Heinz Rudolf Kunze
Ganz nah dran
Ein Lächeln im Vorbeigehn ein bleicher Leopard
Das Licht ist gelb und gierig die Luft ist heiß und hart
Zwei Blicke unter Feuer zwei Häute unter Strom
Vier Hände voller Hunger und ein Himmel wie ein Dom
Ganz nah dran
Wir sind doch ganz nah dran
Wir sind doch ganz nah dran
Laß es klingeln geh nicht ran
Wir sind doch ganz nah dran
Schon so viel Zeit verloren schon so viel Mut vergafft
Wie haben uns gefunden mit allerletzter Kraft
Das Leben ist ein Abhang der Film läuft viel zu schnell
Doch mein Mund ist warm und dunkel und deine Haut ist hell
Ganz nah dran
Wir sind doch ganz nah dran
Wir sind doch ganz nah dran
Laß es klingeln geh nicht ran
Wir sind doch ganz nah dran
Ertrunkene Gesichter hinter allen Windschutzscheiben
Wer hat jetzt noch Reserven? Wer erinnert sich an mich?
Du willst jetzt nicht mehr hinter deiner Sonnenbrille bleiben
Du schreist wildfremde Leute an: Ich liebe dich
Ganz nah dran
Wir sind doch ganz nah dran
Wir sind doch ganz nah dran
Laß es klingeln geh nicht ran
Wir sind doch ganz nah dran
In diesem Land wo jeder halb Gesunde morgens überlegt:
Geh ich zur Arbeit oder spring ich aus dem Fenster?
In diesem Land wo jeder Hund sein eignes Reh zutodehetzt
Und jedes Denkmal ist ein Leuchtturm für Gespenster –
Da sind wir ganz nah dran
In diesem Land wo man sich fühlt als wär man vakuumverpackt
Und das Verwendungsdatum ist längst abgelaufen
In diesem Land drückt man den Kindern kalte Kissen ins Gesicht
Und gibt den Mittelklassewagen Blut zu saufen –
Doch wir sind ganz nah dran
Wie schwer es werden würde hat man vorher gewußt
Die mörderische Reise in ein Land aus Lust
Ganz nah dran
Wir sind doch ganz nah dran
Wir sind doch ganz nah dran
Laß es klingeln geh nicht ran
Wir sind doch ganz nah dran