Julia Engelmann
Sprechen wie Küssen
Wir sind dieses Thomas-Ruff-Kussbild,
also was man seinen Eltern nicht zeigt,
auch wenn man Kunst studiert.
Wir sind jung und wild,
also was man seinen Freunden verschweigt,
auch wenn's sie interessiert.
Stell dein Magnetfeld ab,
denn dein Blick zieht mir die Kleider vom Leib
und auch dem Altbauhaus
die Tapeten ab.
Es ist so schön hier, ich will nie wieder heim
oder zum Einkauf raus.
Was zwischen deinem Mund und meinem läuft,
das bleibt unser Geheimnis,
aber Schweigepflicht heißt nicht,
dass wir auch untereinander schweigen müssen.
Wenn ich an dich denk, krieg ich ein schlechtes Gewissen,
denn ich wünschte, du könntest sprechen wie küssen.
Wir sind uns unendlich nah,
also so, wie man sich Liebe vorstellt,
wenn man's nicht besser weiß,
nur unverbindlich, klar.
Du hast mir, wie schon so vielen, erzählt:
Du brauchst da etwas Zeit.
Siehst wie 'ne Statue aus,
glaub, dein Tisch wird von
Adonis gedeckt.
Nicht, dass dein Mamor bricht!
Starrst immer geradeaus,
hab keinen Schimmer,
ob du schon wieder denkst
oder noch immer nicht?!
Dass wir versucht haben zu reden,
war vielleicht der größte Fehler,
hätten einfach kommen und gehen sollen,
und jetzt ist es zu spät, na toll.
Jedes Mal, wenn wir uns still und lächelnd begrüßen,
wünschte ich mir, du würdest sprechen wie küssen.
Ich werd lieber von mir verstanden
als von dir gehört.
Ich will lieber zu viel verlangen,
als mich zu verlieren.
Lieber mein Geheimnis
als mit dir geteilt.
Lieber Tisch für einen
als mit dir zu zweit.
Wenn ich bis an mein Lebensende
nur noch dich zum Reden hätte,
würd ich auch bei Meeresnebel-
Wellenwetter Segel setzen.
Wenn ich bis an mein Lebensende
nur noch dich zum Reden hätte,
würd ich mit 'ner semischlechten
Leseecke Ehe brechen.
Ich dachte gerade nur:
Ich glaub, das solltest du wissen.
Ich würd dich immer lieber
sprechen als küssen.