Ludwig van Beethoven
Das Blümchen Wunderhold
Es blüht ein Blümchen irgendwo
In einem stillen Thal;
Das schmeichelt Aug' und Herz so froh
Wie Abendsonnenstrahl;
Das ist viel köstlicher als Gold
Als Perl' und Diamant:
Drum wird es "Blümchen Wunderhold"
Mit gutem Fug genannt
Wohl sänge ich ein langes Lied
Von meines Blümchens Kraft;
Wie es am Leib' und am Gemüth
So hohe Wunder schafft
Was kein geheimes Elixir
Dir sonst gewähren kann
Das leistet traun mein Blümchen dir!
Man säh' es ihm nicht an
Wer Wunderhold im Busen hegt
Wird wie ein Engel schön
Das hab' ich, inniglich bewegt
An Mann und Weib gesehn
An Mann und Weib, alt oder jung
Zieht's wie ein Talisman
Der schönsten Seelen Huldigung
Unwiderstehlich an
Auf steifem Hals ein Strotzerhaupt
Dess' Wangen hoch sich bläh'n
Dess' Nase nur nach Äther schnaubt
Läßt doch gewiß nicht schön
Wenn irgend nun ein Rang, wenn Gold
Zu steif den Hals dir gab
So schmeidigt ihn mein Wunderhold
Und biegt dein Haupt herab
Es webet über dein Gesicht
Der Anmut Rosenflor;
Und zieht des Auges grellem Licht
Die Wimper mildernd vor
Es teilt der Flöte weichen Klang
Des Schreiers Kehle mit
Und wandelt in Zephyrengang
Des Stürmers Poltertritt
Der Laute gleicht des Menschen Herz
Zu Sang und Klang gebaut
Doch spielen sie oft Lust und Schmerz
Zu stürmisch und zu laut:
Der Schmerz, wann Ehre, Macht und Gold
Vor deinen Wünschen fliehn
Und Lust, wann sie in deinen Sold
Mit Siegeskränzen ziehn
O wie dann Wunderhold das Herz
So mild und lieblich stimmt!
Wie allgefällig Ernst und Scherz
In seinem Zauber schwimmt!
Wie man alsdann nichts thut und spricht
Drob jemand zürnen kann!
Das macht, man trotzt und strotzet nicht
Und drängt sich nicht voran
O wie man dann so wohlgemuth
So friedlich lebt und webt!
Wie um das Lager, wo man ruht
Der Schlaf so segnend schwebt!
Denn Wunderhold hält alles fern
Was giftig beißt und sticht;
Und stäch' ein Molch auch noch so gern
So kann und kann er nicht
Ich sing', o Lieber, glaub' es mir
Nichts aus der Fabelwelt
Wenn gleich ein solches Wunder dir
Fast hart zu glauben fällt
Mein Lied ist nur ein Widerschein
Der Himmelslieblichkeit
Die Wunderhold auf Groß und Klein
In Thun und Wesen streut
Ach! hättest du nur Die gekannt
Die einst mein Kleinod war -
Der Tod entriß sie meiner Hand
Hart hinterm Traualtar --
Dann würdest du es ganz verstehn
Was Wunderhold vermag
Und in das Licht der Wahrheit sehn
Wie in den hellen Tag
Wohl hundertmal verdankt' ich ihr
Des Blümchens Segensflor
Sanft schob sie's in den Busen mir
Zurück, wann ich's verlor
Jetzt rafft ein Geist der Ungeduld
Es oft mir aus der Brust
Erst, wann ich büße meine Schuld
Bereu' ich den Verlust
O was des Blümchens Wunderkraft
Am Leib' und am Gemüt
Ihr, meiner Holdin, einst verschafft
Faßt nicht das längste Lied! -
Weil's mehr, als Seide, Perl' und Gold
Der Schönheit Zier verleiht
So nenn' ich's "Blümchen Wunderhold"
Sonst heißt's - Bescheidenheit