Friedrich Schiller
Kabale und Liebe - 2. Szene (5. Akt)
Ferdinand zu den Vorigen.

Luise (wird ihn zuerst gewahr und wirft sich Millern laut schreiend um den Hals). Gott! Da ist er! Ich bin verloren.

Miller. Wo? Wer?

Luise (zeigt mit abgewandtem Gesicht auf den Major und drückt sich fester an ihren Vater). Er! er selbst – Seh' Er nur um sich, Vater – Mich zu ermorden, ist er da.

Miller (erblickt ihn, fährt zurück) Was? Sie hier, Baron?

Ferdinand (kommt langsam näher, bleibt Luisen gegenüber stehen und läßt den starren forschenden Blick auf ihr ruhen, nach einer Pause). Überraschtes Gewissen, habe Dank! Dein Bekenntniß ist schrecklich, aber schnell und gewiß, und erspart mir die Folterung. – Guten Abend, Miller.

Miller. Aber um Gottes willen! Was wollen Sie, Baron? Was führt Sie her? Was soll dieser Überfall?

Ferdinand. Ich weiß eine Zeit, wo man den Tag in seine Secunden zerstückte, wo Sehnsucht nach mir sich an die Gewichte der zögernden Wanduhr hing und auf den Aderschlag lauerte, unter dem ich erscheinen sollte – Wie kommt's, daß ich jetzt überrasche?

Miller. Gehen Sie, gehen Sie, Baron – Wenn noch ein Funke von Menschlichkeit in Ihrem Herzen zurückblieb – wenn Sie Die nicht erwürgen wollen, die Sie zu lieben vorgeben, fliehen Sie, bleiben Sie keinen Augenblick länger. Der Segen war fort aus meiner Hütte, sobald Sie einen Fuß darein setzten. Sie haben das Elend unter mein Dach gerufen, wo sonst nur die Freude zu Hause war. Sind Sie noch nicht zufrieden? Wollen Sie auch in der Wunde noch wühlen, die Ihre unglückliche Bekanntschaft mit meinem einzigen Kinde schlug?

Ferdinand. Wunderlicher Vater, jetzt komm' ich ja, deiner Tochter etwas Erfreuliches zu sagen.

Miller. Neue Hoffnungen etwa zu einer neuen Verzweiflung? – Geh, Unglücksbote! Dein Gesicht schimpft deine Waare.

Ferdinand. Endlich ist es erschienen, das Ziel meiner Hoffnungen! Lady Milford, das furchtbarste Hindernis unsrer Liebe, floh diesen Augenblick aus dem Lande. Mein Vater billigt meine Wahl. Das Schicksal läßt nach, uns zu verfolgen. Unsere glücklichen Sterne gehen auf – Ich bin jetzt da, mein gegebenes Wort einzulösen und meine Braut zum Altar abzuholen.

Miller. Hörst du ihn, meine Tochter? Hörst du ihn sein Gespötte mit deinen getäuschten Hoffnungen treiben? O wahrlich, Baron! es steht dem Verführer so schön, an seinem Verbrechen seinen Witz noch zu kitzeln.
Ferdinand. Du glaubst, ich scherze. Bei meiner Ehre nicht! Meine Aussage ist wahr, wie die Liebe meiner Luise, und heilig will ich sie halten, wie sie ihre Eide – Ich kenne nichts Heiligeres – Noch zweifelst du? noch kein freudiges Erröthen auf den Wangen meiner schönen Gemahlin? Sonderbar! die Lüge muß hier gangbare Münze sein, wenn die Wahrheit so wenig Glauben findet. Ihr mißtraut meinen Worten? So glaubt diesem schriftlichen Zeugniß. (Er wirft Luisen den Brief an den Marschall zu.)

Luise (schlägt ihn auseinander und sinkt leichenblaß nieder).

Miller (ohne das zu bemerken, zum Major). Was soll das bedeuten, Baron? Ich verstehe Sie nicht.

Ferdinand (führt ihn zu Luisen hin). Desto besser hat mich Diese verstanden.

Miller (fällt an ihr nieder). O Gott! meine Tochter!

Ferdinand. Bleich wie der Tod! – Jetzt erst gefällt sie mir, deine Tochter! So schön war sie nie, die fromme, rechtschaffene Tochter – Mit diesem Leichengesicht – – Der Odem des Weltgerichts, der den Firniß von jeder Lüge streift, hat jetzt die Schminke verblasen, womit die Tausendkünstlerin auch die Engel des Lichts hintergangen hat – Es ist ihr schönstes Gesicht! Es ist ihr erstes wahres Gesicht! Laß mich es küssen. (Er will auf sie zugehen.)

Miller. Zurück! Weg! Greife nicht an das Vaterherz, Knabe! Vor deinen Liebkosungen konnt' ich sie nicht bewahren, aber ich kann es vor deinen Mißhandlungen.

Ferdinand. Was willst du, Graukopf? Mit dir hab' ich nichts zu schaffen. Menge dich ja nicht in ein Spiel, das so offenbar verloren ist – oder bist du auch vielleicht klüger, als ich dir zugetraut habe? Hast du die Weisheit deiner sechzig Jahre zu den Buhlschaften deiner Tochter geborgt und dies ehrwürdige Haar mit dem Gewerb eines Kupplers geschändet? – O! wenn das nicht ist, unglücklicher alter Mann, lege dich nieder und stirb – Noch ist es Zeit. Noch kannst du in dem süßen Taumel entschlafen: ich war ein glücklicher Vater! – Einen Augenblick später, und du schleuderst die giftige Natter ihrer höllischen Heimath zu, verfluchst das Geschenk und den Geber und fährst mit der Gotteslästerung in die Grube. (Zu Luisen.) Sprich, Unglückselige! Schriebst du diesen Brief?

Miller (warnend zu Luisen). Um Gottes Willen, Tochter! Vergiß nicht! Vergiß nicht!

Luise. O dieser Brief, mein Vater –

Ferdinand. Daß er in die unrechten Hände fiel? – Gepriesen sei mir der Zufall, er hat größere Thaten gethan, als die klügelnde Vernunft, und wird besser bestehn an jenem Tag, als der Witz aller Weisen – Zufall, sage ich? – O die Vorsehung ist dabei, wenn Sperlinge fallen, warum nicht, wo ein Teufel entlarvt werden soll? – Antwort will ich! – Schriebst du diesen Brief?

Miller (seitwärts zu ihr mit Beschwörung). Standhaft! Standhaft, meine Tochter! Nur noch das einzige Ja, und Alles ist überwunden.

Ferdinand. Lustig! lustig! Auch der Vater betrogen! Alles betrogen. Nun sieh, wie sie dasteht, die Schändliche, und selbst ihre Zunge nun ihrer letzten Lüge den Gehorsam aufkündigt! Schwöre bei Gott, bei dem fürchterlich wahren! Schriebst du diesen Brief?
Luise (nach einem qualvollen Kampf, worin sie durch Blicke mit ihrem Vater gesprochen hat, fest und entscheidend). Ich schrieb ihn.

Ferdinand (bleibe erschrocken stehen). Luise! – Nein! So wahr meine Seele lebt! du lügst – Auch die Unschuld bekennt sich auf der Folterbank zu Freveln, die sie nie beging – Ich fragte zu heftig – Nicht wahr, Luise – Du bekanntest nur, weil ich zu heftig fragte?

Luise. Ich bekannte, was wahr ist.

Ferdinand. Nein, sag' ich! nein! nein! Du schriebst nicht. Es ist deine Hand gar nicht – Und wäre sie's, warum sollten Handschriften schwerer nachzumachen sein, als Herzen zu verderben? Rede mir wahr, Luise – Oder nein, nein, thu' es nicht, du könntest Ja sagen, und ich wär' verloren – Eine Lüge, Luise – ein Lüge! – O wenn du jetzt eine wüßtest, mir hinwärfest mit der offenen Engelmiene, nur mein Ohr, nur mein Aug überredetest, dieses Herz auch noch so abscheulich täuschtest – O Luise! Alle Wahrheit möchte dann mit diesem Hauch aus der Schöpfung wandern und die gute Sache ihren starren Hals von nun an zu einem höfischen Bückling beugen! (Mit scheuem bebendem Ton.) Schriebst du diesen Brief?

Luise. Bei Gott! bei dem fürchterlich wahren! Ja!

Ferdinand (nach einer Pause, im Ausdruck des tiefsten Schmerzes). Weib! Weib! – Das Gesicht, mit dem du jetzt vor mir stehst! – Theile mit diesem Gesicht Paradiese aus, du wirst selbst im Reich der Verdammniß keinen Käufer finden – Wußtest du, was du mir warst, Luise? Unmöglich! Nein! Du wußtest nicht, daß du mir Alles warst! Alles! – Es ist ein armes verächtliches Wort, aber die Ewigkeit hat Mühe, es zu umwandern; Weltsysteme vollenden ihre Bahnen darin – Alles! und so frevelhaft damit zu spielen – O, es ist schrecklich! –

Luise. Sie haben mein Geständniß, Herr von Walter. Ich habe mich selbst verdammt. Gehen Sie nun! Verlassen Sie ein Haus, wo Sie so unglücklich waren.

Ferdinand. Gut! gut! Ich bin ja ruhig – ruhig, sagt man ja, ist auch der schaudernde Strich Landes, worüber die Pest ging – ich bin's. (Nach einigem Nachdenken.) Noch eine Bitte, Luise – die letzte! Mein Kopf brennt so fieberisch. Ich brauch Kühlung – Willst du mir ein Glas Limonade zurecht machen? (Luise geht ab.)