Reinhard Mey
Wolle
Wolle sitzt im Schaukelstuhl im Patio seiner Finca
Ein mit der Welt im Reinen, stiller Mojitotrinker
Sein Blick geht weit hinab über das Tal an das Meer
Er kühlt die Stirn am Glas, blinzelt zum wolkenlosen Himmel
Über der Tramuntana, weit weg von dem Gewimmel
Er zwirbelt den leicht ergrauten Schnurrbart, verdammt lang her!
Verdammt lang her die schwarz gelockten Zottelhaare
Das Wollgewusel an den Armen und all die Jahre
In denen er mit links auch die größten Stadien stemmt

Die Begeisterung, die Fans, der grenzenlose Jubel
Die Charts, die Hitparaden und der Medientrubel
Der größte im Land ist der Mann mit dem Holzfällerhemd

Die Begeisterung, die Fans, der grenzenlose Jubel
Die Charts, die Hitparaden und der Medientrubel
Der größte im Land ist der Mann mit dem Holzfällerhemd

Das Crushed-Ice in seinem Mojitoglas knistert leise
Was war das für eine wahnwitzige, lange Reise
Für den Jungen aus Radertal mit dem großen Traum!
Bei den Bossen in den Plattenstudios nur Sturnrunzeln
Beim Radio, bei der Zeitung nur mitleidiges Schmunzeln
Sie ahnen nicht: Vor ihnen steht die Nummer 1 im Raum
Dann über Nacht wird es aus jedem Lautsprecher klingen
Und die halbe Nation wird seine Lieder mitsingen
Und alles, was Wolle anfasst, wird zu Gold
Und was abends Gold ist, wird Platin am nächsten Morgen
Vorbei das Klinkenputzen, vergessen alle Sorgen
Die Welle des Erfolges rollt. So hat er das gewollt!

Und was abends Gold ist, wird Platin am nächsten Morgen
Vorbei das Klinkenputzen, vergessen alle Sorgen
Die Welle des Erfolges rollt. So hat er das gewollt!

Hast du das wirklich so gewollt und dir so vorgestellt?
Du wirst nie zu Hause sein in dieser Glitzerwelt
Der Geier und der Schleimer, zwischen Häme und Neid
Zwischen Missachtung, Elogen und Unterwürfigkeit
Du hast alles wovon die ganze Szene nur träumt
Alle Charts und alle Preise hast du abgeräumt
Doch jeder will ein Stück von dir dafür und irgendwann störst
Du dich daran, dass du allen, nur nicht dir selbst gehörst
Irgendwann merkst du, das Monster frisst dich auf, Und du denkst nur noch ein: Lauf, Wolle, lauf, lauf
Lauf, lauf, lauf, lauf!

Sein Blick wandert zum Abendhorizont in die Weite
Seine Hand geht zu der Hand der Frau an seiner Seite
Eine Geste, so vertraut, wieviel Jahre sind das nun?
Nur mit ihrem Mut hat er sein Lebenswerk gedrechselt
Sie ist noch dieselbe, er hat sie nicht ausgewechselt
Für ein junges Huhn wie das Minister und alte Geldsäcke tun
Wolle lacht, er kommt im Feuilleton nicht vor heute
Dafür hat er einen Platz im Herzen seiner Leute
Er fragt sie, ob sie irgendwas vermisst und sie sagt: „Nein!“
In der Ferne liegt die Bucht im ersten Sternenschimmer
Es wird kühl im Patio, sie gehn rein ins Fernsehzimmer
Und Wolle legt die alte DVD mit „Casablanca“ ein

In der Ferne liegt die Bucht im ersten Sternenschimmer
Es wird kühl im Patio, sie gehn rein ins Fernsehzimmer
Und Wolle legt die alte DVD mit „Casablanca“ ein