Julia Engelmann
Luna
Im Dunkelblau der weiße Nebel flüstert,
es ist Mitternacht,
rahmt dich, bleich im Kosmos schwebend,
ein, du runder schöner Schwan.
Gleißend deine klare Seele,
warst mir, Wunder, nie so nah.
Ich brauch nur den Arm zu heben,
dass ich dich berühren kann.

Ich als Wolf, ich würde schleichend,
während andere von dir träumen,
auf den höchsten Felsen steigen
und im Chor mit Schleiereulen,
dich mit blasser Tatze streifend,
eine Weile bei dir bleibend,
über Berge, Tannenbäume
flammend in die Ferne heulen.

Ich als Mädchen sitz allein
im Schlafanzug am Fenstersims,
erfüllt, gebannt von deinem Schein,
wie traurig und wie schön du bist.
So würd ich auch das Leben deuten,
weil alles doch so flüchtig ist.
Und wie auch die Wölfe heulen,
sieh mich an, so weine ich.
Weißt du, was komisch ist?
Je mehr ich lebe,
dest mehr will ich leben
und desto weniger bleibt mir
Und so weine ich nicht,
weil ich traurig bin.

Ich weine, weil ich weiß,
dass ich alleine kam
und auch alleine gehen muss.
Und weil alles das, was vor mir liegt,
vergehen wird und vergehen muss.

Weil ich voller Visionen bin
und Liebe und Ideen
und nicht weiß, ob ich es schaffe,
sie zu leben in diesem Leben.

Weil ich zu einer Zeit nur jeweils
einen Weg bestreiten kann,
weil mich keiner und ich keinen
in seinen Kopf begleiten kann.

Und weil ich zu skeptisch bin
und mich zu oft frage,
ob ich alle Wunder wert bin,
die da draußen auf mich warten.
Und weil ich viel zu selten barfuß
mit geschlossenen Augen tanz,
weil ich immer nur so mutig bin
wie meine allergrößte Angst.

Und weil ich zu viel Zeit
auf mein Aussehen verwende,
obwohl das an der Welt
und meinem Leben gar nichts ändert.

Und weil mir gerade klar wird,
dass alles ist, was ich daraus mache,
und schön ist nicht, wie wir scheinen,
nur wie wir die Welt betrachten.

Und je mehr ich lebe,
dest mehr will ich leben
und desto weniger bleibt mir
Und so weine ich nicht,
weil ich traurig bin.

Sondern, weil ich nie mehr schlafen will,
und viel zu gerne wach bin
und weil ich nie wieder jammern will,
das ist kompletter Schwachsinn.
Und weil ich zu selten über Schatten
und in große Pfützen springe.
Und weil es sicher auch noch schwer wird,
meinen wahren Weg zu finden.

Weil ich gerade so dankbar bin
für alles, was ich habe.
Vor allem für die Menschen,
die schon immer für mich da sind.

Und weil ich mich frage,
ob ich sie oft genug umarme,
und sie jemals zu verlieren
könnte ich niemals nicht ertragen.

Und weil ich gerade begriffen hab,
dass wirklich alles endet.
Und ich hab schon zu viel Zeit
mit Lappalien verschwendet.

Ich fühlte mich nie wahrer
und nie zuvor so heftig echt,
nie erschien mir alles klarer
und vergänglicher als jetzt.

Weißt du,
je mehr ich lebe,
dest mehr will ich leben
und desto weniger bleibt mir
Und so weine ich nicht,
weil ich traurig bin.
Im Gegenteil, ich glaube,
ich bin sogar glücklich.

Im Dunkelblau der Silbernebel schläft,
es ist nach Mitternacht.
Du schaust mich, still im Kosmos schwebend,
an, du runder, schöner Schwan,
schaust in meine kleine Seele,
warst mir, Wunder, nie so nah.
Weißt du, ich hab Angst zu gehen,
bitte, schein mich weiter an.

Ich als Löwenzahn würde schweigend,
alles läge hinter mir,
zerstreut in meine Einzelteile,
in Pusteblumenflugmanier,
wie ein Flieger aus Papier
heiter meine Runden kreisend,
Gräser stünden mir Spalier,
zu dir in den Kosmos steigen.

Ich als Mädchen bleib allein
im Schlafanzug am Fenstersims.
Sag, behälst du mein Geheimnis,
dass ich so vergänglich bin?
Nichts war je so schön wie heute,
weil alles doch so flüchtig ist.
Und wie die Wölfe heulen,
hörst du, Luna, weine ich.