Homer
Odyssee - Kapitel 34
                                   Dreizehnter Gesang

Odysseus, von neuem beschenkt, geht am Abend zu Schiffe, wird schlafend nach Ithaka gebracht, und in Phorkis Bucht ausgesetzt. Das heimkehrende Schiff versteinert Poseidon. Odysseus in Götternebel verkennt sein Vaterland. Athene entnebelt ihm Ithaka, verbirgt sein Gut in der Höhle der Nymphen, entwirft der Freier Ermordung, und gibt ihm die Gestalt eines bettelnden Greises.

          Also sprach er; und alle verstummten umher, und schwiegen,
          Horchten noch, wie entzückt, im großen schattigen Saale.
          Ihm antwortete drauf Alkinoos wieder, und sagte:

              Da du zu meiner hohen mit Erz gegründeten Wohnung

5        Kamst; so hoff' ich, Odysseus, dich sollen doch jetzt von der             Heimfahrt
          Keine Stürme verwehn, wie sehr du auch immer geduldet!
          Aber gehorchet nun, ihr alle, meiner Ermahnung,
          Die ihr beständig allhier, in meinem Palaste, des roten
          Ehrenweines genießt, und des Sängers Begeisterung anhört.
10      Kleider liegen bereits in der schöngeglätteten Lade
          Für den Fremdling, auch Gold von künstlicher Arbeit, und                   andre
          Reiche Geschenke, so viel die phäakischen Fürsten ihm                       brachten.
          Laßt uns noch jeden ein groß dreifüßig Geschirr und ein                     Becken
          Ihm verehren. Wir fodern uns dann vom versammelten Volke
15      Wieder Ersatz; denn einen belästigten solche Geschenke.

            Also sprach er; und allen gefiel die Rede des Königs.
          Hierauf gingen sie heim, der süßen Ruhe zu pflegen.
          Als die dämmernde Frühe mit Rosenfingern erwachte,
          Eilten sie alle zum Schiffe mit männerehrendem Erze.
20     Aber die heilige Macht Alkinoos legte das alles,
          Selber das Schiff durchgehend, mit Sorgfalt unter die Bänke;
          Daß es die Ruderer nicht an der Arbeit möchte verhindern.

            Hierauf gingen sie alle zur Burg, und besorgten das                           Gastmahl.
          Ihnen versöhnte der König mit einem geopferten Stiere

25      Zeus den donnerumwölkten Kroniden, der alles beherrschet.
          Und sie verbrannten die Lenden, und feirten das herrliche                   Gastmahl,
          Fröhliches Muts; auch sang vor ihnen der göttliche Sänger,
          Unter den Völkern geehrt, Demodokos. Aber Odysseus
          Wandte zur strahlenden Sonn' oft ungeduldig sein Haupt auf,
30     Daß sie doch unterginge; denn herzlich verlangt' ihn zur                     Heimat.
          Also sehnt sich ein Pflüger zur Mahlzeit, welcher vom                         Morgen
          Bis zum Abend die Brache mit rötlichen Stieren geackert;
          Freudig sieht er, wie sich die leuchtende Sonne hinabsenkt,
          Eilet zur Abendkost, und dem Gehenden wanken die Kniee:
35     Also freute sich jetzt Odysseus der sinkenden Sonne.
          Schnell begann er darauf zu den rudergeübten Phäaken,
          Aber vor allen wandt' er sich gegen den König, und sagte:

            Weitgepriesener Held, Alkinoos, mächtigster König!
          Sendet mich jetzt, nach geopfertem Trank, in Frieden; und                 lebt wohl!

40     Denn ich habe nun alles, was meine Seele gewünscht hat:
          Eine sichere Fahrt und werte Geschenke. Die Götter
          Lassen mir alles gedeihn! daß ich unsträflich die Gattin
          Wiederfinde daheim, und unbeschädigt die Freunde.
          Ihr, die ich jetzo verlasse, beglückt noch lange die Weiber
45     Eurer Jugend, und Kinder! Euch segnen die Götter mit Tugend
          Und mit Heil, und nie heimsuche die Insel ein Unglück!
            Also sprach er; es lobten ihn alle Fürsten, und rieten,
          Heimzusenden den Gast, weil seine Bitte gerecht war.
          Aber die heilige Macht Alkinoos sprach zu dem Herold:

50     Mische Wein in dem Kelche, Pontonoos; reiche dann allen
          Männern im Saal' umher; daß wir dem Vater Kronion
          Flehn, und unseren Gast zu seiner Heimat befördern.

            Sprach's; und Pontonoos mischte des herzerfreuenden                     Weines,
          Ging umher, und verteilte die vollen Becher. Sie gossen

55     Flehend den Göttern des Tranks, die den weiten Himmel                     bewohnen,
          Jeder von seinem Sitz. Da erhub sich der edle Odysseus,
          Gab in Aretens Hand den schönen doppelten Becher,
          Redete freundlich sie an, und sprach die geflügelten Worte:

            Lebe beständig wohl, o Königin, bis dich das Alter

60     Sanft beschleicht und der Tod, die allen Menschen                               bevorstehn!
          Jetzo scheid' ich von dir. Sei glücklich in diesem Palaste,
          Samt den Kindern, dem Volk, und Alkinoos, deinem Gemahle!

            Eilend ging nun der Held Odysseus über die Schwelle.
          Und die heilige Macht Alkinoos sandte den Herold,

65     Ihn zu dem rüstigen Schiff ans Meergestade zu führen.
          Auch die Königin ließ ihn von drei Jungfrauen begleiten:
          Eine trug ihm den schöngewaschenen Mantel und Leibrock;
          Diese sandte sie mit, die zierliche Lade zu bringen;
          Jene folgte dem Zuge mit Speis' und rötlichem Weine.
70       Als sie jetzo das Schiff und des Meeres Ufer erreichten,
          Nahmen eilig von ihnen die edlen Geleiter Odysseus'
          Alles, auch Speis' und Trank, und legten es nieder im Schiffe;
          Betteten jetzt für Odysseus ein Polster und leinenen Teppich
          Auf dem Hinterverdeck des hohlen Schiffes, damit er

75     Ruhig schliefe. Dann stieg er hinein, und legte sich                               schweigend
          Auf sein Lager. Nun setzten sich alle hin auf die Bänke,
          Nach der Ordnung, und lösten das Seil vom durchlöcherten               Steine,
          Beugten sich vor und zurück, und schlugen das Meer mit dem           Ruder.
          Und ein sanfter Schlaf bedeckte die Augen Odysseus',
80     Unerwecklich und süß, und fast dem Tode zu gleichen.

            Wie wenn auf ebener Bahn vier gleichgespannete Hengste
          Alle zugleich hinstürzen, umschwirrt von der treibenden                   Geißel,
          Hoch sich erhebend, und hurtig zum Ziele des Laufes                         gelangen:
          Also erhob sich das Steuer des Schiffs, und es rollte von                     hinten

85     Dunkel und groß die Woge des lautaufrauschenden Meeres.
          Schnell und sicheres Laufes enteilten sie; selber kein Habicht
          Hätte sie eingeholt, der geschwindeste unter den Vögeln.
          Also durcheilte der schneidende Kiel die Fluten des Meeres,
          Heimwärts tragend den Mann, an Weisheit ähnlich den                     Göttern.
90     Ach! er hatte so viel unnennbare Leiden erduldet,
          Da er die Schlachten der Männer und tobende Fluten                         durchkämpfte;
          Und nun schlief er so ruhig, und alle sein Leiden vergessend.

            Als nun östlich der Stern mit funkelndem Schimmer                         emporstieg,
          Welcher das kommende Licht der Morgenröte verkündet;

95     Schwebten sie nahe der Insel im meerdurchwallenden Schiffe.
          Phorkys, dem Greise des Meers, ist eine der Buchten                           geheiligt,
          Gegen der Ithaker Stadt, wo zwo vorragende schroffe
          Felsenspitzen der Reede sich an der Mündung begegnen.
          Diese zwingen die Flut, die der Sturm lautbrausend                             heranwälzt,
100   Draußen zurück; inwendig am stillen Ufer des Hafens
          Ruhn unangebunden die schöngebordeten Schiffe.
          Oben grünt am Gestad' ein weitumschattender Ölbaum.
          Eine Grotte, nicht fern von dem Ölbaum, lieblich und dunkel,
          Ist den Nymphen geweiht, die man Najaden benennet.
105    Steinerne Krüge stehn und zweigehenkelte Urnen
          Innerhalb; und Bienen bereiten drinnen ihr Honig.
          Aber die Nymphen weben auf langen steinernen Stühlen
          Feiergewande, mit Purpur gefärbt, ein Wunder zu schauen.
          Unversiegende Quellen durchströmen sie. Zwo sind der                     Pforten:
110     Eine gen Mitternacht, durch welche die Menschen                               hinabgehn;
          Mittagwärts die andre geheiligte: diese durchwandelt
          Nie ein sterblicher Mensch; sie ist der Unsterblichen Eingang.

            Jene lenkten hinein, denn sie kannten den Hafen schon                     vormals.
          Siehe da eilte das Schiff bis an die Hälfte des Kieles

115     Stürmend ans Land: so stark war der Schwung von der                        Ruderer Händen.
          Und sie stiegen vom Schiffe mit zierlichen Bänken ans Ufer,
          Hoben zuerst Odysseus vom Hinterverdecke des Schiffes,
          Samt dem leinenen Teppich und schönen purpurnen Polster,
          Und dann legten sie ihn, wie er schlummerte, nieder im                     Sande.
120    Und sie enthoben das Gut, das die edlen Phäaken beim                       Abschied
          Ihm geschenkt, durch Fügung der mutigen Pallas Athene.
          Dieses legten sie alles zuhauf am Stamme des Ölbaums,
          Außer dem Wege, daß kein vorübergehender Wandrer
          Heimlich zu rauben käme, bevor Odysseus erwachte.
125    Und nun fuhren sie heim. Doch Poseidaon vergaß nicht
          Seiner Drohung, die er dem göttergleichen Odysseus
          Ehmals hatte gedroht; er forschte den Willen Kronions:

            Vater Zeus, auf immer ist bei den unsterblichen Göttern
          Meine Ehre dahin, da Sterbliche meiner nicht achten,

130    Jene Phäaken, die selbst von meinem Blute gezeugt sind!
          Sieh, ich vermutet', es sollte nach vielen Leiden Odysseus
          Kommen ins Vaterland; denn gänzlich hätt' ich die Heimkehr
          Nimmer gewehrt, da dein allmächtiger Wink sie verheißen:
          Und sie bringen im Schlaf ihn über die Wogen, und setzen
135    Ihn in Ithaka aus, und geben ihm teure Geschenke,
          Erzes und Goldes die Meng', und schöngewebete Kleider,
          Mehr als Odysseus je aus Ilion hätte geführet,
          Wär' er auch ohne Schaden mit seiner Beute gekommen!

             Ihm antwortete drauf der Wolkenversammler Kronion:

140    Welche Red' entfiel dir, du erderschütternder König?
          Nimmer verachten dich die Götter! vermessene Kühnheit
          Wär' es, den ältesten mächtigsten Gott mit Verachtung zu                 reizen.
          Weigert sich aber ein Mensch, durch Kraft und Stärke                         verleitet,
          Dich, wie er soll, zu ehren; so bleibt dir ja immer die Rache.
145    Tue jetzt, wie du willst, und deinem Herzen gelüstet!

            Drauf erwiderte jenem der Erderschüttrer Poseidon:
          Gerne vollendet' ich gleich, Schwarzwolkichter, was du                       gestattest;
          Aber ich fürchte mich stets vor deinem eifernden Zorne.
          Jetzo will ich das schöngezimmerte Schiff der Phäaken,

150    Das vom Geleiten kehrt, im dunkelwogenden Meere
          Plötzlich verderben; damit sie sich scheun, und die                               Männergeleitung
          Lassen; und rings um die Stadt will ich ein hohes Gebirg                     ziehn.

            Ihm antwortete drauf der Wolkenversammler Kronion:
          Teuerster, dieser Rat scheint meinem Sinne der beste.

155    Wann die Bürger der Stadt dem näher rudernden Schiffe
          Alle entgegen schaun, dann verwandel' es nahe dem Ufer
          Zum schiffähnlichen Fels; daß alle Menschen dem Wunder
          Staunen; und rings um die Stadt magst du ein hohes Gebirg               ziehn.

             Als er solches vernommen, der Erderschüttrer Poseidon,

160    Ging er gen Scheria hin, dem Lande der stolzen Phäaken.
          Allda harrt' er; und bald kam nahe dem Ufer das schnelle
          Meerdurchgleitende Schiff. Da nahte sich Poseidaon,
          Schlug es mit flacher Hand, und siehe! plötzlich versteinert,
          Wurzelt' es fest am Boden des Meers. Drauf ging er von                     dannen.

165       Aber am Ufer besprachen mit schnellgeflügelten Worten
          Sich die Phäaken, die Führer der langberuderten Schiffe.
          Einer wendete sich zu seinem Nachbar, und sagte:

             Wehe! wer hemmt im Meere den Lauf des rüstigen Schiffes,
          Welches zur Heimat eilte? Wir sahn es ja völlig mit Augen!

170      Also redeten sie, und wußten nicht, was geschehn war.
         Aber jetzo begann Alkinoos in der Versammlung:

             Weh mir! es trifft mich jetzo ein längst verkündetes                         Schicksal.
          Mir erzählte mein Vater vordem, uns zürne Poseidon,
          Weil wir ohne Gefahr jedweden zu Schiffe geleitet.

175    Dieser würde dereinst ein treffliches Schiff der Phäaken,
          Das vom Geleiten kehrte, im dunkelwogenden Meere
          Plötzlich verderben, und rings um die Stadt ein hohes Gebirg             ziehn.
          So weissagte der Greis; das wird nun alles erfüllet.
          Aber wohlan! gehorcht nun alle meinem Befehle.
180   Laßt die Männergeleitung, woher auch ein Sterblicher                         komme,
          Unserem Volke zu flehn; und opfert jetzo Poseidon
          Zwölf erlesene Stiere! Vielleicht erbarmt er sich unser,
          Daß er nicht rings um die Stadt ein hohes Felsengebirg zieht.

            Also sprach er, und bange bereiteten jene das Opfer.

185    Also beteten dort zum Meerbeherrscher Poseidon,
          Für der Phäaken Stadt, die erhabenen Fürsten und Pfleger,
          Stehend um den Altar. Da erwachte der edle Odysseus,
          Ruhend auf dem Boden der lange verlassenen Heimat.
          Und er kannte sie nicht; denn eine Göttin umhüllt' ihn
190    Rings mit dunkler Nacht, Zeus' Tochter, Pallas Athene,
          Ihn unkennbar zu machen, und alles mit ihm zu besprechen:
          Daß ihn weder sein Weib noch die Freund' und Bürger                       erkennten,
          Bis die üppigen Freier für allen Frevel gebüßet.
          Alles erschien daher dem ringsumschauenden König
195    Unter fremder Gestalt: Heerstraßen, schiffbare Häfen,
          Wolkenberührende Felsen, und hochgewipfelte Bäume.
          Jetzo erhub er sich, stand; und da er sein Vaterland ansah,
          Hub er bitterlich an zu weinen, und schlug sich die Hüften
          Beide mit flacher Hand, und sprach mit klagender Stimme:

200     Weh mir! zu welchem Volke hin ich nun wieder gekommen?
          Sind's unmenschliche Räuber, und sittenlose Barbaren;
          Oder Diener der Götter, und Freunde des heiligen Gastrechts?
          Wo verberg' ich dies viele Gut? und wohin soll ich selber
          Irren? O wäre doch dies im phäakischen Lande geblieben!

205   Und mir hätte dagegen ein anderer mächtiger König
          Hilfe gewährt, mich bewirtet und hingesendet zur Heimat!
          Jetzo weiß ich es weder wo hinzulegen, noch kann ich's
          Hier verlassen, damit es nicht andern werde zur Beute!
          Ach! so galt denn bei jenen Gerechtigkeit weder, noch                       Weisheit,
210    Bei des phäakischen Volks erhabenen Fürsten und Pflegern,
          Die in ein fremdes Land mich gebracht! Sie versprachen so               heilig,
          Mich nach Ithakas Höhn zu führen; und täuschten mich                     dennoch!
          Zeus vergelt' es ihnen, der Leidenden Rächer, der aller
          Menschen Beginnen schaut, und alle Sünde bestrafet!
215    Aber ich will doch jetzo die Güter zählen und nachsehn,
          Ob sie mir etwas geraubt, als sie im Schiffe davon flohn.