Friedrich Schiller
Kabale und Liebe - 7. Szene (4. Akt)
Luise Millerin tritt schüchtern herein und bleibt in einer großen Entfernung von der Lady stehen; Lady hat ihr den Rücken zugewandt und betracht sie eine Zeit lang aufmerksam in dem gegenüber stehenden Spiegel.
(Nach einer Pause.)

Luise. Gnädige Frau, ich erwarte Ihre Befehle.

Lady (dreht sich nach Luisen um und nickt nur eben mit dem Kopfe, fremd und zurückgezogen). Aha! Ist Sie hier? – Ohne Zweifel die Mamsell – eine gewisse – wie nennt man Sie doch?

Luise (etwas empfindlich). Miller nennt sich mein Vater, und Ihro Gnaden schickten nach seiner Tochter.

Lady. Recht! Recht! ich entsinne mich – die arme Geigerstochter, wovon neulich die Rede war. (Nach einer Pause vor sich.) Seht interessant, und doch keine Schönheit – (Laut zu Luisen.) Treten Sie näher, mein Kind. (Wieder vor sich.) Augen, die sich im Weinen übten – Wie lieb' ich sie, diese Augen! (Wiederum laut.) Nur näher – Nur ganz nah – Gutes Kind, ich glaube, du fürchtest mich?

Luise (groß, mit entschiedenem Ton). Nein, MiLady. Ich verachte das Urtheil der Menge.

Lady (vor sich). Sieh doch! und diesen Trotzkopf hat sie von ihm. (Laut.) Man hat Sie mir empfohlen, Mamsell. Sie soll was gelernt haben und sonst auch zu leben wissen – Nun ja. Ich will's glauben – auch nähm' ich die ganze Welt nicht, einen so warmen Fürsprecher Lügen zu strafen.

Luise. Doch kenn' ich Niemand, Milady, der sich Mühe gäbe, mir eine Patronin zu suchen.

Lady (geschraubt). Mühe um die Clientin oder Patronin?

Luise. Das ist mir zu hoch, gnädige Ferdinand.

Lady. Mehr Schelmerei, als diese offene Bildung vermuthen läßt! Luise nennt sie sich? Und wie jung, wenn man fragen darf?

Luise. Sechzehn gewesen.

Lady (steht rasch auf). Nun ist's heraus! Sechzehn Jahre! Der erste Puls dieser Leidenschaft! – Auf dem unberührten Clavier der erste einweihende Silberton – Nichts ist verführender – Setz dich, ich bin dir gut, liebes Mädchen – Und auch er liebt zum ersten Mal – Was Wunder, wenn sich die Strahlen eines Morgenroths finden? (Sehr freundlich und ihre Hand ergreifend.) Es bleibt dabei, ich will dein Glück machen, Liebe – Nichts, nichts als die süße, frühe verfliegende Träumerei. (Luisen auf die Wange klopfend.) Meine Sophie heirathet. Du sollst ihre Stelle haben – Sechzehn Jahr! Es kann nicht von Dauer sein.
Luise (küßt ihr ehrerbietig die Hand). Ich danke für diese Gnade, Milady, als wenn ich sie annehmen dürfte.

Lady (in Entrüstung zurückfallend). Man sehe die große Dame! – Sonst wissen sich Jungfern Ihrer Herkunft noch glücklich, wenn sie Herrschaften finden – Wo will denn Sie hinaus, meine Kostbare? Sind diese Finger zur Arbeit zu niedlich? Ist es Ihr Bischen Gesicht, worauf Sie so trotzig thut?

Luise. Mein Gesicht, gnädige Frau, gehört mir so wenig, als meine Herkunft.

Lady. Oder glaubt Sie vielleicht, das werde nimmer ein Ende nehmen? – Armes Geschöpf, wer dir das in den Kopf setzte – mag er sein, wer er will – er hat euch Beide zum Besten gehabt. Diese Wangen sind nicht im Feuer vergoldet. Was dir dein Spiegel für massiv und ewig verkauft, ist nur ein dünner, angeflogener Goldschaum, der deinem Anbeter über kurz oder lang in der Hand bleiben muß – Was werden wir dann machen?

Luise. Den Anbeter bedauern, Milady, der einen Demant kaufte, weil er in Gold schien gefaßt zu sein.

Lady (ohne darauf achten zu wollen). Ein Mädchen von Ihren Jahren hat immer zween Spiegel zugleich, den wahren und ihren Bewunderer – die gefällige Geschmeidigkeit des letztern macht die rauhe Offenherzigkeit des erstern wieder gut. Der eine rügt eine häßliche Blatternarbe. Weit gefehlt, sagt der andere, es ist ein Grübchen der Grazien. Ihr guten Kinder glaubt jenem nur, was euch dieser gesagt hat, hüpft von einem zum andern, bis ihr zuletzt die Aussagen beider verwechselt – Warum begaffen Sie mich so?

Luise. Verzeihen Sie, gnädige Frau – Ich war so eben im Begriff, diesen prächtig blitzenden Rubin zu beweinen, der es nicht wissen muß, daß seine Besitzerin so scharf wider Eitelkeit eifert.

Lady (erröthend). Keinen Seitensprung, Lose! – Wenn es nicht die Promessen Ihrer Gestalt sind, was in der Welt könnte Sie abhalten, einen Stand zu erwählen, der der einzige ist, wo Sie Manieren und Welt lernen kann, der einzige ist, wo Sie sich Ihrer bürgerlichen Vorurtheile entledigen kann?

Luise. Auch meiner bürgerlichen Unschuld, Milady?

Lady. Läppischer Einwurf! Der ausgelassenste Bube ist zu verzagt, uns etwas Beschimpfendes zuzumuthen, wenn wir ihm nicht selbst ermunternd entgegen gehn. Zeige Sie, wer Sie ist. Gebe Sie sich Ehre und Würde, und ich sage Ihrer Jugend für alle Versuchung gut.

Luise. Erlauben Sie, gnädige Frau, daß ich mich unterstehe, daran zu zweifeln. Die Paläste gewisser Damen sind oft die Freistätten der frechsten Ergötzlichkeit. Wer sollte der Tochter des armen Geigers den Heldenmuth zutrauen, den Heldenmuth, mitten in die Pest sich zu werfen und doch dabei vor der Vergiftung zu schaudern? Wer sollte sich träumen lassen, daß Lady Milford ihrem Gewissen einen ewigen Skorpion halte, daß sie Geldsummen aufwende, um den Vortheil zu haben, jeden Augenblick schamroth zu werden? – Ich bin offenherzig, gnädige Frau – Würde Sie mein Anblick ergötzen, wenn Sie einem Vergnügen entgegen gingen? Würden Sie ihn ertragen, wenn Sie zurückkämen? – – O besser, besser, Sie lassen Himmelsstriche uns trennen – Sie lassen Meere zwischen uns fließen! – Sehen Sie sich wohl für, Milady – Stunden der Nüchternheit, Augenblicke der Erschöpfung könnten sich melden – Schlangen der Reue könnten Ihren Busen anfallen, und nun – welche Folter für Sie, im Gesicht Ihres Dienstmädchens die heitre Ruhe zu lesen, womit die Unschuld ein reines Herz zu belohnen pflegt. (Sie tritt einen Schritt zurück.) Noch einmal, gnädige Ferdinand. Ich bitte sehr um Vergebung.

Lady (in großer innrer Bewegung herumgehend). Unerträglich, daß sie mir das sagt! Unerträglicher, daß sie Recht hat! (Zu Luisen tretend und ihr starr in die Augen sehend.) Mädchen, du wirst mich nicht überlisten. So warm sprechen Meinungen nicht. Hinter diesen Maximen lauert ein feurigeres Interessen, das dir meine Dienste besonders abscheulich malt – das dein Gespräch so erhitzte – das ich (drohend) entdecken muß.

Luise (gelassen und edel). Und wenn Sie es nun entdeckten? Und wenn Ihr verächtlicher Fersenstoß den beleidigten Wurm aufweckte, dem sein Schöpfer gegen Mißhandlung noch einen Stachel gab? – Ich fürchte Ihre Rache nicht, Lady – Die arme Sünderin auf dem berüchtigten Henkerstuhl lacht zum Weltuntergang. Mein Elend ist so hoch gestiegen, daß selbst Aufrichtigkeit es nicht mehr vergrößern kann. (Nach einer Pause sehr ernsthaft.) Sie wollen mich aus dem Staub meiner Herkunft reißen. Ich will sie nicht zergliedern, diese verdächtige Gnade. Ich will nur fragen, was Milady bewegen konnte, mich für die Thörin zu halten, die über ihre Herkunft erröthet? Was sie berechtigen konnte, sich zur Schöpferin meines Glücks aufzuwerfen, ehe sie noch wußte, ob ich mein Glück auch von ihren Händen empfangen wollte? – Ich hatte meinen ewigen Anspruch auf die Freuden der Welt zerrissen. Ich hatte dem Glück seine Übereilung vergeben – Warum mahnen Sie mich aufs Neu an dieselbe? – Wenn selbst die Gottheit dem Blick der Erschaffenen ihre Strahlen verbirgt, daß nicht ihr oberster Seraph vor seiner Verfinsterung zurückschaure – warum wollen Menschen so grausam-barmherzig sein? – Wie kommt es, Milady, daß Ihr gepriesenes Glück das Elend so gern um Neid und Bewunderung anbettelt? – Hat Ihre Wonne die Verzweiflung so nöthig zur Folie? – O lieber! so gönnen Sie mir doch eine Blindheit, die mich allein noch mit meinem barbarischen Loos versöhnt – Fühlt sich doch das Insekt in einem Tropfen Wassers so selig, als wär' es ein Himmelreich, so froh und so selig, bis man ihm von einem Weltmeer erzählt, worin Flotten und Wallfische spielen! – – – Aber glücklich wollen Sie mich ja wissen? (Nach einer Pause plötzlich zur Lady hintretend und mit Überraschung fragend:) Sind Sie glücklich, Milady? (Diese verläßt sie schnell und betroffen, Luise folgt ihr und hält ihr die Hand vor den Busen.) Hat dieses Herz auch die lachende Gestalt Ihres Standes? Und wenn wir jetzt Brust gegen Brust und Schicksal gegen Schicksal auswechseln sollten – und wenn ich in kindlicher Unschuld – und wenn ich auf Ihr Gewissen – und wenn ich als meine Mutter Sie fragte – würden Sie mir wohl zu dem Tausche rathen?
Lady (heftig bewegt in den Sopha sich werfend). Unerhört! Unbegreiflich! Nein, Mädchen! Nein! Diese Größe hast du nicht auf die Welt gebracht, und für einen Vater ist sie zu jugendlich. Lüge mir nicht. Ich höre einen andern Lehrer –

Luise (fein und scharf ihr in die Augen sehend). Es sollte mich doch wundern, Milady, wenn Sie jetzt erst auf diesen Lehrer fielen, und doch vorhin schon eine Condition für mich wußten.

Lady (springt auf). Es ist nicht auszuhalten! – Ja denn! weil ich dir doch nicht entwischen kann. Ich kenn' ihn – weiß Alles – weiß mehr, als ich wissen mag. (Plötzlich hält sie inne, darauf mit einer Heftigkeit, die nach und nach bis beinahe zum Toben steigt.) Aber wag' es, Unglückliche – wag' es, ihn jetzt noch zu lieben oder von ihm geliebt zu werden – Was sage ich? – Wag' es, an ihn zu denken oder einer von seinen Gedanken zu sein – Ich bin mächtig, Unglückliche – fürchterlich – so wahr Gott lebt! Du bist verloren!

Luise (standhaft). Ohne Rettung, Milady, sobald Sie ihn zwingen, daß er Sie lieben muß.

Lady. Ich verstehe dich – aber er soll mich nicht lieben. Ich will über diese schimpfliche Leidenschaft siegen, mein Herz unterdrücken und das deinige zermalmen – Felsen und Abgründe will ich zwischen euch werfen; eine Furie will ich mitten durch euren Himmel gehen; mein Name soll eure Küsse, wie ein Gespenst Verbrecher, auseinander scheuchen; deine junge blühende Gestalt unter seiner Umarmung welk, wie eine Mumie, zusammenfallen – Ich kann nicht mit ihm glücklich werden – aber du sollst es auch nicht werden – Wisse das, Elende! Seligkeit zerstören ist auch Seligkeit.

Luise. Eine Seligkeit, um die man Sie schon gebracht hat, MiLady. Lästern Sie Ihr eigenes Herz nicht. Sie sind nicht fähig, Das auszuüben, was Sie so drohend auf mich herabschwören. Sie sind nicht fähig, ein Geschöpf zu quälen, das Ihnen nichts zu Leide gethan, als daß es empfunden hat wie Sie – Aber ich liebe Sie um dieser Wallung willen, MiLady.

Luise (die sich jetzt gefaßt hat). Wo bin ich? Wo war ich? Was hab' ich merken lassen? Wen hab' ich's merken lassen? – O Luise, edle, große, göttliche Seele! Vergib's einer Rasenden – Ich will dir kein Haar kränken, mein Kind. Wünsche! Fordre! Ich will dich auf den Händen tragen, deine Freundin, deine Schwester will ich sein – Du bist arm – Sieh! (Einige Brillanten herunternehmend.) Ich will diesen Schmuck verkaufen – meine Garderobe, Pferd und Wagen verkaufen – Dein sei Alles, aber entsag' ihm!

Luise (tritt zurück voll Befremdung). Spottet sie einer Verzweifelnden, oder sollte sie an der barbarischen That im Ernst keinen Antheil gehabt haben? – Ha! So könnt' ich mir ja noch den Schein einer Heldin geben und meine Ohnmacht zu einem Verdienst aufputzen. (Sie steht eine Weile gedankenvoll, dann tritt sie näher zur Lady, faßt ihre Hand und sieht sie starr und bedeutend an.) Nehmen Sie ihn denn hin, Milady! – Freiwillig tret' ich Ihnen ab den Mann, den man mit Haken der Hölle von meinem blutenden Herzen riß. – – Vielleicht wissen Sie es selbst nicht, Milady, aber Sie haben den Himmel zweier Liebenden geschleift, von einander gezerrt zwei Herzen, die Gott aneinander band; zerschmettert ein Geschöpf, das ihm nahe ging wie Sie, das er zur Freude schuf wie Sie, das ihn gepriesen hat wie Sie, und ihn nun nimmermehr preisen wird – Lady! ins Ohr des Allwissenden schreit auch der letzte Krampf des zertretenen Wurms – Es wird ihm nicht gleichgültig sein, wenn man Seelen in seinen Händen mordet! Jetzt ist er Ihnen! Jetzt, Milady, nehmen Sie ihn hin! Rennen Sie in seine Arme! Reißen Sie ihn zum Altar – Nur vergessen Sie nicht, daß zwischen Ihren Brautkuß das Gespenst einer Selbstmörderin stürzen wird – Gott wird barmherzig sein – Ich kann mir nicht anders helfen! (Sie stürzt hinaus.)