Reinhard Mey
Deine Zettel
Im hektischen Alltagsgetriebe
Wo ein Termin den andern jagt
Hab' ich Dir da schon mal gesagt
Wie sehr ich Deine Zettel liebe?
Die Nachrichten, die Grußbotschaften
Die an Klavier und Kühlschtranktür
An Spiegel, Spind und Spüle haften
Mit Tesa, - ich lieb' Dich dafür!
's ist Zeit, dass ich Dir einmal sag':
Oh, wie ich Deine Zettel mag!

Kommandos und Liebesbeweise:
Gut' Nacht - Pizza im Tiefkühlfach -
Kaffee ist alle - bin noch wach -
Die Kinder schlafen schon - komm leise!
Die Denkdrans, die Vergissmeinnichte
Die Einkaufslisten, das sind sie
Die wirklichen Lebensgedichte
Das ist die wahre Poesie!
Zahnpasta fehlt und Du mir auch!
Oh, wie ich Deine Zettel brauch'!

Die großen Dramen und die kleinen
Das ganze Leben schreibst Du mir
Auf wisch und weg- und Brotpapier
Auf Kassenbons und Busfahrscheinen
Malst Skizzen in die kleinste Ecke:
Die Aktzeichnung als Selbstportrait
Die ich im Brotbeutel entdecke
Wenn ich im Bäckerladen steh'
"Was soll's denn sein, ja Sie sind dran!"
Oh, wie macht mich Dein Zettel an!
Am Telefon, bei der Zahnbürste
Unterm Kopfkissen und im Hut:
"Du schaffst das schon, alles wird gut!"
Wie ich nach Deinen Zetteln dürste!
Lass Lebenszeichen und Weisheiten
Lass Wünsche mich im Portemonnaie
Und in Gesäßtaschen begleiten
Wo immer ich auch geh und steh!
Ich hab' nur diesen Wunsch allein:
Lass immer Deine Zettel um mich sein!