Homer
Odyssee - Kapitel 3
          Drauf antwortete Zeus' blauäugichte Tochter Athene:
          Nun so werden die Götter doch nicht den Namen des                         Hauses
          Tilgen, da solchen Sohn ihm Penelopeia geboren.
          Aber verkündige mir, und sage die lautere Wahrheit.
225    Was für ein Schmaus ist hier, und Gesellschaft? Gibst du ein             Gastmahl,
          Oder ein Hochzeitfest? Denn keinem Gelag' ist es ähnlich!
          Dafür scheinen die Gäste mit zu unbändiger Frechheit
          Mir in dem Saale zu schwärmen. Ereifern müßte die Seele
          Jedes vernünftigen Manns, der solche Greuel mit ansäh!

230        Und der verständige Jüngling Telemachos sagte dagegen:
          Fremdling, weil du mich fragst, und so genau dich erkundest;
          Ehmals konnte dies Haus vielleicht begütert und glänzend
          Heißen, da jener noch im Vaterlande verweilte:
          Aber nun haben es anders die grausamen Götter                                 entschieden,

235   Welche den herrlichen Mann vor allen Menschen verdunkelt!
          Ach! ich trauerte selbst um den Tod des Vaters nicht so sehr,
          Wär' er mit seinen Genossen im Lande der Troer gefallen,
          Oder den Freunden im Arme, nachdem er den Krieg                           vollendet.
          Denn ein Denkmal hätt' ihm das Volk der Achaier errichtet,
240   Und so wäre zugleich sein Sohn bei den Enkeln verherrlicht.
          Aber er ward unrühmlich ein Raub der wilden Harpyen;
          Weder gesehn, noch gehört, verschwand er, und ließ mir                   zum Erbteil
          Jammer und Weh! Doch jetzo bewein' ich nicht jenen allein               mehr;
          Ach! es bereiteten mir die Götter noch andere Leiden.
245   Alle Fürsten, so viel in diesen Inseln gebieten,
          In Dulichion, Same, der waldbewachsnen Zakynthos,
          Und so viele hier in der felsichten Ithaka herrschen:
          Alle werben um meine Mutter, und zehren das Gut auf.
          Aber die Mutter kann die aufgedrungne Vermählung
250   Nicht ausschlagen, und nicht vollziehn. Nun verprassen die               Schwelger
          All mein Gut, und werden in kurzem mich selber zerreißen!
              Und mit zürnendem Schmerz antwortete Pallas Athene:
          Götter, wie sehr bedarfst du des langabwesenden Vaters,
          Daß sein furchtbarer Arm die schamlosen Freier bestrafe!

255   Wenn er doch jetzo käm', und vorn in der Pforte des Saales
          Stünde, mit Helm und Schild und zween Lanzen bewaffnet;
          So an Gestalt, wie ich ihn zum erstenmale gesehen,
          Da er aus Ephyra kehrend von Ilos, Mermeros' Sohne,
          Sich in unserer Burg beim gastlichen Becher erquickte!
260   Denn dorthin war Odysseus im schnellen Schiffe gesegelt,
          Menschentötende Säfte zu holen, damit er die Spitze
          Seiner gefiederten Pfeile vergiftete. Aber sie gab ihm
          Ilos nicht, denn er scheute den Zorn der unsterblichen                       Götter;
          Aber mein Vater gab ihm das Gift, weil er herzlich ihn liebte:
265   Wenn doch in jener Gestalt Odysseus den Freiern erschiene!
          Bald wär' ihr Leben gekürzt, und ihnen die Heirat verbittert!
          Aber dieses ruhet im Schoße der seligen Götter,
          Ob er zur Heimat kehrt, und einst in diesem Palaste
          Rache vergilt, oder nicht. Dir aber gebiet' ich, zu trachten,
270   Daß du der Freier Schar aus deinem Hause vertreibest.
          Lieber, wohlan! merk' auf, und nimm die Rede zu Herzen.
          Fodere morgen zu Rat die Edelsten aller Achaier,
          Rede vor der Versammlung, und rufe die Götter zu Zeugen.
          Allen Freiern gebeut, zu dem Ihrigen sich zu zerstreuen;
275   Und der Mutter: verlangt ihr Herz die zwote Vermählung,
          Kehre sie heim in das Haus des wohlbegüterten Vaters.
          Dort bereite man ihr die Hochzeit, und statte sie reichlich
          Ihrem Bräutigam aus, wie lieben Töchtern gebühret.
          Für dich selbst ist dieses mein Rat, wofern du gehorchest.
280   Rüste das trefflichste Schiff mit zwanzig Gefährten, und eile,
          Kundschaft dir zu erforschen vom langabwesenden Vater;
          Ob dir's einer verkünde der Sterblichen, oder du Ossa,
          Zeus' Gesandte, vernehmest, die viele Gerüchte verbreitet.
          Erstlich fahre gen Pylos, und frage den göttlichen Nestor,
285   Dann gen Sparta, zur Burg Menelaos' des                                               Bräunlichgelockten,
          Welcher zuletzt heim kam von dein erzgepanzerten                           Griechen.
          Hörst du, er lebe noch, dein Vater, und kehre zur Heimat;
          Dann, wie bedrängt du auch seist, erduld' es noch ein Jahr                 lang.
          Hörst du, er sei gestorben, und nicht mehr unter den                           Menschen;
290   Siehe dann kehre wieder zur lieben heimischen Insel,
          Häufe dem Vater ein Mal, und opfere Totengeschenke
          Reichlich, wie sich's gebührt, und gib einem Manne die                       Mutter.
          Aber hast du dieses getan und alles vollendet,
          Siehe dann denk' umher, und überlege mit Klugheit,
295   Wie du die üppige Schar der Freier in deinem Palaste
          Tötest, mit heimlicher List, oder öffentlich! Fürder geziemen
          Kinderwerke dir nicht, du bist dem Getändel entwachsen.
          Hast du nimmer gehört, welch ein Ruhm den edlen Orestes
          Unter den Sterblichen preist, seitdem er den Meuchler                       Ägisthos
300   Umgebracht, der ihm den herrlichen Vater ermordet?
          Auch du, Lieber, denn groß und stattlich bist du von Ansehn,
          Halte dich wohl, daß einst die spätesten Enkel dich loben!
          Ich will jetzo wieder zum schnellen Schiffe hinabgehn,
          Und den Gefährten, die mich, vielleicht unwillig, erwarten.
305   Sorge nun selber für dich, und nimm die Rede zu Herzen.
              Und der verständige Jüngling Telemachos sagte dagegen:
          Freund, du redest gewiß mit voller herzlicher Liebe,
          Wie ein Vater zum Sohn, und nimmer werd' ich's vergessen.
          Aber verweile bei uns noch ein wenig, wie sehr du auch                     eilest;

310    Lieber, bade zuvor, und gib dem Herzen Erfrischung:
          Daß du mit froherem Mut heimkehrest, und zu dem Schiffe
          Bringest ein Ehrengeschenk, ein schönes köstliches Kleinod
          Zum Andenken von mir, wie Freunde Freunden verehren.

             Drauf antwortete Zeus' blauäugichte Tochter Athene:

315    Halte nicht länger mich auf; denn dringend sind meine                       Geschäfte.
          Dein Geschenk, das du mir im Herzen bestimmest, das gib                 mir,
          Wann ich wiederkomme, damit ich zur Heimat es bringe;
          Und empfange dagegen von mir ein würdiges Kleinod.

              Also redete Zeus' blauäugichte Tochter, und eilend

320   Flog wie ein Vogel sie durch den Kamin. Dem Jünglinge goß               sie
          Kraft und Mut in die Brust, und fachte des Vaters Gedächtnis
          Heller noch an, wie zuvor. Er empfand es im innersten                         Herzen,
          Und erstaunte darob; ihm ahnete, daß es ein Gott war.

              Jetzo ging er zurück zu den Freiern, der göttliche Jüngling.
325   Vor den Freiern sang der berühmte Sänger; und schweigend
          Saßen sie all', und horchten. Er sang die traurige Heimfahrt,
          Welche Pallas Athene den Griechen von Troja beschieden.

               Und im oberen Stock vernahm die himmlischen Töne
          Auch Ikarios Tochter, die kluge Penelopeia.

330   Eilend stieg sie hinab die hohen Stufen der Wohnung,
          Nicht allein; sie wurde von zwo Jungfrauen begleitet.
          Als das göttliche Weib die Freier jetzo erreichte,
          Stand sie still an der Schwelle des schönen gewölbeten                       Saales;
          Ihre Wangen umwallte der feine Schleier des Hauptes,
335   Und an jeglichem Arm stand eine der stattlichen Jungfraun.
          Tränend wandte sie sich zum göttlichen Sänger, und sagte:

              Phemios, du weißt ja noch sonst viel reizende Lieder,
          Taten der Menschen und Götter, die unter den Sängern                     berühmt sind;
          Singe denn davon eins vor diesen Männern, und schweigend

340   Trinke jeder den Wein. Allein mit jenem Gesange
          Quäle mich nicht, der stets mein armes Herz mir                                 durchbohret.
          Denn mich traf ja vor allen der unaussprechlichste Jammer!
          Ach den besten Gemahl bewein' ich, und denke beständig
          Jenes Mannes, der weit durch Hellas und Argos berühmt ist!

345         Und der verständige Jüngling Telemachos sagte dagegen:
          Meine Mutter, warum verargst du dem lieblichen Sänger,
          Daß er mit Liedern uns reizt, wie sie dem Herzen                                 entströmen?
          Nicht die Sänger sind des zu beschuldigen, sondern allein                   Zeus,
          Welcher die Meister der Kunst nach seinem Gefallen                           begeistert.

350   Zürne denn nicht, weil dieser die Leiden der Danaer singet;
          Denn der neuste Gesang erhält vor allen Gesängen
          Immer das lauteste Lob der aufmerksamen Versammlung:
          Sondern stärke vielmehr auch deine Seele, zu hören.
          Nicht Odysseus allein verlor den Tag der Zurückkunft
355   Unter den Troern; es sanken mit ihm viel andere Männer.
          Aber gehe nun heim, besorge deine Geschäfte,
          Spindel und Webestuhl, und treib an beschiedener Arbeit
          Deine Mägde zum Fleiß! Die Rede gebühret den Männern,
          Und vor allen mir; denn mein ist die Herrschaft im Hause!

360        Staunend kehrte die Mutter zurück in ihre Gemächer,
          Und erwog im Herzen die kluge Rede des Sohnes.
          Als sie nun oben kam mit den Jungfraun, weinte sie wieder
          Ihren trauten Gemahl Odysseus; bis ihr Athene
          Sanft mit süßem Schlummer die Augenlider betaute.

365        Aber nun lärmten die Freier umher in dem schattichten                 Saale,
          Denn sie wünschten sich alle, mit ihr das Bette zu teilen.
          Und der verständige Jüngling Telemachos sprach zur                         Versammlung:

              Freier meiner Mutter, voll übermütiges Trotzes,
          Freut euch jetzo des Mahls, und erhebt kein wüstes                             Getümmel!

370   Denn es füllt ja mit Wonne das Herz, dem Gesange zu                         horchen,
          Wann ein Sänger, wie dieser, die Töne der Himmlischen                     nachahmt!
          Morgen wollen wir uns zu den Sitzen des Marktes                               versammeln;
          Daß ich euch allen dort freimütig und öffentlich rate,
          Mir aus dem Hause zu gehn! Sucht künftig andere Mähler;
375    Zehret von euren Gütern, und laßt die Bewirtungen umgehn.
          Aber wenn ihr es so bequemer und lieblicher findet,
          Eines Mannes Hab', ohn' alle Vergeltung zu fressen;
          Schlingt sie hinab! Ich werde die ewigen Götter anflehn,
          Ob euch nicht endlich einmal Zeus eure Taten bezahle,
380   Daß ihr in unserm Haus' auch ohne Vergeltung dahinstürzt!

              Also sprach er; da bissen sie ringsumher sich die Lippen,
          Über den Jüngling erstaunt, der so entschlossen geredet.
          Aber Eupeithes' Sohn Antinoos gab ihm zur Antwort:

              Ei! dich lehren gewiß, Telemachos, selber die Götter,

385   Vor der Versammlung so hoch und so entschlossen zu                       reden!
          Daß Kronion dir ja die Herrschaft unseres Eilands
          Nicht vertraue, die dir von deinem Vater gebühret!

              Und der verständige Jüngling Telemachos sagte dagegen:
          O Antinoos, wirst du mir auch die Rede verargen?

390   Gerne nähm' ich sie an, wenn Zeus sie schenkte, die                           Herrschaft!
          Oder meinst du, es sei das Schlechteste unter den                               Menschen?
          Wahrlich, es ist nichts Schlechtes, zu herrschen; des Königes           Haus wird
          Schnell mit Schätzen erfüllt, er selber höher geachtet!
          Aber es wohnen ja sonst genug achaiische Fürsten
395   In dem umfluteten Reiche von Ithaka, Jüngling' und Greise;
          Nehm' es einer von diesen, wofern Odysseus gestorben!
          Doch behalt' ich für mich die Herrschaft unseres Hauses,
          Und der Knechte, die mir der edle Odysseus erbeutet!

              Aber Polybos' Sohn Eurymachos sagte dagegen:

400   Dies, Telemachos, ruht im Schoße der seligen Götter,
          Wer das umflutete Reich von Ithaka künftig beherrschet;
          Aber die Herrschaft im Haus und dein Eigentum bleiben dir               sicher!
          Komme nur keiner, und raube dir je mit gewaltsamen                         Händen
          Deine Habe, so lange noch Männer in Ithaka wohnen!
405   Aber ich möchte dich wohl um den Gast befragen, mein                     Bester.
          Sage, woher ist der Mann? und welches Landes Bewohner
          Rühmt er sich? Wo ist sein Geschlecht und väterlich Erbe?
          Bracht' er dir etwa Botschaft von deines Vaters Zurückkunft?
          Oder kam er hieher in seinen eignen Geschäften?
410   Warum eilt' er so plötzlich hinweg, und scheute so sichtbar
          Unsre Bekanntschaft? Gewiß, unedel war seine Gestalt nicht!

              Und der verständige Jüngling Telemachos sagte dagegen:
          Hin, Eurymachos, ist auf immer des Vaters Zurückkunft!
          Darum trau' ich nicht mehr Botschaften, woher sie auch                     kommen,

415    Kümmre mich nie um Deutungen mehr, wen auch immer die           Mutter
          Zu sich ins Haus berufe, um unser Verhängnis zu forschen!
          Dies war ein taphischer Mann, mein angeborener                                 Gastfreund.
          Mentes, Anchialos' Sohn, des kriegserfahrenen Helden,
          Rühmt er sich, und beherrscht die ruderliebende Taphos.

420        Also sprach er; im Herzen erkannt' er die heilige Göttin.
          Und sie wandten sich wieder zum Tanz und frohen Gesange,
          Und belustigten sich, bis ihnen der Abend herabsank.
          Als den Lustigen nun der dunkle Abend herabsank;
          Gingen sie alle heim, der süßen Ruhe zu pflegen.

425       Aber Telemachos ging zu seinem hohen Gemache.
          Auf dem prächtigen Hof', in weitumschauender Gegend;
          Dorthin ging er zur Ruh mit tiefbekümmerter Seele.
          Vor ihm ging mit brennenden Fackeln die tüchtige alte
          Eurykleia, die Tochter Ops, des Sohnes Peisenors,

430   Welche vordem Laertes mit seinem Gute gekaufet,
          In jungfräulicher Blüte, für zwanzig Rinder: er ehrte
          Sie im hohen Palast, gleich seiner edlen Gemahlin,
          Aber berührte sie nie, aus Furcht vor dem Zorne der Gattin.
          Diese begleitete ihn mit brennenden Fackeln; sie hatt' ihn
435   Unter den Mägden am liebsten, und pflegt' ihn, als er ein                   Kind war.

              Und er öffnete jetzt die Türe des schönen Gemaches,
          Setzte sich auf sein Lager, und zog das weiche Gewand aus,
          Warf es dann in die Hände der wohlbedächtigen Alten.
          Diese fügte den Rock geschickt in Falten, und hängt' ihn

440   An den hölzernen Nagel zur Seite des zierlichen Bettes,
          Ging aus der Kammer, und zog mit dem silbernen Ringe die               Türe
          Hinter sich an, und schob den Riegel vor mit dem Riemen.

              Also lag er die Nacht, mit feiner Wolle bedecket,
          Und umdachte die Reise, die ihm Athene geraten.