Homer
Odyssee - Kapitel 33
          Also sprach ich, und schnell gehorchten sie meinem Befehle.
          Aber von Skylla schwieg ich, dem unvermeidlichen Unglück!
          Daß nicht meine Gefährten, aus Furcht des Todes, die Ruder
225   Sinken ließen, und all' im Schiffe zusammen sich drängten.
          Jetzo dacht' ich nicht mehr des schreckenvollen Gebotes,
          Welches mir Kirke geboten, mich nicht zum Kampfe zu                       rüsten;
          Sondern ich gürtete mich mit stattlichen Waffen, und faßte
          Zween weitschattende Speer' in der Hand, und stieg auf des             Schiffes
230   Vorderverdeck; denn ich hoffte, die Felsenbewohnerin Skylla
          Dorther kommen zu sehn, um mir die Freunde zu rauben.
          Aber ich schaute sie nirgends, obgleich die Augen mir                         schmerzten,
          Da ich nach jeder Kluft des braunen Felsen emporsah.
          Seufzend ruderten wir hinein in die schreckliche Enge:
235   Denn hier drohete Skylla, und dort die wilde Charybdis,
          Welche die salzige Flut des Meeres fürchterlich einschlang;
          Wenn sie die Flut ausbrach; wie ein Kessel auf flammendem             Feuer,
          Brauste mit Ungestüm ihr siedender Strudel, und hochauf
          Spritzte der Schaum, und bedeckte die beiden Gipfel der                     Felsen.
240   Wenn sie die salzige Flut des Meeres wieder hineinschlang,
          Senkte sich mitten der Schlund des reißenden Strudels, und               ringsum
          Donnerte furchtbar der Fels, und unten blickten des Grundes
          Schwarze Kiesel hervor. Und bleiches Entsetzen ergriff uns.
          Während wir nun, in der Angst des Todes, alle dahinsahn,
245   Neigte sich Skylla herab, und nahm aus dem Raume des                     Schiffes
          Mir sechs Männer, die stärksten an Mut und nervichten                     Armen.
          Als ich jetzt auf das eilende Schiff und die Freunde zurücksah;
          Da erblickt' ich schon oben die Händ' und Füße der Lieben,
          Die hoch über mir schwebten; sie schrien und jammerten alle
250   Laut, und riefen mir, ach! zum letztenmale! beim Namen.
          Wie am Vorgebirge mit langer Rute der Fischer
          Laurend den kleinen Fischen die ködertragende Angel,
          An dem Horne des Stiers, hinab in die Fluten des Meeres
          Wirft, und die zappelnde Beute geschwind' ans Ufer                           hinaufschwenkt:
255   Also wurden sie zappelnd empor an dem Felsen gehoben.
          Dort an der Höhle fraß sie das Ungeheuer, und schreiend
          Streckten jene nach mir, in der grausamsten Marter, die                     Händ' aus.
          Nichts Erbärmlichers hab' ich mit meinen Augen gesehen,
          So viel Jammer mich auch im stürmenden Meere verfolgte!
260      Als wir jetzo die Felsen der Skylla und wilden Charybdis
          Flohn, da erreichten wir bald des Gottes herrliche Insel,
          Wo die Herden des hochhinwandelnden Helios weiden,
          Viele treffliche Schaf' und viel breitstirniges Hornvieh.
          Als ich noch auf dem Meer' im schwarzen Schiffe heranfuhr:

265   Hört' ich schon das Gebrüll der eingeschlossenen Rinder,
          Und der Schafe Geblök. Da erwacht' in meinen Gedanken
          Jenes thebäischen Sehers, des blinden Teiresias' Warnung,
          Und der ääischen Kirke, die mir aufs Strengste befohlen,
          Ja die Insel zu meiden der menschenerfreuenden Sonne.
270    Und mit trauriger Seele begann ich zu meinen Gefährten:

            Höret meine Worte, ihr teuren Genossen im Unglück,
          Daß ich euch sage, was mir Teiresias' Seele geweissagt,
          Und die ääische Kirke, die mir aufs Strengste befohlen,
          Ja die Insel zu meiden der menschenerfreuenden Sonne;

275   Denn dort würden wir uns den schrecklichsten Jammer                       bereiten.
          Auf denn, Geliebteste, lenkt das Schiff bei der Insel vorüber!

             Also sprach ich; und jenen brach das Herz vor Betrübnis.
          Aber Eurylochos gab mir diese zürnende Antwort:
          Grausamer Mann, du strotzest von Kraft, und nimmer                         ermüden

280   Deine Glieder, sie sind aus hartem Stahle gebildet!
          Daß du den müden Freunden, von Arbeit und Schlummer                   entkräftet,
          Nicht ans Land zu steigen erlaubst, damit wir uns wieder
          Auf der umflossenen Insel mit lieblichen Speisen erquicken;
          Sondern befiehlst, daß wir die Insel meiden, und blindlings
285   Durch die dickeste Nacht im düstern Meere verirren!
          Und die Stürme der Nacht sind fürchterlich; Schiffe                             zertrümmert
          Ihre Gewalt! Wo entflöhn wir dem schrecklichen                                 Todesverhängnis,
          Wenn nun mit einmal im wilden Orkan der gewaltige                         Südwind
          Oder der sausende West herwirbelte, welche die Schiffe
290   Oft auch gegen den Willen der herrschenden Götter                             zerschmettern?
          Laßt uns denn jetzo der Nacht aufsteigenden Schatten                       gehorchen,
          Und am Ufer ein Mahl bei dem schnellen Schiffe bereiten.
          Morgen steigen wir ein, und steuren ins offene Weltmeer.
            Also sprach er; und laut rief jeder Eurylochos Beifall,

295   Und ich erkannte jetzt, daß ein Himmlischer Böses verhängte;
          Drauf antwortet' ich ihm, und sprach die geflügelten Worte:

            Freilich, Eurylochos, zwingt ihr mich einzelnen leicht zum                 Gehorsam.
          Aber wohlan! jetzt schwöret mir alle den heiligen Eidschwur:
          Wenn wir irgendwo Herden von Rindern oder von Schafen

300   Finden, daß keiner mir dann, durch schreckliche Bosheit                     verblendet,
          Weder ein Rind noch ein Schaf abschlachte, sondern geruhig
          Esse der Speise, die uns die unsterbliche Kirke gereicht hat!

            Also sprach ich; und schnell beschwuren sie, was ich                       verlangte.
          Als sie es jetzo gelobt, und vollendet den heiligen Eidschwur;

305   Landeten wir in der Bucht mit dem starkgezimmerten Schiffe,
          Nahe bei süßem Wasser; und meine Gefährten entstiegen
          Alle dem Schiff', und bereiteten schnell am Ufer die Mahlzeit.
          Und nachdem die Begierde des Tranks und der Speise gestillt           war,
          Da beweineten sie der lieben Freunde Gedächtnis,
310   Welche Skylla geraubt, und vor der Höhle verschlungen;
          Auf die Weinenden sank allmählich der süße Schlummer.

            Schon war die dritte Wache der Nacht, und es sanken die                 Sterne;
          Siehe da sendete Zeus, der Wolkenversammler, der                             Windsbraut
          Fürchterlich zuckenden Sturm, verhüllt' in dicke Gewölke
315    Meer und Erde zugleich; und dem düstern Himmel entsank               Nacht.
          Als nun die dämmernde Frühe mit Rosenfingern erwachte,
          Zogen wir unser Schiff in die felsenbeschattete Grotte,
          Welche die schönen Reigen und Sitze der Nymphen verbirget.
          Jetzo rief ich die Freunde zur Ratsversammlung, und sagte:

320      Freunde, wir haben ja noch im Schiffe zu essen und trinken;
          Darum schonet der Rinder, daß uns kein Böses begegne!
          Diese Rinder und Schafe sind jenes furchtbaren Gottes
          Helios' Eigentum, der alles sicher und höret.

            Also sprach ich, und zwang ihr edles Herz zum Gehorsam.

325   Aber der Süd durchstürmte den ganzen Monat, und niemals
          Hub sich ein anderer Wind, als der Ost und der herrschende             Südwind.
          Doch so lang' es an Speis' und rotem Weine nicht fehlte,
          Schoneten jene der Rinder, ihr süßes Leben zu retten.
          Und da endlich im Schiffe der ganze Vorrat verzehrt war,
330   Streiften sie alle aus Not, vom nagenden Hunger gefoltert,
          Durch die Insel umher, mit krummer Angel sich Fische
          Oder Vögel zu fangen, was ihren Händen nur vorkam.
          Jetzo ging ich allein durch die Insel, um einsam die Götter
          Anzuflehn, ob einer den Weg mir zeigte zur Heimkehr.
335   Als ich, die Insel durchgehend, mich weit von den Freunden               entfernet,
          Am windfreien Gestade; da wusch ich die Händ', und flehte
          Alle Götter an, die Bewohner des hohen Olympos,
          Und sie deckten mir sanft die Augen mit süßem Schlummer.

            Aber Eurylochos reizte die andern Freunde zum Bösen:

340   Höret meine Worte, ihr teuren Genossen im Unglück.
          Zwar ist jeglicher Tod den armen Sterblichen furchtbar;
          Aber so jammervoll ist keiner, als Hungers sterben.
          Auf denn, und treibt die besten der Sonnenrinder zum Opfer
          Für die Unsterblichen her, die den weiten Himmel bewohnen.
345   Kommen wir einst zurück in Ithakas heimische Fluren,
          Seht dann weihen wir schnell dem hohen Sonnenbeherrscher
          Einen prächtigen Tempel, mit köstlichem Schmucke gezieret.
          Aber beschließt der Gott, um gehörnete Rinder entrüstet,
          Unser Schiff zu verderben, und ihm willfahren die Götter;
350   Lieber will ich mit einmal den Geist in den Fluten verhauchen,
          Als noch lang' hinschmachten auf dieser einsamen Insel!

            Also sprach er, und laut rief jeder Eurylochos Beifall.
          Und sie trieben die besten der Sonnenrinder zum Opfer
          Eilend daher; denn nahe dem blaugeschnäbelten Schiffe

355   Weideten jetzt, breitstirnig und schön, die heiligen Rinder.
          Diese umstanden die Freunde, den Göttern flehend,                             und streuten
          Zarte Blätter, gepflückt von der hochgewipfelten Eiche;
          Denn an Gerste gebrach es im schöngebordeten Schiffe.
          Also fleheten sie, und schlachteten, zogen die Haut ab,
360   Schnitten die Lenden aus, umwickelten diese mit Fette,
          Und bedeckten sie drauf mit blutigen Stücken der Glieder.
          Auch an Weine gebrach es, das brennende Opfer zu                           sprengen;
          Aber sie weihten mit Wasser die röstenden Eingeweide.
          Als sie die Lenden verbrannt, und die Eingeweide gekostet,
365   Schnitten sie auch das übrige klein, und steckten's an Spieße.

            Meinen Augen entfloh nunmehr der liebliche Schlummer,
          Und ich ging zu dem rüstigen Schiff am Ufer des Meeres.
          Aber sobald ich mich nahte dem gleichgeruderten Schiffe,
          Kam mir der süße Duft des Opferrauches entgegen.

370   Da erschrak ich, und rief wehklagend den ewigen Göttern:

            Vater Zeus, und ihr andern, unsterbliche selige Götter!
          Ach! ihr habt mir zum Fluche den grausamen Schlummer                   gesendet,
          Daß die Gefährten indes den entsetzlichen Frevel verübten!

            Und Lampetia stieg zu Helios' leuchtendem Sitze

375   Schnell mit der Botschaft empor, daß jene die Rinder getötet;
          Dieser entbrannte vor Zorn, und sprach zu den ewigen                       Göttern:

            Vater Zeus, und ihr andern, unsterbliche selige Götter,
          Rächt mich an den Gefährten Odysseus', des Sohnes Laertes,
          Welche mir übermütig die Rinder getötet, die Freude

380   Meiner Tage, so oft ich den sternichten Himmel hinanstieg,
          Oder wieder hinab vom Himmel zur Erde mich wandte!
          Büßen die Frevler mir nicht vollgültige Buße des Raubes;
          Steig' ich hinab in Aïdes Reich, und leuchte den Toten!

             Ihm antwortete drauf der Wolkenversammler Kronion:

385   Helios, leuchte forthin den unsterblichen Göttern des                         Himmels,
          Und den sterblichen Menschen auf lebenschenkender Erde.
          Bald will ich jenen das rüstige Schiff mit dem flammenden                 Donner
          Mitten im dunkeln Meer, in kleine Trümmer zerschmettern!

            Dieses erfuhr ich hernach von der schöngelockten Kalypso,

390   Die es selbst von Hermeias, dem Göttergesandten, erfahren.

            Als ich jetzo das Schiff und des Meeres Ufer erreichte,
          Schalt ich die Missetäter vom ersten zum letzten; doch                       nirgends
          Fand ich Rettung für uns, die Rinder lagen schon tot da.
          Bald erschienen darauf die schrecklichen Zeichen der Götter;

395   Ringsum krochen die Häute, es brüllte das Fleisch an den                   Spießen,
          Rohes zugleich und gebratnes, und laut wie Rindergebrüll                   scholl's.
          Und sechs Tage schwelgten die unglückseligen Freunde
          Von den besten Rindern des hohen Sonnenbeherrschers.
          Als nun der siebente Tag von Zeus Kronion gesandt ward,
400   Siehe da legten sich schnell die reißenden Wirbel der                         Windsbraut;
          Und wir stiegen ins Schiff, und steurten ins offene Weltmeer,
          Aufgerichtet den Mast, und gespannt die schimmernden                   Segel.

            Als wir das grüne Gestade Thrinakias jetzo verlassen,
          Und ringsum kein Land, nur Meer und Himmel zu sehn war;

405   Breitete Zeus Kronion ein dunkelblaues Gewölk aus
          Über das laufende Schiff, und Nacht lag über der Tiefe.
          Und nicht lange mehr eilte das laufende Schiff; denn mit                     einmal
          Kam lautbrausend der West mit fürchterlich zuckenden                     Wirbeln.
          Plötzlich zerbrach der Orkan die beiden Taue des                                 Mastbaums;
410   Aber der Mast fiel krachend zurück, und Segel und Stange
          Sanken hinab in den Raum; die Last des Fallenden stürzte
          Hinten im Schiff dem Piloten aufs Haupt, und zerknirschte mit           einmal
          Alle Gebeine des Haupts; da schoß er, ähnlich dem Taucher,
          Köpflings herab vom Verdeck, und der Geist entwich den                   Gebeinen.
415    Und nun donnerte Zeus; der hochgeschleuderte Strahl schlug
          Schmetternd ins Schiff: und es schwankte, vom Donner des               Gottes erschüttert;
          Alles war Schwefeldampf, und die Freund' entstürzten dem               Boden.
          Ähnlich den Wasserkrähn, bekämpften sie, rings um das                   Schiff her,
          Steigend und sinkend die Flut; doch Gott nahm ihnen die                   Heimkehr.
420   Einsam durchwandelt' ich jetzo das Schiff; da trennte der                   Wogen
          Sturz von den Seiten den Kiel, und trug die eroberten                           Trümmer;
          Schmetterte dann auf den Kiel den Mastbaum nieder; an                   diesem
          Hing noch das Segeltau, von Ochsenleder geflochten.
          Eilend ergriff ich das Tau, und verband den Kiel und den                     Mastbaum;
425   Setzte mich drauf, und trieb durch den Sturm und die                         tobenden Fluten.

            Jetzo legten sich schnell die reißenden Wirbel des Westes;
          Doch es erhub sich der Süd, der, mit neuen Schrecken                         gerüstet,
          Wieder zurück mich stürmte zum Schlunde der wilden                       Charybdis.
          Und ich trieb durch die ganze Nacht; da die Sonne nun                       aufging,

430   Kam ich an Skyllas Fels und die schreckenvolle Charybdis.
          Diese verschlang an jetzo des Meeres salzige Fluten;
          Aber ich hob mich empor, an des Feigenbaumes Gezweige
          Angeklammert, und hing, wie die Fledermaus, und vermochte
          Nirgendwo mit den Füßen zu ruhn, noch höher zu klimmen.
435   Denn fern waren die Wurzeln, und nieder schwankten die                 Äste,
          Welche, lang und groß, Charybdis mit Schatten bedeckten.
          Also hielt ich mich fest an den Zweig, bis der Kiel und der                   Mastbaum
          Wieder dem Strudel entflögen; und endlich nach langem                   Harren
          Kamen sie. Wann zum Mahle der Richter aus der                                 Versammlung
440   Kehrt, der viele Zwiste der hadernden Jüngling' entschieden;
          Zu der Stund' entstürzten Charybdis' Schlunde die Balken.
          Aber ich schwung mich von oben mit Händen und Füßen                   hinunter,
          Und sprang rauschend hinab in den Strudel neben die Balken,
          Setzte mich eilend darauf, und ruderte fort mit den Händen.
445   Aber Skylla ließ mich der Vater der Menschen und Götter
          Nicht mehr schaun; ich wäre sonst nie dem Verderben                       entronnen!

            Und neun Tage trieb ich umher; in der zehnten der Nächte
          Führten die Himmlischen mich gen Ogygia, wo Kalypso
          Wohnet, die schöngelockte, die hehre melodische Göttin;

450   Huldreich nahm sie mich auf... Doch warum erzähl' ich dir                 dieses?
          Hab' ich es doch schon dir und deiner edlen Gemahlin
          Gestern in diesem Gemach erzählt; und es ist mir zuwider
          Einmal erzählete Dinge von neuem zu wiederholen.