Homer
Odyssee - Kapitel 47
                                    Achtzehnter Gesang

Odysseus kämpft mit dem Bettler Iros. Amphinomos wird umsonst gewarnt Penelopeia besänftigt die Freier durch Hoffnung, und empfängt Geschenke. Odysseus von den Mägden beleidigt, von Eurymachos verhöhnt und geworfen. Die Freier gehn zur Ruhe.

          Jetzo kam ein Bettler von Ithaka, welcher die Gassen
          Haus bei Haus durchlief, ein weitberüchtigter Vielfraß:
          Immer füllt' er den Bauch mit Essen und Trinken, und hatte
          Weder Stärke noch Kraft, so groß auch seine Gestalt war.
5        Dieser hieß Arnäos; denn also nannt' ihn die Mutter
          Bei der Geburt; allein die Jünglinge nannten ihn Iros,
          Weil er gerne mit Botschaft ging, wenn es einer verlangte.
          Dieser kam, Odysseus von seinem eigenen Hause
          Wegzutreiben; er schalt ihn, und sprach die geflügelten                     Worte:

10       Geh von der Türe, du Greis, daß man nicht beim Fuße dich               schleppe!
          Merkst du nicht, wie man rings mit den Augenwimpern mir               zuwinkt,
          Dich von hinnen zu schleppen? Allein ich scheue mich                       dennoch.
          Auf denn! oder es kommt noch zwischen uns beiden zum                 Faustkampf!

            Zürnend schaute auf ihn und sprach der weise Odysseus:

15      Elender, hab ich doch nimmer mit Wort oder Tat dich                         beleidigt!
          Auch mißgönn' ich's dir nicht, wie viel dir einer auch schenke.
          Und die Schwelle hat Raum für uns beide. Du mußt nicht so               neidisch
          Sehn bei anderer Milde; du scheinst mir ein irrender                           Fremdling,
          Eben wie ich; der Reichtum kömmt von den seligen Göttern.
20     Aber fodre mich nicht so übermütig zum Faustkampf:
          Daß ich nicht zürn', und dir, trotz meines Alters, mit Blute
          Brust und Lippen besudle! Dann säß ich morgen vermutlich
          Noch geruhiger hier; denn schwerlich kehrtest du jemals
          Wieder zurück in das Haus des Laertiaden Odysseus!
25       Und mit zürnendem Blick antwortete Iros der Bettler:
          All' ihr Götter, wie rasch der verhungerte Bettler da plappert;
          Recht wie ein Heizerweib! Ich möcht' es ihm übel gedenken,
          Rechts und links ihn zerdreschen, und alle Zähn' aus dem                   Maul' ihm
          Schlagen, wie einer Sau, die fremde Saaten verwüstet!

30     Auf, und gürte dich jetzo, damit sie alle des Kampfes
          Zeugen sei'n. Wie willst du des Jüngeren Stärke bestehen?

            Also zankten sie sich vor der hohen Pforte des Saales,
          Auf der geglätteten Schwelle, mit heftig erbitterten Worten.
          Ihre Worte vernahm Antinoos' heilige Stärke,

35     Und mit herzlicher Lache begann er unter den Freiern:

            So was, ihr Lieben, ist uns bisher noch nimmer begegnet!
          Welche Freude beschert uns Gott in diesem Palaste!
          Jener Fremdling und Iros, die fodern sich jetzo einander
          Zum Faustkampfe heraus. Kommt eilig, wir wollen sie hetzen!

40       Also sprach er; und schnell erhuben sich alle mit Lachen,
          Und versammelten sich um die schlechtgekleideten Bettler.
          Aber Eupeithes' Sohn Antinoos sprach zur Versammlung:

            Höret, was ich euch sage, ihr edelmütigen Freier!
          Hier sind Ziegenmagen, mit Fett und Blute gefüllet
45     Die wir zum Abendschmaus auf glühende Kohlen geleget.
          Wer nun am tapfersten kämpft, und seinen Gegner besieget;
          Dieser wähle sich selbst die beste der bratenden Würste.
          Künftig find' er auch immer an unserem Mahle sein Anteil,
          Und kein anderer Bettler soll diese Schwelle betreten.

50       Also sprach er; und allen gefiel Antinoos' Rede.
          Listensinnend begann der erfindungsreiche Odysseus:

            Lieben, ich alter Mann, durch so viel Elend entkräftet,
          Kann unmöglich die Stärke des jüngeren Mannes bestehen.
          Aber mich zwingt der Hunger, die härtesten Schläge zu                     dulden!

55     Nun wohlan! verheißt mir denn alle mit heiligem Eidschwur,
          Daß nicht Iros zuliebe mich einer mit nervichter Rechte
          Freventlich schlagen will, ihm seinen Sieg zu erleichtern.

            Also sprach er; und alle beschwuren, was er verlangte.
          Und die heilige Kraft Telemachos redete jetzo:

60       Fremdling, gebeut es dein Herz und deine mutige Seele,
          Treib' ihn getrost hinweg, und fürchte der andern Achaier
          Keinen! Wer dich verletzt, der hat mit mehren zu kämpfen!
          Dein Beschützer bin ich, und beide verständige Fürsten
          Hegen, Antinoos dort und Eurymachos, gleiche Gesinnung.
65       Seine Rede lobten die übrigen. Aber Odysseus
          Gürtete sich um die Scham mit seinen Lumpen, und zeigte
          Schöne rüstige Lenden; auch seine nervichten Arme
          Wurden entblößt, die Brust, und die breite Schulter; Athene
          Schmückt' unsichtbar mit Kraft und Größe den Hirten der                 Völker.

70     Aber die Freier alle umstaunten die Wundererscheinung;
          Einer wendete sich zu seinem Nachbar, und sagte:

            Iros, der arme Iros bereitet sich wahrlich ein Unglück!
          Welche fleischichte Lende der Greis aus den Lumpen                         hervorstreckt!

            Also sprachen die Freier; und Iros ward übel zu Mute.

75     Aber es gürteten ihn mit Gewalt die Diener, und führten
          Ihn wie er zitterte fort, und sein Fleisch umbebte die Glieder,
          Und Antinoos schalt ihn, und sprach mit drohender Stimme:

            Wärst du doch tot, Großprahler, ja wärst du nimmer                         geboren,
          Da du vor diesem so bebst, und so entsetzlich dich anstellst,

80     Vor dem alten Manne, den mancherlei Elend geschwächt hat!
          Aber ich sage dir an, und das wird wahrlich erfüllet:
          Schlägt dich dieser zu Boden, und geht als Sieger vom                         Kampfplatz;
          Siehe dann send' ich dich gleich im schwarzen Schiffe zum               König
          Echetos in Epeiros, dem Schrecken des                                                   Menschengeschlechtes:
85     Daß er dir Nas' und Ohren mit grausamem Erze verstümmle,
          Und die entrissene Scham den Hunden gebe zu fressen!

            Sprach's; da zitterte jener noch stärker an Händen und                     Füßen.
          Aber sie führten ihn hin; und beide erhuben die Fäuste.
          Nun ratschlagte bei sich der herrliche Dulder Odysseus:

90     Ob er ihn schlüge, daß gleich auf der Stelle sein Leben                         entflöhe;
          Oder mit sanftem Schlage nur bloß auf den Boden ihn                         streckte.
          Dieser Gedanke schien dem Zweifelnden endlich der beste:
          Sanft zu schlagen, um nicht den Achaiern Verdacht zu                       erwecken.
          Iros schlug mit der Faust die rechte Schulter Odysseus';
95     Dieser ihm unter das Ohr an den Hals, daß der Kiefer des                   Bettlers
          Knirschend zerbrach, und purpurnes Blut dem Rachen                         entstürzte.
          Schreiend fiel er zu Boden, ihm klappten die Zähn', und die                 Füße
          Zappelten staubend im Sand. Da erhuben die mutigen Freier
          Jauchzend die Händ', und lachten sich atemlos. Aber                           Odysseus
100   Zog ihn beim Fuß aus der Tür, und schleppt' ihn über den                   Vorhof
          Durch die Pforte der Halle; da lehnt' er ihn mit dem Rücken
          Gegen die Mauer des Hofs, und gab ihm den Stab in die                     Rechte;
          Und er redet' ihn an, und sprach die geflügelten Worte:

            Sitze nun ruhig hier, und scheuche die Hund' und die                         Schweine!

105    Hüte dich ferner, den Armen und Fremdlingen hier zu                         befehlen,
          Elender Mensch; damit dir kein größeres Übel begegne!

            Also sprach er, und warf um die Schulter den häßlichen                   Ranzen,
          Allenthalben geflickt, mit einem geflochtenen Tragband;
          Ging zur Schwelle zurück, und setzte sich. Aber die Freier

110    Gingen mit herzlichem Lachen hinein, und grüßten ihn also:

            Fremdling, dir gebe Zeus und die andern unsterblichen                     Götter,
          Was du am meisten verlangst, und was dein Herz nur                         begehret:
          Weil du unsere Stadt von dem unersättlichen Bettler
          Hast befreit! Bald werden wir ihn fortsenden zum König

115     Echetos in Epeiros, dem Schrecken des                                                   Menschengeschlechtes.

            Also sprachen die Freier; der vorbedeutenden Worte
          Freute der edle Odysseus sich herzlich. Antinoos bracht ihm
          Jetzo den großen Magen, mit Fett und Blute gefüllet;
          Und Amphinomos nahm zwei Bröt' aus denn zierlichen                       Korbe,

120    Brachte sie, trank ihm zu aus goldenem Becher, und sagte:

            Freue dich, fremder Vater! Es müsse dir wenigstens künftig
          Wohl ergehn! denn jetzo umringt dich mancherlei Trübsal.

            Ihm antwortete drauf der erfindungsreiche Odysseus:
          Du, Amphinomos, scheinst mir ein sehr verständiger                           Jüngling,

125    Und ein würdiger Sohn von deinem rühmlichen Vater
          Nisos, der, wie ich höre, ein edler und mächtiger König
          In Dulichion ist. Dein Blick verkündiget Scharfsinn.
          Darum sag' ich dir jetzt; nimm meine Worte zu Herzen.
          Siehe kein Wesen ist so eitel und unbeständig,
130    Als der Mensch, von allem, was lebt und webet auf Erden.
          Denn so lange die Götter ihm Heil und blühende Jugend
          Schenken, trotzt er, und wähnt, ihn treffe nimmer ein                         Unglück.
          Aber züchtigen ihn die seligen Götter mit Trübsal;
          Dann erträgt er sein Leiden mit Ungeduld und Verzweiflung,
135    Denn wie die Tage sich ändern, die Gott vom Himmel uns                 sendet,
          Ändert sich auch das Herz der erdebewohnenden Menschen.
          Siehe, ich selber war einst ein glücklicher Mann, und verübte
          Viel Unarten, vom Trotz und Übermute verleitet,
          Weil mein Vater mich schützte und meine mächtigen Brüder.
140    Drum erhebe sich nimmer ein Mann, und frevele nimmer;
          Sondern genieße, was ihm die Götter bescheren, in Demut!
          Welchen Greuel erblick' ich, den hier die Freier beginnen!
          Wie sie die Güter verschwelgen, und schmähn die Gattin des           Mannes,
          Welcher vielleicht nicht lange von seinen Freunden und                     Ländern
145    Ferne bleibt, vielleicht schon nah ist! Aber es führe
          Dich ein Himmlischer heim, daß du nicht jenem begegnest,
          Wann er wieder zurück in sein liebes Vaterland kehret!
          Denn die Freier allhier und jener trennen sich schwerlich
          Ohne Blut voneinander, sobald er unter sein Dach kommt!

150      Also sprach er, und goß des süßen Weines den Göttern,
          Trank, und reichte den Becher zurück dem Führer der Völker.
          Dieser ging durch den Saal mit tiefverwundeter Seele,
          Und mit gesunkenem Haupt; denn er ahnete Böses im                         Herzen.
          Dennoch entrann er nicht dem Verderben; ihn fesselt'                         Athene,

155    Daß ihn Telemachos' Hand mit der Todeslanze vertilgte.
          Und er setzte sich nieder auf seinen verlassenen Sessel.

            Aber Ikarios' Tochter, der klugen Penelopeia
          Gab Athene, die Göttin mit blauen Augen, den Rat ein,
          Sich den Freiern zu zeigen, auf daß sie mit täuschender                     Hoffnung

160    Ihre Herzen noch mehr erweiterte, und bei Odysseus
          Und Telemachos sich noch größere Achtung erwürbe.
          Und sie erzwang ein Lächeln, und sprach mit freundlicher                 Stimme:

            Jetzt, Eurynome, fühl' ich zum erstenmal ein Verlangen,
          Mich den Freiern zu zeigen, wie sehr sie mir immer verhaßt               sind.

165    Gerne möcht' ich den Sohn zu seinem Besten erinnern,
          Daß er ganz die Gesellschaft der stolzen Freier vermiede;
          Denn sie reden zwar gut, doch heimlich denken sie Böses.

            Aber die Schaffnerin Enrynome gab ihr zur Antwort:
          Wahrlich, mein Kind, du hast mit vielem Verstande geredet.

170    Gehe denn hin, und sprich mit deinem Sohne von Herzen;
          Aber bade zuvor den Leib, und salbe dein Antlitz.
          Denn du mußt nicht so mit tränenumflossenen Wangen
          Hingehn; unaufhörlicher Gram vermehrt nur das Leiden!
          Siehe, du hast den erwachsenen Sohn; und du wünschest ja               herzlich,
175    Daß dir die Götter gewährten, ihn einst im Barte zu sehen!

              Ihr antwortete drauf die kluge Penelopeia:
          O! so gut du es meinst, Eurynome, rate mir das nicht,
          Meinen Leib zu baden, und meine Wangen zu salben!
          Denn die Liebe zum Schmuck ward mir von den himmlischen           Göttern

180    Gänzlich geraubt, seit jener in hohlen Schiffen hinwegfuhr!
          Aber laß mir Autonoe gleich und Hippodameia
          Kommen: sie sollen mich in den Saal hinunter begleiten!
          Denn es ziemet mir nicht, allein zu Männern zu gehen.

            Also sprach sie; da ging die Schaffnerin aus dem Gemache,

185   Brachte der Fürstin Befehl, und trieb die Mägde zu eilen.

            Jetzo ersann ein andres die heilige Göttin Athene:
          Siehe mit süßem Schlummer umgoß sie Penelopen.
          Und sie entschlief hinsinkend; die hingesunkenen Glieder
          Ruhten sanft auf dem Sessel. Da gab die heilige Göttin

190    Ihr unsterbliche Gaben, damit sie die Freier entzückte:
          Wusch ihr schönes Gesicht mit ambrosischem Öle der                       Schönheit,
          Jenem, womit Aphrodite die Schöngekränzte sich salbet,
          Wann sie zum reizenden Chore der Charitinnen                                   dahinschwebt;
          Schuf sie höher an Wuchs, und jugendlicher an Bildung,
195    Schuf sie weißer, als Elfenbein, das der Künstler geglättet.
          Als sie dieses vollbracht, entschwebte die heilige Göttin.