Offener Brief an Marcus Staiger und die Antideutschen
Lieber Marcus Staiger,
Wenn jemand Israel kritisiert, erheben Antideutsche mit erhobenen Zeigefingern gerne das Wort, um die Übeltäter in die Schranken zu weisen. Verkleidet als Antifas oder im rot gefärbten Gewand von Möchtegern-Linken gehören sie immer mit zu den Ersten, die sich empört zeigen und häufig mit der Antisemitismus-Keule daherkommen. Bevor ich erkläre, was das alles mit dir zu tun hat, noch ein paar einleitende Worte zu den Antideutschen.
Wer sind eigentlich die Antideutschen?
Antideutsche zählen sich selbst zu der radikalen linken- bzw. der Antifa-Szene und haben vor allem in den 90ern und seit ‘‘9/11‘‘ an Bedeutung gewonnen. Sie sind wie viele Bewegungen relativ heterogen und ihre Ideologie ist in Gesellschaft, Kunst und Politik einflussreich. Sie geben sich anti-nationalistisch, solidarisieren sich in der Regel unkritisch mit Israel und daher auch mit den USA. Das hat unter anderem dazu geführt, dass viele von ihnen die US-Kriege gegen den Irak befürworteten. Im Kern antideutscher Ideologie steht die undifferenzierte Vermischung von (Anti-)Judaismus, (Anti-)Zionismus und der Kritik an Israel, die in der Realität jedoch unterschiedliche Phänomene darstellen. Anti-Judaismus ist antisemitisch und daher uneingeschränkt abzulehnen und zu bekämpfen. Der Zionismus hingegen ist eine Spielart des Nationalismus. Obwohl er in vielen Schattierungen daherkommt, müssten anti-nationalistische Antideutsche dem ethnisch (rein jüdisch) definierten Nationalismus eigentlich kritisch gegenüberstehen, was sie in der Regel aber nicht tun. Israel wiederum ist ein Land, das seit seiner Gründung eine völkerrechtlich höchst problematische Politik betreibt, die absolut kritikwürdig ist. Hier geht es aber nicht darum, das "Existenzrecht Israels" - wie Antideutsche immer wieder behaupten - abzusprechen.
Antideutsche sabotieren regelmäßig anti-imperialistische Veranstaltungen und diffamieren ihre Gegner gerne als ‘‘Islamofaschisten‘‘. In Berlin betreiben Antideutsche sogar einen relativ bekannten Club (About Blank), wo Menschen, die einen Palästinenser-Tuch tragen nicht reingelassen werden, wohingegen jemand, der einen Sweater mit der amerikanischen Fahne trägt, problemlos reinkommt. Kurz gesagt, viele Antideutsche legitimieren direkt oder indirekt Kapitalismus, Imperialismus und Islamfeindlichkeit, indem sie ihren Blick überwiegend auf Themen wie Faschismus und Antisemitismus beschränken und Andersdenkende ausschließen. Obwohl sie das ‘‘Deutschsein‘‘ verachten, denken sie gleichzeitig oftmals selber in Kategorien und Schubladen wie Herkunft, ‘‘Rasse‘‘ und Nation. Marcus Staiger – der vormalige Labelchef bei Royal Bunker, erfolgreicher Journalist (u.a. bei Vice) und Chefredakteur bei der einflussreichen Hip-Hop-Internetseite Rap.de – ist einer der bekannteste Journalisten, die von antideutschem Gedankengut durchdrungen sind.
Kommen wir zur Sache
Du bist in meinen Augen einer dieser Pseudo-Linken, die lieber Israel kritisierende Rapper tadeln oder verunglimpfen, anstatt Israels Kolonialpolitik und den amerikanischen Imperialismus anzuprangern. Dies hast du zuletzt in einem Offenen Brief ‘‘an die Freunde von Talion II‘‘ vom 11.3.2014 unter Beweis gestellt, in dem du den Song ‘‘Contraband‘‘ von Fard und Snaga gerügt hast. Im Juli 2012 hast du bereits einen Artikel über Antisemitismus im deutschen Rap geschrieben, wo du einigen in Deutschland lebenden Rappern mit sogenanntem ‘‘Migrationshintergrund‘‘ vorgeworfen hast, dass sie antisemitische Ressentiments bedienen würden.
Um es vorwegzunehmen: Ich finde das Lied ‘‘Contraband‘‘ von Fard und Snaga technisch und musikalisch eher durchschnittlich. Die Pro-Mujaheddin-Line, die Werbung für Nike und deutsche Nationalflaggen auf den Sweatshirts finde ich sehr unpassend und die Forderung nach einer Todesstrafe für Kinderschänder verkehrt, weil ich generell gegen die Todesstrafe bin. Fard kann mir auch nicht erzählen, dass es bei ihm in der Gegend härter zugeht als in Berlin. Allerdings sollte man sich schon fragen, warum du gerade diesen Clip vollkommen undifferenziert mit folgenden Worten herabwürdigst: ‘‘…dieses Video und dieser Song sind falsch, falsch, falsch…dieser Song [ist] absolut Banane…Das ist einfach nur reaktionär - sonst nichts.‘‘ Gleichzeitig bleiben Hunderte von anderen sexistischen, homophoben, gewaltverherrlichenden, rassistisch anmutenden und Luxus anbetenden Songs völlig kritiklos und unterliegen nicht deiner geringsten Empörung. Dazu zählt übrigens auch der voller rassistischer Klischees steckende Track ‘‘Nur ein Augenblick‘‘ von deinem Homie Harris. Du misst Rap-Songs also mit zweierlei Maß, was wiederum deine Glaubwürdigkeit um Einiges verringert.
Abgesehen von den eben genannten Einwänden an ‘‘Contraband‘‘ finde ich die Zeilen gegen den Staat, westliche Regierungschefs, die Rüstungsindustrie und auch die pro-palästinensischen Tendenzen des Tracks richtig und wichtig, vor allem angesichts dessen, dass Menschen hier in Deutschland sofort diffamiert werden, wenn sie Israel kritisieren. Günther Grass ist da nur das prominenteste Beispiel. Hinzu kommt, dass Deutschland mit Waffenverkäufen und der ‘‘uneingeschränkten Solidarität‘‘ für Israel die Unterdrückung der Palästinenser voranbringt und den Weltfrieden gefährdet. Dass du und andere – der antideutschen Weltanschauung nahestehende – Kollegen immer auf die Barrikaden gehen, sobald die israelische Regierung kritisiert wird, zeigt meiner Meinung nach wie wenig Mitgefühl ihr gegenüber dem Leid unterdrückter Völker wie den Palästinensern aufbringt. Anstatt die menschenverachtende Politik des israelischen Staates zu verurteilen, versteckt ihr euch lieber hinter einem abstrakten Schuld- und Verantwortungsbewusstsein, das völlig von der Realität und (völker-)rechtlichen Maßstäben losgelöst ist.
Du hast leider auch nicht wirklich begriffen, dass es verschiedene ‘‘Nationalismen‘‘ gibt. Du behauptest: ‘‘Der Nationalismus hat nur Scheiße hervorgebracht, wird nur Scheiße hervorbringen und ist nur dazu da, die Menschen zu trennen. Also weg mit Nationalflaggen!‘‘ Du erkennst dabei nicht, dass es auf den Kontext ankommt. Im Kampf gegen den Kolonialismus war der Nationalismus ein wichtiges Mittel, um die Unabhängigkeit gegen Kolonialmächte zu erlangen. Das konnte man in Südamerika, Asien und auch Afrika beobachten. In einigen Ländern wie in Afghanistan, dem Irak und Palästina stellt der Nationalismus immer noch eine legitime Form des Widerstands dar und Nationalflaggen oder die Kufiah (‘‘Pali-Tuch‘‘) sind dabei ein wichtiges Identifikationsmerkmal und Symbol des Widerstands. Im europäischen Kontext jedoch ist der Nationalismus größtenteils überkommen und reflektiert oftmals rassistische Ressentiments, wie man sie in Deutschland und Frankreich beobachten kann. Nicht zuletzt, weil die meisten europäischen Länder nicht wie ihre asiatischen Pendants vom Westen, Russland oder China kolonialisiert wurden. Außerdem entspricht der Nationalismus hierzulande nicht mehr den multikulturellen Lebensrealitäten vieler Menschen. Ein wenig Differenziertheit würde also nicht schaden.
Afrob hatte im Juli 2012 eine passende Antwort auf die gegen ihn gerichteten Antisemitismus-Vorwürfe von dir parat, die ich hier nur wiederholen kann: ‘‘Staiger selbst hat vor gut zehn Jahren als Labelchef von Royal Bunker dazu beigetragen, dass rassistische und den Holocaust verniedlichende Statements veröffentlicht wurden. Die Berliner Rapper von M.O.R. waren mit die ersten, die das rassistische Wort »Nigger« in den HipHop-Sprachgebrauch einführten. Hinzu kamen Lines wie »Affen wie Afrob fliehen aus dem Zoo«, »Ich schick deine Kinder ins KZ« oder »Du primitiver Neger«. Wer so etwas verschweigt und sich bei einem so sensiblen Thema nicht kritisch mit der eigenen Vergangenheit auseinandersetzt, sollte zu »Antisemitismus im deutschen Rap« besser schweigen.‘‘
Fairerweise sollte man anmerken, dass du dich mittlerweise von den eben genannten Statements und Veröffentlichungen zumindest teilweise distanziert hast und auch die Kritik von Afrob großenteils anerkennst. Zudem hast du dich mit den Flüchtlingen am Oranienplatz in Kreuzberg solidarisiert und auf rassistische Strukturen in Deutschland hingewiesen. Man kann dir daher wohl kaum einen plumpen Rassismus vorwerfen. Allerdings würde ich mir wünschen, dass du ein wenig mehr Mitgefühl an den Tag legst, um legitime Kämpfe wie diejenigen der Palästinenser gegen die israelische Besatzung oder afghanischer und irakischer Bürger gegen den US-Neokolonialismus aus einem menschlichen und nicht etwa komplexbehafteten deutschen Blickwinkel zu betrachten.
Deine Bemerkungen über das Funktionieren des Kapitalismus sind übrigens auch äußerst unglücklich gewählt. So schreibst du: ‘‘Dieses System funktioniert weil WIR es am Laufen halten und NICHT weil irgendwelche Bilderberger, Banker und Zionisten am Rad drehen.‘‘ Es stimmt zwar, dass – bis zu einem gewissen Grad zumindest – jeder einzelne Bürger durch sein Handeln dazu beiträgt, dass das kapitalistische System erhalten bleibt. Und es sind nicht nur ‘‘Bilderberger, Banker und Zionisten‘‘, sondern abgesehen von den westlichen Superreichen auch südamerikanische, indische, arabische, chinesische etc. Kapitalisten, welche die globale Geldelite repräsentieren. Sie kommen aus den unterschiedlichsten Ländern und Glaubensgemeinschaften. Insofern ist es wichtig zu betonen, dass es schlichtweg Unsinn ist zu behaupten, dass Juden die Welt beherrschen würden. Aber es ist schwer von der Hand zu weisen, dass es sogenannte ‘‘Global Players‘‘ gibt, also 0,01 % der Weltbevölkerung, die den Rest der Menschheit dominieren und sich bei Konferenzen in Davos, Bilderberg usw. treffen. Diese multinationalen Konzerne und Superreichen halten die Macht in ihren Händen und bevor sie nicht gestürzt werden, ist es sehr unwahrscheinlich, dass der Kapitalismus in ein anderes System übergeht. Viel wichtiger jedoch: Der Kapitalismus besitzt eine klare Eigendynamik. Er ist ein gesellschaftlich-ökonomisches System, dem ein ständiger Zwang zum Konkurrenzkampf und zur Reinvestition des Profits innewohnt, gegen das man sich nicht widersetzten kann, ohne das System abzuschaffen.
In diesem Sinne mit besten Grüßen,
Kaveh
Antwort von Staiger: Lieber Kaveh, ich will und kann im Einzelnen nicht auf alles eingehen, was du geschreiben hast, zumal ich ja auch in einem weiteren Text auch noch was zu den Eliten geschrieben habe, der vieles von dem aufgreift, was du ebenfalls geschreiben hast. Der Vollständigkeit halber hier der Link: http://staiger.tumblr.com/.../die-klassenfrage-oder-gibt...Ein paar Anmerkungen zu Deinem Text hätte ich aber noch. Lieber Kaveh, wir kennen uns nicht. Wir kommst du darauf, dass ich ein Antideutscher bin? 2) Wo habe ich in meinem Text die Antisemitismus oder Nazikeule geschwungen. 3) Geht es mir darum, dass Palästinasolidarität und Zionismuskritik immer dann herhalten müssen, wenn es darum geht zu zeigen, wie gesteuert die Welt von irgendwelchen Hintermännern ist. Das ist heuchlerisch und hat für mich einen sehr, sehr unangenehmen Beigeschmack und den wirst du auch nicht wegdiskutieren können. 4) Natürlich muss man Israel für die Verletzung des Völkerrechts und für seine völkisch-religiös-rassistsiche Politik verurteilen können. Alles andere wäre antisemitisch. Das Problem daran ist, und da wirst du mir Recht geben müssen, selten kommt diese Kritik analytisch und sachlich daher. 5) Wende ich mich generell gegen dieses Verschwörungsgelaber, weil es einfach den Weg verstellt. Ja, man muss einzelne Machtmonopole aufbrechen und von mir aus, kann und muss es auch heißen: Brecht die Macht der Banken! Wenn man aber nicht erkennt und nicht erkennen will, dass hinter all dem eine mörderische Verwertungslogik steckt, die gnadenlos nach verwertbar und überflüssig aussortiert, dann nützt einem alles Bankebashing nichts. 6) Stimmt, ich kritisiere viel von dem was ansonsten im deutschen Rap rauskommt nicht, obwohl es viel zu kritisieren gäbe. Allerdings habe ich in den letzten Jahren immer wiedr klar Stellung bezogen gegen Sexismus, gegen Homophobie und gegen Rassismus. Ich habe auch die eigenen Veröffetnlichungen immer als Anlass genommen, um darüber zu diskutieren. Sei es jetzt gesellschaftlich. Sei es mit den Künstlern persönlich. Ich habe auch mit Bushido über Homosexualität diskutiert, was man in unserem gemeinsamen Buch auch nachverfolgen kann. Und so sehe ich jetzt auch den Track von Fard und Snaga als Diskussionsgrundlage. Wenn sich diese beiden allerdings hinstellen und sagen, dass sie ein explizit politische Rap Album herausbringen wollen, dann dürfen sie sich nicht darüber beschwerden, wenn sie politisch kritisiert werden. .... Du hast selbst jede Menge Punkte aufgezählt, die man an dem Song zweifelhaft finden kann. Soweit ich das überblicke, sind es die gleichen Punkte, die ich auch kritisiere. Beim Thema Nationalismus bleiben wir allerdings uneinig. Mag sein, dass der Nationalismus historisch und im Trikont eine besondere Rolle spielt und auch ich trage gern mein T-Shirt der EZLN, die sich Nationale Befreiungs Armee nennt, allerdings bleibe ich bei meiner Meinung, dass ein völkischer Nationalismus, der mehr aus- als einschließt, scheiße ist. Oder warum hat sich Öcalan von einer nationalistischen Idee abgewandt? Ich kann darin wirklich nicht allzuviel Gutes erkennen zumal die angebotenen Flaggen-Shirts auch nicht von Ländern stammen, die für einen weltoffenen Nationalismus bekannt sind. Auf dem Balkan kam mit dem Nationalismus der Tod - das war nicht gut, das ist nicht gut und das wird auch nichts besser.
Antwort von Kaveh: Vorab: Ich finde es begrüßenswert, dass du dich - wie ich schon vorher vermutet hatte - nicht als Antideutschen siehst. Ich finde es auch gut, dass du Israels ‘‘Verletzung des Völkerrechts‘‘ und ‘‘seine völkisch-religiös-rassistische Politik‘‘ für kritikwürdig hältst. Allerdings wäre es schön, wenn das nicht nur eine defensive Floskel wäre, um dann gleich wieder Israelkritiker zu bashen. Deinen oben angehängten Artikel finde ich auch zutreffend. In deinem offenen Brief argumentierst du allerdings nicht so differenziert und sprichst den Geldeliten eher die Verantwortung ab. Zu deinen Bemerkungen: 1) Auch wenn du dich selber nicht als Antideutschen bezeichnest, hat deine Art zu argumentieren vieles mit dieser Strömung gemeinsam. Es ist nicht so wichtig als was du dich selbst bezeichnest, sondern was du in der Praxis schreibst und tust. Du hast, soweit ich weiß, noch keinen Artikel über die Verbrechen der Regierungen Israels und der USA geschrieben. Auf der anderen Seite hast du aber schon öfters Rapper und deren Songs zerrissen, die Israel und die USA kritisieren, während du gleichzeitig homophobe, sexistische und gewaltverherrlichende Rapper interviewst und ihnen auf Rap.de eine Plattform bietest. Und schieb das bitte nicht auf die Verwertungslogik des Kapitalismus. Diese Doppelstandards legen es nahe, dass du von antideutschem Gedankengut durchdrungen bist, auch wenn du es selber nicht merkst oder zugeben willst. 2) Wo du mit der Antisemitismus-Keule kommst? Und zwar in deinem Spex-Artikel: ‘‘Keiner will was gesagt haben: Antisemitismus im deutschen Rap‘‘. 4) Das Niveau vieler politischer Rap-Songs ist sehr oberflächlich. Genauso oberflächlich ist jedoch deine Kritik an ‘‘Contraband‘‘ und deine Doppelstandards. 5) Völkischer Nationalismus ist in der Tat gefährlich, aber in deinem offenen Brief hast du über Nationalismus im Allgemeinen gesprochen. Eine präzisere Wortwahl hätte da Missverständnisse vermieden. Die Frage nach dem Nationalismus ist ein komplexes Thema. Du nennst lediglich Negativbeispiele. Es gibt aber auch die Positivbeispiele wie Castros Sturz von Batista und den anti-kolonialen Kämpfen von Gandhi, Mossadegh oder Mandela, was allerdings nicht bedeutet, dass diese Beispiele nicht auch kritikwürdig wären oder negative Folgen nach sich gezogen hätten. Nicht alle Nationalismen sind chauvinistischer oder faschistischer Natur wie in Italien oder Deutschland. Der Französische Nationalismus z.B., der sich im Zuge der Französischen Revolution durchsetzte, war zumindest theoretisch nicht ethnisch oder völkisch begründet, sondern basierte auf Werten wie Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit.
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