Hannes Wader
Eine Frau, die ich kannte
Ich sah eine Frau, eine Frau die ich kannte
Vor Jahren, als sie noch ein Mädchen war
Wir lernten beide, weil man irgendwas lernt
Wir lernten, wie man seine Arbeit hasst!
Wir trafen uns manchmal nach Feierabend
Und Sonntags fuhren wir mit dem Bus
Draußen in' Wald in die Sonne am Baggersee
Dahin wo man nichts bezahlen muss
Wir wussten wohl alle beide wir würden
Nur den einen Sommer zusammen sein
Wie teuer der Winter, und dass sich durch Kälte
Die Körper und Seelen zusammenzieh'n
Wir beide besaßen weder Stiefel noch Pelze
Und hätten auch sonst nicht gewusst, womit man
Draußen im Park auf vereisten Bänken
Die Gefühle füreinander warmhalten kann
Sie nahm einen Andern, und glaubte der brächte
Sie besser über den Winter als ich
Ja, so haben die Mädchen, die nichts and'res hatten
Als ihre Jugend, es immer gemacht!
Und wie tausend and're glaubte auch sie
Ein fetter Bauch bedeute Geborgenheit
Und an den Griff seiner klebrigen Finger
Gewöhne sie sich schon mit der Zeit
Sie blieb bei ihm, aber es ist für sie wohl
Immer Winter geblieben seitdem
Ich sah ihre Hände, die Nägel zerbissen
Die Nagelbetten entzündet und rot
Und ihre Augen sind stumpf wie bei manchen, denen
Ihr Leben nicht mehr viel gilt
Augen die längst keine Träne mehr haben
Die den Staub von ihren Pupillen spült
Augen die längst keine Träne mehr haben
Die den Staub von ihren Pupillen spült