G Herbo
Mixtape des Monats, Episode 1: Lil Herb – Pistol P Project
Als ich mir überlegt habe, welchem Thema ich diese Rubrik widmen möchte und welchen Namen sie tragen soll, kam ich schnell zu dem Ergebnis, dass ich hier gerne jeden Monat mein liebstes Mixtape vorstellen möchte. Der naheliegende, wenn auch etwas uninspirierte Titel war dann ebenfalls schnell gefunden: Mixtape des Monats. Allerdings wurde mir bald bewusst, dass der Titel in gleich zweifacher Hinsicht problematisch ist. Denn zum einen erscheint diese Rubrik in der zweiten Woche des Monats und kann somit höchstens die erste Hälfte des namensgebenden Zeitraums berücksichtigen, zum anderen ist das eigentliche Thema – nämlich das Mixtape – ein schwer zu definierender und umstrittener Gegenstand.

Das erste Problem war schnell gelöst. Einfach vor den Titel den eigenen Namen geklatscht und schon wird klar, dass es weniger darum geht, wann das Tape veröffentlicht wurde, sondern vielmehr darum, was ich in diesem Monat am meisten und am liebsten gehört habe. Zwar werde ich mich hier stets um Aktualität bemühen, allerdings kann es ebenso gut vorkommen, dass ich Versäumnisse vorheriger Monate aufarbeite und zu spät entdeckte Mixtapes vorstelle. Gerade ein traditionell veröffentlichungsarmer Monat wie der Januar bietet sich dafür an und so widmet sich die erste Folge mit Lil Herbs Pistol P Project auch gleich einem Tape, das Ende des letzten Jahres erschien.

Schwieriger, wenn nicht gar unmöglich erscheint dagegen der Versuch, die Kategorie Mixtape zu definieren. Schon die zweite Silbe des Wortes zeigt, dass die ursprüngliche Bedeutung des Begriffs keine Rolle mehr spielt – schließlich werden Mixtapes heute nur noch äußerst selten als Kassetten veröffentlicht, stattdessen versteht man darunter in der Regel ein zum kostenlosen Download angebotenes Werk im Bereich HipHop/R&B. Häufig werden Mixtapes ausschließlich online und nicht auf physischen Tonträgern veröffentlicht, häufig verwenden sie fremde und bereits veröffentlichte Beats oder auch Samples, die man aufgrund von Clearance-Schwierigkeiten nicht auf einem regulären Album verwenden könnte, häufig sind sie weniger kohärent und dramaturgisch weniger durchdacht als ein Album. Allerdings gibt es für jedes dieser Kriterien zig Gegenbeispiele, weshalb ich diese allgemeinen Betrachtungen zum Thema erst einmal abbreche und mich stattdessen endlich dem Mixtape des Monats zuwende.

Es beginnt alles mit einem Nachrichtensprecher, der über einen weiteren Ausbruch von Gewalt in Chicago berichtet. Die Stadt, von der Chance The Rapper berichtete, dass man leichter eine Waffe als einen Parkplatz findet und die sich so den traurigen Spitznamen „Chiraq“ eingehandelt hat. Doch während Chance The Rapper trotz dieser trostlosen Situation an die positive Kraft der Liebe glaubt und diese auf Acid Rap als Universallösung präsentiert und propagiert, scheint seinen Chicagoer Kollegen wie Chief Keef, Lil Durk oder eben auch Lil Herb jegliche Hoffnung zu fehlen. Sie haben die Regeln ihrer gewalttätigen Umgebung akzeptiert und verinnerlicht, spielen das Spiel mit – obwohl sie wissen, wie das womöglich enden wird: „And if any n***a ever try to end me/ I’ma die shooting, prayin’ God forgive me.“ Natürlich bietet Lil Herb mit solchen Zeilen ein dankbares Opfer für Moralapostel, die lieber über die möglichen Gefahren gewaltverherrlichender Musik diskutieren, statt sich mit der Realität in Vierteln wie Englewood oder der berüchtigten „Terror Town“ zu beschäftigen. Denn auch wenn G Herbos Songs erschreckend nihilistisch und deprimierend klingen und fast ausschließlich von Drogen, Waffen und Gewalt handeln, verherrlicht wird dieser Lebensstil in keinem Moment, wie bereits der erste Refrain auf Pistol P Project zeigt:Drug raids, conspiracies, murders, homicides
Mommas cryin’, that’s was going down where I reside
Fuck the opps, they can’t come outside
We let off shots every time they come outside
And if you looking for G Herbo, I bet I’m outside
You n***as rap about respect, well I’mma die ’bout mine
7-9, Roc Block, that’s where I reside
Seen a lot of n***as die, but I’m not traumatizedAls Pistol P Project Ende Dezember veröffentlicht wurde, war das eine kleine Überraschung. Denn G Herbo hatte einerseits 2014 mit Welcome The Fazoland bereits ein fast einstündiges, ambitioniertes und vielseitiges Mixtape veröffentlicht, das für mich zu den besten Rap-Werken des Jahres gehörte, und andererseits für dieses Jahr schon sein nächstes Werk Ball Like I’m Kobe angekündigt. Insofern kann man dieses Mixtape als einen Zwischenschritt oder ein Übergangswerk sehen, was auch die deutlich kürzere Laufzeit von einer halben Stunde verdeutlicht. Musikalisch ist das Tape weniger vielfältig als Welcome The Fazoland, Überraschungen wie Fight Or Flight bleiben aus, stattdessen ähneln sich die Instrumentals meist in ihrem Aufbau: tief brodelnde Bässe bilden das Fundament, Synthies sorgen wenigstens für ein wenig Melodie und schnell zischelnde HiHats für eine nervöse Grundstimmung.

Doch das dominanteste Instrument auf Pistol P Project bleibt Lil Herbs Stimme, die mehr als einmal ins Hysterische zu kippen droht und die jede einzelne Silbe voller Wut ausspuckt. Selbst wenn ein Instrumental wie bei Quick And Easy oder dem grandiosen Real das Energielevel ein wenig runter schraubt, dauert es meist nur wenige Zeilen, bis sich Herbo erneut in Rage geredet hat. Ähnlich aggressiv klingt auch Kiara Johnson aka Katie Got Bandz, die mit ihrer Strophe zu Money außerdem noch einmal beweist, warum sie von vielen als Hoffnung der Chicagoer Drill-Szene bezeichnet wird. Der in Kingston geborene Dancehall-Künstler Zuse bietet auf Heaven Or Hell mit seiner tiefen und krächzenden Stimme dagegen einen angenehm ruhigen Gegenpol zu Herb.

Lyrisch wie musikalisch kommt Pistol P Project nicht an den Vorgänger heran, dennoch handelt es sich dabei um ein gutes und äußerst kurzweiliges Mixtape, das zu Unrecht und vermutlich wegen des unglücklichen Zeitpunkts der Veröffentlichung kaum Beachtung gefunden hat und das als Appetizer erfolgreich Lust auf Ball Like I’m Kobe macht.