Reinhard Mey
Sommer
Wenn das Licht durch das raschelnde Blätterzelt
In leuchtenden Tupfern ins hohe Gras fällt
Tanzen im Spiel von Dunkel und von Helligkeit
Bilder einer lang vergangenen Zeit
Ich seh' Girlanden wehen
Und Mädchen sich drehen
Ich hör' das Akkordeon und sehe sie
Im Reigen sich wiegen
Die Röcke, die fliegen
Zum Klang einer altmodischen Melodie

Ein paar Gartenstühle, zigmal schon lackiert
Ein wackliger Tisch, Wachstuch rot-weiß kariert
Kleine grüne Äpfel am weißen Spalier
Und gläserne Krüge mit schäumendem Bier
Die Männer spiel'n Karten
Im schattigen Garten
Das Taschentuch links, das Blatt rechts in der Hand
Die Frau'n lesen Beeren
Und füllen und leeren
Emailleschüsseln mit angeschlagenem Rand

Wir Kinder war'n baden am Feuerwehrteich
Barfuß, halbnackt, und jetzt hol'n sie uns gleich
Zum Waschtrog am Haus, wo die Bierkannen kühl'n
Uns eins nach dem anderen kalt abzuspül'n
Eng zusammenkauernd
Noch immer erschauernd
Da hocken wir auf der verwitterten Bank
Gänsehaut auf den Rippen
Und blauschwarze Lippen
Vom Baden und von den Brombeeren am Hang
Und lauter und lauter das Stimmengewirr
Das Lachen, das Singen, das Gläsergeklirr
Schon rußen die Lampen, der Tag eilt davon
Und lauter und wilder das Akkordeon
Glänzende Gesichter
Und flackernde Lichter
Und noch einen Tanz und ein randvolles Glas
Einander umfassen –
Sich mitreißen lassen –
Erschöpft niedersinken in's taufeuchte Gras

Jetzt werden die Kinder zu Bette gebracht
Ein letztes sich Wehren und dann: "Gute Nacht!"
Ich ahn' die Musik im Traum, fröhlich und laut
Und den Duft von Sommer noch auf meiner Haut
Ich seh' Girlanden wehen
Und Mädchen sich drehen
Ich hör' das Akkordeon und sehe sie
Im Reigen sich wiegen
Die Röcke, die fliegen
Zum Klang einer altmodischen Melodie