Heinz Rudolf Kunze
Noch hab’ ich mich an nichts gewöhnt
Zum Beispiel, daß es Winter wird
Daß bald um diese Zeit
Die Sonne nicht mehr gläsern ist
Der Ausblick nicht mehr weit
Zum Beispiel, daß der Dicke dort
Mit Postbeamtenblick
Die Frau anschaut und wissen muß:
Die Frau schaut nie zurück
Auch wenn der Marschtakt der Tage
Mir in den Ohren dröhnt –
Noch hab ich mich
Noch hab ich mich
An nichts
Gewöhnt
Zum Beispiel, daß ein kleines Kind
Beim Spiel mit Gift verreckt
Weil ein Chemieboß seinen Müll
Just unter uns versteckt
Zum Beispiel, daß man beinah nichts
Bekommt, wenn man nicht zahlt
Daß niemand jemand irgendetwas
Glaubt, wenn man nicht prahlt
Auch wenn der pünktlich Gereifte
Mich laut dafür verhöhnt –
Noch hab ich mich
Noch hab ich mich
An nichts
Gewöhnt
Zum Beispiel, daß ein naher Mensch
Vor Schmerzen schreit und stirbt
Der Tod schlechthin – ein Fakt, das nicht
Für Gottes Schaltplan wirbt
Zum Beispiel, daß man Liebe kaum
Zu dritt erleben kann
Und mancher, den als Frau man wünscht
Verkehrt nun mal als Mann
Auch wenn mein innerer Pfaffe
Schon mal von Treue tönt –
Noch hab ich mich
Noch hab ich mich
An nichts
Gewöhnt
Zum Beispiel, daß du mit mir sprichst
Und sprichst doch nicht mit MIR
Zum Beispiel, daß ich mit dir schlaf
Und schlaf doch nicht mir DIR
Zum Beispiel, daß man grausam oft
Alltäglich unterliegt
Man löffelt stumm sein Blutgericht
Und die Gewöhnung siegt
Auch wenn mein Schutzengel wegen
Der Mehrbelastung stöhnt –
Noch hab ich mich
Noch hab ich mich
An nichts
Gewöhnt
An nichts
Gewöhnt