„Breast milk, you made my day! You know we had to do a remix, right?”
Nicht Puff Daddy, sondern ein Teufel steht da vor weißem Hintergrund und lässt zwei Flaschen aneinander klirren, die Eingangszeile wurde auch leicht variiert und es handelt sich auch nicht um den „Flava in ya ear“-Remix, auch wenn das Video eindeutig eine Hommage darstellt, sondern um einen Remix zu Mr. eXquire’s Song „The Last Huzzah!“.
„Don't forget the muthafuckin’, without that it's nothin’!” Ok, Verzeihung: Mr. Muthafuckin eXquire natürlich! Wer sich mit solch großen Namen misst – am „Flava in ya ear“-Remix waren immerhin Busta Rhymes, LL Cool J, The Notorious B.I.G. und eben Puff Daddy beteiligt – sollte korrekt angesprochen werden. Zumal auch die übrigen Beteiligten der Neuauflage sich durchaus sehen lassen können und zu dem Besten gehören, was Hip Hop abseits des Mainstreams momentan zu bieten hat. Der erste Vers stammt von Despot, der zwar gern gesehener Gastrapper ist, aber es bis heute nicht geschafft hat, ein eigenes Album zu veröffentlichen (nach eigenen Angaben aus Faulheit und nicht etwa künstlerischem Perfektionismus). Es folgen Kool A.D. und Heems von Das Racist mit genau der Mischung aus Humor, verrückten Referenzen und Wortspielen, die man von ihnen erwartet. Ähnliches lässt sich auch von Danny Brown sagen, doch der Punktsieger dieses Treffens des „Who is who“ des alternativen Hip Hops bleib eindeutig El-P. Den eigentlich simplen Einfall, in seiner Strophe bis 16 durchzuzählen, verarbeitet El-P in den 16 Zeilen derart kunstvoll, dass Mr. Muthafuckin eXquire am Ende bei seinem eigenen Song das Nachsehen hat.
Doch wozu der Rückblick auf diesen Musikclip aus dem Vorjahr und was hat das alles mit dem neuen Album El-Ps zu tun? Nun ja: Alles und nichts. „The Last Huzzah! (Remix)“ war das erste gemeinsame Projekt der oben genannten Künstler und sie alle haben auch an dem Album „Cancer 4 Cure“ mitgewirkt, doch das Hauptargument ist banaler: Es ist einfach immer noch ein sehr guter Song und ein witziges Video und kann daher nicht oft genug erwähnt werden!
Doch nun endlich zum eigentlichen Thema, dem Nachfolger des Albums „I Sleep When You’re Dead“, auf den man immerhin fünf Jahre warten musste. Drei Minuten länger muss man sich dann noch gedulden, bis man die ersten Reime El-Ps zu hören bekommt, denn „Cancer 4 Cure“ beginnt mit einem Prodigy-artigen Instrumental und William S. Burroughs, der einige Zeilen seines „cut up“-Romans „The Soft Machine“ vorträgt. Von „einem Krieg bis zur Auslöschung“ ist da bei Burroughs die Rede, von „verfaulten Seelen“, „Gefangenen“ und anderen Begriffen, welche die düster-apokalyptische Grundstimmung des Albums perfekt vorbereiten.
Und El-P beginnt seine Geschichte ganz am Anfang, also bei seiner Kindheit und seinem ersten Kontakt zur Musik, die Trost verspricht und Linderung, die einen aber auch nicht vor Unheil schützt:
„Sing along, sat at piano, lap of my father, watching him talk harmonic.
Each key tapped to the BPM of the sirens sound like a raining of notes in a protest pose.
Like a right string weaved on the keys could relieve us of doom.”
Und das erste Unheil kam dann auch schnell, nämlich die Scheidung der Eltern, die dazu führte, dass Jaime Meline (El-P) zusammen mit seinen Geschwistern und seiner Mutter nach Brooklyn zog, wo er zum Jugendlichen heranwuchs, mit allem was dazu gehört: Nachts um die Häuser ziehen, sich betrinken, mit Drogen experimentieren, rebellieren (egal gegen was!), randalieren und sich lebendig fühlen:
„Middle finger, dick held, brick kids,
Screaming at the top of our airbags:
This is our timing, we are not dying!"
Doch kaum ist dieser Schrei verhallt, macht das Sprachsample, das den nächsten Song “The Full Retard” einleitet, Schluss mit diesem Gefühl der Unsterblichkeit: „So you should pump this shit like they do in the future!“ Die Stimme gehört Camu Tao, einem Kollegen und Freund El-Ps, der 2008 den Kampf gegen den Krebs verloren hat. Sampling als Respektbezeugung, als Weg, dem Freund die letzte Ehre zu erweisen. Doch El-P kombiniert hier den Abschied von Camu mit einer grimmigen „Guess who’s back?“-Kampfansage:
„I‘m potent, intact, a black hearted and lunged up,
tarded and touched plus designer of funk rust.
Oh, El is back on that shit, huh?”
Camu Taos Tod dürfte auch die Namensgebung des Albums beeinflusst haben, allerdings gibt es noch eine andere Erklärung für den Albumtitel: Krebs als die perfekte Metapher für El-P’s paranoide Weltsicht, als die größte Form der Bedrohung, als Feind im eigenen Körper, das Dunkle und Böse, das man stets mit sich herumschleppt. Und diese Paranoia, ob begründet oder nicht sei dahingestellt, ist stets zu spüren, zum Beispiel in „The Full Retard“ und den dort beschriebenen Zukunftsvisionen („You are so fucking paranoid“ kommentiert die Stimme aus dem Off) oder beim Song „Drones over BKLYN“, in dem El-P im Fieberwahn glaubt, von Überwachungsdrohnen der amerikanischen Regierung verfolgt zu werden.
Alles geschieht hier aus einem Gefühl der Notwehr, doch die paranoideste Art der Verteidigung ist der Präventivschlag wie in „The Jig Is Up“. Der Gedanke, dass die Frau, die da neben einem im Bett liegt, eigentlich viel zu gut ist, entwickelt sich zu der fatalen Wahnvorstellung, dass sie niemals aus freiem Willen oder gar Liebe dort liegen kann:
„Tell me who sent you here, what agency?
Who’s paying for this time you’re wasting?”
Die Selbstzweifel machen es El unmöglich zu glauben, dass sich die Frau, die er da verhört, wirklich für ihn entschieden hat:
„Why would you book a ticket with a living Costa Concordia?
Why would you travel on a vessel that might not float?”
Doch während Tyler, The Creator dieses Verhör wohl in ein Horrocore-Folter-Szenario hätte münden lassen, gibt El-P dem Ganzen eine emotionalere, melancholische Wendung, wenn er seine Zweifel in der Hook mit einem Zitat Croucho Marx‘ begründet:
„I wouldn’t want to be part of any club that would have me.”
Auch die nächsten beiden Songs thematisieren eine Vernehmung, einmal als sexuelles Machtspiel („Sign Here“) und beim zweiten Mal befindet sich El plötzlich nicht mehr in der Rolle des Befragenden, sondern des Befragten („For My Upstairs Neighbor”):
Szene 1: Ein gereizter El-P sitzt im Verhörraum, es ist heiß, er verlangt nach Wasser. Er mimt den klassischen Großstädter, der sich ausschließlich um seinen eigenen Kram kümmert und alle anderen nur als anonyme Masse wahrnimmt, ganz nach dem Credo: „Don't talk to anyone, look forward, mind yourself, continue walk!“ Auch dass sein Nachbar Opfer eines Gewaltverbrechens wurde, bringt ihn nicht aus der Ruhe, die immer gleichen Fragen der Polizisten dagegen schon. Entnervt verlässt er schließlich die Polizeiwache, allerdings nicht ohne den Polizisten noch ein sarkastisches „Good luck working it, Columbo!“ zu wünschen.
Szene 2: Rückblick, der Morgen desselben Tages: El-P wird wieder einmal von den Geräuschen, die durch die dünnen Wände aus der Nachbarwohnung zu ihm dringen, geweckt. Ein Streit, dann der Lärm eines Kampfes. Erinnerungen an die eigene Vergangenheit werden wach, als er mitansehen musste, wie sein Stiefvater seine Mutter verprügelte (Company Flow: „Last Good Sleep“). Und dennoch, als er seine Nachbarin zufällig auf dem Flur trifft, will er nur möglichst schnell an ihr vorbeigehen. Erst ihr Versuch eines Lächelns bringt seine Fassade der Teilnahmslosigkeit zum Bröckeln:
„It must have taken every muscle in your body,
To produce that little twitch you probably thought was passing muster for a smile,
But trust I recognize the gesture,
I have seen it many times,
I read the tells, I know the sacred art of bluffing.”
Stattdessen bleibt er also kurz stehen, beugt sich zu ihr herüber und richtet zum ersten und einzigen Mal das Wort an sie: „Do the thing you have to and I swear I'll tell them nothing!“ Im abschließenden Refrain wird er dann noch deutlicher: „If you kill him I won't tell!“
Wie sich hier die Beschreibung zweier Szenen, noch dazu in umgekehrter chronologischer Reihenfolge, nach und nach zu einer zusammenhängenden Geschichte entwickelt und sich die Rolle El-Ps vom unbeeindruckten Zeugen zum Komplizen wandelt, zeugt von Melines enormer erzählerischer Fähigkeit.
Eine ähnliche Wandlung durchläuft der Ich-Erzähler auch in „Tougher Colder Killer“, wenn er zunächst der Mutter seines Feindes völlig emotionslos mitteilt, dass er gerade ihren Sohn getötet habe, dann aber mit seiner Rolle als Soldat hadert, die Gründe für den Krieg in Frage stellt und am Ende zugeben muss:
„There is a tougher colder killer,
A tougher colder killer than you.
And he will wipe us all from this place.
You will learn to crawl,
You will learn it all in just one day.”
Inspiriert ist der Song von einer Kurzgeschichte Sevan Minasians, aus der auch die erste Zeile des Songs stammt, die Gastbeiträge stammen von dem oben bereits erwähnten Despot und Killer Mike, dessen Album "R.A.P. Music" El-P komplett produziert hat.
In „Oh Hail No“ inszenieren sich Jaime Meline, Danny Brown und Mr. Muthafuckin eXquire als kämpferische Underdogs, die fehlende finanzielle Mittel durch Stil und Haltung wettmachen, wobei hier vor allem Letzterer durch Wortgewandtheit und die beeindruckende Alliteration „Visceral, villianous, vindictated by venomous vibes, vicious.“ zu überzeugen weiß.
Die Krebs-Metaphorik taucht bei „True Story“ wieder auf, doch dieses Mal ist es El-P selbst, der als Außenseiter von der Gesellschaft als Krebsgeschwür, das man bekämpfen muss, wahrgenommen wird:
„They wanna kill you, you're the cancer, you're the fucking problem!
You're the pollution, you're the issue, and they wanna solve it!
They wanna kill you, you're the cancer, how's that make you feel?”
Das darin verwendete Sample „In the world” stammt aus dem Song “Shut Up, Man” von Das Racist, den El-P für deren erstes Album "Relax" produzierte. Somit wären dann auch alle Beteiligten des „The Last Huzzah“-Remixes erwähnt und die fadenscheinige Begründung für das Intro bekräftigt.
Das Album endet nach dem wütend stampfenden Elektrowalzer „4$Vic“ überraschend versöhnlich und pathetisch, man könnte das abschließende „FTL (Me And You)“ tatsächlich als Liebeslied bezeichnen. Doch natürlich ist es eine „Bonnie & Clyde“-Liebe: Wir gegen den Rest der Welt!
„I know there's:
Something good that I’d die here for,
Something great that I’d live here for,
Something fly that I’d write for you,
Something wrong that I’d fight you for,
Something sick that you’d cure me of,
Something said to make sure you’re loved,
Some of us cannot trust no one,
Some of us don’t deserve no trust,
Nothing wrong with not being strong,
Nothing says we defeat what’s wrong,
Nothing manmade remains made long,
That’s a debt we can’t back out of,
Nothing that they can take from you,
Nothing that they can do to me,
Nothing I wouldn’t do for you,
Nothing left here but you and me.”
Und nichts und niemand könnte dieser Liebe im Weg stehen, nicht einmal ein Szenario à la Saw I:
„But I've never felt so brave as when I'm looking at your face,
They can decimate my body but my heart will not disgrace,
They can torture and interrogate and shackle to my boot,
I will gnaw off my own leg and hop the fuck right back to you.”
Und auf einem Bein hüpft die Hoffnung ins Bild…