme Schwester,
Drum halt ich meine Tränen auf. Und doch
Ists unsre Art; Natur hält ihre Sitte,
Was Scham auch sagen mag: sind die erst fort,
So ist das Weib heraus. - Lebt wohl, mein Fürst.
Ich habe Flammenworte, welche gern
Auflodern möchten, wenn nur diese Torheit
Sie nicht ertränkte.
Ab.

KÖNIG
Laßt uns folgen, Gertrud!
Wie hatt ich Mühe, seine Wut zu stillen!
Nun, fürcht ich, bricht dies wieder ihre Schranken:
Drum laßt uns folgen.
Beide ab.